Falsche Narrative
Vom Blackout auf der Iberischen Halbinsel befeuert
Eine Analyse von Katharina Schuster, DNR
Ein Stromausfall legte Ende April fast die gesamte iberische Halbinsel lahm.  Während zunächst gezielt Falschinformationen über angebliche Cyberattacken,  Sabotageakte und die Zuverlässigkeit Erneuerbarer Energien kursierten, stellte  sich schnell heraus, dass eine Kaskade technischer Störungen zur großflächigen  Abschaltung führte. Der Vorfall zeigt eindrücklich, dass eine erfolgreiche  Energiewende nicht nur vom Ausbau erneuerbarer Energien abhängt, sondern auch  von Investitionen in Netztechnik und europäischer Kooperation.
28. April 2025, 12:33 Uhr: In fast ganz Spanien und Portugal fällt abrupt der  Strom aus. Auch Andorra und Teile Südfrankreichs sind betroffen. Es handelt sich  um den größten Blackout in der jüngeren europäischen Geschichte, und ließ mehr  als 50 Millionen Menschen plötzlich ohne Strom zurück. Was war passiert?
Der spanische Netzbetreiber Red Eléctrica (REE) spricht von einer „sehr starken  Schwingung der Leistungsflüsse“, die unmittelbar von einem massiven  Generationsausfall gefolgt wurde. Auslöser war ein plötzlicher Ausfall eines  großen Teils der Stromerzeugung im Südwesten Spaniens. Zwar konnte das Netz  diesen ersten Einschnitt noch kurzfristig ausgleichen, doch innerhalb weniger  Sekunden folgte ein weiterer Leistungsverlust.
Die Grenze dessen, was das System  auffangen konnte, war erreicht: Die Frequenz im Netz sank unter die kritische  Schwelle, automatisierte Schutzmechanismen reagierten, um größeren Schaden zu  verhindern. Unter anderem kappte sich das iberische Netz selbstständig vom  kontinentaleuropäischen Stromverbund. Diese Trennung erschwerte eine  Wiederstabilisierung ohne externe Unterstützung erheblich und löste den  flächendeckenden Stromausfall über Spanien und Portugal aus.
- Falschinformationen, mediale Spekulationen und politische Instrumentalisierung
 
Wie häufig in Krisen entstanden rund um den Blackout diverse Gerüchte,  Mutmaßungen und Falschmeldungen. In sozialen Netzwerken wurde rasch die These  eines feindlichen Angriffs auf die Stromversorgung lanciert. So behaupteten  einige Posts ohne Grundlage, die europäische Strom-Infrastruktur sei Ziel eines  Cyberangriffs gewesen – wahlweise durch Russland, Marokko oder Nordkorea. Andere  Verschwörungsmythen sprachen von einem orchestrierten Terroranschlag.
Gleichzeitig tauchte im Netz eine angebliche Eilmeldung auf, EU-  Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe Russland in einer  Pressekonferenz direkt eines „Cyberangriffs“ bezichtigt. Diese Meldung stellte  sich als Fake heraus: Die EU-Kommission dementierte umgehend, dass von der Leyen  dergleichen gesagt habe. Verbreitet wurde das Gerücht unter anderem vom rechten  Desinformationsaktivisten Alvise Pérez, der fälschlich „laut CNN“ von einer  solchen Aussage berichtete. Tatsächlich hatte von der Leyen am betreffenden Tag  gar nicht öffentlich zum Blackout Stellung genommen, und ihre offiziellen  Äußerungen spekulierten in keiner Weise über Ursachen.
Auch etablierte Medien waren zunächst nicht frei von Fehlinformation: Mehrere  große Nachrichtenagenturen meldeten am 28. April, der portugiesische  Netzbetreiber Rede Eléctrica Nacional (REN) habe ein seltenes Wetterphänomen als  Ursache benannt. Diese Meldung wurde später korrigiert, da REN die Zuschreibung  dieses Zitats bestritt. Die Agenturen und Zeitungen veröffentlichten  Berichtigungen, nachdem REN klargestellt hatte, dass kein entsprechendes  Kommuniqué von ihnen stammt. Dieses Beispiel zeigt, wie in der hektischen  Nachrichtenlage zu Beginn einer Krise leicht ungeprüfte Informationen verbreitet  werden können.
In der politischen Diskussion versuchten manche, Schuldzuweisungen zu  instrumentalisieren. So warf die rechtspopulistische spanische Partei Vox der  Regierung vor, die wahren Ursachen zu „verschleiern“, weil die  Verantwortlichkeit angeblich bei Fehlentscheidungen der Regierung liege. Die  Vox-Sprecherin im Parlament behauptete, Regierung und Netzbetreiber „wüssten  genau, was passiert ist, und wollen es nicht sagen“. Konkrete Belege führte sie  dafür nicht an. Die spanische Regierung wies diese Vorwürfe energisch zurück –  Innenminister Fernando Grande-Marlaska betonte, man habe transparent informiert  und werde alles Nötige zur Aufklärung tun. Premier Sánchez kündigte eine  unabhängige Untersuchung an und versicherte zunächst, man schließe keine  Hypothese von vornherein aus – auch einen Sabotageakt nicht. Mittlerweile aber  gilt ein gezielter Angriff oder ein terroristischer Hintergrund als weitgehend  ausgeschlossen. Es gebe keinerlei Hinweise auf eine absichtliche Störung, und  die Behörden betonen, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine rein  technische Großstörung handelte.
- Steilvorlage für Kritiker*innen der Energiewende
 
Laut einem Statement von Red Eléctrica, dem Betreiber des spanischen  Stromnetzes, deutet vieles darauf hin, dass die beiden Störungsereignisse um die  Mittagszeit in Zusammenhang mit Solarparks standen. Diese Einschätzung befeuerte  die öffentliche Debatte darüber, ob der hohe Anteil erneuerbarer Energien –  insbesondere aus Wind- und Solarkraft – zur Instabilität des Netzes beigetragen  haben könnte.
Beide Länder zählen zu Europas Vorreitern bei erneuerbaren Energien: 2024 deckte  Spanien gut 56Prozent seines Strombedarfs aus Wind- und Solarenergie. Am 16.  April 2025 wurde mehrere Stunden lang eine Stromversorgung zu 100Prozent aus  erneuerbaren Energien erreicht, und am Tag des Ausfalls lag der Anteil der  Erneuerbaren zeitweise bei rund 80Prozent. Seit geraumer Zeit streuen Kritiker  gezielt Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Stromsystems mit hohem Anteil  wetterabhängiger Erzeugung, um die Energiewende und Erneuerbare Energien in  Misskredit zu bringen.
Auch Spaniens Opposition stellte die Zuverlässigkeit der aktuellen  Energiepolitik infrage, die stark auf Erneuerbare und den Ausstieg aus fossilen  und nuklearen Quellen setzt. Die Regierung und Fachbehörden betonten jedoch  deutlich, dass die Energiewende nicht der Auslöser des Blackouts war. Premier  Sánchez wie auch REE-Chefin Beatriz Corredor erklärten, dass Rekordeinspeisungen  aus Solar- und Windparks nicht ursächlich für den Zusammenbruch gewesen seien.  Vielmehr handelte es sich um eine außergewöhnliche Störung, die prinzipiell auch  in einem konventionell gespeisten Netz hätte auftreten können. Gleichwohl räumen  Experten ein, dass ein hoher Anteil dezentraler, wetterabhängiger Erzeuger neue  Herausforderungen mit sich bringt. So hatten spanische Branchenvertreter bereits  zuvor gewarnt, dass das Stromnetz mit der rasanten Zunahme kleinerer Solar- und  Windanlagen schwerer zu steuern sei, wenn nicht entsprechend nachgerüstet wird.
- Netzstabilität braucht Technik, Planung und Kooperation
 
Ein zentrales technisches Problem ist die Netzfrequenz-Stabilisierung bei viel  erneuerbarer Energie, denn in Stromnetzen ist die Frequenzstabilität  entscheidend – in Europa liegt sie bei 50 Hertz. Diese Frequenz entsteht durch  die gleichmäßige Rotation der Generatoren in klassischen Großkraftwerken wie  Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerken. Solche Generatoren bestehen aus schweren,  rotierenden Massen. Diese Schwungmasse wirkt wie ein „Puffer“: Sie gleicht  kurzfristige Schwankungen zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch aus. Wenn  plötzlich mehr Strom verbraucht als erzeugt wird (zum Beispiel wenn ein  Kraftwerk ausfällt), verlangsamt sich die Rotation ein wenig – aber nicht sofort  drastisch, weil die Masse träge ist. Dadurch bleibt die Frequenz kurz stabil,  bis Regelkraftwerke nachsteuern können. Photovoltaik- oder Windkraftanlagen  erzeugen allerdings Gleichstrom, der erst mithilfe eines Wechselrichters in  Wechselstrom umgewandelt wird. Dieser Wechselrichter ist elektronisch gesteuert  und „simuliert“ die 50 Hertz – es gibt keine rotierende Schwungmasse dahinter.  Fällt Solar- oder Windleistung plötzlich weg – etwa durch Bewölkung oder  gezielte Abregelung –, muss ausreichend Regelreserve einspringen. Gelingt dies  nicht rechtzeitig, droht ein Frequenzabfall unter kritische Werte, was  automatische Abschaltungen weiterer Kraftwerke nach sich ziehen kann. Genau  dieses Szenario wird für den 28. April angenommen.
Die spanische Netzleitung hatte bereits Anfang 2025 darauf hingewiesen, dass  Spannung und Frequenz mit zunehmender Zahl schwer prognostizierbarer Einspeiser  schwieriger zu stabilisieren seien. Auch die Regulierungsbehörde CNMC warnte im  Januar 2025 vor Problemen bei der Spannungssteuerung aufgrund der neuen  Einspeisestruktur mit vielen kleinen Erzeugern. Hinzu kommt, dass Spanien sich  im Atomausstieg befindet: Bis 2035 sollen alle sieben Reaktoren abgeschaltet  werden. Schon jetzt werden konventionelle Kraftwerke in Zeiten überschüssigen  Grünstroms gedrosselt. Um Ostern 2025 – wenige Tage vor dem Blackout – waren  zeitweise drei von sieben Reaktoren vom Netz genommen worden, weil durch hohen  Wind Strom im Überfluss vorhanden war. Kurz vor dem 28. April war mindestens ein  Reaktor (Almaraz I) noch nicht wieder ans Netz gegangen, was die verfügbare  Sicherheitsreserve zusätzlich verringerte. Fachleute wie der ehemalige REE-  Direktor Jordi Sevilla warnten, dass das Abschalten der Kernkraftwerke die  Versorgungssicherheit gefährden könne. Auch der europäische Netzverband ENTSO-E  verwies im Frühjahr 2025 auf ein erhöhtes Risiko für Blackouts durch den  geplanten Rückbau von Kapazitäten. Zwar wies REE diese Einschätzung zurück und  versicherte, man könne eine stabile Versorgung garantieren – doch der April-  Blackout hat diese Debatte neu belebt.
- Netzausbau nach Frankreich stockt seit Jahren
 
Vertreter*innen einer ambitionierten Energiewende sehen in dem Vorfall einen  außergewöhnlichen Einzelfall, der durch bessere Netztechnik beherrschbar sein  wird, und betonen die Notwendigkeit für gezielte Investitionen in moderne  Frequenzregelanlagen und Schwungmassenspeicher. Als notwendig gilt auch eine  bessere grenzüberschreitende Vernetzung mit Nachbarländern, um das Risiko  solcher Großstörungen künftig zu minimieren, denn: Spanien und Portugal sind  „Energieinseln”, weil sie nur schwach an das europäische Stromverbundnetz  angebunden sind.
Konkret gibt es nur vier Hochspannungsleitungen über die  Pyrenäen nach Frankreich, und diese übertragen lediglich etwa drei Prozent der  spanischen Erzeugungskapazität. Damit fehlt eine starke elektrische Verbindung  zu anderen EU-Ländern, die im Fall von Störungen Strom liefern oder aufnehmen  könnte, um das Netz zu stabilisieren. Eigentlich sieht die EU vor, dass jedes  Mitgliedsland mindestens zehn Prozent seiner Stromkapazität über  Verbindungsleitungen mit dem Ausland austauschen kann – bis 2030 sollen es sogar  15 Prozent sein. Spanien erreicht diesen Wert nicht, auch weil der Netzausbau  nach Frankreich seit Jahren stockt. In Spanien wird vermutet, dass Frankreich –  möglicherweise auf Druck der Atomlobby – den Ausbau bewusst verzögert, da  günstiger Solar- und Windstrom aus Spanien Konkurrenz für den französischen  Atomstrom bedeuten könnte.
Die Europäische Kommission hat angekündigt, aus dem großflächigen Stromausfall  auf der Iberischen Halbinsel Konsequenzen ziehen zu wollen. „Wir untersuchen  sehr genau, was die Gründe waren, wie gut wir vorbereitet waren und welche  Lehren aus einem solchen Vorfall gezogen werden können“, sagte eine Sprecherin  in Brüssel. „Wir werden versuchen, solche Situationen zu verhindern, und wir  werden versuchen, Maßnahmen zu ergreifen, um solche Situationen in Zukunft zu  vermeiden.“ Die Kommission betonte, dass es nun darum gehe, Schwachstellen zu  analysieren und Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz europäischer Stromnetze zu  entwickeln.
- „Ein Weckruf, der zu einer angemessenen Planung des Stromnetzes führen sollte”
 
Ecologistas en Acción, eine spanische Umweltorganisation, fordert angesichts des  Stromausfalls eine grundlegende Neuausrichtung der Energieplanung: „Der  vollständige Zusammenbruch des Stromnetzes ist ein Weckruf, der zu einer  angemessenen Planung des Stromnetzes führen sollte”, so die Organisation.  Standortwahl und Dimensionierung erneuerbarer Anlagen würden derzeit primär  durch Marktmechanismen und Profitinteressen großer Unternehmen bestimmt – statt  durch eine ausgewogene, netzdienliche Gesamtplanung. Um die Resilienz des  Systems zu stärken, plädiert sie für eine dezentrale Stromversorgung auf Basis  von Mikronetzen, die Produktion und Verbrauch räumlich näher zusammenbringt.  Zudem müsse der Ausbau von erneuerbarem Eigenverbrauch – also Stromnutzung  unabhängig vom Netz – Vorrang erhalten. Neben einer gezielten Mischung aus  Solar-, Wind-, Wasser- und Speichertechnologien fordern die Ecologistas en  Acción eine stärkere staatliche Steuerung beim Netzausbau. Fossile Energien als  Sicherheitslösung lehnt sie klar ab. Nicht die erneuerbaren Energien selbst  seien Ursache des Blackouts, sondern vielmehr strukturelle Defizite und  politische Versäumnisse beim Ausbau und der Steuerung des Stromsystems. Die  technischen Lösungen für ein stabiles Netz mit hohem Anteil an Solar- und  Windenergie seien vorhanden – entscheidend sei jedoch, dass sie vorausschauend  geplant und konsequent umgesetzt werden.
Auch Greenpeace Spanien reagierte auf den Stromausfall mit klaren Forderungen:  Die Organisation sieht den Vorfall als Alarmsignal, das Stromsystem flexibler  und widerstandsfähiger zu gestalten – durch gezielten Ausbau von  Speicherlösungen, intelligenter Laststeuerung und moderner Netzinfrastruktur.  Erneuerbare Energien seien laut Greenpeace zwar die Grundlage eines sicheren und  nachhaltigen Energiesystems, müssten jedoch mit den richtigen Technologien  ergänzt werden, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Besonders kritisch  bewertet die Organisation die Rolle der Atomkraft: Sie habe weder zur  Stabilisierung beigetragen noch die Wiederherstellung beschleunigt und stelle im  Notfall selbst ein Risiko dar. Statt länger auf Gas- oder Atomkraft zu setzen,  müsse die Regierung jetzt den Übergang zu einem vollständig erneuerbaren,  dezentralen und demokratisch kontrollierten Energiesystem beschleunigen.
Die Behörden in Spanien und Portugal betonen derzeit, dass die Stromversorgung  insgesamt zuverlässig sei und man aus dem Blackout wichtige Lehren ziehen werde.  Beide Länder haben die Energiewende in den letzten Jahren konsequent  vorangetrieben. Der Vorfall vom April 2025 unterstreicht jedoch, dass die  Netzinfrastruktur mitwachsen muss, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.  Inzwischen arbeiten die Netzbetreiber eng zusammen, um die Ursachen zu  rekonstruieren und Schwachstellen im System zu identifizieren.
Ein umfassender  technischer Bericht wird für die kommenden Monate erwartet. Trotz der  dramatischen Stunden des Stromausfalls herrscht Einigkeit darüber, dass eine  klimafreundliche Energieversorgung und Versorgungssicherheit langfristig  vereinbar sind – vorausgesetzt, es wird entschlossen in Systemstabilität investiert.@
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