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Gigantischer Stromhunger

Renaissance der Atomenergie für eine beschleunigte KI?



Seit der Software-Konzern OpenAI im Winter 2022 mit der Veröffentlichung des „großen Sprachmodells“ ChatGPT den aktuellen Hype um die sogenannte künstliche Intelligenz (KI) auslöste, steigt bei den Tech-Giganten der Strombedarf stark an. So stark, dass unter anderen die Branchenriesen Microsoft und Google ihre noch 2020 selbstgesteckten CO2-Einsparziele auf unbestimmt nach hinten schieben.

Microsoft verkündete im Pandemiejahr 2020 selbstbewusst, dass das Unternehmen ab 2030 einen „negativen C02-Fußabdruck“ vorweisen werde – also mehr CO2 ‚ausgleichen‘ als emittieren werde. Ab 2050 wolle es gar „den gesamten Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen, den das Unternehmen seit seiner Gründung im Jahr 1975 entweder direkt oder durch seinen Stromverbrauch emittiert hat.“ Wie wenig fundiert das Versprechen von Microsofts CEO Satya Nadella war, beweist sein Zusatz auf eben jener Konferenz: „Die Lösung des C02-Problems wird Technologien erfordern, die heute noch nicht existieren“. Microsoft macht dazu zumindest Andeutungen. Nadella verweist auf die Prototypen gigantischer CO2-Staubsauger der ETH Zürich, die leider selbst wiederum extrem viel Strom verbrauchen um CO2 aus der Umgebungsluft zu filtern und später unterirdisch zu lagern. Zum anderen setzen Microsoft, aber auch Google, Amazon, Meta und Oracle unverhohlen auf einen alten Dinosaurier – die vermeintlich saubere Atomenergie.

Schauen wir uns die (2024 veröffentlichten) Unternehmenszahlen für das Jahr 2023 an. Im Vergleich zum Jahr 2020 hat Microsoft 30% mehr CO2 ausgestoßen und 86% mehr Wasser verbraucht. Bei Google sieht es nicht anders aus. Dessen Jahresbilanz weist 66% mehr CO2 und 70% mehr Wasser im gleichen Zeitraum aus. Der Energieverbrauch der US-Rechenzentren ist im Jahr 2023 auf insgesamt 176 Terawattstunden angestiegen. Er macht damit mittlerweile 4,4 Prozent des landesweiten Gesamtstromverbrauchs aus – Tendenz stark steigend: Der Finanzdienstleister Goldman Sachs prognostiziert, dass sich der CO2-Ausstoß der stromhungrigen IT-Branche aufgrund der vielen geplanten zusätzlichen Rechenzentren bis 2030 (verglichen mit 2023) nochmals verdoppeln wird.

Das deckt sich mit Microsofts aktuellem Kurs: das Unternehmen teilt im Januar 2025 mit, 80 Mrd. US-Dollar in den Ausbau von KI-Rechenzentren weltweit zu stecken. Damit aber wird Microsoft seine Emissions-Ziele mit Ansage um mehr als „ums Ganze“ verfehlen. Das Ringen um die technologische Vorherrschaft bei den neuen KI-Sprachmodellen als Schlüsseltechnologie von geopolitischer Bedeutung verschiebt allein den Versuch zur Entschärfung der beschleunigten Klimakrise um mindestens ein weiteres Jahrzehnt nach hinten (und das ist bereits sehr konservativ geschätzt). Und das, obwohl die IT-Branche „immer effizientere“ Hardware für eben diese Rechenzentren und einen wachsenden Anteil regenerativer Energien zur Deckung ihrer Strombedarfe in Aussicht stellt. Das Festhalten an diesem erneut leeren Technologieversprechen ist strukturell – seit mehr als 250 Jahren laufen wir Esel der technokratischen Karotte hinterher.

Falsches Versprechen technokratischer Innovation

Der derzeitige „Sommer der künstlichen Intelligenz“ speist sich aus der Erzählung, dass die großen Sprachmodelle à la ChatGPT als Allzweck-Werkzeug für Probleme sämtlicher Lebensbereiche herhalten werden. Obwohl diese Modelle als stochastischer Papagei echtes Verständnis nur imitieren, werden sie weite Teile kognitiver Arbeit automatisieren. Wir müssen von einer exzessiven Ökonomisierung dieser Technologie weit über dieses Jahrzehnt hinaus ausgehen.

Weder die Infrastruktur des Internet, noch die weiterhin exponentiell wachsende Datenhaltung in der vermeintlich abstrakten cloud und schon gar nicht die immer rechenintensiveren Modelle künstlicher Intelligenz sind entmaterialisiert. Im Gegenteil; ihr Ressourcenverbrauch (Strom, Wasser, Metalle, Salze und seltene Erden) wächst stetig und mit wachsender Geschwindigkeit.

Das Technologieversprechen, eine höhere Effizienz (immer leistungsfähigere und stromsparende Prozessoren) könne das Wachstum des Ressourcenverbrauchs im Zaum halten, bewahrheitet sich (wieder einmal) nicht. Die Nutzung der Technologie (hier die ‚Verdatung‘ der Gesellschaft) wächst schneller als die Effektivität ihrer Infrastruktur. Das galt bereits für die Dampfmaschine von James Watt 1769, die den Verbrennungsprozess effektivierte, aber damit erst für ihren massiv ausgeweiteten Einsatz sorgte. Mit dem Ergebnis, dass der absolute Ressourcenverbrauch dieses Wachstums exponentiell anstieg, statt konstant zu bleiben. Die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch im Kapitalismus ist ein folgenschweres Fake-Versprechen. Die Konsequenz: eine fortgeführte und sogar ausgeweitete Ausbeutung von Rohstoffvorkommen und billiger Arbeitskräfte zu Lasten ärmerer Länder – und das nach Jahrhunderten kolonialer Geschichte. Das unbegrenzte Wachstum führt unausweichlich in eine beschleunigte Klimakatastrophe. Es gibt derzeit keinen ernstzunehmenden Hinweis darauf, dass die generative KI der großen Sprachmodelle bei der Lösung des Klimaproblems behilflich sein könnten. Im Gegenteil – das Klima braucht dringend einen erneuten KI-Winter.

Viel hilft viel? – Stargate

Es mehren sich bereits ernstzunehmende Anzeichen für einen kommenden KI-Winter. Die wissenschaftliche Weiterentwicklung der großen Sprachmodelle tritt in eine Phase der Stagnation. Der massive Führungswechsel beim ChatGPT-Betreiber OpenAI im September 2024 war vielleicht das erste offensichtliche Zeugnis einer Neuausrichtung: Training, Betrieb und Feinjustierung des Outputs von ChatGPT sollten statt täglich etwa 700.000 US-Dollar zu verschlingen, endlich Geld erwirtschaften. Ökonomisch verwertbare Anwendungen und Einbindungen zum Beispiel in die Produktpalette von Microsoft stehen nun im Fokus. Jetzt beginnt das Abschöpfen der ungeheuren Automatisierungsdividende dieser Technologie.

Ihre technologische Vorrangstellung versuchen die Unternehmen über die schiere Größe ihrer Modelle absichern zu wollen. Je größer das Modell, desto rechen- und trainingsdaten-intensiver wird es. So ist es zu erklären, dass Amazon 100 Mrd., Microsoft 80 Mrd., Google und Amazon je 75 Mrd. und Meta 65 Mrd. US-Dollar allein im laufenden Geschäftsjahr 2025 in neue Rechenzentren stecken wollen – vornehmlich um mehr Rechenkraft für ihre KI-Modelle zur Verfügung zu stellen. An diesem Überbietungswettbewerb des „viel hilft viel“ wollen sie festhalten trotz (oder gerade weil) dem chinesischen Sprachmodell DeepSeek im Januar 2025 ein Achtungserfolg mit deutlich geringerem Rechenaufwand gelungen ist.

Da erscheint die 500 Mrd. schwere Investition in den größten bisher geplanten Rechen-Komplex Stargate von OpenAI, Oracle, der japanischen Softbank und den Chip-Herstellern ARM und Nvidia (innerhalb der nächsten vier Jahre) gar nicht mehr so außergewöhnlich hoch. Im Gegenteil, wir werden uns an einen enormen Zuwachs von (immer größeren) KI-Rechenzentren gewöhnen – inklusive ihres exponentiell wachsenden Energie- und Ressourcenhungers. Welcome back to the year 1769.

Trumps vermeintlich geringfügiger Beitrag zum Projekt Stargate: Neben der Zusicherung, die KI-Regulierung der Biden-Administration per Dekret auszuhebeln (bereits unmittelbar nach Amtsantritt im Januar 2025 erfolgt), soll er genug Wasser und Strom für Stargate bereitstellen. Keine triviale Aufgabe, wie sich im Folgenden zeigt.

Microsoft, Google, Amazon, Meta und Oracle setzen auf Atomenergie

Wo steckt eigentlich Elon Musk bei diesem KI-Wettrüsten der Superlative? Musk wollte den größten KI-Rechner der Welt bauen. Und eine seiner unzähligen Firmen namens xAI baut auch weiterhin am sogenannten Colossus mit mittlerweile 200.000 Höchstleistungs-Prozessoren des Chipdesigners Nvidia. Zum Stromverbrauch macht Elon Musk keine Angaben – inklusive aller Speicher- und Netzwerkkomponenten sowie Kühlung dürfte dieser bei über 500 MW liegen. Den Strombedarf von Oracles neuesten KI-Rechenzentren beziffert Technikchef Lawrence Ellison mit je 800 MW beziehungsweise gar 1 Giga-Watt.

Solche Rechenzentren übersteigen immer öfter die maximalen Lieferkapazitäten der Stromanbieter vor Ort. Daher hat sich Oracle die Genehmigung für den Bau von drei nuklearen Kleinkraftwerken, sogenannte SMR (Small Modular Reactors) gesichert. Sie sollen in sogenannten Microgrids betrieben werden, die nicht am öffentlichen Stromnetz hängen, sondern nur den Unternehmen als Energieversorgung dienen.

Oracle geht diesen Schritt, obwohl ein Pilotprojekt in Idaho (USA) 2023 aus Kostengründen gescheitert war. Der SMR-Entwickler NuScale Power Corporation und der Energieversorger Utah Associated Municipal Power Systems hatten die Pläne für das erste Mini-AKW in den USA trotz Genehmigung begraben. Trotz Kostenbeteiligung durch das US-Energieministerium in Höhe von 1,3 Mrd US-Dollar musste der Kraftwerksbetreiber NuScale die Kosten pro MWh von zuvor 58 auf 89 Dollar je MWh korrigieren. Zu diesen Konditionen fanden sich schlicht zu wenig gesicherte Abnehmer des Stroms.

Der World Nuclear Industry Status Report 2024 konstatiert: „Die SMR-Technik ist nichts Neues, aber bis heute ist sie bis auf einzelne historische Demonstrationskraftwerke trotzdem nicht im Einsatz. Aktuell laufende Prototypen gibt es bisher nur in China und Russland.“ und weiter: „Zwischen dem Hype um kleine modulare Reaktoren und der Realität klafft eine große Lücke.“ Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft bezeichnet die neuen modularen Reaktoren als „reine Powerpoint-Technologien“ – weder ausreichend erforscht noch in den nächsten zehn Jahren einsetzbar. „Man träumt scheinbar lieber von einer extrem teuren Fata Morgana“, so Kemfert, „statt die einsatzfähige, sichere und preiswertere Energiewende mit erneuerbaren Energien entschlossen umzusetzen.“

Microsoft geht einen anderen Weg und hat einen 20 Jahre laufenden Stromliefervertrag mit Constellation Energy geschlossen. Der Versorger soll einen Block des bereits stillgelegten Atomkraftwerk Three Miles Island in Harrisburg (Pennsylvania) wieder ans Netz nehmen. Zur Erinnerung: Im Nachbarblock hatte sich 1979 mit einer Kernschmelze der größte atomare Unfall der US-Geschichte ereignet.

Ende November 2024 sagte Joe Kaeser, Aufsichtsratschef von Siemens Energy: „Es gibt kein einziges Atomkraftwerk auf dieser Welt, das sich ökonomisch rechnet.“ Und das obwohl Siemens Energy selbst Bauteile für Atomkraftwerke liefert. Tatsächlich wird Atomkraft überall „massiv von Regierungen subventioniert“.

Aber Siemens Energy verdient auch an der temporären Ausweichstrategie der Tech-Oligarchen – den Gasturbinen. Bereits zwanzig große Turbinen hat sich Elon Musk nach Memphis (Tennessee) liefern lassen. Für eine eigene Stromversorgung per Erdgasverstromung direkt neben seinem KI-Supercomputer Colossus. Musk sagt, nur so könne sein Rechenzentrum so schnell expandieren wie er es wolle. Die Stromversorgung in den USA sei zu schwach und zu unflexibel. Auch OpenAI baut in Abilene (Texas) eine eigene Stromversorgung per Gasturbinen mit einer Leistung von 300 MW allein für ein KI-Rechenzentrum auf.

Und in Deutschland?

Man könnte den rückwärtsgewandten Pragmatismus der KI-Branche hinsichtlich der Energiefrage als „Technologieoffenheit“ bezeichnen. Daher dürfte das in Deutschland zumindest bei AfD, CDU und FDP auf Gegenliebe stoßen. Der derzeitige politische Rechtsruck wird massive Konsequenzen auf die zukünftige Energiefrage haben. Das völlige Ausklammern der Klimafrage zugunsten der Dominanz einer menschenverachtend und nationalistisch geführten Migrationsdebatte im aktuellen Bundestags-Wahlkampf macht deutlich, dass sowohl der Kohle- und langfristig auch der Atomausstieg hierzulande keine politischen Konstanten sind.

Auf dem IT-Sektor schreibt aktuell Microsofts Investitionspaket mit insgesamt 3,2 Milliarden Euro (Zukunfts-)Geschichte in Deutschland. Der Strombedarf der geplanten KI-Daten- und Rechenzentren von Microsoft in Bedburg und Bergheim (in der Nähe des Hambacher Forst zwischen Aachen und Köln) ist so hoch, dass RWE bereits angekündigt hat, nicht genug Strom liefern zu können. Dass sich Microsoft im unmittelbar benachbarten Belgien um Atomstrom (Verlängerung der Laufzeit des AKW Tihange 3 bis 2035) bemühen wird, ist eher unwahrscheinlich. Wir sollten eher davon ausgehen, dass die CDU in NRW für eine Verlängerung der Braunkohleverstromung plädieren wird, um den „Wirtschaftsstandort im Umbruch“ nicht zu gefährden. Na, und wer wird trotz „ökologischer Bedenken“ zustimmen? Richtig: die Grünen – vielleicht diesmal mit einer neuen, ‚zeitgemäßen‘ Begründung: „um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden“ – das klingt doch wunderbar unideologisch und verantwortlich.

Anfang Februar 2025 besuchte Sam Altman (CEO des KI-Branchenführers OpenAI) die TU Berlin für eine Debatte um die Zukunft der KI auch in Deutschland. Kritische Nachfragen hinsichtlich der massiven ökologischen Zerstörung durch deren Ressourcenbedarf wurden mit dem nächsten, noch diffuseren Technologieversprechen abgespeist: Die KI werde helfen (völlig unklar, wie?) die Kernfusion hinzubekommen. Und die Kernfusion soll im Zirkelschluss helfen, die stromhungrige KI in den Griff zu bekommen – eine gleichermaßen machtvolle wie bescheuerte Wette auf die Zukunft. Die Anerkennung und Bekämpfung des ökologischen Problems wird von der mittlerweile ideologisch rechts-verwurzelten Tech-Oligarchie nicht nur ignorant vertagt, sondern destruktiv zugespitzt. @

Guido Arnold
[Physiker, arbeitet am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) zum Thema Künstliche Intelligenz und digitalisierte Biopolitik]

 

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