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Sackgassentechnologie
und Milliardengrab

Warum dieser Hype um die Kernfusion?

Deutschland braucht angeblich eine „technologieoffene“ Energiewende: das fordern sowohl CDU-Kanzlerkandiat Merz wie nahezu wortgleich die AfD-Kandidatin Weidel. Gemeint ist bei beiden Politikern die Rückkehr zur Atomkraft und die massive Förderung der Kernfusion. Populistisch zugespitzt fordern beide den Abbau der „hässlichen“ Windräder (so Merz, noch schärfer Weidel in Riesa am 11.1.25 „Wir reißen alle Windräder nieder“) und damit eine deutliche Reduzierung der erneuerbaren Stromproduktion. Merz träumt von zwei großen Fusionsreaktoren: „Wir wollen hier den ersten am Netz haben.“&xnbsp;Aber auch die dritte im Bunde der Klimaleugnerparteien, die FDP phantasiert, „noch vor Mitte des Jahrhunderts“ wird ein Fusionskraftwerk bereitstehen.

Im Kern geht es bei allen um die Weigerung, das Pariser Klimaabkommen schnellstmöglich in die Praxis umzusetzen. Das Versprechen, 2050 stehe die kommerzielle Nutzung dieser „CO2-freien“ Fusionskraftwerke zur Verfügung, ist die Ausrede und Begründung der Klimaleugner für ihr Nichtstun, jetzt effektive CO2 Reduzierungen vorzunehmen. O-Ton Merz: „Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht. Wenn wir in den nächsten 10 Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg“, so in einem Interview mit der ‚Zeit‘, vom April 2023.

Was alle Politiker verschweigen: der Bau eines Kernfusionsreaktors ist noch meilenweit, um nicht zu sagen Lichtjahre, entfernt wegen massiver technischer und physikalischer Probleme. Diese sollen nachfolgend kurz skizziert werden.

Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze, Kernfusionsreaktoren zu bauen. Zu einem ist die Grundlage die sogenannte Trägheitsfusion mittels des Beschusses von Brennstoffkugeln durch gepulste&xnbsp;Laserstrahlen und zum anderen die Kernfusion in einem Plasma unter magnetischem Einschluss bei extrem hohen Temperaturen von 100-150 Millionen Grad. In beiden Fällen wird Deuterium und Tritium als Ausgangstoffe verwendet, wobei als Abfallprodukt Helium entsteht. Als Folge der Kernfusion treten auch sehr schnelle energiereiche Neutronen aus. Deren Energie soll dann zur Stromerzeugung genutzt werden. – So weit die Theorie.

Der größte in Bau befindliche Kernfusionsreaktor mit einem magnetischen Einschluss des Plasmas ist der Tokamakreaktor ITER in Südfrankreich. An diesem Reaktor wird seit 2007 gebaut und ursprünglich sollte die erste Kernfusion 2016 erfolgen. Jetzt ist die Rede von 2038. Was sind dafür die Gründe? Vor allem handfeste, technische Probleme. Diese sollen kurz skizziert werden.

Michael Dittmar von der ETH Zürich hat in einem Gutachten für die Grünen 2019 eine ausführliche Darstellung der technischen und physikalische Probleme dargelegt und schreibt: „Diese zusätzlichen Probleme sind:

  • (1) die Tritium-Eigenversorgung;<7li>
  • (2) die unbekannte erste Wandmaterialabschirmung, die die Lithiumdecke, den supraleitenden Magneten und die gesamte Fusionsapparatur vor den Spritzern der zig Millionen Grad Celsius heißen Plasmainstabilitäten in der Plasmafusionszone mit einem Volumen von tausend m³ schützen muss und die gleichzeitig für den schweren Neutronenbeschuss im Wesentlichen transparent ist;
  • (3) der unbekannte praktische Mechanismus, der die „freigesetzte“ Fusionsenergie von den energetischen Neutronen in ein „Gas“ oder eine „Flüssigkeit“ bei einigen hundert Grad Celsius überführt, die für den Betrieb eines Dampferzeugers erforderlich ist.“

Zu (1) Das Problem des Erbrütens von Tritium:

Es gibt weltweit ein sehr sehr geringes Vorkommen des radioaktiven Tritiums. Schätzungen gehen von bis zu 26 kg aus. Hauptsächlich wird das Tritium in den Schwerwasseratomreaktoren des CANDU-Typs erzeugt, von denen nur noch wenige in Kanada und Südkorea laufen. Ein Reaktor erzeugt ca. 1.9 kg pro Jahr. ITER benötigt zum Start ca. 10 kg und soll durch die freigesetzten schnellen Neutronen, die auf die Lithiumisotope in der Reaktorummantelung, dem Blanket treffen, mehr Tritium erzeugen als für die Aufrechterhaltung des Fusionsplasmas benötigt wird. Am ITER will man diese sogenannte Brutrate an unterschiedlichen Blankets ermitteln. Bei späteren Reaktoren müsste diese Brutrate mindestens 1.2 betragen, also 20% mehr Tritium erzeugen als eingesetzt. Sonst geht jedem Fusionsreaktor der „Brennstoff“ aus. ITER selber ist jedoch immer auf Tritium von außen angewiesen.

Physikalisch, in der Theorie und im Labormaßstab, ist dieser Prozess klar. Aber beim ITER hat das Vakuumgefäß mit dem Plasma einen Torusradius von maximal 6.2 Meter und ist 6.7 Meter hoch, mit ein Volumen von 837 Kubikmetern. Also im Vergleich zum Labor eine wahnsinnige technische Herausforderung. Von einem Praxistest des Erbrütens ist der Reaktor noch sehr weit entfernt. Das ist aber die Achillesferse der Kernfusion; denn ein kommerzieller späterer Reaktor in der Größenordnung von 1 GW braucht ca. 50 kg selbst erbrütetes Tritium. Wo die herkommen sollen – das ist eine der großen ungelösten Fragen.

Zu (2) Ungelöste Materialprobleme:

Will man die Kernfusion von Deuterium und Tritium auf der Erde durchführen, braucht man zur Erzeugung des Plasmas weitaus höhere Temperaturen als auf der Sonnenoberfläche (6000 Grad), man braucht Temperaturen im Bereich von 100-150 Mio. Grad und zwar im Dauerbetrieb. Das führt zu ungelösten Materialproblemen. Die verwendeten Materialien sollen dieser Temperatur und dem intensiven Neutronenbeschuss Stand halten.

In den angrenzenden Bauteilen, den verschiedenen Schichten der Ummantelung des Vakuumgefäßes (insbesondere des Blankets) kommt es jedoch zu einer Neutronenaktivierung, damit zu einer Versprödung und schließlich zu einem Verschleiß. Die verschlissenen Bausegmente oder Module müssten in regelmäßigen Abständen durch Roboter ausgewechselt werden, da diese Bauteile eine extrem hohe radioaktive Strahlung aussenden. Die Radioaktivität stammt vom Tritium und von aktivierten Verunreinigungen der Bauteile.

Demzufolge gibt es sehr hohe Anforderungen an die Reinheit der eingesetzten Materialien, da die enthaltenen Verunreinigungen durch die Neutronenaktivierung u. a. das spätere Abfallmanagement des radioaktiven Abfalls bestimmt. Damit drehen sich die Entwickler im Kreise.

Man hat noch nicht die geeigneten Materialien, die über lange Zeiten bei den geforderten Temperaturen und der Intensität des Neutronenbeschusses im Dauerbetrieb mechanisch stabil bleiben und nach der Nutzung kein Problem für die Entsorgung darstellen. Und noch schlimmer: Man hat noch nicht einmal geeignete Versuchsanlagen, um adäquate Materialforschungen zu betreiben. Ein Beispiel: Weltweit gesehen können zwar einige der bestehenden kleinen Anlagen Neutronen mit einer Energie von 14,1 Megaelektronenvolt (MeV) produzieren, die bei der Kernfusion freigesetzt werden; jedoch nicht mit der für Materialprüfungen notwendigen Neutronenfluenz wie beim ITER. Diese erst wird Aufschluss geben können über die Intensität des Neutronenfeldes und über die Belastung, die durch die Neutronen auf die Werkstoffe ausgeübt wird. Im Vergleich zu herkömmlichen AKWs ist diese im ITER 10 mal höher!

Dieser Neutronenbeschuss macht das Material über zwei Mechanismen kaputt. Zum einen werden die Atome im Gitter des Materials durch die Neutronen einfach auf andere Plätze verschoben. Bei ITER rechnet man damit, dass jedes Atom ca. 1x in der Lebenszeit dieses Reaktors seinen Platz wechseln muss. Und bei DEMO sind es dann schon ca. 20 mal im Jahr, einfach weil dieser Reaktor doppelt so groß sein wird wie der ITER. Die Schätzungen für einen späteren kommerziellen Fusionsreaktor differieren zwischen 30&xnbsp;bis 100 mal im Jahr. Was erwartet man, wenn jedes Atom in seinem Gitter bis zu 100 mal im Jahr von seinem Platz verschoben wird? Damit verspröden eigentlich alle Materialien und die ursprünglichen Materialeigenschaften gehen verloren. Und wie erwähnt, man hat keine geeignete Versuchsanlagen, um adäquate Materialforschungen zu betreiben!

Neben diesen Verdrängungsprozessen der Atome gibt es des weiteren in den Materialien dann auch Kernreaktionen mit dem Material selbst oder auch mit Verunreinigungen im Material (Neutronenaktivierung). So findet man zum Beispiel, dass im Stahl das Eisen mit den Neutronen regieren kann und dabei Wasserstoff und Helium erzeugt werden. Das führt ebenfalls zu erheblichen Materialschäden sowie zu einer Aktivierung des Materials.

Hinzu kommt die Rohstoffknappheit u. a. für die bei späterer kommerzieller Nutzung benötigte Menge von z. B. Wolfram. 80.000 t Wolfram werden jährlich produziert, davon allein in China 80%. Im ITER sind davon mehrere Tonnen verbaut. Das gleiche gilt für das verwendete Lithiumisotop 6 Li, was nur mit 7.5% in den weltweit verfügbaren Li-Reserven vorkommt. Aber dieses 6 Li ist der Ausgangsstoff für die Erbrütung von Tritium, das dann wieder als Brennstoff dienen soll; wird also regelrecht verbraucht.

Zu (3): wie lässt sich Millionen Grad heiße Energie nutzbar machen?

Und die Nutzenergie ist bei dem ITER Design auf ein riesiges Volumen verteilt, „verschmiert“ wie die Fachleute sagen. Ein kommerzielles Kraftwerk müsste diese Energie über Wärmetauscher zur Dampferzeugung nutzen, um daraus dann Strom zu erzeugen. Der Wirkungsgrad wird schlecht sein – doch der Wirkungsgrad wird ein wesentlicher Parameter für die Wirtschaftlichkeit sein.

Wirtschaftlichkeit?

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat zur Frage der Wirtschaftlichkeit von Fusionskraftwerken im Dez. 2024 geschrieben: „ Energieversorgungsunternehmen werden Fusionskraftwerke nur dann annehmen, wenn sie einen eindeutigen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber etablierten Technologien erwarten lassen einschließlich eines Risikoaufschlages wegen der noch unbekannten Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit einer jungen Technologie.“ Die Reaktoren wären nur in der Grundlast einsetzbar, und damit schlecht integrierbar in dezentrale Stromnetze, basierend auf erneuerbarer Energie. Darüber hinaus müssten aufgrund der langen Wartungsabschaltungen Überkapazitäten aufgebaut werden, um eine verlässliche Stromerzeugung zu gewährleisten. Das würde das ganze Kernfusionsprojekt noch mal deutlich verteuern.

Hingegen legte sich die ehemalige Wissenschaftsministerin Frau Stark-Watzinger schon 2023 fest und postulierte Stromgestehungskosten von 5-8 cent/kWh. Dem wurde von vielen Seiten widersprochen. „Alle Studien, die es zu Kosten und Bezahlbarkeit von Kernfusion gibt, beschreiben sehr hohe Kapitalkosten zum Aufbau der Anlagen und Kraftwerke. Diese werden mutmaßlich bei 70 bis 85 Prozent der Gesamtkosten liegen“, so Marco Wünsch, Energiesystemexperte der Prognos AG. Vorsichtige Schätzungen gehen von 20-36 cent/kwh aus. Damit wären Fusionskraftwerke für die Stromkonzerne völlig uninteressant. Bleibt als einziger Ausweg eine massive, milliardenschwere staatliche Unterstützung, die aber zum heutigen Zeitpunkt ein Herr Merz ablehnt. Der Markt soll es allein regeln, ist sein Credo in der Klima- und Energiepolitik.

Bisher finanziert allein die öffentliche Hand die Fusionsforschung. Ursprünglich waren es mal 5 Milliarden für den ITER, heute belaufen sich die letzten Kostenschätzungen auf 25 bis 30 Milliarden. Die beteiligten Staaten finanzieren das in unterschiedlichem Maße. Die Hauptlast trägt die EU, genauer Euratom. Die BRD ist mit mehreren Milliarden dabei. Hinzukommen Milliardenausgaben für die eigene Fusionsforschung in Garching oder Greifswald.

Radioaktivität und dual-use

Entgegen den Verlautbarungen der Kernforschungscommunity ist die radioaktive Umweltbelastung keinesfalls gering einzuschätzen. Zwar fällt kein hochradioaktiver Müll wie die abgebrannten Brennstäbe der AKWs an, aber durch die sehr schnelle Versprödung der Reaktorwände müssen diese viel häufiger ausgetauscht werden als beispielsweise die Dampferzeuger in herkömmlichen AKWs. Vom Umfang her ist das Müllproblem also deutlich größer und es müssen auch für zu verschrottende ausgewechselte Bauteile der Fusionsreaktoren sichere Endlager gebaut werden.

Die Laserfusion ist auch noch Lichtjahre davon entfernt, produktionsreif zu sein. Die Jubelmeldungen von 2022 aus den USA, aus dem Atombombenforschungszentrum im kalifornischen Livermore, dass es erstmals gelungen sei, einen Energieüberschuss zu erzielen, erweisen sich als Halbwahrheiten, wenn die gesamte Energiebilanz inklusive der hochenergetischen Laser miteinbezogen wird. Zudem könnten die Versuche in Livermore vordringlich der Effektivierung des Tritiumeinsatzes bei Wasserstoffbomben dienen, aber auch zur Erforschung der Lasertechnik für Laserwaffen. Hier taucht also wieder das alte Gespenst des dual-use auf. Es gibt keine Fusionsforschung ohne Proliferationsgefahren!

Seit über 70 Jahren gibt es die Kernfusionsforschung mit den immer neuen Versprechungen, dass es in 20 Jahren so weit sei. So auch beim ITER: 2007 begonnen, 2016 sollte die erste Kernfusion stattfinden. Im Juli 2024 räumte der leitende Direktor General Pietro Barabaschi ein, dass die Planung „zu optimistisch“ gewesen sei. Das Ergebnis ist, dass eine Fusionsreaktion mit Deuterium-Tritium-Atomkernen erst 2039 eingeleitet wird, mehr als 20 Jahre später. Selbst wenn ITER als Forschungsreaktor in den 2040er Jahren erfolgreich ist, kommt erst noch der sogenannte DEMO-Reaktor, der die bisher ungelöste Probleme bei Abkühlung der Neutronenstrahlung und die daraus extrahierte Abwärme zur Stromerzeugung bewältigen muss. Erst danach könnte mit der kommerzielle Nutzung der Kernfusion begonnen werden. Und das wird weit nach 2050 der Fall sein - wenn überhaupt.

Also wie der ‚Stern‘ vor ein paar Monaten schrieb, „Herr Merz erzählt Märchen“, wenn er von dem ersten Fusionsreaktor 2050 schwadroniert. Er sollte lieber mal die Klappe halten.“@

 

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