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Die materielle Seite künstlicher Intelligenz

Ökologische und geostrategische Implikationen der Chipproduktion



Der Hype um sogenannte „künstliche Intelligenz“ (KI) erscheint uns in den meisten Debatten in rein virtueller Gestalt; als Versprechen einer quasi voraussetzungsfreien Automatisierung nahezu aller Lebensbereiche durch eine tiefgreifende Neugestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion. In diesem Text soll es bewusst um die materielle Seite künstlicher Intelligenz im Kontext mehrfach verschränkter Krisen gehen – insbesondere die ökologische Krise in Verbindung mit der Krise neuer Kriege um eine multipolare Weltordnung.

Die KI entpuppt sich hinsichtlich der Klimazerstörung als Brandbeschleuniger und nicht, wie vielfach herbeifantasiert, als zentrales Lösungswerkzeug eines für den Menschen zu komplexen Optimierungsproblems. Der massive Ausbau von KI-Rechenzentren erfordert nicht nur beim Training und im Betrieb der großen Sprachmodelle enorm viel Energie (ein einziger Trainingsdurchlauf des Sprachmodells ChatGPT-4 kostet 64 Millionen Dollar Strom). Die Entwicklung und Produktion der Chips verschlingen Unmengen an Energie und Wasser – zudem werden seltene Metalle wie Germanium und Gallium benötigt, deren Extraktion massive Umweltschäden verursacht. Zum Beispiel durch den Tiefseebergbau, bei dem in rund fünf Kilometern Meerestiefe Manganknollen „geerntet“ werden. Knollen, an denen sich über Millionen Jahre hinweg im Meerwasser gelöste Metalle wie Mangan, Eisenoxid, Cobalt, Nickel, Gold, Indium und Germanium angelagert haben. Studien zeigen, dass es dort, wo der Tiefseeboden zur Ernte umgepflügt wurde, auch Jahrzehnte später kaum Lebewesen gibt (vgl. Vonnahme 2020).

Die meiste Computerhardware hat den Großteil ihrer klimaschädlichen Wirkung bereits entfaltet bevor sie das erste Mal eingeschaltet wird. Zum energieintensiven Betrieb der Rechenzentren (aufaddierter Stromverbrauch der Prozessoren plus deren aktive Kühlung) trägt danach die Entsorgung der mitunter gerade mal drei bis vier Jahre genutzten Höchstleistungs-Hardware ebenfalls zum enormen ökologischen Fußabdruck bei.

Die USA und die EU nehmen derzeit viel Geld und andere Mittel in die Hand, um wieder eine „heimische“ Halbleiterindustrie aufzubauen – mit dem Ziel, die krisenbehaftete, technologische Vorherrschaft gegenüber dem erklärten „Systemrivalen“ China abzusichern. Dabei wird insbesondere die Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie ausgemacht: eine Technologie, die ohne die modernsten Mikrochips – designt von Nvidia im Silicon Valley/ USA und hergestellt von TSMC in Taiwan mit weltweit einzigartigen Belichtungsmaschinen von ASML aus Eindhoven/ Niederlande – nicht denkbar wäre. China hat indes wirtschaftlich und technologisch einen beispiellos rasanten Aufstieg hingelegt – bisher, ohne dass ein Ende in Sicht ist, auch wenn sich das chinesische Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren etwas verlangsamt hat. In einigen Kernbereichen wie Elektromobilität, Hochgeschwindigkeitszügen, erneuerbare Energien und 5G-Funktechnologie lassen chinesische Unternehmen ihre westliche Konkurrenz inzwischen hinter sich. Sollte keine der Seiten ihre Interessen mit anderen Mitteln durchsetzen können, droht aus dem sich aktuell zuspitzenden Handelskrieg ein militärischer Krieg zu werden. Das wirft die praktische Frage auf, ob und wie sich Krieg und eine weitere Militarisierung der Gesellschaft aufhalten lassen.

Chips sind seit ihren Anfängen eine wichtige Militärtechnologie. Wir deuten die neu geplanten Chipfabriken in der EU und den USA auch als Teil einer ‚notwendigen‘ wirtschaftlichen Entflechtung zur Kriegsvorbereitung: Die Zuspitzung des aktuellen Handelskrieges mit China in einem militärischen Konflikt um Taiwan ist nur denkbar, wenn der Zugriff auf die Schlüsseltechnologie „Hoch- und Höchstleistungschips“ durch Produktionsstätten außerhalb Taiwans gesichert werden kann. Mit der dann schwindenden Alleinstellung der Produktion von Höchstleistungschips verliert Taiwan seinen wichtigsten „Schutzschild“ vor einer Vereinnahmung durch China – die Kriegsgefahr steigt. Diese nun auch hierzulande entstehenden Chipfabriken (z.B. TSMC und Infineon in Dresden) sind daher Punkte, an denen Widerstand ansetzen kann und sollte, um in der derzeitigen multiplen Krise eine linke Kritik sowohl an fortschreitender ökologischer Zerstörung als auch an einer Normalisierung der Kriegslogik zu formulieren. Die Chipindustrie ist zugleich hochspezialisiert und global integriert: ganze Lieferketten hängen von den Produkten und dem Wissen einzelner Unternehmen und Standorte ab.

Chipboom mit ökologischen Konsequenzen

Der „Chiphersteller“ Nvidia ist aktuell einer der größten Profiteure des KI-Booms. Bei den Highend-Grafikchips wird die Produktion der Nachfrage längst nicht mehr gerecht. Seit ChatGPT Ende 2022 veröffentlicht wurde, hat sich der Wert des Unternehmens auf über drei Billionen Dollar verneunfacht. Nvidia stieg im Juni 2024 zum wertvollsten Unternehmen weltweit auf und lässt damit Techriesen wie Microsoft und Apple hinter sich. Und das, obwohl Nvidia selbst keine Chips produziert, sondern sie lediglich entwirft und in Auftrag gibt. Nvidia designt spezielle, für das maschinelle Lernen entworfene Hochleistungschips, die einfache Rechenoperationen im Parallelbetrieb vieler zusammengeschalteter „Prozessorkerne“ besonders effektiv abarbeiten können.

Nach einer in den 1960er Jahren aufgestellten (und immer noch gültigen) empirischen Vorhersage („Mooresches Gesetz“), verdoppelt sich über die Weiterentwicklung lithografischer Methoden bei der Chipproduktion die Zahl der Schaltkreise auf gleicher Fläche spätestens alle 2 Jahre. Das kommt etwa einer Verdopplung der Leistungsfähigkeit der Chips gleich. Dadurch ergibt sich ein quasi-zyklischer Austausch von Computer-Hardware nach wenigen Jahren durch neuere, leistungsfähigere Hardware in vielen Anwendungsbereichen.

Dieser stetige Ersatz produziert massive Umweltschäden. Insbesondere in einer von Technokrat:innen avisierten Welt stetig steigender Verdatung und Vernetzung, in der alles mit allem kommunizieren soll (Smartifizierung über 5G-Netze / Industrie 4.0), steigt dieser (zyklische Ersatz-)Produktionsaufwand an Computerchips massiv an.

Zudem steigt das Ausmaß ökologischer Zerstörung für die Produktion eines einzelnen Chips mit zunehmender Leistungsdichte: Es dauert drei bis vier Monate, bis eine Siliziumscheibe (Wafer) die verschiedenen Stufen der Verarbeitung zum fertigen Produkt durchlaufen hat. Die Wafer werden in einer wachsenden Anzahl von Prozessschritten aufwändig bearbeitet, in denen mikroskopisch kleine Schichten aufgetragen, Muster eingebrannt und nicht benötigte Teile in vollautomatischen Verfahren abgekratzt werden. Die Spülung mit riesigen Mengen an Reinstwasser ist notwendiger Bestandteil dieser Prozedur.

Gehen wir von einem gleichgroßen Stück einer Siliziumscheibe für einen Computerchip aus, so benötigt die modernste 2nm-Prozesstechnologie zur Herstellung erheblich mehr Strom- (das 3,5-fache) und Reinstwasser (das 2,3-fache) gegenüber der älteren 28nm-Technologie. Der Ausstoß an Treibhausgasen (in CO2-Äquivalenten) steigt um das 2,5-fache (vgl. Bardon 2020). Die aufmerksame Leser:in mag nun einwenden, dass diese neuen Chips um ein Vielfaches leistungsfähiger sind und der Energieaufwand pro Rechenoperation mit jeder neuen Generation Computerchips sinkt. Das ist richtig, jedoch schlägt hier abermals der sogenannte Rebound-Effekt zu: Obwohl eigentlich weniger von den neuen, leistungsfähigeren Computerchips benötigt würden, nimmt deren Anzahl (durch die Ausweitung ihres Anwendungsbereichs) sogar massiv zu. So steigt die effektive Umweltzerstörung durch die Chipbranche.

Für den taiwanische Chiphersteller TSMC, den größten Auftragsfertiger der Welt, der unter anderem auch Apple beliefert, bedeutet das aktuell: TSMC ist für sechs Prozent des Stromverbrauchs in Taiwan verantwortlich. Die Ökobilanz ist katastrophal, denn Taiwans Strom speist sich fast zur Hälfte aus schmutziger Kohlekraft. Um die Wafer mit Reinstwasser zu reinigen, verbraucht das Unternehmen pro Tag 150 Millionen Liter Wasser. Und das obwohl Taiwan seit Jahren unter Trinkwasserknappheit leidet. Ausbleibende Regenfälle und Trockenperioden haben die Pegel der Wasserreservoire empfindlich sinken lassen. In einigen Städten Taiwans mussten bereits das Trinkwasser rationiert und der Wasserdruck reduziert werden, damit die globalen Lieferketten der wichtigen Halbleiter nicht gestört werden. Die Regierung lässt im ganzen Land nach Brunnen bohren und versucht wütende Reisbauern mit Kompensationszahlungen ruhigzustellen.

In einem Papier vom Oktober 2020 haben Forscher der Harvard U

niversity öffentlich zugängliche Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen wie TSMC, Intel und Apple verwendet, um zu zeigen, wie mit der zunehmenden Verbreitung von Computern auch deren Umweltschädigungen zunehmen. Es wird erwartet, dass bis 2030 bis zu 20 Prozent des weltweiten Energiebedarfs auf die Informations- und Computertechnologie entfallen werden, wobei die Hardware für einen größeren Teil dieses ökologischen Fußabdrucks verantwortlich ist als der Betrieb eines Systems.

Das Ergebnis ist, dass die fortschrittlichsten Chiphersteller schon heute einen größeren CO2-Fußabdruck haben als einige traditionell umweltschädliche Branchen, wie etwa die Automobilindustrie. Aus den Unternehmensangaben geht beispielsweise hervor, dass die Fabriken von Intel bereits 2019 mehr als dreimal so viel Wasser verbrauchten wie die Anlagen des Automobilherstellers General Motors und mehr als doppelt so viel als gefährlich eingestufte Abfälle erzeugten. Das Konzept des technologischen Angriffs dient uns dazu, Technologiekritik als Herrschafts- und Gesellschaftskritik zu entwickeln. Um zu verstehen, warum wir Innovationen und technischen ‚Fortschritt‘ als Angriff charakterisieren, müssen wir uns klar machen, dass gerade die kapitalistischen Innovationstheoretiker:innen und -strateg:innen Innovation als umfassende Offensive konzipieren, als umfassenden Schock. Ein Schock, der auf die Zerstörung und Reorganisation nicht nur der Arbeit zielt, sondern der gesamten Gesellschaft in allen ihren Bereichen, von Arbeit über Verkehr, Familie, bis hin schließlich zu Erziehung und Kultur. Sie sehen Innovationen nicht schlicht als ‚Erfindungen‘, sondern konzipieren sie als Einsatz von Basistechnologien, die das Potential zu umfassenden Zerstörungen oder auch „disruptions“ und reorganisatorischen Unterwerfungen und Zurichtungen haben.

Der informationstechnologische Angriff, auf den wir uns hier beziehen, ist nicht der erste Innovationsangriff: So dienten in der sogenannten „industriellen Revolution“ neue Maschinen (Dampfmaschine, automatische Webstühle etc.) dazu, nicht nur überkommene Arbeitsformen und darauf fußende Lebensgewohnheiten zu zerstören, sondern vielmehr die gesamte Bevölkerung ‚aufzumischen‘. […] [Eine] darauf folgende Gewaltwelle wurde um die Elektro- und chemische Industrie gestartet. Sie war eng verbunden mit den Formen der Verhaltensdisziplinierung und mentalen Zurichtung durch Taylorismus und Fordismus. Ihr materieller Kern lag im Angriff der Technologie des elektrisch betriebenen Fließbands und seiner Utopie auf die ganze Gesellschaft. Als sein zentraler ‚Erfinder‘ oder ‚Innovator‘ nannte der Amerikaner Frederick Taylor selbst sein System ausdrücklich „Krieg“ gegen die Autonomie der Arbeiter:innen (zumeist migrantische Bauernarbeiter:innen) und ihre unregulierten Lebensformen.

Bereits kurz nach der Machtübernahme 1933 begannen die Nazis damit, die deutsche Wirtschaft auf den Krieg vorzubereiten. Der Anteil der Rüstungskosten am BIP stieg von 1933 bis 1938 von 1% auf 20%. Zu den getroffenen Maßnahmen gehörte auch der Bau von Stahlwerken, die hoch unwirtschaftlich waren, da sie mit billigem (z.B. sowjetischen) Stahl auf dem Weltmarkt nicht konkurrieren konnten. Der NS-Staat subventionierte die Industrie massiv und rechtfertigte dies mit der Notwendigkeit wirtschaftlicher „Autarkie“. Heute werden von jenen, die ihre nationale Wirtschaft „unabhängig“ von ausländischen Waren und bereit für den Krieg machen wollen, nicht mehr in erster Linie Stahl-, Aluminium- oder Kautschukwerke subventioniert, sondern vor allem Chipfabriken und Energiekonzerne. Die spätestens seit Beginn des Kriegs in der Ukraine massiv gestiegenen Rüstungsausgaben vieler Staaten gepaart mit dem Streben nach wirtschaftlicher „Unabhängigkeit“ in Schlüsselindustrien wie der Halbleiterfertigung und der Energieversorgung sowie die gleichzeitig stattfindende ideologische Aufrüstung („Russland ruinieren“) dienen einem gemeinsamen Ziel: „kriegstüchtig werden.“ So jedenfalls nannte es der deutsche „Kriegsminister“. Wenn dieses vorläufige Ziel erst einmal erreicht ist, wird es nur noch ein kleiner Schritt sein, auch tatsächlich Krieg zu führen. Russland hat zuletzt gezeigt, wie schnell das gehen kann.

Computerchips sind seit ihren Anfängen eine wichtige Militärtechnologie. Ausgangspunkt in der Entwicklung der ersten Computer war der zweite Weltkrieg. Die ersten Jahrzehnte waren stark von Investitionen und Anforderungen der Militärs geprägt. Obwohl seit den 1970er Jahren durch die&xnbsp;Verbreitung von PCs, Laptops und schließlich von mobilen Geräten im zivilen Bereich eine immer umfassendere Digitalgesellschaft aufgebaut wurde, ist der Einsatz für militärische Ziele weiterhin ein relevanter Motor der Halbleiterentwicklung. In riesigen Forschungs- und Entwicklungsprojekten wurden über Jahrzehnte militärisch-relevante Computertechnologien gefördert.

Schon lange werden selbst konventionelle Waffen wie Raketen, Bomben etc. mit Chips ausgestattet. Angeblich musste Russland im Ukrainekrieg wegen der Knappheit an Mikrochips diese zur Umgehung von Exportverboten aus weißer Ware (Waschmaschinen, etc.) ausbauen und in die eigenen Waffensystem einbauen. Mit zunehmender Vernetzung und Autonomie der Waffensysteme wird die Leistungsfähigkeit der IT-Systeme und damit auch die Verfügbarkeit von Mikrochips, die die nötige Rechenleistung bereitstellen, immer wesentlicher über die militärische Stärke entscheiden.

Immer mehr KI-Anwendungen halten Einzug in militärische IT-Systeme: Chatbots à la ChatGPT werden implementiert in Battle Management Systeme (z.B. AIP for Defense von Palantir Inc.) sowie in Simulationssysteme zur Entwicklung komplexer Entscheidungsverfahren bspw. bei der Abwehr gegnerischer Drohnenangriffe (z.B. Ghostplay vom Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr) oder für Propagandazwecke und gezielten Desinformationskampagnen mit Hilfe von KI-generierten Fake-Bildern und -Texten. Nicht erst seit die Firma OpenAI im Januar 2024 die Zivilklausel zur Nutzung von ChatGPT gestrichen hat, sind die großen Sprachmodelle zum Dual Use (zivile und militärische Anwendung) geworden.

Modernste Computerchips im Zentrum des Kampfes um technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China

Im März 2023 verkündete die niederländische Regierung auf Druck der US-Regierung neue Restriktionen für die Ausfuhr von lithographischen Maschinen, also den Belichtungsmaschinen, die zentral für die Herstellung immer leistungsfähigerer Chips sind. Seitdem wurden die Exportbeschränkungen immer weiter verschärft. Die Maschinen des mit knapp 90% Marktanteil größten Produzenten von Fertigungsanlagen für Chips, ASML, können seitdem nur noch mit Sondergenehmigung nach China exportiert werden. Ziel dieser Maßnahme ist, es China zu erschweren, eine eigene (Hochleistungs-)Chipproduktion aufzubauen. China ist bereits jetzt der größte Chipproduzent der Welt bei veralteten Fertigungstechnologien ab 80nm und hat somit eine durchaus relevante eigene Industrie in diesem Sektor. Allerdings ist diese nicht in der Lage, die entscheidenden Hochleistungschips zu produzieren, welche etwa für moderne Server, Laptops, Smartphones und Grafikkarten benötigt werden. Insbesondere bei Halbleitern in Fertigungstechnologien unter 14nm liegt der Marktanteil des taiwanesischen Konzerns TSMC bei über 90%, wenngleich in den letzten Monaten immer wieder entscheidende Durchbrüche durch chinesische Unternehmen vermeldet wurden. Auch insgesamt produziert TSMC deutlich mehr als die Hälfte aller Chips weltweit. Die Auslagerung der Halbleiterfertigung aus den kapitalistischen Zentren nach Taiwan auf die andere Seite des Pazifiks war Teil der neoliberalen Globalisierung und der damit einhergehenden Deindustrialisierung in vielen der Zentren selbst.

Insgesamt lässt sich für die Halbleiterindustrie festhalten, dass es einen hohen Spezialisierungsgrad gibt und globale Lieferketten an vielen Stellen von einzelnen Unternehmen oder Werken abhängen. Das bereits erwähnte niederländische Unternehmen ASML ist weltweit als einziges Unternehmen in der Lage, die modernsten Fertigungsanlagen zu bauen und warten. ASML selbst ist dabei auf die Produkte hochspezialisierter Zulieferer angewiesen. Der zur Belichtung der Wafer eingesetzte Hochleistungslaser wurde von dem Maschinenbau-Unternehmen Trumpf mit Sitz in Ditzingen entwickelt. Das Spiegelsystem, mit dem diese Laser ins Ziel gesteuert werden, stammt von der Firma Zeiss aus Oberkochen. Auch Zeiss rühmt sich damit, dass 80% aller weltweit hergestellten Mikrochips mit den eigenen optischen Systemen produziert werden. Doch damit nicht genug – in der Halbleiterfertigung selbst werden Hunderte von Chemikalien benötigt. Auch diese können teilweise nur von wenigen Unternehmen hergestellt werden. In Deutschland sind BASF und Merck zu nennen. Und – man ahnt es schon – auch von Merck wird behauptet, dass die hergestellten Chemikalien in beinahe jedem Mikrochip der Welt enthalten sind. Wegen ihrer Bedeutung für die Halbleiterfertigung diskutierte die Bundesregierung im April 2023 Ausfuhrbeschränkungen für die in Deutschland hergestellten Chemikalien nach China.

China wiederum reagierte im August 2023 mit einer Exportbeschränkung von Gallium und Germanium in die EU. Diese Rohstoffe sind essentiell für die Herstellung von Mikrochips. China ist der weltgrößte Produzent der Mineralien Gallium und Germanium. Die EU bezieht 71 beziehungsweise 45 Prozent davon aus China. Mit Hochdruck versucht die EU samt ihrem wichtigsten, westlichen Verbündeten, den USA, eine eigene Rohstoffbasis aufzubauen.

Die Initiativen und Investitionsprogramme der USA, Chinas und inzwischen auch der EU, in der Halbleiterfertigung unabhängiger von Taiwan zu werden, sind nicht neu, sondern datieren mindestens bis in die Mitte der 2010er Jahre zurück. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Mikrochips nicht einfach ein beliebiges Industrieprodukt sind, sondern eine „Schlüsseltechnologie“ darstellen, wie es sich derzeit insbesondere in der Debatte um die Exportverbote für Nvidia-Chips zum Training von KI zeigt. Unter „unabhängiger werden,“ „de-coupling“ oder – wie die EU es nennt – „de-risking“ verstehen die Regierungen dieser Länder vor allem, dass ihre Fähigkeit, kapitalistische Gewinne zu erwirtschaften, bzw. ihre Fähigkeit, Krieg zu führen, nicht durch andere Staaten eingeschränkt werden darf. Es kann dabei keineswegs die Rede von einer einseitigen Sanktions- bzw. Protektionspolitik westlicher Staaten sein. Denn auch China ergreift harte Maßnahmen, um im „Chipkrieg“ Boden gutzumachen. So verbot die chinesische Regierung großen Unternehmen im eigenen Land, (Speicher-)Chips beim US-Konzern Micron Technology zu kaufen. Diese Chips können in China selbst gefertigt werden – auch wenn der Markt in diesem Segment derzeit (noch) durch andere dominiert wird.

Alle wesentlichen Softwaretools zum Chipdesign gehören westlichen Firmen. China hat weniger als ein Prozent Marktanteil beim globalen Chipdesign. Chinesische Firmen sind nur in stark veralteten Fertigungstechnologien konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt. Derzeit existiert im Chipsektor also durchaus noch ein Vorsprung der USA vor China, doch er schmilzt rapide. Die USA und die EU sind außerdem ebenso „abhängig“ von der Fertigung in Taiwan wie China. Die angreifbaren Lieferketten mit Chips aus taiwanesischer Produktion stellen angesichts der wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung aus Sicht der Regierungen ein enormes Risiko dar. Zumal sich keiner der Staaten sicher sein kann, diese Lieferketten notfalls durch militärische Drohungen und letztlich Krieg aufrecht erhalten zu können. Diese Ausgangslage lässt hoffen, dass das Risiko eines Krieges auf allen Seiten als zu hoch eingeschätzt wird. Denn die US-Regierung will mit allen Mitteln verhindern, dass China weiter aufholt, sowohl in Bezug auf das nötige Know-how etwa im Chipdesign als auch die vorhandenen Fertigungskapazitäten. Die chinesische Regierung ihrerseits hat sich mit ihrem Programm Made in China 2025 das Ziel gesetzt, bis 2049 weltweit führende Produktionsmacht zu werden. In China geht man davon aus, dass die eigene Wirtschaft von der „regelbasierten Weltordnung“ stärker profitieren kann, als diejenigen, die seit ihrer Durchsetzung nach dem zweiten Weltkrieg die vornehmlichen Nutznießer:innen waren.

Die punktuelle Abkehr vom Freihandel in den USA und der EU ist die Bestätigung, dass diese Einschätzung auch dort geteilt wird. Das neoliberale Dogma der vergangenen Jahrzehnte wird vor dem Hintergrund des erfolgreichen chinesischen Staatsinterventionismus auch in diesen Ländern zunehmend in Frage gestellt. Um ihre globale Machtposition aufrechtzuerhalten, ist die US-Regierung willens, sogar großen Tech-Konzernen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Apple ist beispielsweise wenig begeistert von der wirtschaftlichen Protektionspolitik der USA gegenüber China. Schließlich werden die Geräte des Konzerns dort zusammengesetzt, auch wenn sie in Kalifornien designt werden und die benötigten Chips nur in Taiwan von TSMC in ausreichender Qualität und Quantität gefertigt werden können. Anders als Unternehmen wie Google, die gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz chinesische Unternehmen auch als Konkurrenten fürchten müssen, hat Apple von der globalisierten Arbeitsteilung mit China vor allem profitiert und würde diese Geschäfte gerne fortsetzen.

Fazit

Es gibt gute Gründe, Widerstand gegen den Bau neuer Chipfabriken zu leisten. Denn die dort produzierten Halbleiter sind die stoffliche Basis eines technologischen Angriffs, der immer mehr Bereiche unserer Leben kapitalistisch in Wert setzt und auf eine patriarchale Optimierungs- und Kontrollgesellschaft abzielt. Gefühlsregungen werden erfasst und gelenkt, um unsere Leben zugunsten der Interessen seiner technokratischen Antreiber:innen zu optimieren. Wir bleiben dabei alleine und isoliert zurück. Unser Wunsch nach sozialer Gemeinschaft kann durch die digitale Interaktion am Bildschirm in ‚sozialen Netzwerken‘ nicht erfüllt, sondern lediglich unterdrückt werden. „Teile und herrsche“ ist keine neue Herrschaftstechnik, aber sie findet in der sozialen Atomisierung der digitalisierten Gesellschaft eine neue Qualität. Fürsorge, Gemeinschaft, Empathie und Körperlichkeit, verlieren an Bedeutung. Das Patriarchat in Verkörperung des deutschen „Kriegsministers“ und der ‚feministischen‘ Außenministerin, möchte den ‚technologisch-ökonomisch autarkeren‘ Zustand der „Kriegstüchtigkeit“ wiederherstellen.

Dies zu verhindern, erfordert unmissverständliche Zeichen, dass wir eben kein Teil einer ‚geschlossenen Heimatfront‘ sind und dass die Konfrontationspolitik gegenüber China im Kampf um die technologische Vorherrschaft im Bereich der Halbleiter- und Informationstechnologien nicht ohne Widerstand durchzusetzen ist. Die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt, dass sich gerade auf der materiellen Seite viele Möglichkeiten ergeben, Widerstand gegen (neue) Technologien als Herrschaftstechniken zu leisten.

Neue Halbleiterfabriken und der durch sie materiell eingelöste KI-Hype tragen nicht zur Lösung der Klimakrise bei. Im Gegenteil, sie verbrauchen enorme Mengen an Ressourcen. Es ist sogar besonders unsinnig, Halbleiter in Europa zu produzieren, wenn die weiterverarbeitenden Betriebe, in denen etwa unsere Smartphones zusammengebaut werden, wegen der Lohnkosten weiterhin in Ostasien liegen. Die Klimakrise lässt sich nicht durch KI oder andere technologische Entwicklungen auflösen, sondern es bedarf tiefgreifender sozialer Veränderungen. Diese Veränderungen – wir könnten sie als soziale Revolution bezeichnen – werden durch eine geistige Mobilmachung für die nächsten Kriege um technologische Vorherrschaft verhindert statt befördert. @

von Capulcu
Capulcu ist ein technologie-kritisches Tech-Kollektiv, das sich mit den gesellschaftspolitischen Bedingungen und Konsequenzen technologischer Innovation auseinandersetzt.
capulcu.blackblogs.org

 

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