Verwirrendes so oder so
Mit nicht aufzulösenden Widersprüchen wenigstens halbwegs konstruktiv umzugehen ist die große Herausforderung
"Wie kann es gelingen, aus einem Dauerzustand gefühlter Wirkungslosigkeit herauszufinden?" Mit dieser Frage hatte die Informationsstelle Militarisierung IMI bei ihrem großen Kongress im vergangenen Jahr zu einer bewegungsübergreifenden Diskussionsveranstaltung eingeladen. Auf dem Podium saßen: Vertreter*innen aus der Gewerkschaft, der antifa, der antiRa, der antimilitaristischen und der antiAtom-Bewegung. (Als solche waren wir von der aaa-Redaktion eingeladen worden.)
Schon aus der Themenstellung geht hervor, wie wenig optimistisch sowohl die Veranstaltenden wie alle Eingeladenen die augenblickliche Situation sozialer Bewegung beschreiben. Niemand hatte ein Patentrezept, das ist ja klar. Verständlich machen konnten wir uns mit folgender Sicht:
"Wir müssen anerkennen, dass es Affektschranken gibt. Die Leute hören unsere Aufforderungen zum Mittun - vielleicht, falls nicht andere Wichtigkeiten sie übertönen. Die vorgetragenen Sachverhalte mögen einleuchten; die Argumente können überzeugen. Und doch springt nur schwer der Funke über. Bei vielen Menschen mischen sich Empfindungen ein, die sie zumindest erst mal abwarten lassen, bevor sie mit auf die Straße gehen würden. Andere Sichtweisen sind allgegenwärtig und scheinen übermächtig platziert.
Überall lauert das einerseits - andererseits.
Das ist nicht schön, und Einwände sind vom Sachverhalt her sicher häufig nicht gerechtfertigt. Die klassische Herangehensweise ist dann, die Aufforderung und die Argumentation noch mal und noch mal zu wiederholen. Auch weiterhin wird das die notwendige Aufgabe von denjenigen sein, die sagen wir mal zu einer Demonstration aufrufen oder eine Blockade hinbekommen wollen. Das allein nützt aber nicht wirklich. Wir kommen nicht darum herum, uns mit dem Cocktail aus Zweifelsfragen auseinanderzusetzen, die das Engagement bremsen."
Das versuchen wir an dieser Stelle mal exemplarisch für die anti-Atombewegung. Ein paar Slogans wollen wir hier auf ihre Widersprüchlichkeit hin anschauen. Deutlich wird: kurze klare Ansagen ohne wenn und aber sind das nicht, die wir zu bieten haben. Bevor eine Erika Mustermann sich mit all dem Für und Wider, das daran hängt, befasst, hat sie sich vermutlich bereits anderen Dingen zugewandt, die ihr auch wichtig sind. Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass die anti-Atombewegung, die vor noch gar nicht so langer Zeit mit mächtigem Schwung unterwegs war, zur Zeit eher einem Gefährt mit angezogener Handbremse gleicht. Wie viel leichter war es einmal, mit Tausenden gegen die Errichtung von Brokdorf oder Wackersdorf an den Bauzaun zu ziehen. Was für ein mühsames Unterfangen ist es dagegen jetzt, sich zum Beispiel einer gefährlichen und völlig unsinnigen Transportkampagne von Jülich nach Ahaus in den Weg zu stellen.
... und auch nicht anderswo!
Zugegeben: Gar nicht erst zuzulassen, dass in der Nähe etwas hingebaut wird, von dem eine große Gefahr ausgeht, das ist eine Motivation, mit der sich freilich leichter mobilisieren lässt, als wenn Veränderungen anstehen bei einer Anlage, mit deren Existenz frau und man sich seit Langem hat arrangieren müssen. Was aber der Auseinandersetzung um den Bau von AKWs oder der WAA eine besondere Qualität gegeben hat, das war ein ganz entscheidendes Detail der Forderung: "Keine WAA (in Gorleben) - und auch nicht anderswo!" Der Kampf folgte eben nicht, wie es von den Befürwortern gerne unterstellt wurde, dem Motto "Oh heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!" Aus dem solidarischen Beharren darauf, dass diese Technologie schädlich ist, ganz egal, wo sie installiert wird, ließ sich auch für den Streit vor Ort große Kraft ziehen. " ... und auch nicht anderswo!" wurde zum qualitätsbestimmenden Markenkern einer Bewegung.
Sankt Florian
Jetzt haben wir es mit dem Müll zu tun. Ob uns das passt oder nicht: er ist da. Eine Forderung "nicht hier und auch nicht anderswo" hilft da nicht. Und aus diesem Grund wurde eine neue Formel kreiert: "Nix rein - nix raus!" Diese Losung folgt der gleichen Idee: die Abfallgebinde sind gefährlich, und zwar unabhängig davon, vor wessen Nase sie abgestellt wurden. Und wenn Betreiber oder Behörden Transporte planen, dann simulieren sie lediglich Lösung für ein Problem. Für die Frage, was denn einmal werden soll aus diesen hochgefährlichen Hinterlassenschaften, ist in Wirklichkeit nichts gewonnen - ob die Kokillen nun in LaHague lagern oder in Philippsburg. Von daher liegt es nahe, auch dieser Parole zuzuschreiben, sie könne verbindungsstiftend stärkende Solidarität zum Ausdruck bringen.
So leicht ist es leider nicht. Der Müll hält sich nämlich nicht dran. An der Asse beispielsweise ist absehbar, dass er sich früher oder später unaufhaltsam in Bewegung setzen wird. Es ist nur zu hoffen, dass es gelingt, die Behälter zu bergen, bevor die Nuklide das Grundwasser verseuchen. Aber selbst wenn dieses Vorhaben umgesetzt wird, zeigt sich, dass die Redensart "der Müll löst sich ja nicht in Luft auf" in diesem Fall nicht zutrifft. Das tut er zum Teil eben doch, und Menschen, die in der unmittelbaren Umgebung leben, befürchten eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit durch freigesetztes Tritium, das durch nichts aufzuhalten ist.
Das ist nur einer von mehreren Gründen, weshalb sich Anwohner*innen vehement dagegen wehren, dass eine weitere Atomanlage in der Nähe ihres Orts errichtet wird. Sondern - das ist dann automatisch mitgedacht - anderswo. Damit ziehen sie die zum Teil harsch vorgetragene Kritik auf sich, Politik nach besagtem Sankt-Florians-Prinzip zu betreiben. Tatsächlich wären mit einer Lagerung an einem assefernen Standort unvermeidlich Transporte verbunden; immer wieder wird örtlichen Engagierten deshalb vorgeworfen, sie würden dagegen verstoßen, dass es in der Bewegung einen "nix rein- nix raus"-Konsens gibt.
Dieser Widerspruch tritt keineswegs nur an der Asse zutage. Früher oder später wird eine ähnliche Auseinandersetzung auch auf die Initiativen an den Standorten zukommen, an denen derzeit auf unabsehbar lange Zeit Atommüll "zwischen"gelagert wird. Darauf kommen wir am Ende noch mal zurück.
Die Feststellung, dass jegliches Transportgeschehen die ohnehin desaströse Müll-Situation noch verschärft, ist in der Gesamtschau sicher richtig. Alle können schon froh sein, wenn die Behälter intakt bleiben, solange niemand dran rüttelt. Aber erwächst daraus tatsächlich ein unerschütterlich feststehendes Prinzip? Muss das unerbittlich auch gegen berechtigte Sorgen in Anschlag gebracht werden? Haben Initiativen, die sich gegen Atomanlagen zur Wehr setzen, nicht auch dann Anspruch auf (kritisch-)solidarische Unterstützung, wenn ihre Arbeit - aus welchen Gründen auch immer - darauf hinausläuft, dass ungeliebter Gefahrstoff von A nach B gebracht werden?
Sankt Nimmerlein
Sichtweisen treffen aufeinander. Die eine hört sich richtig an, die andere auch, und beides zusammen geht nicht. Ein anderes Beispiel: Das BASE drückt bei der Endlagersuche auf die Tube. Für die Öffentlichkeit zwar eher dezent, aber unmissverständlich für die Beteiligten erhöht es den Zeitdruck: versteckt in einem "Konsultationspapier" hat das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung BASE kürzlich seine Sicht dargestellt, wie schnell (beziehungsweise wie wenig langsam) die Suche nach einem geeigneten Ort für die dauerhafte Lagerung der heißen und hochgefährlichen Brennelemente aus dem Betrieb von Atomkraftwerken zu einem Ergebnis gebracht werden soll. Im Jahr 2046 soll nach Ansicht der Aufsichtsbehörde die Entscheidung feststehen. Mit dieser Vorgabe für den weiteren Verlauf setzt sie sich ausdrücklich ab von einer Einschätzung des Öko-Instituts. Dessen Autor*innen hatten zuvor in einer Studie festgehalten: das Ganze dauert mindestens noch 50 Jahre; vor 2074 wird es nichts geben, was die Bezeichnung "Endlager" für sich beanspruchen kann.
Aufmerksamen Beobachtern bei der BI Lüchow-Dannenberg war dieses Drängen aufgefallen; in einer Erklärung dazu mahnt Wolfgang Ehmke als BI-Sprecher an, der Grundsatz "Sorgfalt vor Eile" müsse Geltung behalten. Es sei fatal, wenn die Behörde die Regie über das Verfahren an sich ziehe, zumal sie dafür gar nicht zuständig sei. Vorschläge und Anregungen aus der Zivilgesellschaft dürften nicht - wie das jetzt gerade erneut geschehe - unter den Tisch fallen.
Mit einer Nebenbemerkung löst die Stellungnahme der BI vehementen Widerspruch aus. "Wir sind auch nicht für einen St. Nimmerleinstag, ..." wird die Kritik an der Einmischung des BASE rhetorisch eingeleitet. "Doch!" entrüstet sich Schorschensen,ein engagierter Aktivist. "Die Suche nach einem >Endlager< muss auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden!" denn: "Es gibt kein und es wird kein sicheres Lager geben! Das ist das erste Eingeständnis, das es in dieser Frage geben muss!" Bis hierhin hat er zweifelsohne Recht. Denn der Ort, auf den am Ende die Entscheidung fallen wird, wird vielleicht weniger schlecht sein als andere. Deswegen ist er noch lange nicht gut. Das stimmt.
Was ist die Konsequenz daraus? "Beteiligt euch bitte nicht an der Pseudomitmachfalle des BASE und anderer staatlicher Institutionen!" rät Schorschensen und artikuliert damit berechtigte Vorbehalte gegen das Verfahren, das im Standortauswahlgesetz vorgezeichnet ist. Der Suchprozess darf nicht zur Legitimation herhalten für die verrückte Idee, erneut aus dem Ausstieg auszusteigen, wie es Weidel, Merz, Kubicki und andere in ihre Wahlprogramme schreiben. Seine Skepsis teilen sicher viele.
"So sicher wie möglich"
Und dann? Wenn ein Endlager in seiner Nähe gebaut werden sollte, würde er sich " ... auf jeden Fall dagegen wehren!" Verständlich - aber wie? Vermutlich sind viele, die an den verschiedenen Formaten des Verfahrens teilnehmen, mit einer sehr ähnlichen Absicht unterwegs: nämlich schon vorbeugend Argumente dafür zu sammeln, warum es gerade bei ihnen nicht gehen kann. Über diese partikularen lokalen Interessen hinaus fordern antiAtom-Engagierte, also Leute "von uns", in diesen Gremien immer wieder das Eingeständnis ein, dass es nur darum gehen kann, eine Form der Aufbewahrung zu finden, die allenfalls "so sicher wie möglich ist". Damit es eben nicht heißen kann, die Auswahl eines Endlagerstandorts müsse lediglich zu einem Abschluss gebracht werden. Das Müllproblem sei damit quasi schon gelöst.
Was in Bezug auf ein Zwischenlager "so sicher wie möglich" heißen muss, darüber geht jetzt schon der Streit. Reden wir von 20 Zentimeter Stahlbeton, die der BGZ-Vertreter für völlig ausreichend erklärt; im Grunde genügt seiner Ansicht nach ein Blech zum Schutz vor Regen, weil der Castor selbst so sicher ist. Dagegen: Bietet eine Gebäudehülle mit einer Stärke von 1,80 Meter wirklich für alle denkbaren Szenarien genug Schutz? Welche Art von Reparatur- und Eingriffsmöglichkeit muss vorgehalten werden für einen Fall der Fälle? Und: beschränkt sich die Forderung nach "so sicher wie möglich" auf die Gegebenheiten, die just der betroffene Ort bietet? Oder muss nicht auch in Betracht gezogen werden, dass sich mit den Bedingungen woanders möglicherweise ein höheres Maß an Sicherheit realisieren lassen könnte? Und damit sind wir bei dem Punkt angelangt, an dem sich der Kreis von Zweifeln an der Parole "nix rein - nix raus" schließt.
Es mag hilfreich sein, wenn eine Bewegung über griffige Losungen verfügt. Einen Ersatz zu suchen für das kraftstrotzende " ... und auch nicht anderswo", der auch mit Bezug auf den Atommüll stimmig wäre, ist bestimmt eine lohnende Aufgabe. "Gesucht wird ein zündendes Narrativ", wie ein anderer Georg schreibt. Vielleicht hat ja jemand eine gute Idee. Möglicherweise müssen wir uns aber auch mit der Tatsache abfinden, dass die Dinge eben nicht so einfach sind, wie wir sie gerne sehen würden; bei komplizierten Angelegenheiten ist es unumgänglich, die Komplexität anzuerkennen. Dann müssen wir halt darauf vertrauen, dass besagte Mustermanns ja schließlich auch nicht blöd sind.
Eingebrockt haben uns diese verzwickte Lage andere. Dass die Gesellschaft jetzt mit der Aufgabe konfrontiert ist, Lösungen für etwas finden zu müssen, was sich zur Zufriedenheit einfach nicht lösen lässt, dafür haben die Atomiker gesorgt - entgegen unseren Warnungen. Diese Tatsache sollten wir bei all unserem mühsamen Suchen danach, welcher Umgang mit dieser Herausforderung der richtige ist, immer im Kopf behalten, statt uns aneinander aufzureiben. @