Nr. 310    Erscheinungtermin: 12.11.2024
(Ohn-)Macht überwinden
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76 Seiten
November 2024
Preis: 5,00 EUR



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Frankreich-Bure

Wie Atomkraftgegner*Innen ihren Kampf aufrechterhalten.

"Wir haben eine Niederlage eingesteckt, aber unser Widerstand geht weiter"

von Laure Noualha

Die lassen sich nicht entmutigen, diese Atomkraftgegner*Innen! Im vollen Bewusstsein des Aufschwungs,in dem sich die Atomenergienutzung befindet, haben sich antiAtom-Bewegte auf dem Festival Les Bure'lesques im Departement Meuse getroffen, um über einen Plan B nachzudenken und die Erfahrungen ihres Widerstands an die Jugend weiterzugeben.

Auf einer Wiese aufgeschlagene Zelte, Vorträge und Aufführungen, ein Hubschrauber und Gendarmerie-Staffeln. Die vierte Ausgabe des Festivals Les Bure'lesques fand am 16., 17. und 18. August in Saint-Amand-sur-Ornain (Meuse) statt. Es wurde vom Kollektiv Les Bure'lesques organisiert, das sich aus Bewohner*Innen der Region und lokalen Organisationen zusammensetzt.

Das alle zwei Jahre stattfindende Festival wurde ins Leben gerufen, um die Bevölkerung über die Atomindustrie zu informieren, aber auch, um die Gruppen zu vernetzen, die sich lokal im Kampf gegen Cigéo, das zukünftige Atommüll-Endlager der Andra (Nationale Agentur für die Entsorgung radioaktiver Abfälle ) engagieren.

Das Festival empfing während der drei Tage 3.500 Besucher*innen unter einem wechselhaften Himmel. In diesem kleinen Stück Paradies, das aus Wasserläufen und Wäldern, Feldern und verlassenen Dörfern besteht, führen die Bewohner*Innen, denen sich inzwischen engagierte Jugendliche angeschlossen haben, einen ebenso erbitterten wie lebensfrohen Kampf.

Reporterre wollte wissen, wie die allgemeine Stimmung unter den Atomkraftgegner*Innen ist in einer Zeit, in der der Präsident der Republik die Ankurbelung der Atomenergienutzung durch den Bau weiterer AKWs vorantreibt und durchsetzt. Welche Motivation und Kraft lässt sie durchhalten?

Corinne François, eine der Organisatorinnen, wischt die Frage mit einem großen Löffel beiseite, während sie ihr vegetarisches Moussaka verschlingt: "Meine Generation hat sich schon immer mit dem Thema Atomkraft auseinandergesetzt: Wir kämpfen seit 30 Jahren und wir werden weitermachen. Beim diesjährigen Festival geht es um Enteignungen, die Ressource Wasser, lokale Kämpfe oder auch die Repression."

Selbst bei einem Festival wie dem Bure'lesques stehen die Gegner des Projekts CIGEO unter strenger Beobachtung: Ein Hubschrauber, Drohnen und mehrere Staffeln der Gendarmerie haben das Wochenende damit verbracht, das Kommen und Gehen auf der riesigen Wiese zu überwachen, auf der Zelte und Kantinen, Trockentoiletten und ein Dorf für Organisationen aufgebaut sind. Die Festivalbesucher hier sind noch immer gezeichnet von den Repressionen, die über die Aktivist*Innen hereingebrochen sind, die zwischen 2016 und 2019 dreimal den Bois Lejuc besetzt hatten. Der Bois Lejuc liegt senkrecht über den Belüftungsschächten des geplanten Atommüll-Endlagers.

"Wir werden unseren Widerstand nicht aufgeben"

Bei der Eröffnung am Freitag, den 16. August, im Hauptzelt entrollte Marion Rivet, Sprecherin des Netzwerks Sortir du nucléaire, die Chronologie der Atompolitik seit 2012, als François Hollande versprach, den Anteil der Atomenergie am Energiemix bis 2035 auf 50 Prozent zu senken, gegenüber 65 Prozent heute.

Seit 2022 gab es eine totale Kehrtwende: Präsident Macron beschloss den Bau von drei EPR-2-Paaren - am Parlament vorbei - und ein Beschleunigungsgesetz, das die Prüfverfahren vereinfacht. Außerdem hat er das Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) und die Behörde für nukleare Sicherheit (ASN) zusammengelegt. Darüber hinaus betreibt Frankreich in Brüssel intensive Lobbyarbeit, um zu erreichen, dass die Atomenergie zu den "grünen" Energien gezählt wird.

Es stimmt, dass wir viele Auseinandersetzungen verlieren, aber wir geben unseren Widerstand nicht auf", relativiert Roland Desbordes, Vorsitzender der Commission de recherche et d'information indépendantes sur la radioactivité (Criirad), der zu einem Vortrag über den Frischwasserbedarf der Atomenergie gekommen ist. Die Industrie hat zwar die Klimakarte gespielt, um ihre Reaktoren durchzubringen, aber es gibt Alternativen, die immer besser durchdacht und nicht mehr wegzudenken sind. Nur sind wir in der Atomkraft so festgefahren, dass sich nur wenige Menschen in Frankreich einen Plan B vorstellen können. Dieser existiert jedoch".

Antoine Bonduelle, ein Energie- und Klimaexperte, erläuterte dies, indem er die weltweit stattfindende erneuerbare Energiewende vorstellte, die in Frankreich weitgehend ignoriert wird. "Weltweit haben Solar- und Windenergie gewonnen. Sie haben sich schnell in der Strom- und Energieerzeugung durchgesetzt, während Frankreich an einer überteuerten Energieerzeugung festhält, die außerdem sehr lange Zeit braucht, bis sie Strom liefern kann"

Aber wie kann man die anti-Atomkraft- oder Pro-Erneuerbare-Energien- Position in einer Nationalversammlung, die sich für die Atomkraft einsetzt, durchsetzen? Für François Thiollet, der Michèle Rivasi nach ihrem Tod im Europäischen Parlament ersetzt hat, ist es schwierig, politische Entscheidungen zu treffen: "Die Mehrheit der Versammlung ist für die Atomenergie, es wird keine Mehrheit dagegen geben. Vielleicht ist der Kulturstreit für den Moment verloren, aber die Auseinandersetzung und der Widerstand ist es nicht".

Nur Transparenz über die gesamte Atomindustrie und vor allem über ihre Kosten und die bevorstehende Rechnung für die Franzosen kann einen Unterschied machen. Und er träumt von einem "Bürgerkonvent zum Thema Energie, der auch die Atomenergie einbezieht und bei dem sich die Franzosen endlich für ihre Energiepolitik interessieren würden".

Er wundert sich über das geringe Interesse an der doch so wichtigen Energie , und noch mehr an den Auseinandersetzungen vor Ort. "Cigéo ist ein gerechter Kampf: Jeder versteht, dass es ungerecht ist , wenn wir unseren Nachkommen unseren radioaktiven Abfall hinterlassen und so tun, als ob es ihn nicht gäbe. Vielleicht ist die Form des Protests zu hinterfragen, Widerstandsdörfer und Demonstrationen sind gut, aber es wäre gut, mit den Menschen zu sprechen, die man nie zu Gesicht bekommt"

Alarmistische und schuldzuweisende Erzählungen reichen nicht mehr aus, warnt François Thiollet. "Humor, Leichtigkeit und Aufklärung sind unerlässlich". Humor gab es bei den Bure'lesques mit den Auftritten von Audrey Vernon oder der Pastiche der lokalen Nachrichtensendung TVA (für Très vrai actus), in der die - wahren - Geschichten von Cigéo erzählt wurden, von seiner Befürwortung durch Gérard Longuet bis hin zum Umschwenken der lokalen Abgeordneten.

Die Jugend, die "grauen Zellen".

Grund genug, die neue Generation, die sich für die Atomkraft und das Symbol, das sie darstellt, interessiert, zu amüsieren. So wie Louise, 22, und Jojo, 25, zwei Anthropologiestudentinnen, die gekommen waren, um sich über anti-Atom-Kämpfe im Allgemeinen und den Kampf um Cigéo im Besonderen zu informieren. "Wir wollten sehen, wie die Bewohner*Innen ihre Erfahrungen in einer Auseinandersetzung wie dieser weitergeben. Und welche Horizonte sich durch die Vermischung mit einer neuen Bevölkerungsgruppe ergeben."

Sie verweisen auf die Art und Weise, wie der Feminismus oder Genderfragen den ursprünglichen, strikt auf das Atom ausgerichteten Kampf überlagert haben: "Wie kann man so unterschiedliche politische Kulturen zusammenbringen: die Welt der Bauern auf der einen Seite, die Queer-Feministinnen auf der anderen? Es ist sichtbar , dass eine generationsübergreifende Verbindung entsteht und dass jeder das Recht hat, hierher zu ziehen und dabei gleichzeitig auf die lokale Geschichte achtet."

Für den ehemaligen Bürgermeister von Couvertpuis, Francis Legrand, der sich von Anfang an gegen das Andra-Labor ausgesprochen hat, bringt diese Jugend, die sich in der Meuse niederlässt, "neue Dynamik" in die Gegend und hilft, "die lokale Opposition" gegen Cigéo "zu stärken". Diese jungen Leute sind "die grauen Zellen", auf die er gehofft hat, um den bereits dreißig Jahre alten Widerstand wiederzubeleben. "In ihrer Vielfalt stellen diese "Neulinge" uns Fragen und unterstützen uns und das ist gut so!"@

//reporterre.ne 19.Aug.24

Übersetzung aaaRed

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