Tschernobyl heute38 Jahre nach der Katastrophe:Zwischen Krieg, Rückbau und StrahlenbelastungEine Minute, die alles veränderte: Um genau 1.23 Uhr am 26. April 1986 ereignete sich im Reaktorblock 4 de AKWTschernobyl das, was später als erster katastrophaler Reaktorunfall bezeichnet wurde. Der Reaktor explodierte nach einem missglückten Experiment, mindestens 50 Menschen starben unmittelbar nach der Katastrophe im AKW, Tausende erkrankten an der freigesetzten Strahlung: Die Schätzungen der Opfer schwanken zwischen 4.000 und 100.000. Hunderttausende Menschen wurden zwangsumge-siedelt, große Gebiete in der Ukraine, Weißrussland und Russland sind verstrahlt. Bis heute ist ein Umkreis von 30 Kilometern um den Unfallort unbewohnbar, die Tier- und Pflanzenwelt hat sich jedoch zum Teil an die Gegebenheiten angepasst. Insbesondere vor dem Krieg in der Ukraine hat sich eine Art Katastrophentourismus entwickelt, obwohl vielerorts noch erhöhte Strahlenwerte gemessen werden. Inzwischen ist der Rückbau im Gange, der allerdings durch den russischen Angriff auf die Ukraine erschwert wird. Auch Corona trug dazu bei, dass die Stilllegungsarbeiten nicht wie geplant durchgeführt werden konnten. (..) Der Reaktorunfall kam für Ost- und Westdeutschland gleichermaßen unerwartet. In der Bundesrepublik gab es zu diesem Zeitpunkt weder eine Notfallplanung noch gesetzliche Grenzwertvorgaben oder offizielle Handlungsempfehlungen. Die Möglichkeit einer solchen Katastrophe wurde nicht für möglich gehalten oder nicht wahrhaben wollen.
Kurz nach dem Unfall wurde über dem zerstörten Reaktor ein Sarkophag aus Stahl und Beton errichtet. Diese unter schwierigen Bedingungen errichtete Schutzhülle war ursprünglich nur für 30 Jahre ausgelegt. Deshalb wurde 2016 über den alten Sarkophag und den Reaktorblock das New Safe Confinement“, eine neue Schutzhülle, geschoben. Diese Hülle ist für eine Lebensdauer von 100 Jahren ausgelegt und soll bis 2065 den Rückbau des alten Sarkophags und des Reaktors ermöglichen. Durch den Krieg und die vorangegangene Corona-Pandemie ist der Rückbau jedoch ins Stocken geraten. Nach der Besetzung desAKW Tschernobyl und der Sperrzone durch die russische Armee unmittelbar nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar bis Ende März 2022 wurden Anlagen und Ausrüstungen beschädigt oder gestohlen, darunter ein Labor zur Untersuchung radioaktiver Abfälle, Fahrzeuge, Dokumente und Computer. Zwischen April und August 2022 setzte die ukrainische Atomaufsichtsbehörde alle Genehmigungen für die Stilllegung und Abfallbehandlung aus. Nachdem das erforderliche Sicherheitsniveau wiederhergestellt war, erteilte die Behörde diese Genehmigungen wieder. In diesem Zusammenhang verlängerte die Aufsichtsbehörde im Dezember 2023 die Genehmigung für den stabilisierten Sarkophag um weitere sechs Jahre bis 2029. So sollen Rückbau und Lagerung der radioaktiven Abfälle erfolgen In den letzten Jahren wurden am Standort Tschernobyl verschiedene Anlagen zur Konditionierung und Lagerung radioaktiver Abfälle in Betrieb genommen, die für die Stilllegung des Kernkraftwerks von entscheidender Bedeutung sind.
Seit April 2021 ist die „Interim Spent Fuel Storage Facility“ (ISF-2) das genehmigte Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente aus Tschernobyl. Es besteht aus einer Verarbeitungsanlage und einem Lagerbereich. Bis Ende 2023 werden 2.391 Brennelemente zur Langzeitlagerung dorthin überführt, davon 549 allein im Jahr 2023. Insgesamt bietet das Lager Platz für mehr als 21.000 Brennelemente, die in Betonmodulen für mindestens 100 Jahre trocken gelagert werden können.
Das CSFSF wurde 2021 fertiggestellt und dient als Zwischenlager für Brennelemente aus den Kernkraftwerken Riwne, Südukraine und Chmelnyzkyj. Die erste Anlieferung aus Rivne erfolgte im Mai 2023. Im Januar 2024 waren 13 Lagerbehälter vor Ort, weitere Transporte sind geplant.
In der „Liquid Radwaste Treatment Plant“ (LRTP) werden seit 2021 flüssige Abfälle aus dem Betrieb des AKWs behandelt. Trotz einer kriegsbedingten Betriebsunterbrechung im Jahr 2022 nahm die Anlage 2023 den Betrieb wieder auf und konditionierte rund 230 m³ Abfälle für die sichere Lagerung.
Der „Industriekomplex für die Behandlung fester radioaktiver Abfälle“ (ICSRM) konditioniert feste Abfälle. Nach Abschluss der „heißen Tests“ im Jahr 2022 wird aktuell auf die endgültige Betriebsgenehmigung gewartet, die eine langfristige Lagerung in der „Engineered Near Surface Disposal Facility“ (ENSDF) ermöglicht. Am Abend des ersten Invasionstages nahmen russische Truppen auch das AKW Tschernobyl ein. Die Strahlungswerte in dem Gebiet, wo es vor 36 Jahren zu einem Reaktorunfall kam, sind nach wie vor hoch. Das Archiv-Foto zeigt Messarbeiten auf dem Gelände, die regelmäßig durchgeführt werden. Die deutsche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) überwacht im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Entwicklungen am Standort Tschernobyl. Sie unterstützt durch Forschungsprojekte und ist in internationale Kooperationsprojekte eingebunden. Seit 2006 arbeitet die GRS mit ukrainischen Wissenschaftlern an der „Shelter Safety Status Database“ (SSSDB). Diese Datenbank sammelt Informationen zur radiologischen Lage vor Ort, inklusive Radionuklidaktivitäten in Wasser, bodennaher Luft und bei Abfallgräbern. Zudem werden Daten zu Waldbränden erfasst. Auf Grundlage dieser Daten können geographische Karten und dreidimensionale Ansichten des Geländes, einschließlich des Sarkophags und des New Safe Confinement, erstellt werden. Das Hauptziel des Projekts ist es, Daten und Informationen bereitzustellen, die für den Rückbau und die Stabilisierung des Sarkophags, die Bergung und Entsorgung radioaktiver Materialien sowie die Bewertung der radiologischen Situation innerhalb und außerhalb des Sarkophags wichtig sind. Darüber hinaus werden die Auswirkungen der Zerstörungen durch russische Truppen im Frühjahr 2022 analysiert und ihre sicherheitstechnische Bedeutung bewertet. Entsorgungsstrategien in Tschernobyl
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