grüne Energie zu unfairen Konditionen:

Green Grabbing

von Martin Backes

Kosten werden auf die Gemeinschaft abgewälzt, Profite privatisiert. Bei den Nutznießern ändern sich die Energiequellen - nicht aber die Auswirkungen ihrer Lebensweise.

von Martina Backes

In Patagonien, dem südlichsten Zipfel Chiles, entstehen riesige Windparks für die Herstellung von grünem Wasserstoff. Das klingt nach einem guten Klima. Dank ausreichend Sonne und Wind sowie großer Landflächen könnte Chile den grünen Wasserstoff billig produzieren und exportieren. Die Bevölkerung macht sich dennoch Sorgen: Die geplante Meerwasserentsalzung könnte die marinen Ökosysteme belasten, und die versprochene Arbeit wird oft nur während der Bauphase benötigt, also vorübergehend. Zahlt Chile damit nicht auch den Preis für die Energiewende des Globalen Nordens? Obwohl dieser die Klimakrise überhaupt erst verursacht hat?

Weitere Megaprojekte für grünen Wasserstoff sind in Ägypten, Marokko und Tunesien in der Pipeline. Mit dem SoutH2 Corridor, einem geplanten "Wasserstoffkorridor Italien - Österreich - Deutschland" von 3.300 Kilometer Länge, soll der Transport des in Nordafrika produzierten Wasserstoffs nach Europa realisiert werden.

Angesichts der aktuellen Klimakrise ist eine rasche und drastische Minderung der Klimagase unerlässlich. Es braucht erneuerbare, saubere Energie. Nur, bei der Suche nach den besten Standorten für die Erzeugung grüner Energie, etwa grüner Wasserstoff in Wüsten, gibt es Stolperfallen. Was bedeutet es für Europa, bei der nötigen Energiewende nicht nur CO2-Neutralität anzustreben, sondern zugleich klimagerecht zu wirtschaften und zu konsumieren? Wann ist Energie sauber und ihre Gewinnung zugleich fair und gerecht?

Studien, die sich mit den sozialen Aspekten im Geflecht der globalen Energiewirtschaft beschäftigen, besagen: Der ökologische Wandel in der Versorgung privater Haushalte und der Industrie mit Wärme und Strom, weg von fossiler und hin zu grüner Energie, folgt bislang (neo)kolonialen Mustern, Energiegerechtigkeit ist mit den bisher beschrittenen Pfaden nicht zu haben. So bemängelt der Report von Corporate Europe Observatory (CEO) vor allem die neokolonialen Strukturen im Hype um den grünen Wasserstoff.

  • Neokoloniale Strukturen bei Gewinnung von grünem Wasserstoff und Rohstoffen

Auch der hohe Bedarf an kritischen Rohstoffen zur Herstellung von Batterien für die Elektrifizierung des Transportsektors und für die Digitalisierung, für Solarpaneele und Windturbinen verläuft derzeit in Bahnen, die ein neokoloniales Muster nahelegen: Rohstoffimporte wie Kobalt und Lithium aus dem Globalen Süden, Ausbeutung billiger Arbeitskraft, Ignoranz gegenüber den Interessen lokaler Kommunen und indigener Gemeinschaften, die oft andere Prioritäten der Landnutzung haben oder kaum mitsprechen dürfen, bis hin zur Missachtung von Landrechten, Vertreibung und Gesundheitsgefährdung durch Bergbau. So werden Menschenrechte immer wieder verletzt, wenn es zu Umsiedlungen oder Umweltzerstörung kommt. Chancen auf eine nachhaltige Entwicklung zwischen einkommensstarken Ländern mit einer aktuell hohen Emissionslast und armen Ländern, die aber pro Kopf das Klima nur gering belasten, werden so ungleich verteilt.

Die Kurzformel lautet: schonungsloser Extraktivismus im Globalen Süden für eine grüne Lebensweise im Globalen Norden. Das klingt alles andere als gerecht.

Zunächst zu den Mineralien: Für die europäischen Klimaschutzziele und die Energiewende ist der Abbau dieser kritischen Rohstoffe unabdingbar. Als Habenichts ohne eigenen nennenswerten metallischen Bergbau im Inland muss Deutschland, aber auch die EU, zahlreiche Mineralien einführen. Die erweiterte EU-Liste dieser kritischen Rohstoffe, zu denen ein Zugang innerhalb der EU nicht ohne Importe gesichert werden kann, umfasst inzwischen 34 Elemente: Leichte und Schwere Seltene Erden wie Neodym und Dysprosium (für Generatoren in Windrädern), aber auch Lithium, dessen Bedarf bis 2023 in der EU um das Zwölffache steigen wird, sowie Kupfer und Kobalt (für Batterien).

Das neue Rohstoffgesetz (Critical Raw Material Act) der EU formuliert das Ziel, 40 Prozent der Weiterverarbeitung in Europa stattfinden zu lassen. Hingegen wollen viele Länder des Globalen Südens gerne selber von ihrem Rohstoffreichtum profitieren und vor Ort in die Wertschöpfung investieren. Zum Beispiel Sambia und die DR Kongo. Hier lagern riesige Vorkommen an Kobalt, das für Lithium-Batterien unverzichtbar ist. Die Länder sehen in der Aufbereitung von Lithium, Graphit, Nickel und Kobalt eine Chance zum Aufbau eigener neuer Industriesparten.

So könnten sie langfristige Arbeitsplätze schaffen und auf Märkten höherwertige Produkte statt billige Primärrohstoffe verkaufen. Eine hohe Rate der Weiterverarbeitung in Europa, wie sie das Gesetz bisher vorsieht, würde die globale Arbeitsteilung hingegen zementieren: Länder des Globalen Südens wie Bolivien, DR Kongo (Kobalt), Indonesien (Nickel) oder Sambia sowie Kolumbien (Kupfer) als Exporteure der Primärrohstoffe und Europa als Exporteur von Technologie und wertvollen Endprodukten, das war genau das Muster, das seit dem Kolonialismus manifestiert wurde. Neokoloniale Strukturen abzubauen, das bedeutet für die Menschen in rohstoffreichen (und doch einkommensschwachen) Ländern des Globalen Südens: Nicht nur unter der Erde schürfen oder beim Bau einer Verladetrasse kurzfristig als billige Arbeitskraft einspringen, sondern technologische Kapazitäten und Marktwissen aufbauen, den landeseigenen Bedarf an grüner Energie selber decken und durch eigene Recyclingkapazitäten auch eine eigene Kreislaufwirtschaft schaffen, eigene Strategien und Ziele festlegen sowie in eine regionale grüne Energiewirtschaft investieren.

Es geht um (wirtschaftliche) Gestaltungsfreiräume für die eigene Zukunft. Da vielen Ländern dazu das Geld fehlt, können die reichen Industriestaaten immer wieder ihre extraktivistische Politik durchsetzen. Die Rede ist dann zwar meist von Partnerschaftsabkommen, doch wirklich fair und sozial gerecht im Sinne einer umfassenden Klimagerechtigkeit ist das meist nicht.

  • Green Grabbing und Wasserknappheit als großes Problem

Zurück zum Wasserstoff: Grüner Wasserstoff wird aus Ökostrom hergestellt und kann vielseitig eingesetzt und verstromt werden und ist daher der Star unter den Energieträgern. Damit sich Wasserstoff in der Klimabilanz positiv auswirkt, muss der zu seiner Herstellung benötigte Strom aus erneuerbaren Quellen kommen, sprich: es braucht neben Wasser jede Menge Sonne und viel Wind. Letzteres gibt es in Wüstenregionen. So stehen Namibia, Chile, Algerien oder Tunesien im Fokus der Suche nach geeigneten Standorten zur günstigen Erzeugung grünen Wasserstoffs für europäische Märkte.

Soweit klingt das sauber. Die Krux liegt im Detail. Ein gefährliches Narrativ ist das Märchen vom Platz im Niemandsland und endloser Sonne in der Wüste. Sonnenenergie ist nicht kostenfrei zu haben, und Land ist gerade in der Wüste oft knapp, erst recht das nötige Wasser. So stehen internationale Investoren und lokale Gemeinschaften wie Hirten oft in Konkurrenz um die geeigneten Flächen. Sie werden eben auch benötigt, um den lokalen Energiebedarf einer oft unterversorgten Bevölkerung klimafreundlich zu decken. Denn auch sie braucht Strom und saubere Energie zum Kochen.

Daher besagt die Deutsche Wasserstoffstrategie: Für die Herstellung des grünen Exportwasserstoffs in diesen Ländern soll der Strom nicht aus bestehenden Ökostromkraftwerken stammen, sondern aus neu gebauten. So könne der Eigenbedarf der Bevölkerung an Ökostrom respektiert werden. Für eine wirklich gerechte Energiewende ist das ein guter, aber nicht in jedem Fall ausreichender Vorsatz.

Knapp ist nämlich auch das Wasser. In Chile und auch in Marokko wird (demnächst) Meerwasser entsalzt und dieses mit stromintensiven Elektrolyseanlagen zu Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Der wird dann von einem Chemiewerk in besser transportable Derivate wie Ammoniak umgewandelt. Im Süden Chiles ist eine Entsalzungsanlage geplant, doch die produziert dann nicht nur Wasser, sondern konzentrierte Salzlake, ein giftiges Abfallprodukt. Meerwasserentsalzungsanlagen können wertvollen Korallenriffen und der Meeresbiodiversität schaden, auch darum bangen nun die Küstengemeinden.

Ob beim Bergbau oder bei der Wasserstoffherstellung: Mit dem Export verbunden sind große Infrastrukturprojekte wie Bahntrassen, Tiefseehäfen und Pipelines. Hier drängt dann die Frage, wer Zugang zu Land und den besten Flächen hat und wer weichen muss. Green Grabbing bezeichnet den Prozess, bei dem die finanzkräftigsten Unternehmen und mächtigsten Länder die besten lokalen Ressourcen wie Land, Wasser oder Mineralien für sich erschließen und nutzen können, während lokale Kommunen oft wenig Mitsprache oder politische Durchsetzungsmacht für ihre lokalen Interessen haben. So können historisch gewachsene Machthierarchien im grünen Extraktivismus weiter existieren.

Die deutsch-saudische Wasserstoffkooperation von 2021verfolgt zum Beispiel gemeinsame Wasserstoffprojekte in der geplanten Megacity Neom in Saudi-Arabien, für die Menschen gewaltsam von ihrem Land vertrieben wurden, um Platz zu schaffen. Die Bevölkerung wird bei Wasserstoffprojekten meist nicht konsultiert und Beschlüsse über die Durchführung ohne sie gefällt. Das zeigt eine Bestandsaufnahme in 27 zumeist afrikanischen Ländern.

Von solchen Top-Down Prozessen ist die oft unter Energiearmut leidende lokale Bevölkerung oft ausgeschlossen oder nicht ausreichend informiert, um eigene Interessen vorzubringen. So profitieren am Ende eher eine kleine politische und wirtschaftliche Elite sowie die Importländer, die mit dem billigen grünen Wasserstoff ihre eigenen Energiebedarfe ökologisch sauber, aber sozial unsensibel decken.

  • Dekolonisierte Wirtschaftsstrukturen als Schlüssel gegen Energiearmut

Das erscheint vielen als das kleinere Übel im Vergleich zum Import/Export von Erdöl, Erdgas und Kohle. Allerdings bleibt dieses als Auslaufmodell im Kontext der aktuellen Energiekrise und hoher Weltmarktpreise der fossilen Träger für viele Länder noch immer attraktiv. Die Förderung wird daher vielerorts hochgefahren, zum Beispiel der Kohleabbau in Kolumbien. Manche Länder investieren gar in neue fossile Großprojekte, zum Beispiel in die Gasförderung in Mosambik oder Erdöl in Uganda. Während die dortige "Fridays For Future"-Bewegung sowie Menschenrechtsaktivist:innen den geplanten Bau der längsten beheizten Erdölpipeline der Welt (East African Crude Oil Pipleline) zum tansanischen Hafen in Tanga verhindern wollen, führt die ugandische Regierung ein zweischneidiges Schwert. Einerseits freut sich das ugandische Ministerium für Energie und Bodenschätze über deutsche und EU-Förderprogramme für Erneuerbare Energien, andererseits wird die klimaschädliche Ölförderung mit dem souveränen Recht über die eigene Energiepolitik legitimiert, trotz Vertreibung, Umsiedlung, Zerstörung biologisch wertvoller Naturgebiete und trotz Klimabelastung.

Auch die EU-Kommission bleibt auf einem Auge blind, wenn einerseits grüne Technologien im Rahmen der Entwicklungsförderung nach Uganda exportiert werden, andererseits eine Resolution des EU-Parlaments, das die internationale Gemeinschaft zum Stopp des Baus der Pipeline auffordert, trotz jahrzehntelangen zivilen Widerstands ignoriert wird.

Das System, mit dem die grüne Energie für die EU geliefert wird, ist vielfach dem der Plünderung fossiler Ressourcen sehr ähnlich: seine Begleiter sind eine vielschichtige Enteignung von Land, die Privatisierung von Gemeingütern wie Wasser, Wüsten und Weiden. Kosten werden auf die Gemeinschaft abgewälzt, Profite privatisiert. Bei den Nutznießern ändern sich die Energiequellen - nicht aber die Auswirkungen ihrer Lebensweise.

Am Ende ist die Frage, für was die grüne Energie benötigt wird. Um energieintensive extravagante Lebensstile und Konsummuster beizubehalten? Oder um allen ein gutes Leben mit sauberer Energie zum Kochen und Heizen und mit ausreichend guter Nahrung und erschwinglicher Mobilität zu ermöglichen? Mit der Europäischen Wasserstoffstrategie und dem Gesetz für kritische Rohstoffe kann die Energiearmut derjenigen, die am wenigsten zur Energie- und Klimakrise beigetragen haben, nicht überwunden werden, solange neokoloniale Muster nicht transformiert werden. Es braucht also eine doppelte Wende: hin zu grüner Energie und hin zu dekolonisierten Wirtschaftsstrukturen.@

Martina Backes ist Redakteurin im iz3w
und schreibt zu Tourismus, Klimakrise, Entwicklungspolitik, Agrarthemen, Ernährungs(un)sicherheit im internationalen Kontext

 

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