Warum die Logik der Vernichtung versagt Tanz auf dem Vulkan von David Lauer „Der Russe“, so hörte ich es als Kind der 80er-Jahre in der Schule vom alten Lateinlehrer, „der Russe hat Raketen, und die wird er abschießen. Er wird es sich nur dann überlegen, wenn wir auch Raketen haben.“ Es war die Zeit der Nachrüstungsdebatte und der Ostermärsche. Es war auch die Zeit einer intensiven philosophischen Diskussion um die Rationalität der Strategie nuklearer Abschreckung – einer Diskussion, über die sich seit dem Endes des Kalten Krieges der Staub der Bibliotheken gelegt hat. Bedauerlicherweise haben wir Grund, uns ihrer wieder zu erinnern.
Abschreckung bedeutet, die Fähigkeit und den Willen glaubhaft zu machen, einem Aggressor im Falle eines Angriffs einen Schaden zuzufügen, der in keinem annehmbaren Verhältnis zu den möglichen Gewinnen der Aggression steht. Es lohnt sich nicht, uns anzugreifen, lautet die Drohung. Wir schlagen zurück. Also denkt nicht mal daran! Nun müssen wir allerdings bedenken, dass wir im Fall der nuklearen Abschreckung von nichts anderem reden als der Androhung eines Massenmordes. Die Folgen eines Nuklearschlags lassen sich nicht auf legitime militärische Ziele beschränken. Die Bombe vernichtet wahllos: Alte, Kinder und – durch die Spätfolgen – sogar Ungeborene und deren Lebensgrundlage. Ein Nuklearschlag richtet sich immer auch gegen Unschuldige. Er ist per definitionem ein ungerechter Akt, ein Akt der Vergeltung, der Rachenahme. Sicher, sagen die Verteidiger des Konzepts, schön ist das nicht. Wir wünschten auch, wir müssten das nicht tun. Wir sind aber dazu gezwungen, weil wir bedroht werden. Deine Überlegung beweist nur, wie beschränkt der moralische Standpunkt ist. Betrachten wir die Dinge vom kühlen Standpunkt der Vernunft, so zeigt sich, dass man manchmal bereit sein muss, Verabscheuungswürdiges zu tun oder wenigstens anzudrohen, um noch Schlimmeres zu verhindern.
Also ist nukleare Abschreckung hässlich, aber rational? Es scheint zunächst so. Der politische Philosoph Gregory Kavka aber hat in einem klassischen Aufsatz auf ein Paradox hingewiesen, das sich hier verbirgt. Abschreckung funktioniert nur, wenn die Abschreckenden glaubhaft machen, dass sie im Ernstfall bereit wären, etwas zu tun, das ihren eigenen Werten zuwiderläuft und ihnen außerdem keinen Nutzen bringt. Denn was hätten wir davon, als Sterbende noch möglichst viele Unschuldige auf der Gegenseite mit in den Tod zu reißen? Um glaubwürdig abzuschrecken, muss man sich also entschlossen zeigen, in einer Weise zu handeln, die irrational wird, sobald der Handlungsanlass tatsächlich eingetreten ist. Daher wächst paradoxerweise die Wirksamkeit der Abschreckungsdrohung, je mehr die Abschreckenden sich gegenseitig als Parteien betrachten, die Irrationales zu tun entschlossen sind.
Damit aber zieht sich das ganze Kalkül am Ende selbst den Boden unter den Füßen weg. Denn wenn nicht mehr unterstellt werden kann, dass der Gegner ein rationaler Akteur ist, wird es auch fraglich, ob man voraussetzen darf, dass er seine eigene Vernichtung nicht in Kauf nehmen wird. Wenn wir aber diese Annahme nicht mehr machen können, wird es zwecklos, ihn mit dieser Vernichtung zu bedrohen, und die Rationalität der ganzen Überlegung zerfällt zu Staub. Die Logik der Abschreckung ist deshalb in sich instabil. Sie kann nur dadurch aufrechterhalten werden, dass wir uns immer wieder vergewissern, dass wir es bei unserem Gegner tatsächlich mit einem rationalen Akteur zu tun haben – aber diese Vergewisserung kann nur außerhalb der wechselseitigen Abschreckungsdrohung gefunden werden. Übrigens wurde die Androhung der sicheren gegenseitigen Zerstörung, der mutually assured destruction, im Kalten Krieg mit der Abkürzung „M – A – D“ bezeichnet. Mad. Wie passend.@ |
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