Grenzen des fossil-nuklearen Zeitalters

Atomwaffen, Umwelt und Klima

von Jürgen Scheffran

Rüstung, Militär und Krieg haben immer schon die natürliche Umwelt belastet. Mit dem Einsatz von Atombomben durch die USA gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945 erreichte die Vernichtung von Mensch und Natur ein neues Ausmaß. Durch die kombinierte Wirkung von Hitze, Druck und Strahlung wurden nicht nur Hunderttausende Menschen dahingerafft, sondern auch die lokale Flora und Fauna; Land, Wasser und Atmosphäre wurden für Jahre radioaktiv verseucht. Von den weltweit mehr als 60.000 Atomwaffen zum Ende des Kalten Krieges gibt es 30 Jahre später immer noch nahezu 14.000. Hinzu kommt das Nuklearmaterial aus abgerüsteten Waffen, mehr als genug, um das Leben auf der Erde auszulöschen.

Im gesamten Lebenszyklus (oder besser Todeszyklus) der Atomwaffenentwicklung entstehen radioaktive Isotope, mit Halbwertszeiten von Sekundenbruchteilen bis zu Jahrmillionen. Während schnelllebige Stoffe ihre Umweltwirkung nur kurze Zeit entfalten, müssen langlebige Stoffe dauerhaft von der Umwelt abgeschottet werden, was kaum sicher möglich ist. Dies gilt insbesondere für Plutonium-239 mit einer Halbwertszeit von 24.110 Jahren und Plutonium-244 mit 80 Mio. Jahren. Solche Zeiträume gehen über die bisherige Menschheitsgeschichte weit hinaus. Das gesamte Strahlungsinventar ist schwer abzuschätzen, könnte aber nach manchen Angaben bei mehreren Hundert Billionen radioaktiven Zerfällen pro Sekunde (Becquerel) liegen. Auch langfristige Schäden durch die Strahlen­exposition für Umwelt und Gesundheit kommender Generationen können kaum eingeschätzt werden, insbesondere hinsichtlich Krebs und genetischer Schäden.

    Umweltrisiken der nuklearen Brennstoffspirale

Der Nuklearkomplex (zivil wie militärisch) hat vielfältige Umweltbelastungen im gesamten Erdsystem erzeugt und Tausende Quadratkilometer Böden, Flüsse, Seen und Ozeane sowie die Atmosphäre und Biosphäre radioaktiv kontaminiert. Nukleare Spaltprodukte gelangen über Atemluft, Wasser und Nahrung in die Körper aller Organismen und strahlen in den Körperzellen weiter. Besonders exponierte Nahrungsmittel sind Fische, Pilze und Milch. Alleine in den USA soll es durch mit Jod-131 belastete Milch zwischen 10.000 und 75.000 zusätzliche Fälle von Schilddrüsenkrebs geben.

Alle Komponenten der nuklearen Brennstoffspirale, von Uranminen über Urananreicherung, Reaktoren und Atomwaffen bis zur (End-) Lagerung, belasten Umwelt und Gesundheit. Besonders gravierend sind die Auswirkungen des Abbaus von Uranerz, der radioaktive und toxische Schlämme und Halden hinterlässt, weltweit mit einem Abraum von bislang mehr als zwei Mrd. Tonnen. Radioaktive Stoffe gelangen über Luft, Wasser und Böden in die Nahrungskette. Das Edelgas Radon erhöht das Lungenkrebsrisiko. Ein Teil des abgereicherten Urans wird vom US-Militär in panzerbrechender Munition verwendet; damit wird u.a. das Golfkriegssyndrom in Zusammenhang gebracht.

Viele Uranminen liegen in Gebieten indigener Völker, auf deren Interessen wenig Rücksicht genommen wurde und wird. Stark verschmutzte Gebiete liegen auch in Sachsen und Thüringen, von wo in DDR-Zeiten das sowjetische Atomwaffenprogramm beliefert wurde. Bis 1990 wurden in den Minen der Wismut-AG 231.000 Tonnen Uran gewonnen. Auf einer Fläche von etwa 3.700 Hektar verblieben 48 giftige und radioaktive Halden mit über 300 Mio. Kubikmetern Gesteinsresten und weitere 160 Mio. Kubikmeter Schlämme aus der Uranaufbereitung. Infolge des Uranabbaus starben hier geschätzt rund 15.000 Menschen durch Staublunge und 8.000 durch Krebs. Die Kosten der noch nicht abgeschlossenen Sanierung liegen bei mindestens acht Milliarden Euro.

    Atomwaffentests und -produktion

Im nuklearen Wettrüsten des Kalten Krieges wurden mehr als 2.000 Atomwaffen getestet. Das dabei freigesetzte Plutonium und andere radioaktive Stoffe zirkulieren bis heute weltweit. Testgebiete, wie das Bikini-Atoll, wurden für indigene Völker unbewohnbar. Als Folge oberirdischer Atomwaffentests wurde bis zum Jahr 2000 mit 86.000 Missgeburten und 430.000 tödlichen Krebsfällen gerechnet; manche Studien setzen die Zahlen noch deutlich höher an. Hinzu kommen die Auswirkungen unterirdischer Tests. Zunächst wurde angenommen, dass die Wanderung von Isotopen im Boden Jahrhunderte braucht, um den Grundwasserspiegel zu erreichen. Verfügbare Daten zeigen, dass dies schneller geschieht (in Jahrzehnten) und die Radioaktivität teilweise bereits das Grundwasser erreicht hat. Dies lässt für die Zukunft wieder höhere Atomtestfolgen erwarten.

Auch Menschen, die weit entfernt von Atomwaffentest- und -produktionsgebieten leben, sind über Umweltprozesse von den Risiken betroffen. Oftmals liegen Atomwaffenanlagen in der Nähe von Gewässern und landwirtschaftlichen Nutzflächen und beeinflussen die Trinkwasser- und Nahrungsmittelversorgung. Das Nuklearmaterial diffundiert durch die Umwelt und konzentriert sich an bestimmten Orten. So sind in der Nähe des Nuklearkomplexes Sellafield in England Land- und Meeresgebiete stark radioaktiv kontaminiert. Die Meere vor Russland wurden zur Deponie für radioaktive Abfälle. An einigen Standorten von US-Waffenfabriken ist das Grundwasser belastet. In der Nähe von Test- und Produktionsgeländen ist die Sterblichkeit oftmals erhöht. Schließlich wirkt sich die freigesetzte Strahlung auch auf das genetische Erbgut von Menschen und anderen Lebewesen aus, was zu Geburtsfehlbildungen und angeborenen Krankheiten führt.

Wie die zivile ist auch die militärische Nutzung von Atomenergie fehleranfällig und riskant, wie einige Beispiele aus Russland zeigen: Bei Unfällen fielen Dutzende Atomsprengköpfe und U-Boot-Reaktoren ins Meer. Lecks und Unfälle wirken oft weit über die unmittelbare Umgebung und Generation hinaus. Beim schlimmsten Atomwaffenunfall in Tscheljabinsk-65 bei Mayak explodierte 1957 ein Tank mit hochradioaktiven Abfällen, was etwa 15.000 Quadratkilometer Land verseuchte und zur Evakuierung von über 10.000 Menschen führte. Auch flussabwärts gelegene Dörfer wurden kontaminiert. Nuklearabfälle aus Mayak im See Karatschai, dem vielleicht am stärksten verseuchten Gewässer der Erde, wurden nach allmählichem Absinken des Seespiegels als radioaktiver Staub über ein 1.800 km² großes Gebiet verteilt. Im August 2019 sollen durch die Explosion eines nuklearen Raketenantriebs auf einem russischen Militärgelände mindestens fünf Menschen getötet und Radioaktivität freigesetzt worden sein. Der Reaktorunfall von Tschernobyl war eine nationale und internationale Katastrophe, mit riesigen Kosten und Risiken.

    Beseitigung und Lagerung nuklearer Altlasten

Weltweit wurden Hunderttausende Tonnen abgebrannter Kernbrennstoffe erzeugt. Viele Abfälle wurden als »niedrig strahlend« vergraben. Trotz großer Anstrengungen fehlen dauerhafte und sichere Endlager für hochradioaktive Abfälle, die in Zwischenlagern gesammelt werden, bis Wärmeleistung und Radioaktivität gesunken sind. Bisherige Konzepte der »Entsorgung« – den Atommüll im tiefen Ozean, in der Antarktis, im Weltraum oder in unterirdischen Formationen zu deponieren – sind mit Problemen behaftet. Während manche eine langfristige Isolierung und Eindämmung bevorzugen, möchten andere die Abfälle in einer abrufbaren und kontrollierten Form lagern.

Der Ost-West-Konflikt endete mit gefährlichen Hinterlassenschaften des nuklearen Wettrüstens. Die globalen Bestände hoch angereicherten Urans betrugen 2017 etwa 1.340 Tonnen und von Plutonium etwa 520 Tonnen. Zusammen reicht dies für mehr als 200.000 einfache Atomwaffen. Es ist ungewiss, ob und wann eine verantwortungsvolle Lösung für die langfristige Beseitigung von Atomwaffenmaterialien gefunden wird. Ein weiteres Problem ist die Säuberung der Umgebung von Nuklearanlagen, die mit hohen ökologischen und ökonomischen Belastungen verbunden ist. Noch viele künftige Generationen müssen diese Last tragen.

In den USA wurden mehrere Flüsse radioaktiv kontaminiert, darunter der Snake, Columbia und Savannah River. In Idaho gefährdeten Radionuklide das Grundwasser im Snake River Plain Aquifer und die Kartoffelproduktion. Milliarden Liter kontaminierte Flüssigkeiten wurden in die Umwelt abgegeben, weitere radioaktive Flüssigkeiten warten auf Endlagerung. Seit der Einstellung der Produktion von waffenfähigem Plutonium 1987 steht die Beseitigung der Abfälle aus 40 Jahren an. Das US-Energieministerium, das für den Atomwaffenkomplex zuständig ist (neun Standorte in sieben Bundesstaaten), schätzte in den 1990er Jahren die Kosten für die Bewältigung der Hinterlassenschaften auf rund 500 Mrd. US$ über einen Zeitraum von 75 Jahren. Doch allein die Sanierung des stillgelegten Nuklearkomplexes von Hanford am Columbia River, in dem 1.200 Tonnen Plutonium erzeugt wurden, dürfte diese Zahl sprengen. Hatte ein Bericht des Congressional Research Service 2018 noch mehr als 100 Mrd. US$ Gesamtkosten für Hanford veranschlagt, so nennt ein Bericht des Energieministeriums von 2019 den schockierenden Betrag von 323 bis 677 Mrd. US$.

Auch in Russland hinterließ der Kalte Krieg einen riesigen Nuklearkomplex, mit neun großen Industriekomplexen zur Urangewinnung sowie drei großen Produktionsanlagen für Waffenplutonium und zur Wiederaufbereitung von Brenn­elementen. 15 % der Fläche Russlands wurden zu ökologischen Notstandsgebiete, sieben Millionen Russ*innen leben auf radioaktiv verseuchten Böden, die nur schwer zu sanieren sind. Dringlich ist das Abwracken ausgedienter Atom-U-Boote und die Beseitigung Tausender Raketen und Bomber sowie Zehntausender Sprengköpfe. Die Beseitigung der 245 nukleargetriebenen U-Booten mit 445 Reaktoren verzögerte sich aufgrund geringer Verschrottungskapazitäten und fehlender Endlagerstätten. Mindestens 18 Atomreaktoren (sechs noch mit Brennstäben) wurden im Nordmeer versenkt, und 50 Atom-U-Boote dümpeln ungesichert vor sich hin, wobei Reaktoren und Brennstoffe an Bord blieben. In Mayak, Krasnojarsk und Tomsk lagern große Mengen flüssigen und festen Atommülls. Ein Teil des Materials aus ausgemusterten Atombomben wurde für zivile Zwecke genutzt, im Rahmen eines Sicherungsabkommens auch in den USA. 2011 genehmigte das russische Parlament trotz Umweltprotesten den Import von 2.500 Tonnen abgebrannter Brennstäbe aus dem Ausland, um mit den erhofften Einnahmen von 20 Mrd. US$ kontaminierte Gebiete zu sanieren.

    Neues Wettrüsten und »nuklearer Winter«

Das Wettrüsten ist wieder in vollem Gange, zwischen den USA, Russland und China und in Krisenherden von Nordkorea über Südasien bis nach Iran. Mit den nuklearen Abschreckungsstrategien und Tausenden von einsatzfähigen Atomwaffen bleiben die Risiken eines absichtlichen oder versehentlichen Nuklearkrieges hoch – manche sagen, höher als im Kalten Krieg. Dies ist eine existentielle Bedrohung, auch für das Weltklima. In Städten entzünden Atomwaffenexplosionen große Flächenbrände, die Rauch, Ruß und Staub in höhere Atmosphärenschichten tragen und das Sonnenlicht stark abschwächen, sodass die Oberflächentemperatur abkühlt (nuklearer Winter), bis die Stoffe wieder abgesunken sind. Das Gefahrenpotential zeigt die Tambora-Vulkaneruption, die 1815 zum »Jahr ohne Sommer« machte. Die Abkühlung führte zu Störungen des indischen Monsuns und verkürzten Vegetationsperioden, zu Ernteausfällen in Großbritannien und Irland; viele Tiere starben. Es kam zu Hungersnöten und Fluchtbewegungen, zur Ausbreitung von Typhus und Cholera, Unruhen und Plünderungen.

Jüngste wissenschaftliche Studien zeigen, dass selbst ein »begrenzter« regionaler Atomkrieg das Weltklima destabilisieren könnte. Ein Szenario ist ein nuklearer Schlagabtausch zwischen Pakistan und Indien, die bis 2025 vermutlich über 400 bis 500 Atomwaffen verfügen werden. Würden beide Länder zusammen 250 Atomwaffen gegen städtische Zentren einsetzen, könnten in wenigen Tagen 50 bis 125 Millionen Menschen sterben. Durch Brände würden je nach Ausmaß 16 bis 36 Mio. Tonnen Verbrennungsrückstände freigesetzt und binnen Wochen weltweit verbreitet. Das Sonnenlicht an der Oberfläche würde um 20 bis 35 % abnehmen, wodurch die globale Oberfläche um 2 bis 5°C abkühlt und die Niederschläge um 15 bis 30 % sinken, während die Pflanzenproduktivität an Land um 15 bis 30 % und in den Ozeanen um 5 bis 15 % geringer wird. Eine Folge der bis zu zehn Jahre andauernden »Kaltzeit« wären der Zusammenbruch von Landwirtschaft, Energie- und Verteilungssystemen und katastrophale Hungersnöte, die das Leben von mehr als einer Milliarde Menschen bedrohen würden

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    Nuklearrisiken und Klimawandel: die doppelte Bedrohung

Auch ohne dieses Szenario sind Atomwaffen und die globale Erwärmung essentielle Gefahren für die internationale Stabilität und globale Friedenssicherung, die sich zu einem komplexen Problemgeflecht (Nexus) verdichten können. Klimabedingte Wetterextreme sind auch Gefahren für die nukleare Sicherheit. Dies betrifft insbesondere Anlagen in Hochrisikozonen an Flüssen, Seen, Küsten und in Wäldern. So bestand im Sommer 2010 die Gefahr, dass durch Waldbrände Nuklearstandorte in Russland eingeschlossen wurden und radioaktiv kontaminierte Stoffe im Raum Tschernobyl in die Atmosphäre gelangen. Zum Glück konnten die Brände rechtzeitig eingedämmt werden. Im Hitzesommer 2018 bedrohten Waldbrände in Kalifornien militärische Nuklear- und Raketentestanlagen. Auch Stürme, Überflutungen und Erdrutsche, Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten stellen eine Gefährdung nuklearer Anlagen dar. Ein Bericht der U.S. Nuclear Regulatory Authority von 2011 sah landesweit mehr als 30 kerntechnische Anlagen durch Überschwemmungen gefährdet. In Situationen von Klimakrisen könnten nichtstaatliche Akteure Zugang zu Atomwaffen oder spaltbarem Material erlangen.

Manche Regionen sind durch die Verbindung von Atomwaffen und Klimawandel doppelt bedroht. So wurden die Marshall-Inseln durch Atomwaffentests verwüstet und sind nun durch Meeresspiegelanstieg und Stürme wieder existentiellen Gefahren ausgesetzt. Beide Gefahren können sich verstärken, so im Falle des »Runit Dome« auf dem Eniwetok Atoll, der radioaktiven Müll von Atomwaffentests abdeckt und nun droht, vom Meerwasser überflutet zu werden. Die Republik der Marshallinseln setzt sich gegen beide Gefahren zur Wehr. Sie reichte 2014 beim Internationalen Gerichtshof Anträge gegen die neun nuklearbewaffneten Staaten ein, da diese ihre Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung verletzten. Zudem verkündete der Präsident im Oktober 2019 einen nationalen Klimanotstand.

Wenn es nicht gelingt, den Klima­wandel einzudämmen, können sich die Folgen zu komplexen Konflikten mit Kipp­elementen verbinden. Schon die Antizipation einer eskalierenden Klima­krise könnte reaktive technische Maßnahmen provozieren, wie den Ausbau von Atomenergie und Geoengineering (technische Eingriffe ins Klimasystem), oder militärische Reaktionen bis hin zu Raketenabwehr und nuklearer Aufrüstung. Schon Edward Teller, der Erfinder der Wasserstoffbombe, hatte solche Maßnahmen vorgeschlagen. Sie multiplizieren jedoch die Probleme und treiben die Welt erst recht in die Katastrophe.

Das nukleare Wettrüsten verbraucht immer noch enorme Ressourcen, die für Umwelt- und Klimaschutz und nachhaltige Energieversorgung fehlen. Enttäuscht wurden die Hoffnungen nach dem Kalten Krieg, dass durch Abrüstung und Rüstungskonversion eine Friedensdividende für den Umweltschutz freigesetzt würde. Unter den weltweit gestiegenen Rüstungsausgeben von 1,8 Billionen US$ im Jahr 2018 beansprucht die nukleare Aufrüstung erhebliche Mittel, die für Klimapolitik nicht nur fehlen, sondern sie untergraben. Allein in den USA wurden seit 1940 etwa 8,7 Billionen US$ (inflationsbereinigt in 2010 US$) für Atomwaffen ausgegeben; im kommenden Jahrzehnt sind Ausgaben von 348 Mrd. US$ für Atomwaffen geplant, in drei Jahrzehnten eine Billion US$. Würde dies für Klimapolitik investiert, könnte die Klimakrise besser bewältigt werden. Atomwaffen verschärfen das Klimaproblem auch direkt, u.a. durch mehr Emissionen. Trägersysteme, wie nukleare U-Boote und Schiffe, haben in ihrem Lebenszyklus einen hohen CO2-Fußabdruck. Auch wenn genaue Zahlen nicht öffentlich sind, gibt es Schätzungen, dass das Pentagon in den USA und weltweit der größte einzelne Verbraucher von Erdölprodukten und Emittent von CO2 ist und damit ganze Länder, wie Schweden, übertrifft.

    Double Zero: Abrüstung und Nachhaltigkeit gehören zusammen

Gegen die Gefahren von Atomwaffen und fossilen Energiesystemen konkurrieren zwei unterschiedliche Strategien: Beseitigung der jeweiligen Ursache (fossile und nukleare Energie) oder Abwehr der Folgen. Je mehr die Beseitigung und Vermeidung der zugrundeliegenden Bedrohungen versagt, desto mehr werden Abwehrmaßnahmen forciert, die umgekehrt die Wirksamkeit von Reduzierungsmaßnahmen verringern. Zum Beispiel hat Raketenabwehr die Bemühungen zur nuklearen Rüstungskon­trolle, Nichtverbreitung und Abrüstung erschwert. Ebenso kann Geoengineering die Reduzierung der Treibhausgasemissionen untergraben.

Um die doppelte Bedrohung durch Atomwaffen und Klimawandel zu vermeiden, führt kein Weg vorbei an der Ursachenvermeidung. Um den Nexus von Wachstum, Macht und Gewalt des fossil-nuklearen Zeitalters zu durchbrechen, ist eine Stärkung von Frieden und nachhaltiger Entwicklung wesentlich. Die Atombombe vereint alle drei Problemverstärker: ungehemmtes Wachstum der Kettenreaktion, unvorstellbare Gewalt und überzogene Allmachtsphantasien. In einer friedlichen und nachhaltigen Welt gibt es keinen Platz für Atomwaffen. Ihre Abschaffung ist daher auch ein zentrales Anliegen nachhaltiger Entwicklung. Abgesehen vom Atomwaffenverbotsvertrag gab es in den letzten Jahren hier nur Rückschritte. Ein zügelloses nukleares Wettrüsten zeichnet sich ab.

Zur Risikominderung erforderlich sind Abrüstung und Konversion, Ressourceneffizienz, Emissionssenkung und erneuerbare Energien. Da Wissenschaft und Technik fossile und nukleare Technologien hervorgebracht haben, liegt hier auch eine besondere Verantwortung für ihre Abschaffung. Ein umfassender, integrativer und adaptiver Aktionsrahmen kombiniert verschiedene Schritte, die auf eine Denuklearisierung und Dekarbonisierung hinauslaufen, im Sinne einer »doppelten Null« (double zero) von Atomwaffen und CO2-Emissionen. Internationale Normen, wie der Nichtverbreitungsvertrag oder die Klimarahmenkonvention, sind weiter zu entwickeln in Richtung einer Nuklearwaffenkonvention und der Implementierung des Pariser Klimaabkommens.

Dabei können soziale und technische Innovationen im zivilen Sektor ebenso eine Rolle spielen wie das Zusammenwirken von Friedens- und Umweltbewegung, die wie die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) und Fridays for Future politische und gesellschaftliche Transformationsprozesse anstoßen wollen. Ob sie bestehende Verhältnisse zum Kippen bringen können, wird sich zeigen.@

aus: Wissenschaft und Frieden 2020/1

Dr. Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie und Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit im Klima-Exzellenzcluster ­CLICCS an der Universität Hamburg.

 

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