Zur Aktualisierung eines (scheinbar) paradoxen Phänomens

Feministische Militarisierung?

von Claudia Brunner

Auf die Frage, was von der feministischen Außenpolitik Deutschlands zu halten sei, habe ich im Anschluss an einen Vortrag über Gender in der Friedens- und Konfliktforschung unlängst ebenso spontan wie skeptisch reagiert: Was soll feministisch daran sein, Waffen, Munition und Panzer in ein Kriegsgebiet zu schicken?

Jetzt also sogenannte feministische Außenpolitik, ausgerufen von einer Feministin und Spitzenpolitikerin der einst überwiegend antimilitaristischen und/oder pazifistischen Grünen. Annalena Baerbock hat Deutschland als Kriegspartei bezeichnet, um, wie die meisten ihrer Amtskolleg*innen in der EU, im selben Atemzug die europäische Friedensordnung zu beschwören: als wären diese drei Begriffe – Europa, Frieden und Ordnung – auf quasi-natürliche Weise miteinander verbunden. Nur unter Ausblendung der 500-jährigen kolonialen Expansion europäischer Mächte, der Gewaltgeschichte Europas im 20. Jahrhundert sowie seiner gegenwärtigen militärischen Beteiligung an zahlreichen Kriegen auch außerhalb des Kontinents lässt sich die Erzählung einer genuin europäischen Friedensordnung aufrechterhalten. Angesicht der immer deutlicher werdenden Risse in dieser Erzählung kommt die jüngste, sich als feministisch verstehende Schützenhilfe äußerst gelegen. Zugleich unterscheiden sich feministische Vorstellungen von Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik auch in diesem Krieg mitunter erheblich – nicht nur von nicht-feministischen Perspektiven, sondern auch voneinander.

Es stehen also mehrere Probleme zur Diskussion, wenn ein Paradigmenwechsel hin zu einer feministischen Außenpolitik verkündet wird. Erstens: Was kann und will ein vom Staat ausgerufener Feminismus inmitten eines Krieges bedeuten? Und wie kann und soll man dieses Manöver aus antimilitaristisch-feministischer Perspektive kritisieren? Zweitens: Wie kommt es, dass breite Teile der Gesellschaften Europas, vor allem aber deren Eliten, zugleich bereit sind, das anti-bellizistische Selbstverständnis Europas im allgemeinen und Deutschlands im speziellen über Bord zu werfen? Und warum überrascht uns das, wo wir doch seit langem eine massive Militarisierung europäischer Diskurse und Politiken beobachten? Drittens: Was hat das eine (Militarisierung) mit dem anderen (Geschlechterfragen) zu tun? Worin besteht dieser staatstragend verordnete bewaffnete Feminismus, wenn eine sich historisch von militärisch organisierter (Staats-)Gewalt als geläutert inszenierende – und daher dem Militarismus angeblich besonders abgeneigte – europäische Nation sich zumindest mittelbar als Kriegspartei positioniert?

    Realfeminismus statt Antimilitarismus

Bereits auf den ersten Seiten der feministischen Richtlinien für feministische Außenpolitik wird unmissverständlich festgehalten: Feministische Außenpolitik ist nicht gleichbedeutend mit Pazifismus. Diese Ansage stellt nicht nur einen Bruch mit der immer schon fragwürdigen Gleichsetzung von Frauen und Frieden dar, sondern auch mit der herrschaftskritischen Verknüpfung von Feminismus und Antimilitarismus. Letzterer wird aktuell gern, und nicht nur versehentlich, mit Pazifismus verwechselt. Die Analyse und Kritik organisierter militärischer Gewalt als Mittel imperialer Politik wird dabei von vornherein delegitimiert. Wenn kollektiv- politische Strategien gewaltfreier Konfliktbearbeitung zu individuell-persönlicher Gewissensverweigerung diskreditiert und Pazifismus zu verantwortungsloser Gesinnungsethik erklärt wird, muss über Antimilitarismus als Gesellschaftskritik jenseits isolierter Gewaltereignisse erst gar nicht mehr diskutiert werden.

Die drei 'feministischen Rs' – Repräsentation, Rechte und Ressourcen –, festgehalten im Grundsatzpapier des Auswärtigen Amts zu feministischer Außenpolitik, sind auch aus herrschaftskritischer Perspektive von Feminist*innen immer wieder eingefordert worden. Im aktuellen Anlassfall werden sie allerdings einem staatstragenden vierten R untergeordnet: Realitätscheck. Mit diesem herrschaftsstabilisierenden Schwenk von der feministischen Vision einer gerechten und gewaltaversen Gesellschaft zur vermeintlich alternativlosen Realpolitik, die sich bedauerlicherweise bewaffnen muss, werden allerdings auch die epistemologischen wie politischen Grundlagen der herrschaftskritischen feministischen Forderung nach Repräsentation, Rechten und Ressourcen über Bord geworfen. Die 'realpolitisch' gerahmte und mit 'europäischen Werten' ausstaffierte Anrufung sexualitäts- und geschlechterpolitischer Fortschrittlichkeit im Dienste von Menschenrechten und Zivilisation stellt somit einen bewussten Reduktionismus komplexer Verhältnisse dar – und bildet das fünfte R in dieser nur scheinbar paradoxen Gemengelage.

    Geschlecht und Gewalt
    in der kolonialen Moderne

Geschlechterfragen nehmen auch bei der aktuellen Militarisierung europäischer Politiken eine irritierende Funktion ein, wird doch Geschlecht gemeinhin auf die Variable 'Frau' verkürzt und diese mit einer quasi-natürlichen Friedensneigung assoziiert. Diese Dichotomisierung begleitet jedoch seit Jahrhunderten die Legitimierung militärischer Gewalt zum Schutz von „Frauenundkindern“ der jeweils eigenen Gesellschaft. Hier ist der Bezug auf Geschlechterfragen nicht irritierend, sondern unmittelbar effektiv, weil affektiv. Feministisch ist meines Erachtens weder das eine noch das andere. Genauso wenig entspricht es jedoch meiner Vorstellung von herrschaftskritischem Feminismus, wenn immer breitere Teile der Gesellschaft – Frauen*, Homosexuelle, Transpersonen, People of Colour – unter dem Banner diversitätsorientierter Geschlechterpolitik für die Normalisierung von Militarisierung und Krieg gewonnen werden.

Herrschaftskritische Feminist*innen in Wissenschaft und Zivilgesellschaft fordern seit Jahrzehnten eine feministische Politik, die nicht nur innen und außen, lokal und global wirksam wird, sondern diese auf einer tief verinnerlichten Geschlechterbinarität beruhende Trennung selbst aufhebt. Verschränkt zusammengedacht mit global etablierten und vor allem von Militarismus befestigten Klassenverhältnissen, die ihrerseits auf jahrhundertealtem Rassismus und Sexismus basieren, ist eine solche herrschaftskritische Vision feministischer (Außen-) Politik weit mehr als eine 'Frauenfrage', die mit den oben genannten 'drei Rs' beantwortet werden kann. Lange bevor ihre Analyse feministisch genannt wurde, kämpften Frauen, etwa rund um den Ersten Internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag 1915, gegen die Verheerungen der umfassenden gesellschaftlichen Militarisierung, die in den Ersten Weltkrieg mündete.

Ihr Fokus war nicht pazifistisch im Sinne eines heute oft verkürzten Bezugs auf eine vermeintlich genuine Friedensfähigkeit von Frauen, sondern dezidiert antimilitaristisch, formuliert als systemische Herrschaftskritik an Nationalismus, Kapitalismus und Patriarchat, die allesamt von Militarismus gestützt werden – und umgekehrt. Zahlreiche in diesem Sinne feministische Stimmen haben seither die Verschränkungen von Krieg, Militarismus und Geschlechterfragen analysiert, kritisiert und theoretisiert sowie um die Dimension von Rassismus im einst kolonialen und immer noch imperialen Setting globaler Weltordnung erweitert.

    Ausweitung der Geschlechterkampfzone

Militärische Gewalt braucht Legitimität, insbesondere dann, wenn sie im Namen von Demokratie, Menschenrechten und Frieden zum Einsatz kommt. Das gilt nicht nur dort, wo Bomben fallen, sondern auch dort, (von) wo sie produziert, finanziert und geliefert werden. Beide Kernaspekte der aktuellen Debatte – (weibliches) Geschlecht und (tödliche) Gewalt – emotionalisieren seit jeher und ziehen uns tief hinein in die Logik des Konfrontativen, die jene des Krieges spiegelt und befestigt. Ihre Verknüpfung befeuert verlässlich die diskursive, kognitive und affektive Militarisierung, ohne die kein Krieg geführt werden kann.

Der in den Leitlinien des Außenamts betonte Bezug auf Diversität und Geschlechtergerechtigkeit stellt eine ideale Argumentation für die Normalisierung von Militarismus bereit. Auch wenn dieser Diskurs auf den ersten Blick irritieren mag, sorgt die über Geschlechterfragen zusätzlich erhöhte Emotionalisierung und Kulturalisierung für das Funktionieren dieser Herrschaftstechnik der kolonialen Moderne. Sie ist gut 500 Jahre alt und ein genuiner Bestandteil der einstigen kolonialen mission civilisatrice, die auch in der imperialen Gegenwart hervorragend funktioniert. Heute kann sich das weniger staatsgewaltskeptische konservativ- liberale Spektrum mit staatstragenden Genderdiskursen wie etwa jenem zur feministischen Außenpolitik schmücken, indem es diese als genuin europäische zivilisatorische Errungenschaft rahmt. Zugleich stellen eben diese Diskurse für das staatsgewaltskeptische linksliberale Spektrum ein willkommenes Vehikel dar, um sich in den (inter-)nationalen Konsens sogenannter Realpolitik einzureihen – wenn schon nicht guten Gewissens, dann zumindest unter Berufung auf Alternativlosigkeit. Ökonomische und politische Interessen und die komplexe Gewordenheit von kriegerisch ausgetragenen Konflikten lassen sich mit Berufung auf eben jene Alternativlosigkeit in vermeintlich ahistorische Werte transformieren, gegen die kein Widerspruch geduldet werden kann.

    (K)ein bisschen Frieden

Während der männlich assoziierte Ruf des Falken inzwischen durchaus zu einer respektablen realpolitischen Position avanciert ist, die auch von Feminist*innen eingenommen werden kann, wird mit dem weiblich, und damit abwertend konnotierten Etikett der (Friedens-) Taube erneut als naiv diskreditiert, wer sich der 'realpolitisch' als unvermeidlich gesetzten Militarisierung entzieht oder dieser gar entgegentritt. Diese verlässlich funktionierende Binarität leistet im verengten Raum der diskursiven, kognitiven und affektiven Militarisierung immer wieder gute Dienste. Auch wenn progressive wie auch konservative Genderdebatten sich in den letzten beiden Jahrzehnten beachtlich diversifiziert haben, reproduzieren zugleich vor allem Medien hartnäckig genau jene heteronormativ-patriarchalen Konstellationen, in denen nicht-männliche, genderbewusste und auch dezidiert feministische Stimmen gern auf 'das feminine Gesicht des Friedens' reduziert werden.

Nicht einmal in akademischen Debatten ist dieses allzu einfache Strickmuster vollständig aufgeknüpft. Angesichts der seit Jahrhunderten währenden Verschränkung von Militarismus und Männlichkeit überrascht dieses Stereotyp nicht wirklich. Es begrenzt jedoch den Raum nicht nur pazifistischer, sondern vor allem antimilitaristischer Kritik einst wie jetzt erheblich und effizient. Viele seit langem existierende, komplexe und vor allem herrschaftskritische feministische Analysen werden deshalb einfach nicht gehört, weil sie das dominante Narrativ seit jeher stören. Der Herrschaftsmodus des 'eingebetteten Feminismus' ebenso wie ein zunehmender diversitätsoffener 'Homonationalismus' nimmt antimilitaristischem Feminismus und feministischem Antimilitarismus den Wind aus den Segeln. Auf diese vermeintlich geschlechterpolitisch emanzipative Weise kann (inter-)nationale Kriegsbeteiligung im Namen einer übergeordneten zivilisatorischen Mission weiterhin normalisiert werden, wie das aktuelle Beispiel sogenannter deutscher feministischer Außenpolitik zeigt.@

 

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