04. Juni Paris

Die Pädagogische Plattform gegen Atomkraft

Die Pädagogische Plattform (Front pédagogique) hat sich 2020 mit dem Ziel gegründet, der Propaganda der Atomlobby in den Schulen auf allen Bildungsstufen etwas entgegenzusetzen.

Sie ging von der Überlegung aus, dass wir unsere Bemühungen darauf konzentrieren sollten, unser Wissen an die jungen Menschen weiterzugeben, mit denen wir in unserem beruflichen Umfeld zu tun haben. Unser Ziel ist es, Lehrmitteln zu entwickeln und bereit zu stellen, die es ermöglichen, sich ernsthaft mit dem Thema Atomkraft auseinanderzusetzen. Es geht darum, die unzureichenden Kenntnisse von Schülern und Lehrern in Bezug auf die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie mit wissenschaftlichen Fakten und Argumenten zu unterfüttern. Dieser Mangel an Wissen verhindert die Entwicklung eines kritischen Geistes und die Bildung eines Problembewußtseins über die Gefahren und Folgen der Atomkraftnutzung.

Das Ziel der Front ist es daher, Argumente als Antwort auf die Propaganda der Atomlobby zu erarbeiten. Diese stellt ihrerseits den Lehrern fertige Pro-Atom Propagandamaterialien zur Verfügung und organisiert Besuche in Atomkraftwerken(1) und im Labor der ANDRA.

Während es in anderen Ländern, die aus der Atomenergie ausgestiegen sind oder nie in die Atomenergie eingestiegen sind, durchaus anerkannt wird, die Atomenergie als gefährlich und kontraproduktiv zu beurtilen, fühlen sich in Frankreich, dem Land mit den meisten Atomkraftwerken der Welt, viele nicht berechtigt oder frei, denselben Standpunkt zu vertreten.

Das liegt daran, dass wir in einer pro-Atom Atmosphäre leben:Vom Staatspräsidenten, der die Branche wiederbelebt und unterstützt, über die Medienaura eines Jean-Marc Jancovici bis hin zu einigen populärwissenschaftlichen Anbietern auf der Plattform You Tube und nicht zuletzt der Unterstützung dieser Branche durch die PCF bis hin zur RN wird der proAtom- Diskurs ständig weitergetragen.

So werden atomkritische Argumente oft einer "dogmatischen", unwissenschaftlichen oder sogar esoterischen Ökologie zugeschrieben.

Das erinnert an die großen Zeiten der Propaganda der fossilen Industrie oder der Tabakindustrie. Unterstützt durch die Unsichtbarkeit der Strahlung und das Verteidigungsgeheimnis werden die Auswirkungen auf die Umwelt sorgfältig heruntergespielt und meist verschwiegen. Wer weiß schon, dass die Atomindustrie selbst im Normalbetrieb die Biosphäre permanent kontaminiert?

In Frankreich ist die Atomindustrie im Bereich der Stromversorgung nahezu hegemonial. ORANO, EDF, CEA, FRAMATOME, ANDRA, ASN und IRSN sind allesamt öffentliche oder private Institutionen, die aus dem Bestreben entstanden sind, das Land atomar zu machen. Diese Industrien verfügen über umfangreiche Kommunikationsmittel und genießen die Unterstützung der aufeinanderfolgenden Regierungen.

Die meisten Medien sind nach wie vor dieser einseitigen und voreingenommenen Sicht auf die Atomenergie hörig. Es ist daher in der Vorstellung mancher Jugendlicher normal, daß Ökologie und Atomkraft mit3einander vereinbar sind. Dies ist eine echte intellektuelle Absurdität, insbesondere aufgrund der einfachen historischen Tatsache, dass der Kampf gegen die Atomkraft die Wurzel der Umweltbewegung in Frankreich bildet.

    Wie lässt sich diese Widersprüchlichkeit erklären?

Eine Analyse der Lehrpläne ist ein Ansatzpunkt. Das Thema Atommüll tauchte erst 2020 offiziell in den Lehrplänen für Naturwissenschaften in der Oberstufe auf. Und das wurde durch neue Lehrpläne ausgeglichen, die sich eindeutig für die Atomenergie aussprachen. Man muss nur die Schulbücher lesen, um festzustellen, dass diese Technologie nie in Frage gestellt wird. Beispielsweise werden das umstrittene ITER-Projekt und die zivile Atomenergie im Allgemeinen häufig als Lösung für die globale Erwärmung dargestellt, ohne daß ein kritischer Standpunkt eingenommen wird.

Im Geschichtsunterricht wird die Nuklearisierung Frankreichs immer unter dem wirtschaftlichen Aspekt als Teil der visionären und modernisierenden gaullistischen Politik untersucht, aber nie unter dem politischen Aspekt als Schaffung einer ultra-reservierten Domäne der Staatschefs, die nie einer demokratischen Kontrolle unterworfen wurde.

Wir möchten daher pädagogische Inhalte anbieten, die dem Anti-Atomkraft-Diskurs den gleichen Raum geben wie dem Pro-Atomkraft-Diskurs, denn es geht einerseits um eine umfassende Bildung in dieser Frage und andererseits um ein ernsthaftes Verständnis davon, was die industrielle Nutzung der Radioaktivität mit sich bringt.

Einfache Argumente, die nicht als esoterisch abgetan werden können, werden immer noch zu wenig beachtet, wie zum Beispiel der unabdsingbare Bedarf an enormen Mengen von Wasser für den Betrieb der Kraftwerke, die Verbindung zwischen ziviler und militärischer Atomkraft, die Emmanuel Macron immerhin betont hat, oder die Beschaffung von Uran, die ausschließlich im Ausland erfolgt. Das erste Argument hilft zu verstehen, dass die Atomkraft angesichts zunehmender Dürren keine so einfache Antwort auf die globale Erwärmung ist, das zweite, militärische und zivile Atomkatastrophen als eng miteinander verbunden zu denken; die Atomtests, bei denen zu Versuchszwecken eine Atombombe gezündet wurde, sind Teil der Geschichte der Kraftwerke und umgekehrt, und das dritte Argument schwächt den Begriff der energiepolitischen Unabhängigkeit Frankreichs.

Das Anbieten von Workshops zu diesen Themen ermöglicht es den Schülern, ihren kritischen Blick zu schärfen. So verstehen einige von ihnen von alleine, warum Atomkraft und Gas in die europäische grüne Taxonomie aufgenommen wurden, und lassen sich nicht von den politischen und nicht wissenschaftlichen Verhandlungen täuschen, die zu dieser Art von Entscheidungen geführt haben. Es wäre an der Zeit, jungen Menschen eine ganze Reihe wissenschaftlicher Literatur zu vermitteln, die sich kritisch mit dieser Technologieauseinandersetzt. Auch die Geschichte von Institutionen wie der UNSCEAR (3) oder der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und ihr Einfluss auf die WHO ermöglicht es, die Kontroversen über die offiziellen Bilanzen der Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima wirklich zu verstehen.

Eine Industrie hat Auswirkungen auf alle Bereiche und alle Facetten des Lebens. Daher besteht unsere Aufgabe als Lehrer*Innen darin, die Tiefe der menschlichen und materiellen Realitäten, die sich hinter dem Buchwissen verbergen, so gut wie möglich wiederzugeben: Wenn man über die Energieerzeugung und den Betrieb eines Atomkraftwerks spricht, kann man ein verständliches Schema erstellen, aber das gibt nicht die Realität der Menge an Material und Arbeit wieder, die für den Betrieb einer solchen Anlage erforderlich ist, noch die Folgen für die Gesundheit der Arbeiter*Innen und der AnwohnerÌnnen, noch die Umweltschäden. Unser Vorhaben ist es, Unterrichtsmaterialien zu finden, die die menschlichen und materiellen Auswirkungen unserer industriellen Umgebung offenlegen.

Deshalb wollen wir uns mit diesen Materialien an alle Schulstufen, von der Grundschule bis zur Hochschule, und an alle Fächer, vom naturwissenschaftlichen Unterricht bis zur Philosophie, wenden. Wir wollen ein Unterstützungsnetzwerk aus Lehrer*Innen, Gewerkschaftsmitgliedern, Aktivist*Innenen, Oppositionellen in den Institutionen, Betreuern usw. werden. Schließlich wollen wir nicht nur die "Vögel der schlechten Vorzeichen" sein, sondern auch andere Sichtweisen auf die Zukunft der Energieversorgung in Frankreich vermitteln.

Wir wollen zeigen, dass es andere Lösungen (Energieeinsparung, erneuerbare Energien) und andere Arten, auf dem Planeten zu leben, gibt. In diesem Sinne möchten wir auch Raum für Emotionen, Zweifel und für die Menschen lassen, die andere Lebensweisen ausprobieren und experimentieren. Die Bewusstseinsbildung wird auch durch die Schaffung einer neuen Vorstellungswelt erfolgen, einer atomfreien Vorstellungswelt, die für die zukünftigen Generationen lebenswichtig ist.@

[1] Orano lädt beispielsweise Schulleiter von Gymnasien ein, ANDRA bietet Besichtigungen ihres Labors in Bure an, die mit Besichtigungen des Kulturerbes gekoppelt sind, und stellt sich als "kulturelle Organisation" vor.

[2] Frankreich ist nach den USA das Land mit den zweitmeisten Reaktoren weltweit, aber aufgrund der Größe des Landes, der Einwohnerzahl und des Anteils der Atomenergie an der elektrischen Energie kann Frankreich als das Land mit der größten Abhängigkeit von der Atomenergie gesehen werden.

[3] Wissenschaftlicher Ausschuss der Vereinten Nationen für die Untersuchung der Auswirkungen ionisierender Strahlung.

bureburebure.info 31. Mai 20.23

 

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