über die notwendige Befreiung von den Fesseln atomar-fossiler Energie ohne erneute globale Ausbeutung Die ganz andere Energiewende von Herbert Würth Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl entstanden neue Initiativen mit dem Ziel, Strom auf eine andere Art als bislang zu erzeugen: in einer dezentralen Struktur und mit Hilfe von erneuerbarer Energie. Wind und Sonne sollten Fossile und Atom überflüssig machen. Als Reaktion auf die Havarie verschaffte sich eine Idee Platz im allgemeinen Bewusstsein: "wir können auch anders". Inzwischen sind wir an einem anderen Punkt angelangt. Die Folgen des Klimawandels zwingen zu der Erkenntnis: "wir müssen ganz anders." Ohne eine rasche Befreiung von den Zwängen der atomar-fossilen Wirtschaftsweise wird das Leben für Menschen auf der Erde extrem schwer. "Was zu tun bleibt?" Beginnen wir die Überlegungen zu einer überfälligen Energiewende mit einem Blick zurück! Was manche in den Anfangsjahren belächelten, wurde zunächst ein Riesenerfolg. Bis zum Jahr bis 2017 stieg mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG der Anteil der Nettostromerzeugung durch Erneuerbare auf 39% an. Den vier großen Energiekonzernen gehörten jedoch nur 5% der neuen Energiewende-Anlagen. Auf ihre Interventionen hin reagierte die Politik mit Regelungen, die die weitere Entwicklung zur einer dezentralen Energiewende ausbremsen sollten. Durch Vorschriften wie zum Beispiel der Zwang zur Ausschreibung oder die drastische Senkung der Einspeisevergütungen brach der Zubau in den Bereichen Wind und PV bis heute stark ein. Aber RWE, EON und EnBW konnten sich neu aufstellen und wollen nun Gestalter einer Energiewende sein, die zentralistisch ist.
Zwei Grundmodelle stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite steht die überkommene Struktur der fossilen/atomaren Energieerzeugung. Sie ist zentralisiert und besteht aus Konzernen mit großen Kraftwerken und großen Stromtrassen/Pipelines; sie ist charakterisiert durch eine Verteilung von oben nach unten. Verbraucher*innen sind abhängig und passiv zahlend. Die Kraftwerke müssen immer mit neuen Rohstoffen versorgt werden, die viele Umwandlungsketten (Raffinerien usw.) benötigen. Abbau, Umwandlung, Transport und Verbrennung sind gesundheits- und klimaschädlich und hinterlassen gefährliche Abfälle. Die (weltweit) tätigen Konzerne haben eine große wirtschaftliche und politische Macht. Sie setzen ihre Interessen mit Lobbyismus, Erpressung und auch über politisch-militärische Konflikte durch. Auf der anderen Seite steht die Idee der dezentralen Nutzung von Energie. Diese besteht aus vielen Akteuren, aus vielen Stromerzeuger*innen; sie ist überregional verbunden, erzeugt und verbraucht Energie aber vorwiegend dezentral. Sie verfügt über vorwiegend kleinräumige Netze mit Ausgleichs- und Speicheranlagen. Entscheidend ist eine Verteilung in beide Richtungen, die Verbraucher*innen sind aktiv beteiligt. Die Anlagen benötigen zwar in der Herstellung Rohstoffe, jedoch nicht im jahrzehntelangen Betrieb. Die weltweite Rohstoffstruktur für Fossile entfällt. Die Strom- und Wärmeerzeugung ist umwelt- und klimafreundlich. Möglich ist weitgehend Recycling/ Kreislaufwirtschaft.
Die Ampel-Regierung hat zwar neue Gesetze zur Energiewende (EW) beschlossen; unter anderem wurden die Ausbauziele hochgesetzt. Für eine weitere dezentrale EW bleiben jedoch große Hürden: weiterhin besteht der Ausschreibungszwang für Windräder/große PV-Anlagen; jährliche Ausbau-Korridore führen dazu, dass Flächen für den benötigten Ausbau der Windkraft erst 2027/2032 zur Verfügung stehen. Nach wie vor unsicher ist, wie es mit Einspeisevergütungen weitergeht. Dadurch fehlt Planungssicherheit. Klar ist dagegen bereits jetzt, dass Eigenverbrauch und Einspeisung von Überschuss durch niedere PV-Vergütung quasi bestraft wird. Dem gegenüber steht die finanzielle Bevorzugung von off-shore-Anlagen. Damit werden eindeutig die Interessen der Konzerne bedient. Praktisch führt die Ampel-Regierung mit ihrer langfristigen Förderung von Öl und Gas die fossile Bevorzugung weiter. Mit Milliarden-Zuschüssen sollen 12 Terminals für Flüssiggas errichtet werden; Verträge mit 20-25 jährigen Laufzeiten werden geschlossen! 40 Milliarden Euro stehen für die Wasserstoff-Strategie bereit. Mit dieser Planung wird eine neue große (fossile) Infrastruktur errichtet – unter Beteiligung (wer hätte das gedacht?) der Energiekonzerne! Wie Flüssiggas soll auch Wasserstoff in großem Umfang importiert werden.
Die Produktion von Wasserstoff ist allenfalls dann sinnvoll, wenn "überschüssiger Strom" aus Erneuerbaren zur Verfügung steht. Oder wenn genügend neue Anlagen errichtet werden können, die dann jedoch in räumlichem Zusammenhang mit dem Einsatz des Wasserstoffs zu industriellen Produktionszwecken stehen. Ohnehin entstehen bei der Nutzung von Energie auf dem Umweg über Wasserstoff hohe Umwandlungsverluste. Der Transport von Wasserstoff über weite Entfernungen verschlechtert die Bilanz von Aufwand und Ertrag obendrein und führt dazu, dass am Ende gerade noch ein Viertel der ursprünglich eingesetzten Energie zur Verfügung steht. Die vielen Anlagen mit Elektrolyseuren, Kühlung auf minus 253 Grad zum Verflüssigen/Transport, Häfen, Rückwandlung und weiterer Transport mit Pipelines oder LKWs, H2 Verteilung über Tankstellen und so weiter verursachen einen immensen Strom- und übrigens auch Wasser(!)-Bedarf. Nach den Regierungsplänen soll nicht nur aus Norwegen, Kasachstan und Kanada Wasserstoff bezogen werden, sondern "kostengünstig" auch aus afrikanischen Ländern, dem Senegal, Nigeria, Namibia, dem Kongo und Angola. Also aus dem Kontinent, der von den Folgen des Klimawandels (Dürren/Wassermangel) seit Jahrzehnten am stärksten betroffen ist. Wo über 20 Millionen Menschen wegen den Klimaschäden als Flüchtlinge leben müssen, soll es eine neue nur Deutschland/Europa dienende Wasserstoff-Produktion geben.
Wissenschaftlich besteht eine überraschend große Übereinstimmung: um den Folgen des Klimawandels auch nur annähernd angemessen zu begegnen, ist eine umfassende Dekarbonisierung aller Lebensbereiche notwendig. Übers Wohnen und Heizen wird in diesen Tagen viel geredet oder darüber, wieviel Wurst und Fleisch wir essen; die Fragen der Mobilität werden von Klebeaktivist*innen fast täglich auf den Asphalt gebracht; noch viel zu selten geht es darum, wie sehr Krieg und Rüstung das Klima schädigen. Das alles ist wichtig und gehört zusammen. Aus Platzgründen beschränken wir uns hier darauf, wie es mit Strom weitergehen muss. Eine wichtige Forderung ist: es darf keine Behinderungen mehr bei Erzeugung und Weitergabe an Dritte geben. Volker Quaschning und der Solar-Förderverein in Aachen tragen es immer wieder vor: eine 100%ige Versorgung mit Erneuerbaren ist bis 2035 möglich: indem vor allen Dingen Wind und Photovoltaik stark ausgebaut und Speichermöglichkeiten geschaffen werden. Als Größenordnung geben sie die (machbaren) Ziele an: Bei Wind von jetzt 55 GW auf 270 GW, dann weiter auf 500 GW. Bei PV von 54 GW auf 350 GW, perspektiv möglich sind 1000 GW. Ziel muss es sein Quartierslösungen für Strom und Wärme zu schaffen, auch für Speicher und Energy-Sharing zu realisieren (Bürger teilen Energie). Bürgerenergie ist bei Wind bis 18 MW, bei PV bis 6 MW von Ausschreibungen ausgenommen, also hier kann wieder durchgestartet werden. Städte und Gemeinden haben eine Schlüsselrolle bei der weiteren dezentralen Energiewende. Mit den Stadtwerken können sie diese bei Strom und Wärme realisieren. Auch Industriebetriebe sind wichtige Akteure, sowohl bei der Erzeugung von Strom und Wärme wie bei Nutzung von Synergien/ Abwärme, ebenso alle Personen, die sich beteiligen und Projekte realisieren. Bremser zu Gunsten der Konzerne wird die Politik bleiben. Siehe Baden-Württemberg mit 13 Jahren Grün geführter Landesregierung und dem "Staatskonzern" EnBW. BW ist bei den Flächenländern das Schlusslicht der Windenergie. Bei aller Diskussion darüber, was auf dem Gebiet der Erneuerbaren realistischerweise erreicht werden kann, darf die kritische Auseinandersetzung mit der Frage nicht fehlen, wie ein gutes Leben für alle mit sehr viel weniger Einsatz von Energie zu erreichen ist. Auch hier sei an den Beginn erinnert: Als wir in den Anfangsjahren der Energiewende als Überzeugungstäter*innen unterwegs waren, lautete das Mantra: "Jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, muss nicht erzeugt werden." @
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