DIW-Studie untersucht Rentabilität und technologische Umsetzbarkeit von Reaktorkonzepten weltweit

Nicht zukunftsfähig

von Claudia Kempfert

Am 15. April 2023 werden in Deutschland die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet: "Emsland" in Niedersachsen, "Isar-2" in Bayern und "Neckarwestheim-2" in Baden-Württemberg. Damit endet die Ära der kommerziellen Nutzung von Atomenergie in Deutschland. Im Fokus stehen nun der Rückbau von Kernkraftwerken sowie die Suche nach sicheren Zwischenlagern und einem Endlager für radioaktive Abfälle. Die in Deutschland und weltweit mit der Entwicklung kommerzieller Kernkraftwerke seit den 1950er Jahren verbundene Hoffnung, einen kostengünstigen und technologisch innovativen Energieträger zu entwickeln, hat sich nicht bewahrheitet. Vielmehr ist die ursprüngliche Idee zur Entwicklung einer Plutoniumwirtschaft, also der Herstellung einer fast unbegrenzten Menge kostengünstigen Spaltstoffs durch einen geschlossenen Brennstoffkreislauf, gescheitert.

Im Gegenteil ist Strom aus Kernkraftwerken mit Abstand der teuerste – und das seit Beginn des Atomzeitalters in den 1950er Jahren bis heute. Die Atomenergie war und ist nicht wettbewerbsfähig gegenüber alternativen Stromerzeugungstechnologien (früher Kohle, heute erneuerbaren Energien) Ökonomische Fragen des Rückbaus sind ungeklärt. Weltweit ist noch kein einziges Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb.

Dennoch wird die Entwicklung sogenannter neuartiger Kernreaktoren und der damit verbundene Neubau von Kernkraftwerken in einigen Ländern lebhaft diskutiert. Insbesondere in den offiziellen Atommächten (USA, Russland, China, Frankreich, Vereinigtes Königreich), aber auch in einigen wenigen Ländern, die erst jetzt einen Einstieg in die Atomenergie planen (Türkei, Ägypten, Bangladesch) oder gerade vollzogen haben (Belarus, Vereinigte Arabische Emirate), ist die Debatte im Gang.

In Europa hat die Aufnahme von Atomenergie in die EU-Taxonomie Möglichkeiten eröffnet, Neubauprojekte noch stärker als bisher zu subventionieren. Begründet wird dies mit Nachhaltigkeitsaspekten, was allerdings unter Expert*innen höchst umstritten ist. Auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern werden derzeit in Politik und Gesellschaft Forderungen laut, als längerfristige Lösung im Rahmen der Energiewende neue Kernkraftwerke zu bauen und die hierfür notwendigen Forschungsbemühungen zu verstärken Allerdings hat die deutsche Energiewirtschaft selbst dieser Perspektive bisher eine klare Absage erteilt. Unklar ist vor allem, welche Technologien für die Weiterentwicklung von Atomenergie überhaupt zur Verfügung stünden und wie diese in absehbarer Zeit wettbewerbsfähig werden sollten.

    Anteil der Atomenergie
    an der Stromerzeugung
    geht weltweit zurück

Weltweit ist der Ausbau von Kernkraftwerken nach dem Bauboom der 1970/80er Jahre weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Produktion von Strom aus Kernkraftwerken liegt seit den späten 1990er Jahren auf einem unveränderten Niveau von circa 2600 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Ihr Anteil an der gesamten Stromerzeugung sinkt jedoch: Seit dem historisch höchsten Anteil an der weltweiten Stromproduktion von 17,6 Prozent im Jahr 1996 geht dieser stetig zurück und lag 2021 erstmals seit Jahrzehnten unter zehn Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energien steigt dagegen stetig an.

Der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung wird weiter sinken. Bis zum Jahr 2040 gehen rund 200 Kernkraftwerke vom Netz. Diesen umfangreichen Abschaltungen stehen lediglich 53 aktuell laufende Neubauprojekte (circa 50 Gigawatt) gegenüber. Abgesehen von 21 aktiven Ausbauprojekten in China erweist sich ihre Entwicklung jedoch als langwierig. Bei 26 der laufenden Neubauprojekte treten derzeit Verzögerungen in der Planung, Genehmigung oder Fertigstellung auf, teilweise mit erheblichem Ausmaß von mehr als zehn Jahren. Andererseits erleben erneuerbare Energien eine ungebrochene Dynamik im Ausbau und werden auch wegen der in der Zukunft zunehmenden Elektrifizierung den Anteil der Atomenergie im Strommix weiter verringern.

    Neubaupläne
    technisch unsicher und
    ökonomisch fragwürdig

Einige Länder haben in den vergangenen Jahren politische Absichten zum Neubau eines oder mehrerer Kernkraftwerke bekundet. In Europa hegen vor allem Frankreich und Großbritannien ambitionierte Ausbauziele für Kernkraftwerke Darüber hinaus gibt es solche Diskussionen auch in den Niederlanden, Schweden, Polen, Ungarn und Tschechien, und inzwischen auch wieder in Deutschland. Jedoch ist in den meisten Fällen unklar, mit welchen Reaktortypen diese Pläne umgesetzt und wie die Reaktoren finanziert werden sollen. Dies wird im Folgenden anhand der drei Reaktorgruppen diskutiert, die in der Debatte eine Rolle spielen.

    Aktuelle Generation von
    Leichtwasserreaktoren mit
    großen Bauverzögerungen
    und überteuert

Die derzeit einzige realistische Option zum Bau von Kernkraftwerken besteht in der Nutzung der bestehenden Technologie. Dabei handelt es sich um leichtwassergekühlte Reaktoren der dritten Generation im Bereich von 600 bis 1600 Megawatt (MW) elektrischer Leistung. Beispiele hierfür sind der französische European Pressurized Reactor (EPR; unter anderem in Frankreich und China im Bau, dort auch zwei Reaktoren am Netz), der US-amerikanische AP1000 (hergestellt vom US-Konzern Westinghouse) und der russische VVER 1200 (hergestellt vom russischen Staatskonzern Rosatom). Der Bau solcher Reaktoren, insbesondere der wassergekühlten thermischen Reaktoren, hatte in den 1970/80er Jahren seinen Höhepunkt. In den darauffolgenden Jahrzehnten ist weltweit, insbesondere in den USA und Europa, der Neubau jedoch stark zurückgegangen. Gründe dafür waren unter anderem die hohen Kosten und ständige Bauverzögerungen. Aktuelle Kostenanalysen und -vergleiche mit erneuerbaren Stromerzeugungstechnologien, deren Stromgestehungskosten unter 100 US-Dollar/MWh liegen, zeigen, dass die aktuell horrenden Baukosten für Kernkraftwerke um zwei Drittel reduziert werden müssten, um in einem dekarbonisierten europäischen Energiesystem einen Anteil von zehn Prozent an der Stromproduktion zu halten. Entgegen ursprünglicher Erwartungen ist der Bau von Kernkraftwerken über die Jahrzehnte nicht günstiger geworden, vielmehr stiegen die Kosten (pro Kilowatt (kW) Leistung) kontinuierlich an. Darüber hinaus gelang es zu keinem Zeitpunkt, die in anderen Branchen (Chipproduktion, Solarpanels) erzielten Standardisierungs- und Massenproduktionsvorteile zu heben.

    SMR-Konzepte nicht ausgereift und auf absehbare Zeit nicht verfügbar

Eine Alternative zu den laufenden Kraftwerksbauten könnte darin bestehen, zu den geringen Leistungsgrößen der 1950/60er Jahren zurückzukehren und in diesem Segment basierend auf der etablierten Leichtwasser-Technologie Reaktortypen weiterzuentwickeln. Diese Idee wurde 2010 vom damaligen US-Energieminister Steven Chu unter dem Schlagwort "SMR" ins Gespräch gebracht, um diese Reaktoren als "Amerikas neue nukleare Option" zu bewerben Unter dem Begriff SMR wurden ursprünglich Reaktoren kleinerer und mittlerer Leistungen ("small and medium sized reactors") zusammengefasst. Der Buchstabe "m" sollte nunmehr für eine "modulare" Massenproduktion stehen ("small modular reactors"). In diesem Zusammenhang versteht man heute unter SMR-Konzepten Reaktoren mit einer elektrischen Leistung bis zu 300 MW.

Der Begriff SMR hat inzwischen Eingang in energie- und innovationspolitische Diskussionen gefunden. Jedoch ist der aktuelle SMR-Hype unbegründet, weil es sich um alte Reaktorkonzepte handelt, die sich aufgrund von ökonomischen Nachteilen durch die geringeren Leistungen nicht etabliert haben. Weiterhin bleiben sie radiologisch gefährlich, da sich die Probleme des vermehrten Transports und der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle vervielfachen würden.

Die Möglichkeit, Kernkraftwerke mit geringer Leistung zu bauen, ist seit den 1950er Jahren bekannt und stellt daher keine Innovation dar. Im Gegenteil: Der erste in den USA entwickelte SMR-Reaktor war ein für die US-Marine entwickelter Leichtwasserreaktor für den U-Boot-Einsatz. Nach seinem Einbau in das erste kommerzielle Kernkraftwerk in Shippingport, Pennsylvania, 1957 führte er zum Siegeszug der Leichtwasser-Technologie. Jedoch wurden diese Reaktoren mit geringen Leistungen lediglich als Ausgangspunkt genommen, um rasch zum Bau von größer dimensionierten Kraftwerken mit höheren Leistungen überzugehen. Die Suche nach Größenvorteilen führte in der Folgezeit dazu, dass die durchschnittliche elektrische Leistung von Kernkraftwerken bereits in den 1970er Jahren auf 500 MW stieg; heute liegt sie über 1000 MW.

Trotz jahrzehntelanger Forschung konnte kaum ein Kernkraftwerk der Kategorie SMR den kommerziellen Leistungsbetrieb aufnehmen. Vielmehr zeichneten sich die Versuche – wie auch bei Kernkraftwerken größerer Leistungsklassen – durch lange Entwicklungsphasen, kurze Betriebsphasen und sehr lange Rückbauphasen aus. Viele der historischen SMR-Reaktoren sind bis heute nicht endgültig entsorgt.

Zusätzlich zu den historischen Prototypen befinden sich derzeit lediglich sechs SMR-Reaktoren weltweit in Betrieb: beispielweise ein schwimmendes Kraftwerk vom Typ KLT-40S mit einer elektrischen Leistung von 64 MW im ostsibirischen Pewek, das nach 13 Jahren Bauzeit im Jahr 2020 in Betrieb ging. An dem Leichtwasserreaktorprojekt CAREM (Central Argentina de Elementos Modulares) in Argentinien wird seit den 1980er Jahren gearbeitet, eine Inbetriebnahme ist aufgrund des Baustopps in weite Ferne gerückt. Darüber hinaus befindet sich eine Reihe von Projekten in der Entwicklungs- beziehungsweise Genehmigungsphase. In den USA hat beispielsweise das leichtwassergekühlte Reaktordesign VOYGR der Firma NuScale eine Standarddesign-Lizenz für den Bau von Reaktoren erhalten; jedoch gibt es hierfür bisher kaum Nachfrage, und die Kosten sind zuletzt massiv gestiegen. Auch andere Länder wie Großbritannien oder Kanada beteiligen sich an der Entwicklung von SMR-Konzepten und rechnen in der Zukunft mit der Realisierung eines Demonstrationsreaktors.

Diese Projekte haben gemein, dass sie die ersten ihrer Art des jeweiligen Designs darstellen. Für solche frühen Prototypen beziehungsweise Demonstrationsprojekte ist der verlässliche Betrieb sowie die Etablierung einer potenziellen Serienproduktion weiterer Reaktoren gleicher Bauart noch völlig offen. Diese stellt aber die Voraussetzung für die notwendige Kostendegression dar. Es besteht aber keine Perspektive, die erheblichen Größennachteile durch Massenproduktion zu überkompensieren. Hierfür wäre bei optimistischer Betrachtung der Bau von mehreren Tausend baugleichen Kernkraftwerken notwendig. Zu beachten ist außerdem, dass ein massiver Bau von Reaktoren eine Harmonisierung und Standardisierung von Designs und Regelwerken benötigt, die auch mittelfristig kaum umsetzbar ist.

Selbst unter Annahme von optimistischen Rahmenbedingungen ist nicht von einem kostenmäßig wettbewerblichen Angebot auszugehen. Eine aktuelle Studie mit Beteiligung des DIW Berlin zeigt, dass in einer Simulation mit Zufallsstichproben (Monte-Carlo-Simulation) von SMR-Konzepten die zu erwartenden durchschnittlichen Stromgestehungskosten (levelized costs of electricity) für wassergekühlte Konzepte hierbei durchschnittlich zwischen 213 und 581 US-Dollar/MWh liegen. Damit wären sie, falls sie jemals gebaut würden, bereits aus heutiger Perspektive wesentlich teurer als Strom aus erneuerbaren Energien. Auch die problematische Produktion hochradioaktiver Abfälle bleibt weiterhin bestehen.

    Schnelle Brutreaktoren und andere nicht leichtwassergekühlte Reaktoren auf absehbare Zeit weder verfügbar noch wettbewerbsfähig

Jenseits von SMR wird diskutiert, ob in den nächsten Jahrzehnten Reaktortypen im industriellen Maßstab kosteneffizient zur Verfügung stehen könnten, deren Entwicklung in den 1970er Jahren aufgrund technischer Probleme und fehlender Wettbewerbsfähigkeit weitgehend eingestellt worden war. Dabei handelt es sich um nicht leichtwassergekühlte Reaktoren mit unterschiedlichen Kühlkonzepten und Neutronenspektren. Diese Reaktortypen werden in der Atomwirtschaft als "Gen IV"-Reaktoren bezeichnet, beziehen sich jedoch auf Technologielinien, die bereits in den 1940er Jahren entwickelt und in den 1950er Jahren zu Prototypen geführt haben. Neben Reaktoren mit einem schnellen Neutronenspektrum ("schnelle Brüter") handelt es sich dabei vor allem um Hochtemperaturreaktoren und Flüssigsalzreaktoren. Sie konnten sich nicht gegenüber der leichtwassergekühlten Reaktortechnologie durchsetzen

Seit circa 20 Jahren laufen nunmehr neue Bemühungen, diese Reaktortypen wieder anzuschieben. Zudem sollen Konzepte zur besseren Abfallbehandlung und höheren Brennstoffausnutzung realisiert sowie die Proliferationsrisiken (Weitergabe als kernwaffenfähiges Material) gesenkt werden Mit der Gründung des "GenIV International Forum" im Jahr 2001 haben sich 14 Mitgliedsstaaten, darunter die USA, China, Russland, die Staaten der EURATOM, das Vereinigte Königreich und andere zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, nicht-leichtwassergekühlte Reaktorkonzepte weiterzuentwickeln. Allerdings sind diese Bemühungen bisher technologisch und kommerziell wenig erfolgreich geblieben. Die Zeiträume, bis zu denen funktionstüchtige Demonstratoren in den geplanten Größenklassen (in der Regel weit über 300 MW) vorliegen könnten, werden vom Generation IV International Forum (GIF) regelmäßig verschoben, jüngst in die 2040er Jahre.

Die geringe Investitionsdynamik und fehlende Durchsetzungsperspektive der nicht leichtwassergekühlten Reaktorentwicklungen lassen sich anhand einer Technologielinie aufzeigen, die als am weitesten entwickelt gilt und für die derzeit ein Pilotprojekt in den USA geplant ist: Dabei handelt es sich um (natriumgekühlte) Reaktoren mit einem schnellen Neutronenspektrum, landläufig auch als "schnelle Brüter" bezeichnet. Dieser Reaktortyp wurde bereits während der 1950er Jahren entwickelt, insbesondere in der Sowjetunion und den USA, aber auch in Frankreich, Deutschland und Japan, später auch in China. In der Frühzeit der Reaktorentwicklung ging man davon aus, dass alle Technologielinien auf den schnellen Brutreaktor und die Plutoniumwirtschaft hinauslaufen würden

Viele Jahrzehnte nach den optimistischen Anfängen des "schnellen Brüters" machte sich allerdings sowohl technisch als auch ökonomisch Ernüchterung breit. So lässt sich die Entwicklung von schnellen Reaktoren vor allem über Projektabbrüche beschreiben. Anfängliche Demonstrationsprojekte in den USA wurden in den 1970ern aufgrund von ökonomischen, technischen und auch aufgrund von Proliferationsrisiken wieder eingestellt. Außerdem kam es immer wieder zu technischen Problemen wie Kühlmittelbränden, da das verwendete Kühlmittel Natrium bei Kontakt mit Wasser oder Luft hochreaktiv ist. Auch in Deutschland gab es Versuche, jene Reaktorkonzepte zu entwickeln, beispielweise den schnellen Brüter in Kalkar, der jedoch wegen sicherheitstechnischer Bedenken und fehlender wirtschaftlicher Perspektiven nie in Betrieb ging. Auch in Frankreich konnten sich schnelle Reaktoren nicht etablieren. Russland ist das einzige Land, in dem noch zwei derartige Reaktoren auf dem Gelände des Kernkraftwerks Belojarsk nahe Saretschny betrieben werden, allerdings ist der Sprung zur kommerziellen Nutzung ebenfalls ausgeblieben. China betreibt einen Forschungsreaktor nahe Peking (Fangshan) und baut derzeit einen ersten Demonstrationsreaktor in der Provinz Fujian. Nach der Stilllegung der Reaktoren mit schnellem Neutronenspektrum versucht nun auch das US-Energieministerium in Kooperation mit der Firma TerraPower erneut schnelle Reaktoren zu bauen – mit erheblicher staatlicher Förderung

Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Reaktoren hängt von drei wesentlichen Parametern ab: dem Uranpreis, den Baukosten und den Entsorgungskosten. In keinem der drei Bereiche ist ein Kostenvorteil für die schnellen Reaktoren abzusehen. Eine Berechnung des Break-Even-Preises von Uran zeigt auf, bei welchem Preis der Betrieb eines hypothetischen schnellen Reaktors mit Wiederaufbereitung genauso teuer wäre wie ein Leichtwasserreaktor ohne Wiederaufbereitung. Überschlägige Berechnungen legen nahe, dass der Uranpreis um ein Vielfaches höher liegen müsste als jener, den man am Markt beobachten kann. Die Baukosten für den in den USA geplanten Piloten sind nicht absehbar, dürften aber wesentlich höher liegen als die der leichtwasserbasierten Technologielinie, die ihrerseits weit teurer ist als andere Energiequellen. Auch bei den Entsorgungskosten ist von dem Pilotprojekt kein Vorteil absehbar.

    Umdenken

    in der Energiesystem-
    modellierung hat begonnen

Das geringe Potenzial der Atomwirtschaft zur Entwicklung von wettbewerbsfähigen Reaktorkonzepten wird inzwischen auch in Fachkreisen der Energiesystemmodellierung und integrierter Assessment Modelle (IAM) reflektiert. Diese hatten bisher teilweise sehr hohe Anteile an Atomenergie in Klimaschutzszenarien errechnet. So war bis vor Kurzem zu beobachten, dass Atomenergie als kohlenstoffarme Technologie Berücksichtigung in Klimaszenarien fand – und dies unabhängig von deren offensichtlich fehlenden Wettbewerbsfähigkeit. Im Mittel gehen Szenarien mit ansteigendem Anteil an Atomenergie davon aus, dass bis zum Jahr 2050 die jährliche weltweite Stromerzeugungsmenge aus Atomenergie etwa 5600 TWh beträgt – was mehr als einer Verdopplung der heutigen Stromerzeugung entspräche. Bei diesen Szenarien nahmen die Modellierer:innen bisher für Atomenergie niedrige Investitionskosten an. Gleichzeitig ging man für Erneuerbare aber von relativ hohen Kosten aus (insbesondere Solar) sowie von überhöhten Systemintegrationskosten für Erneuerbare bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Systemkosten der Atomenergie.

Jedoch hat in den Fachkreisen vor wenigen Jahren ein Umdenkprozess begonnen. Dieser führt dazu, dass sich das Energiemodellierungs-Paradox abschwächt und einer stärker an realwirtschaftlichen technischen Entwicklungen orientierten Modellierung und zugrundeliegenden Annahmen weicht. Dies zeichnet sich insbesondere durch aktualisierte Kostenannahmen für erneuerbare Energien, insbesondere für die Photovoltaik und die Kosten der Energiesystemintegration aus. Eine Vielzahl von Modellen identifiziert inzwischen nicht mehr Atomenergie, sondern erneuerbare Energien als den wesentlichen Treiber des zukünftigen Energiemix.

Vergleicht man die Energieszenarien des Berichts des Weltklimarats (IPCC) von 2018 mit dem im Jahr 2022, ist zu beobachten, dass die Anzahl von Szenarien mit einem starken Anstieg an Atomenergie (im Zeitraum zwischen 2020 und 2100) gesunken ist und sich der Anstieg an erneuerbaren Energien erhöht hat. Lag im Sonderbericht des IPCC zum 1,5-Grad-Ziel (2018) der Schwerpunkt noch bei zunehmenden Anteilen an Atomenergie, so hat sich dieser im 6. Sachstandsbericht des IPCC (2022) in Richtung steigender Anteile Erneuerbarer und sinkender Anteile Atomenergie verschoben. Auch die Modellier:innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) weisen in einem kostenoptimalen Dekarbonisierungspfad darauf hin, dass Atomenergie in den nächsten Jahrzehnten weitgehend durch erneuerbare Energien ersetzt werden müsste.

    Fazit:

    Atomenergieausbau
    technisch riskant und
    ökonomisch unrentabel
    – Schwerpunkt
    auf Entsorgung legen

Die Atomwirtschaft hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft, wettbewerbsfähige Reaktoren zu produzieren. Zudem führt die aktuelle Dynamik auf den Energiemärkten dazu, dass alte Kernkraftwerke zu Hunderten vom Netz genommen werden. In Deutschland, aber auch im übrigen Europa und weltweit steht dagegen ausreichend und kostengünstig erneuerbare Energie für ein klima- und plutoniumneutrales Energiesystem zur Verfügung.

Hoffnungen auf radikale Innovationen und die Ausbreitung von bisher nicht industriell erprobten Reaktorkonzepten erscheinen angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte als unbegründet: Die Idee, Kernkraftwerke mit geringen Leistungen zu bauen, wurde bereits in den 1950er Jahren praktiziert und dann aufgrund struktureller Kostennachteile rasch aufgegeben; auch deshalb sind heute vom SMR-Hype keine Verbesserungen zu erwarten. Versuche zur Wiederbelebung von bisher nicht durchgesetzten nicht leichtwassergekühlten Reaktoren werden zwar in einigen Ländern betrieben, dürften jedoch auch in den kommenden Jahrzehnten keinen industriellen Durchbruch zeigen. Deshalb sollten Bestrebungen nicht in die Erforschung angeblich neuer Reaktorkonzepte fließen, sondern sich auf die Herausforderungen des Rückbaus und der Lagerung radioaktiver Abfälle fokussieren. Die Atomwende, also die Abkehr vom System Atomenergie, ist erst dann gelungen, wenn die Hinterlassenschaften in Form von radioaktiven Abfällen möglichst sicher tiefengeologisch endgelagert sind.

Der Umdenkprozess in der Energiesystem- und integrierten Assessment-Modellierung spiegelt die geringen Perspektiven der Atomwirtschaft auf wettbewerbsfähige Reaktoren wider. Zwar teilten Expert:innen lange Zeit den Traum von der Plutoniumwirtschaft. Jedoch ist dieser Konsens in den vergangenen Jahren einer realistischeren Einschätzung von Technologie- und Kostenentwicklungen gewichen. Unter Berücksichtigung aktueller Trends und Daten bleibt Atomenergie den erneuerbaren Energien kostenmäßig weit unterlegen.

Aus der Analyse lassen sich folgende Implikationen ableiten: Die Politik sollte sich im Rahmen der Forschungsförderung künftig auf Bereiche konzentrieren, von denen substanzielle Beiträge zur Energiewende zu erwarten sind, wie erneuerbare Energien, Speicher und andere Flexibilitätsoptionen. Atomenergie gehört nicht dazu. Bemühungen, Energieproduktion aus Kernkraftwerken, zum Beispiel Wasserstoff, das Label "grün" beziehungsweise "nachhaltig" anzuhängen, sollte sie entschieden entgegentreten. Bei der Ausgestaltung des Stromsektordesigns in Deutschland und Europa sollten Lösungen abgelehnt werden, die auf die Subventionierung von Kernkraftwerken zielen (wie zum Beispiel in Frankreich und Polen).@

Die Studie samt Tabellen und Grafiken ist zu sehen unter
https://www.diw.de/de/diw_01.c.867887.de/publikationen/wochenberichte/2023_10_1/ausbau_von_kernkraftwerken_entbehrt_technischer_und_oekonomischer_grundlagen.html

 

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