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Anmerkungen zur Taxonomie-Entscheidung der EU Nachhaltigkeitsaspekte der Urangewinnung von Scientists for Future Keypoint-Paper Kernkraft 01 2023
Atomkraft ist im Rahmen der EU-Taxonomie zu einer grünen Technologie erklärt worden, ohne jedoch bei dieser Entscheidung die bergbauliche Gewinnung des Urans und die Endlagerung zu berücksichtigen. Deshalb werden in der vorliegenden Arbeit die verschiedenen Urangewinnungsmethoden und ihre Wirkungen auf die Umwelt dargelegt. Weil es sich um den Abbau eines Gefahrstoffes handelt, entstehen zusätzlich zu den üblichen Beeinträchtigungen durch Bergbau spezifische Risiken und zukünftige Lasten. Auch die Aufbereitung und Weiterverarbeitung ist risikoreich und belastet Umwelt und Menschen. Es besteht ein signifikantes Missverhältnis zwischen den oft sozialisierten Sanierungskosten solcher Altlasten und den Gewinnen aus dem Uranbergbau. Das zweite Kapitel bewertet diese Fakten und zeigt auf, dass Umwelt-, Sozial- und Governancebelange des Uranbergbaus sehr hohe bis hohe Risiken bergen, die v. a. in der Radioaktivität und Toxizität der Rohstoffe gründen. Hinzu kommen politische Risiken durch die enge Beziehung zwischen der Nutzung des Urans als Energiequelle und seiner Verwendung für die atomare Rüstung.
Im Zuge der Diskussion um Nachhaltigkeit bzw. um das Label "grün" kommt der EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte besondere Bedeutung zu. Sie ist als wissenschaftsbasiertes Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten angelegt, die es dem Finanzsektor ermöglichen soll, verlässlich nachhaltige Finanzprodukte anzubieten. Mit der Entscheidung des EU-Parlaments vom 06.07.2022 wurden Erdgas und Kernkraft als grüne (Übergangs-)Technologien klassifiziert. Dies wird von vielen Experten, u.a. aus dem deutschen Umweltbundesamt (Umweltbundesamt 2022), kritisiert. Bei der Einstufung der Atomkraft ist in der EU-Taxonomie die primäre Atombrennstoffgewinnung, also der Uranbergbau, komplett unberücksichtigt geblieben, trotz ihrer enormen Umwelt-, Sozial- und Governancerisiken. Ebenso wurden die ökonomischen Langzeitfolgen vernachlässigt, die sich aus den Ewigkeitsaufgaben der Nachsorge von Uranbergbaubetrieben ergeben.Bezeichnenderweise wird der im Bergbau gewonnene Rohstoff Uran in den Nachhaltigkeits¬systemen wie z. B. IRMA (Initiative for Responsible Mining Assurance) entweder ausgeschlossen oder nicht betrachtet. Es ist Ziel des vorliegenden Positionspapiers, diese im Vorfeld der energetischen Nutzung auftretenden Nachhaltigkeitsrisiken aus Sicht der Geo- und der Umweltwissenschaften zu analysieren und zu bewerten.
Das vorliegende Positionspapier des Arbeitskreises "Grüne Kernkraft?" der Rohstoffgruppe der Scientists for Future (S4F) baut auf dem S4F-Diskussionsbeitrag "Kernenergie und Klima" auf. Wir vertiefen die dort unter Abschnitt 1.3.1. kurz umrissenen geologisch-lagerstättenkundlichen Aspekte der Thematik und versuchen, die zwangsläufig aus der Lagerstättennutzung entstehenden Schäden auf Mensch und Natur, die resultierenden Schließungs-, Sanierungs-, Sozial-, Gesundheits- und Umweltkosten abzuschätzen. Neben den seit langem bekannten Umweltbeeinträchtigungen durch herkömmlichen Bergbau kommt hier die über Jahrmillionen wirkende Radiotoxizität der geförderten Substanzen hinzu. Der Text ist deshalb von allgemeinem Interesse v. a. in den Ländern, in denen Uranbergbau stattfindet und die daraus Nutzen ziehen. Die Behauptungen der Befürworter der Atomkraft als Technologie gegen die Klimakrise ("grüne Atomkraft”) sind: Atomkraft erzeugt minimale Treibhausgasemissionen, erfordert wenig Material- und Flächenverbrauch, hat die höchste Energiedichte und eine hervorragende Gesundheitsbilanz; weitere Argumente werden in Brunnengräber et al. (2023) genannt.Weder in der interdisziplinären MIT-Studie "The Future of Nuclear Energy in a Carbon-Constrained World" noch in der Taxonomie der EU Kommission werden die Entwicklungen, Zustandsveränderungen und Emissionen berücksichtigt, die an den Orten der Extraktion und Konzentration von Uranerz erfolgen. Dies ist ein Widerspruch, weil die EU-Kommission soeben an der Entwicklung einer Direktive zur Lieferkettenver- antwortung arbeitet, welche die up-stream-Elemente der Wertschöpfungskette betrifft, also Bergbau, Aufbereitung und Veredelung. Die Versorgung der AKWs insbesondere in Frankreich basiert auf Materiallieferungen aus dem Land Niger, das als hochproblematisch im Bereich (Rohstoff-) Governancequalität anzusehen ist (World Bank 2020). Bei der Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Wirtschaftstätigkeit gemäß der EU-Taxonomie wurden diese problematischen Produktionsverhältnisse und -stadien ausgeklammert. Ebenso blieben die Ewigkeitsaufgaben, die durch die radioaktive Belastung in den Bergbaugebieten entstehen, unberücksichtigt. Das ist ebenso wi- dersprüchlich wie unverantwortlich und gefährlich.
Bisher wurde eine Beschreibung der Situationen in den Uranbergbaugebieten der Welt in der Debatte weitestgehend ausgeklammert. Wesentliche Information über die ersten Stadien der gesamten Uranerz-Wertschöpfungskette für die industrielle Energiewirtschaft sollen hier ergänzt werden; so wird die Informationsbasis zur politischen Debatte verbreitert und vervollständigt. Die dargelegten Zusammenhänge beziehen sich vornehmlich auf die physikalischen, chemischen und biolo- gischen Einflüsse des Uranbergbaus auf die Umwelt. Das sind insbesondere die negativen Wirkungen der in den industriellen Absetzanlagen (Haldenmaterial, Schlammteiche) vorhandenen und bei Abbau und Extraktion freigesetzten chemischen Stoffe auf die Qualität von Böden, Grund- und Oberflächenwässer, auf die Atmosphäre und auf die Ökosysteme. Es geht um die Mobilisierung und anschließende Anreicherung chemo- und radiotoxischer Gefahrstoffe in organischem Material bzw. nachfolgen- de Ablagerung im Sediment und um die unvermeidbare Verbreitung von Uran in der Umwelt bei seiner weiteren industriellen Verarbeitung und die dar- aus resultierenden Schäden und Kosten. Uranlagerstätten entstanden in einem breiten Spektrum geologischer Gegebenheiten, weil sich das Element Uran (U) aufgrund seiner chemischen Eigenschaften in der Erdkruste anreichert und sich als UVI+-Ion in sauerstoffhaltigen Wässern und Fluiden hochgradig mobil verhält. Ökonomisch verwertbare Konzentrationen an Uranmineralien können gebunden sein u. a. an Sandstein, Granitgestein, Vulkaniten, magmatisch-hydrothermale Gangmineralisationen, Diskordanzen sowie an spezifische Gesteinsarten wie Schwarzschiefer, Phosphat, Koh- le und Quarzkonglomerat, das älter als 2,3 Mrd. Jahre ist. Im Gestein vorhandene Konzentrationen an Uranmineralien können ab 0,01 Gew.% ökonomisch verwertbar sein; in der Regel kommt Gestein mit Gehal- ten zwischen 0,06 und 1,0 Gew.% zum Abbau. In den Ländern Australien, Kanada, Kasachstan, Namibia, Niger, Russland, USA und Usbekistan erfolgt ca. 90% des Uranbergbaus..
Entsprechend dem Lagerstättentyp können im erzhaltigen Gestein neben Uran und seinen Zerfallsprodukten auch assoziierte Metalle/Schwermetalle wie z. B. Gold, Platin, Zinn, Wolfram, Selen, Molybdän, Cadmium, Cobalt, Kupfer, Silber, Zirkon, REE, etc. vorhanden und förderbar sein . Natürlich vorkommendes Uran besteht zu ca. 99,27% aus dem Isotop 238U; und nahezu der gesamte Rest (0,72%) aus 235U Eine Unterscheidung zwischen Uranbergbau für KKW und dem für Atomwaffen ist nicht möglich: Es sind dieselben Lagerstätten und Produktionsmethoden. Das aus dem Yellowcake hergestellte UO2 (Urandioxid) wird in technisch aufwändigen Schritten auf 4% für die Anwendung in KKW und auf über 90% 235U für die Ladung in Atomwaffensprengköpfen angereichert. Notabene: Nach Abrüstungsverhandlungen wurde Waffenuran abgereichert, um es in AKWs verwendbar zu machen. Die Extraktion des Rohstoffs geschieht hauptsächlich mittels zweier Methoden: • Lösungsbergbau ("in situ”(am natürlichen Ort)-Laugung): Hier werden Lösungsmittel über Bohrungen in uranhaltige, poröse Sandstein-Schichten injiziert, die zwischen undurchlässigem Gestein lagern. In einem geschlossenen Kreislauf wird die gelaugte Lösung über Entnahmebrunnen gefördert. Mit dieser technisch weniger aufwändigen und immer häufiger genutzten Methode werden ca. 70 - 80% des Urans global produziert. • Im Tage- oder im Stollen-/Grubenbau wird das Roherz gefördert. Daraus stellt man Gesteins-Haufwerke oder zwecks Vervielfachung der reaktiven Trennflä- chen der Mineralkörner des Gesteins in Kugelmühlen zu Pulver zerkleinertes Gestein her. Dann erfolgt die chemische Extraktion des Uran: Bei Quarzgestein wird schwefelige Säure, bei karbonatischem Gestein Natriumbicarbonat verwendet. Zusätze oxidierender Lösungen wandeln unlösliches UIV+ in lösliches UVI+ um. Nach Anwendung der ersten Methode verbleiben als Resultat Teile eines wasserleitenden Schichtpakets mit stark veränderten chemischen Eigenschaften und Durchlässigkeitswerten: Bei keinem der anschließenden Sanierungsversuche nach "in situ"-Laugung konnten in den USA die ursprünglichen Verhältnisse in dem wasser- leitenden Schichtpaket wiederhergestellt werden. Bei Anwendung der zweiten Methode werden wegen der oft geringen primären Urankonzentrationen große Mengen an Abraum und Gesteinsschlamm in industriellen Absetzanlagen produziert. Beide Arten von chemisch behandelten Reststoffen werden nahe den Abbauge- bieten gelagert und erstaunlicherweise als NORM (Naturally Occurring Radioactive Materials) bezeichnet; für sie besteht keine bzw. nur selten weitere Verwendung. In weiteren technischen Verarbeitungsschritten wird aus den gelaugten Lösungen Yellowcake (U O ) hergestellt. Wichtig ist: 75% des ursprünglichen, radioaktiven Inhalts des erzhaltigen Gesteins verbleibt bei Anwendung der zweiten Methode im Abraum und in den Schlammteichen. Die Herstellung von 1 t Yellowcake bedingt bei Anwendung der Methode 2 den Abbau von durchschnittlich 913 t uranhaltigem Gestein durch Sprengung, Verarbeitung und schließlich Deponieren von ca. 912 t Gesteinsschlamm in den industriellen Absetzanlagen. Die jährlich bereitzustellende Materialmenge zum Betrieb eines 1 GW AKWs entsprechend 8,76 TWh elektrische Arbeit benötigt 27 t angereichertes UO , das aus 230 t Yellowcake hergestellt wird. Der jährliche Zuwachs in den industriellen Absetzanlagen neben den Bergwerken beträgt somit 210.000 t, entsprechend 105.000 m³ gemahlenem und gelaugtem Gesteinsschlamm, der die oben genannten Chemikalien sowie radioaktive und toxische Metallverbindungen enthält. Zum besseren Verständnis der Größe dieser Zahl: dieses Volumen entspricht einem mit Schadstoffen angereicherten Würfel mit Kantenlänge von knapp 47,2 m – jedes Jahr für jedes AKW mit 1 GW Leistung. Von 1951 bis 2017 wurden in 41 Ländern 754 AKWs gebaut. 450 Atomreaktoren waren 2019 in Betrieb und 55 befanden sich in der Bauphase. Insgesamt sind von 1949 bis 2019 ca. 3.050.000 t U3O8 weltweit produziert worden. Eine Abschätzung der Größenordnung der seit Beginn des Atomzeitalters in den Uran-Bergbauarealen entstandenen Menge an Reststoffen inklusive Strahlung ergibt: Zwischen 1942 und 2004 sind ca. 1,8 Mrd. m³ Abraum und Gesteinsschlamm entstanden; die darin enthaltene Radioaktivität belief sich auf 3,3 × 1016 Bq. Da von 2004 - 2018 zusätzlich ca. 700.000 t U3O8 hergestellt wurden, erhöhen sich die Volumina an Abraum und Schlammteichen auf 2,12 Mrd. m³. Mit dieser Menge könnte man eine Fläche von 310 km² (entsprechend der Stadt Berlin) mit einer 2,4 m dicken Schlammschicht bedecken.
Bei Abbau, Aufbereitung und Konzentration von Uran kommt es sowohl zu den seit langem allgemein bekannten Umweltbeeinträchtigungen durch Bergbau als auch zu solchen, die uranspezifisch sind. Weil aber erstere immer noch ein komplexes und teures Problem darstellen, werden im Folgenden beide besprochen. Im Schlammteich und Haldenmaterial treten chemische Reaktionen auf: Regen- und Schneeschmelzwasser sowie Sauerstoff verursachen bei diesem Gestein mit seinen großen reaktiven Oberflächen zusammen mit bakterieller Tätigkeit das rasche Einsetzen der Sulfid-/Pyrit-verwitterung und die Entstehung schwefeliger Säure. In den sauren Wässern werden dabei Metall-/Schwermetallionen mobilisiert; man nennt solche sauren, giftigen Sickerwässer AMD: acid mine drainage. Diese mischen sich auch in aufgelassenen Untertage-Stollen und Tagebauen nach Abschalten der Pumpen mit aufsteigendem Grundwasser. Die Qualität von Oberflächen- und Grundwässern wird durch AMD beeinträchtigt, wenn keine oder nur unzulängliche/defekte technische Barrieren vorliegen. Am Beispiel des 700.000 m³ umfassenden Schlamm- teichs der ehemaligen Grube Schneckenstein (Erzgebirge, Sachsen) lässt sich das erläutern: Seit Stilllegung im Jahr 1957 bis zum Sanierungsbeginn 1990 gerieten jährlich 80 kg Uran sowie erhöhte Mengen an As, Mo, Co,Zn, Cu über Sickerwässer in das Fließgewässernetz. Das Schlammteich-Metallinventar hatte eine Gesamtmasse von 45.000 t und bestand aus 20 Schwermetallen. Die Schwermetalle werden auf diese Art über den Wasserweg von Lebewesen aufgenommen und gelangen in den Nahrungskreislauf. Solche Altlasten, die vor Einrichtung technischer Standards geschaffen wurden, sind in allen Uran-produzierenden Ländern in höherer Zahl vorhanden. Es sind große Herausforderungen, sie zu sanieren und zu renaturieren; und in der Regel werden solche Belastungen sozialisiert. Um Kontaminationen von Grund- und Oberflächenwässern durch Sickerwässer dieser Art zu verhindern, hat man die Abraumhalden und Schlammteiche mit Ab- dichtungen (technische Barrieren, Multibarrieren) versehen. Weil diese aber über die Zeit durchlässig werden können, muss ihre Dichtheit ständig überwacht werden. Abdeckungen von Abraumhalden und Schlammteichen verhindern den Austrag schadstoffhaltigen Staubs; aber auch diese Schutzeinrichtungen bedürfen der ständigen Überwachung. Ein weiteres Problem ist ausgasendes Radon, das von solchen Punktquellen aus die Luft- qualität in windabgewandter Richtung beeinträchtigt. Reparatur, permanente Instandhaltung und Monitoring der Dämme und Barrieren, welche die Abraumhalden und Schlammteiche stabilisieren, sichern, abdecken und abdichten, bleiben Dauerlasten und -risiken, solange dieses Material keiner anderen Verwendung zugeführt werden kann. Weil es wegen des Klimawandels häufiger zu Starkregenfällen kommen kann, besteht ein zunehmendes Überflutungsrisiko der Dämme und es stellt sich die Frage, ob sie deshalb nachgerüstet werden müssen, damit sie im Ereignisfall stabil bleiben. Gleiches gilt für die Dämme von Abraumhalden und Schlammteiche in Meeresküstennähe, die vom ansteigenden Meeresspiegel und von Fluten in ihrer Standfestigkeit beeinträchtigt werden können. Es ist eher unwahrscheinlich, dass in Ländern mit schwacher Governance die Standards des sorgfältigen Monitoring von Bergbau-Altlasten und ihrer verlässlichen Nachsorge (ICMM 2020) angewendet werden. Obwohl bei "in-situ"-Laugung keine massiven Beeinträchtigungen wie die durch Tagebau geschehen, ist dieses Verfahren ebenfalls hochproblematisch: Für die Extraktion von 1 kg Uranverbindungen werden 40 kg Lösungsmittel und bis zu 33 kWh Energie benötigt. Anschließende Maßnahmen zur Sanierung der ausgebeuteten Schicht sind von begrenztem Erfolg: es stellte sich bei Sanierungsversuchen heraus, dass die Wiederherstellung der ursprünglichen chemischen Situation (vor Beginn der "in-situ”-Laugung) in der uranhaltigen Formation nach Erschöpfung des Bohrfeldes weder technisch noch wirtschaftlich möglich war. Hinzu kommt das Problem, verbrauchte Laugungsflüssigkeiten fachgerecht zu entsorgen. Außerdem ergibt sich eine qualitative Beeinträchtigung benachbarter Grundwasserschichten: Weil im Bereich solcher Uran- Vorkommen undurchlässige Gesteinsformationen mehrfach durchbohrt werden müssen, steigt dort das Risiko lokaler Undichtigkeiten. In Anbetracht der hier beschriebenen umfangreichen Umweltauswirkungen, Sanierungs- und Nachsorge- maßnahmen bei Uranbergbau und Aufbereitung dieses Metalls ist es nur schwer vorstellbar, dass nach LCAs (Life Cycle Analysen) die Treibhausgasemissionen eines AKW nur von geringer Bedeutung sein sollen: bei LCAs betreffend die Herstellung von Uranbrennstoff liegen die Treibhausgasemissions-Werte zwischen 67-103g CO eq/1kWh (Nakagawa et al. 2022). Norgate et al. (2013) und Kadiyala et al. (2016), die hierfür noch geringere Werte ermittelt haben, meinen jedoch, dass bei den zu erwartenden fallenden Erzgehalten in den Abbaugebieten und den sich erhöhenden Abbautiefen die Treibhausgasemissionen weiter steigen werden.
Bergbau im Allgemeinen und Uranbergbau im Speziellen haben durch ihre unerwünschten Nebenwirkungen Natur und Mensch vor Ort beeinträchtigt. Typische nachteilige Folgeschäden sind Bergbauschäden (Geländeabsenkung, Erdfall, künstliche Erdbeben wegen großer Gesteinsmassenverlagerung), Bergbaufolgelandschaften mit beeinträchtigten Landschaftsfunktionen, Trauer wegen Umweltzerstörung, Vergiftungen wegen Oberflächen- und Grundwasserbeeinträchtigung, radiotoxischer Staub und Radon-Exposition; Umsiedlungen, Berufskrankheiten (e. g. Silikose, Staublunge, Lungenkrebs [historisch: Bergsucht, Schneeberger Krankheit], Bronchialkrebs, Leukämie, Nierenerkrankungen und Erbgutschädigungen).
Im Folgenden werden die gesamten globalen Schließungs-, Sanierungs-, Renaturierungs-, Sozial-, Gesund- heits- und Umweltkosten durch den seit 1942 erfolgten Uranbergbau abgeschätzt. Die Uranbergbau-Altlasten in Sachsen und Thüringen zählen zu den weltweit größten und werden entsprechend gesetzlicher Anforderungen saniert. Somit können sie als Vergleichs- und Referenzobjekte dienen. Die veranschlagten Sanierungskosten wegen der Uran-Bergbautätigkeit der Wismut SDAG, die von 1946 bis ca. 1989 ca. 216.350 t Yellowcake produziert hat, werden mit 8,9 Mrd. (1990 bis 2050) veranschlagt (Wismut GmbH; eine andere Schätzung geht für die gesamten Schließungs- und Sanierungskosten jedoch von ca. € 30 Mrd. aus. Die Kosten für Stilllegung und Sanierung der Uranbergbau-Altlasten in den 14 größten U-produzierenden Ländern wurden 1993 auf 3,7 Billionen $ geschätzt. Die Schließungs- und Sanierungskosten für alle Uranminen in den USA wurden 2007 auf 2,3 Billionen $ geschätzt. Wenn man den maximal erzielten Marktwert für Yellowcake (2007: $ 136,22/1kg) zu Grunde legt, dann sind die soeben genannten Kosten um gut eine Zehnerpotenz höher als der hypothetische Erlös aus dem Verkauf allen Yellowcakes, der weltweit zwischen 1949 und 2019 hergestellt worden ist. Die Langzeitwirkungen radiotoxischer Schwermetalle und ihrer Konzentrate übersteigen jedes menschliche Vorstellungs-, Planungs-, Kontroll-, Vorsorge- und Ver- antwortungsvermögen.
Die bergbauliche Förderung von Uranerzen und deren Verarbeitung zum Zweck der Stromerzeugung weist ein sehr hohes Umweltgefährdungspotenzial (und damit Schadstoffrisiken, Eingriffe in den Naturraum, Störfallgefahren, Wassernutzungskonkurrenz und Gefährdung schützenswerter Ökosysteme) auf, das sich aus unter- schiedlichen Teilaspekten gemäß der im Auftrag des Umweltbundesamtes entwickelten ÖkoRess-Methodologie herleitet (Umweltbundesamt 2017 und 2020). • Wegen der geologischen und geochemischen Gegebenheiten, unter denen der Uranbergbau stattfindet, entstehen hier saure Grubenwässer (Acid Mine Drainage: AMD) und Sauerwässer aus Mineralverwitterung (Acid Rock Drainage: ARD). Des Weiteren weisen Uranlagerstätten hohe bzw. stark erhöhte Schwermetallkonzentration auf. Hier sind - neben dem hochtoxischen und radioaktiven Uran selbst - Seltene Erden, Arsen, Vanadium, Zirkonium, Thorium und andere zu nennen. Viele der Uran- minerale sind in sauren und oxidierenden sauerstoff- haltigen Wässern löslich, wodurch die Giftstoffe aus dem Gestein mobilisiert und in die Umwelt (Gewässer und Böden) freigesetzt werden. Hinzu kommen die hohe Radioaktivität und das Ausgasen von Radon in die Atmosphäre. • Weitere Gründe für das hohe Umweltgefährdungspotenzial des Uranbergbaus sind in der Technik der Gewinnung und Aufbereitung zu finden:der Rohstoff wird überwiegend durch die In-situ-Laugung gewonnen, bei der uranhaltige, wasserdurchlässige Schichten erbohrt und der Rohstoff durch Einleiten von Chemikalien (Laugung) und Abpumpen der Lösungen gewonnen wird; in den meisten Fällen ist das wasserdurchlässige Schichtpaket nach der Urangewinnung beschädigt. Daneben besteht die klassische Methode durch Festgesteins-Abbau, der aufgrund der geringen Uranerzgehalte mit großen Gesteinsmassenbewegungen einhergeht. Die erheblichen Mengen an Gestein, die bei der Aufbereitung zerkleinert werden, führen zu sehr großen Feinstoffhalden, die der Erosion durch Wasser (Regen und Überflutungen) und Wind (Verwehen von radioaktiven und toxischen Stäuben) ausgesetzt sind. Bei der Aufbereitung des Rohstoffs werden große Mengen an Wasser eingesetzt, was besonders an den ariden Standorten, an denen sich eine Vielzahl dieser Lagerstätten befindet, zu Verstärkung des Wassermangels führt. Zudem entstehen große Mengen toxischer Reststoffe, die zusammen mit den einge- setzten Hilfsstoffen (Säuren, Laugen, Lösungsmittel etc.) besonders problematisch zu entsorgen sind. • Bedeutsam sind zudem die Wirkungen der Urangewinnung auf das Klima, weil allein der Bergbau je nach Gewinnungsmethode und Weiternutzung des Brennstoffes zwischen 10 und 70% der Treibhaus- gasemissionen der Aomkraftzyklus ausmacht. Ausserdem stößt der Uranbergbau auf Lagerstätten mit immer geringer werdenden Erzgehalten, was einen höheren Energieeinsatz und damit mehr Treibhausgasemissionen bedingt. Hinsichtlich der Sozialaspekte bei der Urangewinnung ist ebenfalls ein hohes Risikopotenzial (und damit Gefahren für Mensch und Gesundheit) zu konstatieren. • Die allgemeinen Menschenrechte – hier Art. 25.1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, das Recht auf Wohlfahrt - sind im Umfeld der Gewinnungsstätten (Gruben und Aufbereitungsanlagen) eingeschränkt: es besteht dort erhöhte Exposition gegenüber radioaktiver Strahlung und windverfrachteten radioaktiven Stäuben. •Die Arbeitsbedingungen entsprechen insbesondere in Entwicklungsländern (Niger, Marokko, Kasachstan, Namibia, Usbekistan, Demokratische Republik Kongo und andere) wegen Verletzung international geltender Standards bei Arbeitssicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, bei fairer Entlohnung und wegen Verletzung der Vereinigungsfreiheit nicht den Minimalstandards der International Labour Organization . • Bezüglich der lokalen Lebensgrundlagen und Belange entstehen Konflikte im Umfeld von Urangewinnungsbetrieben wegen mangelhafter Beteiligung lokaler Stakeholder bei der Genehmigung der Betriebe, wegen Konkurrenz um die Ressource Wasser, sowie wegen mangelhafter Unfall- und Katastrophenprävention. Dazu kommt die mangelnde Teilhabe der Ur- sprungsregionen an den Erlösen aus dem Bergbau. Die ungerechte Verteilung von Chancen, Risiken, Kosten und Nutzen ist einerseits wesentlicher Faktor gegen Nachhaltigkeit und andererseits Auslöser für Proteste und geringe Akzeptanz des Bergbausektors. Fragen der Rohstoffgovernance haben sowohl auf Ebene der rohstoffproduzierenden Länder als auch im internationalen Rohstoffhandel große Bedeutung; besonders der Rohstoff Uran birgt ein hohes Risikopotenzial, speziell hinsichtlich der Umsetzung gültiger Rechtsnormen und Standards, sowie dem Schutz der Rechte von Bevölkerung und Natur: • Insbesondere in den oben genannten Entwicklungsländern stellen Korruption und Bestechung, unlautere politische Einflussnahme durch Unternehmen sowie Defizite im Vollzug des gültigen Rechtsrahmens ein ausgeprägtes Problem dar, wie sich dies in den World Governance Indicators der Weltbank bzw. dem Corruption Perception Index von Transparancy International widerspiegelt. Angesichts der Tatsache, dass z.B. Frankreich sein Uran aus dem Niger bezieht, besteht keineswegs eine Garantie für Nachhaltigkeit der upstream-Lieferkette und für die Durchsetzung verantwortungsvoller Aufsicht bei der Rohstoffgewinnung. Der aktuelle Ukrainekrieg und die internationalen Sanktionen haben aus Sicht einiger Experten eine extrem hohe Abhängigkeit der USA von Uran aus Russland ans Licht gebracht. Schließlich führt die Uranförderung zu kaum kalkulierbaren ökonomischen Gefahren und Risiken wegen der Ewigkeitslasten, also dem strahlenden Erbe in Form von aufgelassenen Tagebauen, Halden und Schlammteichen. Allein in Deutschland schlägt die Sanierung der SDAG Wismut mit hohen Milliardenbeträgen zu Buche, die der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Auch wenn z. B. in dünn besiedelten ariden Gebieten Aufwand und Kosten für Sanierungen nicht so hoch ausfallen dürften, tragen die Länder, in denen Uran zur Stromerzeugung genutzt wird, für diese Folgekosten eine hohe Mitverantwortung.
Die Herstellung von Urandioxid für AKWs kann - so zeigen unsere Ausführungen - nicht klimaneutral und nachhaltig geschehen. Nach den Zahlen zu urteilen, haben auch Materialverbrauch und Flächeninanspruchnahme in den Bergbaugebieten negative Folgen für Mensch und Natur. In einer vollständigen Ökobilanz von Atomenergie müssen selbstverständlich auch die ersten Stadien der Wertschöpfungskette - hier die Vorgänge und Entwicklungen in den Bergbaugebieten - berücksichtigt und eingerechnet werden; man darf sie nicht vernachlässigen, ebenso nicht die zu erwartenden Kosten für die Endlagerung von "Atommüll". Historisch ist die so genannte "friedliche Nutzung" der Atomkraft eng verbunden mit ihrer militärischen Verwendung. Der zentrale Grund, warum Frankreich sich weigert, die Nutzung von Atomkraft zu beenden, dürfte sein Status als Atommacht sein. Macron spricht dies ganz offen aus; in den USA und GB dürfte der Sachverhalt ähnlich liegen. Politisch erscheint ein endgültiger Ausstieg aus der energiewirtschaftlichen Nutzung dieser Hochrisikotechnologie ohne eine Überwindung der atomaren Abschreckung kaum möglich. Diese ist jedoch aufgrund der aktuellen politischen Situation in noch weitere Ferne gerückt als vor dem 24.02.2022. Zudem dürfte die Taxonomieentscheidung der EU einerseits dazu führen, dass so dringend für die Energiewende benötigte Mittel nun doch wieder in die Förderung von Erdgas und Atomenergie fließen und damit der Ersatz dieser klima- und umweltschädigender Technologien durch klimaneutrale Entsprechungen verzögert wird. Andererseits wird dadurch der Export von Umwelt und Sozialkosten in die Gewinnungsländer – und damit über- wiegend in den globalen Süden – legitimiert. Insofern steht zu befürchten, dass sich die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie aus umwelt-, klima-, sozial-, energie- und entwicklungspolitischer Sicht als Fehlentscheidung herausstellen wird.
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