Die Energiewende in Europa kündigt einen
grünen Extraktivismus in Lateinamerika an


Energiewende und grüne Ausbeutung

von Kristina Dietz

Die Energiewende in Europa lässt den nächsten Rohstoffboom erkennen. Eine wachsende Nachfrage nach sogenannten kritischen Rohstoffen – das heißt nach jenen Metallen, die wie Kupfer, Lithium und Kobalt für einen klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und Energiesysteme unerlässlich sind – treibt die Preise in die Höhe. Inwiefern diese Entwicklung in den rohstoffreichen Regionen der Welt zu einem neuen, grünen Extraktivismus führt, ist nicht nur eine Frage von Nachfrage und Preisen, sondern auch abhängig von politischen Entscheidungen und den Kämpfen um die Verfügung, Art der Aneignung und Nutzung der kritischen Rohstoffe.

Wo eine staatliche ökologische und soziale Regulierung nicht gelingt, stehen soziale Bewegungen vor der Herausforderung, nicht nur gegen die Ausweitung der Rohstoffausbeutung zu mobilisieren. Sie müssen auch gegen einen hegemonialen grün-technologischen Diskurs ankämpfen, der es erschwert, internationale Allianzen zu knüpfen.

    Grüne Energiewende

Seit Ende 2020 verteuern sich alle in Preisindizes zusammengefassten Rohstoffarten, vor allem die Preise für kritische Rohstoffe steigen rapide. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Neben den Erwartungen auf einen Wachstumsschub nach der Corona-Pandemie und den Folgen des Ukraine-Kriegs für die globale Rohstoffversorgung treiben auch die weltweit verkündeten staatlichen und suprastaatlichen Programme zur klimaneutralen Energiewende die Gewinnerwartungen und Preise an. Eines dieser Programme ist der European Green Deal (Europäischer Grüner Deal) der EU-Kommission. Ziel dieses ökologischen Modernisierungspakets ist es, Europas Wirtschaft bis zum Jahr 2050 zu dekarbonisieren, das heißt klimaneutral zu gestalten. Da Klimaneutralität vor allem durch eine Elektrifizierung von Wirtschaft und Mobilität erreicht werden soll, ist der Zugang zu Metallen wie Kupfer oder Lithium unerlässlich. Für die Leitung von Strom wird Kupfer, für seine Speicherung in Batterien Lithium benötigt. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert, dass die Nachfrage nach Lithium bis 2040 im Vergleich zu 2020 um das 43-Fache, nach Kupfer um das 28-Fache ansteigen wird.

Die deutsche Bundesregierung verfolgt mit der Energiewende ähnliche Ziele. Bis 2030 sollen nach den Wünschen der gegenwärtig regierenden Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen 15 Millionen Elektroautos zugelassen sein. Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine hat sie zudem ihre Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich nach oben korrigiert und dabei zugleich den Diskurs verändert: Erneuerbare Energien sind angesichts der nun problematischen Importe von Gas, Kohle und Öl aus Russland nicht mehr nur ein Mittel zum Klimaschutz, sondern sie sind zu einer "Frage der nationalen Sicherheit" und zu "Freiheitsenergien" geworden.

Sowohl die EU als auch die bundesdeutsche Ampelkoalition setzen zur Bearbeitung der Energie- und Klimakrise vor allem auf Technologie und Innovationen. Einen Teil der für diese technikfixierte grüne Energiewende benötigen Rohstoffe wollen EU und Deutschland aus Recycling gewinnen. Der Großteil soll jedoch aus jenen Ländern importiert werden, die über hohe Vorkommen verfügen und denen in der internationalen Arbeitsteilung kapitalistischer Warenproduktion bereits historisch die Rolle von Rohstofflieferanten zufiel – das heißt vor allem aus Ländern Afrikas und Lateinamerikas.

Zu befürchten ist daher, dass die auf Dekarbonisierung abzielende ökologische Modernisierung möglicherweise einen neuen globalen Rohstoff-Superzyklus befördert. Dieser könnte sich in eine neue Phase der Akkumulation durch Enteignung von Rohstoffen und Böden im globalen Süden übersetzen. Anders als beim letzten Superzyklus Anfang der 2000er-Jahre liegt der Fokus diesmal nicht nur auf fossilen Energieträgern, Edel- und Industriemetallen, sondern nunmehr auch auf jenen "Schmierstoffen", die eine grüne, elektrifizierte High-Tech-Wirtschaft antreiben sollen. Neben den bereits genannten kritischen Rohstoffen gehört hierzu auch grüner Wasserstoff.

    Grüner Wasserstoff

Grünem Wasserstoff soll in der Energiewende ein hoher Stellenwert zukommen. Die Farbe Grün verweist auf die Produktionsweise: Für die Produktion von grünem Wasserstoff kommen erneuerbare Energien zum Einsatz, grauer Wasserstoff wird hingegen mit fossilen Energieträgern hergestellt. Werden die dabei entstehenden Kohlendioxid-Emissionen unterirdisch gespeichert, ist von blauem Wasserstoff die Rede. Bereits im Juni 2020 hatte die Bundesregierung, die Große Koalition aus CDU und SPD, eine nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Als Ziel wurde damals festgehalten, bis zum Jahr 2030 14 Terrawattstunden grünen Wasserstoff in Deutschland herzustellen.

Der geschätzte Bedarf ist damit jedoch bei Weitem nicht abgedeckt. Die Lücken sollen Importe aus "sonnen- und windreichen Entwicklungsländern" schließen, die ein "hohes Potenzial an erneuerbaren Energien aufweisen". An diese Strategie knüpft auch die Ampelkoalition mit ihren Bemühungen an, über bilaterale Verhandlungen die künftige Wasserstoffversorgung für Deutschland zu sichern. Sogenannte Wasserstoffpartnerschaften gibt es bereits mit Marokko, Südafrika, Namibia und Chile. Mit anderen Ländern Lateinamerikas, etwa mit Kolumbien, Argentinien und Mexiko, könnten solche Partnerschaften ebenfalls bald abgeschlossen werden.

Um die Versorgung mit grünem Wasserstoff zu garantieren und sich einen privilegierten Zugang zu sichern, wirken die deutsche Bundesregierung und deutsche Firmen auch beim Aufbau grüner Wasserstoffanlagen im globalen Süden mit. Gemeinsam mit anderen Ländern beteiligt sich Deutschland beispielsweise an der 2021 gegründeten Clean Hydrogen Mission, deren Ziel es ist, die Entwicklung von sogenanntem sauberem Wasserstoff weltweit voranzutreiben sowie die Kosten für Herstellung und Transport zu senken. Die Ausweitung der Produktionskapazitäten und der Aufbau der Infrastrukturen für den Transport von grünem Wasserstoff stehen ebenso im Mittelpunkt der von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Kooperation mit der Weltbank, der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) sowie der EU im November 2021 ins Leben gerufene Plattform "H2LAC".

Begleitet werden solche multilateralen Initiativen stets von einem Win-win-Diskurs. Unausgesprochen bleibt dabei, dass die grüne Wasserstoffproduktion den Bau gigantischer Wind- und Solarparks ebenso voraussetzt wie die Elektromobilität die Ausbeutung von riesigen Mengen an Lithium, Kupfer und anderen Metallen. Der Druck auf Ökosysteme, Lebensgrundlagen und -weisen in jenen Regionen, die aufgrund ihres Rohstoffreichtums im Hinblick auf Nutzung, Kontrolle, Zugang und Erhalt bereits seit Jahren umkämpft sind, wird sich sehr wahrscheinlich im Zuge eines grünen Extraktivismus erhöhen.

    Grüner Extraktivismus

Mit der Bezeichnung grüner Extraktivismus kritisieren Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen die Ausbeutung und kapitalistische Aneignung von Rohstoffen, Natureigenschaften (wie Sonnenstrahlung oder Wind) und Arbeit vor allem im globalen Süden zum Zweck der grün-technologischen Energiewende. Grün steht hier also nicht für eine umweltschonende und sozial gerechte Nutzung von Natur, sondern für den Umbau von Wirtschaft, Energie und Verkehr im Rahmen einer grünen Ökonomie.

Rohstoffausbeutung wird im grünen Extraktivismus Mittel zum Zweck, weshalb es so scheint, als sei sie mit Zielen nachhaltiger Entwicklung vereinbar und für den Weg in eine kohlenstoffarme Zukunft unumgänglich. Die mit dem Begriff verbundene Kritik verweist dagegen auf die strukturellen Bedingungen und Folgen der grün-technologischen Energiewende, die globale Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse festschreibt. Hier setzt auch das Konzept des sogenannten grünen Kolonialismus an. Hervorgehoben wird hierin, dass die Ausbeutung und Aneignung von Rohstoffen für die ökologische Modernisierung mit einer wachsenden Kontrolle und Einflussnahme transnationaler Konzerne, internationaler Organisationen, westlicher Regierungen und nationaler Kapitalfraktionen auf Politik, Territorien und Arbeit in jenen Regionen einhergehen, die für die ökologische Modernisierung "geopfert" werden (müssen).

Grüner Extraktivismus ist kein Gegensatz zum sogenannten Neo-Extraktivismus, der sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Lateinamerika als hegemoniales Wirtschafts- und Entwicklungsmodell herausbildete. Charakteristisch für den Neo-Extraktivismus der 2000er- und 2010er-Jahre sind – ähnlich wie für den grünen Extraktivismus – die Ausbeutung und der Export von – in diesem Fall vor allem – fossilen, metallischen und mineralischen Rohstoffen und Agrargütern mit fatalen Folgen: ökologische Zerstörungen und Verschärfung sozialer Konflikte; hohe Abhängigkeiten der Staatshaushalte der Extraktionsländer von Einnahmen aus dem Rohstoffsektor infolge niedriger Wertschöpfung, die den transnationalen Konzernen hohe Gewinne sichern; die Zerstörung alternativer Lebensgrundlagen in ländlichen Räumen sowie eine zunehmend gewaltvolle Durchsetzung extraktivistischer Vorhaben.

Vom Neo-Extraktivismus unterscheidet sich der grüne Extraktivismus jedoch zum einen durch die Diskurse zur Legitimierung. Weil sie grünen Zielen diene, bezeichnen staatliche, internationale und privatwirtschaftliche Akteur:innen, aber auch nichtstaatliche Umweltschutzverbände diese Form der Naturausbeutung als klimafreundlich, entwicklungsfördernd, nachhaltig, fortschrittlich und ökologisch-modern. So bewirbt die EU die H2LAC-Allianz als eine Chance, den Klimaschutz in Europa mit der Förderung der Energiewende und eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums in Lateinamerika verbinden zu können. Es bildet sich hier also ein neues grünes Entwicklungsdispositiv heraus, das technologische Lösungen der Klimakrise an ökologische Modernisierung und wirtschaftliche Entwicklung koppelt. Zum anderen kommt den Regierungen der Extraktionsländern im grünen Extraktivismus eine sehr viel aktivere Rolle zu; denn diese treiben die Ausbeutung kritischer Rohstoffe und die Ausweitung erneuerbarer Energien auch mit dem Ziel einer Energiewende im eigenen Land voran.

    Grüner Extraktivismus in Lateinamerika

Lateinamerika verfügt über riesige Mengen an Kupfer und Lithium. Auch Wind und Sonne sind überall reichlich vorhanden. Viele lateinamerikanische Staaten sind daher für die Herstellung und den Export von grünem Wasserstoff interessant. Zusammen mit den politischen Entscheidungen der vergangenen Jahrzehnte sind die Rahmenbedingungen für die Herausbildung eines grünen Extraktivismus in Lateinamerika bereits gegeben. In den 1990er-Jahren ergriffen etliche Regierungen auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank Maßnahmen zur Liberalisierung und Privatisierung ihrer Agrar- und Rohstoffsektoren; sie schufen damals die politisch-institutionellen Strukturen für den umfassenden Ausverkauf von Grund und Boden. Heute begünstigen weitere Reformen private Investitionen in grüne Sektoren, um die Ausbeutung und den Export grüner Rohstoffe und Energieträger zu fördern. Unterstützt werden diese Reformen von internationalen Finanzorganisationen wie der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der UN-Wirtschaftskommission CEPAL, der EU und nationalen Entwicklungsagenturen wie der GIZ.

Etliche Länder Lateinamerikas haben in den vergangenen Jahren Gesetze und Programme zur nationalen Energiewende verabschiedet, etwa Mexiko im Jahr 2015, Argentinien in den Jahren 2015 und 2021 sowie Kolumbien und Peru jeweils im Jahr 2021. In Chile bereitet die seit März 2022 amtierende Regierung unter dem linken Präsident Gabriel Boric ein neues Gesetz zur transición energética (Energiewende) vor. Gemeinsames Ziel dieser verschiedenen staatlichen Initiativen ist der Ausstieg aus fossilen Energieträgern und der Wechsel auf erneuerbare Energien mittels Förderung von Wind- und Solarenergie, Wasserkraft und Geothermie, Elektromobilität sowie der Produktion von vorzugsweise grünem, aber auch blauem und grauem Wasserstoff. Neben der Transformation hin zu einer klimaneutralen Energieproduktion und Mobilität im Inland zielen diese Programme und Gesetze aber auch darauf ab, das Wettrennen um die Weltmarktführerschaft im Export von erneuerbaren Energien, insbesondere grünem Wasserstoff, zu gewinnen.

Bei anderen kritischen Rohstoffen der Energiewende – wie Kupfer und Lithium – sind lateinamerikanische Staaten bereits wichtige globale Produzent:innen mit noch steigenden Fördermengen. Ein Beispiel ist das Kupfer aus Peru. Peru ist nach Chile der zweitgrößte Kupferproduzent der Welt. Die jährliche Produktion hat sich zwischen 2012 und 2019 von 1,3 auf fast 2,5 Millionen Tonnen nahezu verdoppelt. Nach pandemiebedingten Produktionsrückgängen in den Jahren 2020 und 2021 erwartet die Regierung von Pedro Castillo im Jahr 2022 einen Anstieg der Kupferproduktion um mehr als 25 Prozent. Die Exporteinnahmen des Landes stammen zu 60 Prozent aus dem Bergbausektor. Peru ist mithin ökonomisch abhängig von den Rohstoffeinnahmen, die bei den derzeitigen Preis- und Nachfrageprognosen weiter steigen werden. Wichtige Exportländer für Kupfer sind China, die USA, Deutschland und Japan, die weltweit die größten Kapazitäten für die industrielle Weiterverarbeitung aufweisen.

Auch die exportorientierte Lithiumförderung in Bolivien, Chile und Argentinien soll angesichts hoher Weltmarkpreise steigen beziehungsweise weiterhin Einnahmen für die Staaten generieren, wenn auch jeweils unter verschiedenen Vorzeichen. So bemüht sich die bolivianische Regierung unter dem linken Präsident Luis Arce – bislang vergeblich – darum, die heimische Wertschöpfung mit dem Aufbau einer eigenen Weiterverarbeitungsindustrie zu fördern. Anders in Argentinien: Das Land verfügt über enorme Mengen an bisher nicht gefördertem Lithium, doppelt so viel, wie das Nachbarland Chile noch fördern könnte. Mit aktuell 13 neuen Vorhaben, die mit transnationalen Unternehmen umgesetzt werden sollen, will die argentinische Regierung unter dem linksliberalen Präsidenten Alberto Fernández in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur globalen Versorgungssicherheit leisten, neue Investitionen ins Land holen und das Exportportfolio Argentiniens erweitern. Sollten sich die Projekte realisieren, stufen Analyst:innen Argentinien schon heute als neues globales Schwergewicht im Lithiummarkt ein.

In Chile werden im Rahmen der Ausarbeitung einer neuen Verfassung derzeit Überlegungen zur Eingrenzung der Rohstoffausbeutung in Naturschutzgebieten und Gletscherregionen sowie eine Neuregulierung des Wassersektors angestellt. Sollten dahingehende Planungen umgesetzt werden, würde dies den Lithiumabbau in Chile stark begrenzen. Die Atacamawüste im Norden Chiles ist allerdings nicht nur reich an Lithium, sondern zählt weltweit zu den Regionen mit der stärksten direkten Sonneneinstrahlung. Patagonien im Süden des Landes verfügt über enorme Windpotenziale. In beiden Regionen soll mit großflächigen Photovoltaikanlagen und Windparks die Erzeugung von Strom gefördert werden. Auch der Ausbau der grünen Wasserstoffproduktion soll hier beschleunigt werden. Ab 2030 möchte Chile der weltweit größte Exporteur des begehrten grünen Energieträgers werden.

Die vormalige kolumbianische Regierung des rechtskonservativen Präsidenten Iván Duque – den der linke Wahlsieger Gustavo Petro im August 2022 ablöste – formulierte ähnlich ambitionierte Pläne. So sollen Offshore-Windparks in der Karibik sowie Wind- und Solarparks im Norden des Landes, etwa in der Provinz Guajira, installiert werden. Wie Chile will auch Kolumbien sein exportorientiertes Energieportfolio ausbauen und neben Kohle, Öl und Gas auch grüne Energie in Form von Wasserstoff exportieren. Der ehemalige kolumbianische Energieminister Diego Mesa warb bei einer Europareise im Frühjahr 2022 um Unterstützung bei der Erreichung dieser hoch gesteckten Ziele – hierfür seien Investitionen in Höhe von drei bis fünf Milliarden US-Dollar nötig. Erste Abkommen mit den Niederlanden sind unterzeichnet, Pilotprojekte für Offshore-Windanlagen mit dänischem Kapital sind in Vorbereitung.

Noch ist offen, inwiefern es den jungen linken Regierungen – wie jenen in Chile und Kolumbien – vor dem Hintergrund der globalen Energiekrise, steigender globaler Preise und Nachfragen sowie ökonomischer und sozialer Krisen im Inland gelingen wird, Umwelt- und Naturschutz sowie die nationalen Interessen an einer nachhaltigen Energiewende im eigenen Land vor die Rohstoffexporte zu stellen.

    Kämpfe gegen grünen Extraktivismus

Proteste gegen die Förderung kritischer Rohstoffe gibt es in Lateinamerika seit Jahren und sie werden auch gegen die Rohstoffausbeutung unter grünem Vorzeichen weitergehen. Für das globale Wettrennen um Kupfer oder Lithium werden die Grundbedürfnisse und natürlichen Lebensgrundlagen vor allem jener Bevölkerungsgruppen geopfert, die für die Kapitalverwertung im Rahmen des grünen Extraktivismus nicht gebraucht werden: die ländliche indigene Bevölkerung. Nationale wie lokale Umweltbewegungen, Jugendorganisationen, Kleinbäuer:innen, indigene und afro-lateinamerikanische Gruppen protestieren daher zusammen mit internationalen Partner:innen gegen die Zerstörung von Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerungen, deren Verdrängung und Zwangsumsiedlung, gegen Luft- und Wasserverschmutzung und den Wandel bestehender Nutzungs- und Zugangsrechte zu existenziellen Gütern. Zugleich fordern sie demokratische Mitbestimmung, die Verteilung der Gewinne, angemessene Kompensationsleistungen und Zugang zu Arbeitsplätzen.

In diesen Protesten geht es also nicht nur um ein Für und Wider des Rohstoffabbaus, sondern um grundlegende Fragen gesellschaftlicher und globaler Herrschaftsverhältnisse: soziale Ungleichheiten, Armut, die Missachtung von Rechten, die Ausbeutung von Arbeit, die autoritäre Durchsetzung ökonomischer Vorhaben und die Externalisierung ökologischer und sozialer Kosten in jene Gebiete des globalen Südens, die von Rohstoffunternehmen und Regierungen häufig als "leere Räume" und "wenig entwickelt" betrachtet werden.

Am Beispiel des Kupferabbaus in Peru lassen sich die sozialen und politisch-institutionellen Dimensionen dieser Proteste aufzeigen. Kupfer wird in Peru vor allem von transnationalen Konzernen in industriellen Großminen gefördert. Diese Art der Produktion ist kapital-, aber nicht arbeitsintensiv. Die ländliche, meist indigene Bevölkerung in den Abbauregionen findet in den Minen selten Arbeit. Der Kupferbergbau raubt ihnen stattdessen – infolge von Verdrängung, mangelnder Entschädigung und Umweltzerstörung – ihre Lebensgrundlagen und verletzt ihre Grundbedürfnisse, weshalb sie sich dagegen zur Wehr setzen. Besonders umkämpft ist die vom chinesischen Unternehmen Minerals and Metals Group (MMG) betriebene Kupfermine Las Bambas, die Ende April 2022 von über 100 Mitgliedern einer indigenen Gemeinschaft besetzt wurde. Die MMG musste daraufhin die Kupferförderung einstellen. Die Besetzer:innen, die durch den Bau dieser Mine ihr Land und ihre Dörfer verloren hatten, fordern angemessene Kompensationen für die Umsiedlung, Investitionen in die soziale und produktive Infrastruktur zur Absicherung neuer Einkommensquellen und Existenzgrundlagen sowie den Stopp von Umweltzerstörungen. Zugleich betonen die Protestierenden, dass die lokalen Gemeinden von den Bergbauunternehmen betrogen werden.

Widerstand formiert sich auch gegen die Lithiumförderungen in den Salzseen der Andenländer Chile, Argentinien und Bolivien. Die Protestbewegungen fordern hier ebenfalls vor allem den Schutz der Rechte indigener Völker und den der empfindlichen Ökosysteme. Umkämpft ist zudem die Ausweitung der Energiegewinnung aus Wind und Sonne für die Herstellung von grünem Wasserstoff. So protestieren im Norden Kolumbiens indigene Bevölkerungsgruppen gegen die Einrichtung von Mega-Windparks in ihren Territorien. Es sind dieselben Regionen, die bereits unter den ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Folgen des exportorientieren Steinkohlebergbaus zu leiden haben.

Im Zusammenhang mit dem steigenden grünen Energiehunger des globalen Nordens geraten diese Gebiete doppelt unter Druck. Denn es überlagern sich hier nun häufig der Abbau fossiler Energieträger mit grünen Bergbauvorhaben und Großprojekten für die Erzeugung von erneuerbaren Energien – Strom, der für die Herstellung von grünem Wasserstoff dringend benötigt wird. Mit der Zerstörung ihrer Existenzbedingungen haben die Bevölkerungen der Abbauregionen den höchsten Preis für die Sicherung der Energieversorgung und Lösung der globalen Klimakrise zu zahlen, zu der sie am allerwenigsten beigetragen haben.

    Ausblick

Für die Durchsetzung einer grün-technologischen Energiewende werden derzeit die globalen politisch-institutionellen Weichen gestellt. Die Regeln formulieren hierbei vor allem Vertreter:innen des privaten Kapitals, internationale Finanzinstitutionen, Entwicklungsagenturen und -banken, die UN-Wirtschaftskommission CEPAL, nationale und internationale Energieagenturen sowie die Regierungen des globalen Nordens – mit und ohne Beteiligung lateinamerikanischer Regierungen. Das ist nicht verwunderlich, verfügen diese Akteur:innen doch über das Kapital, das für den Aufbau der grünen Produktionsinfrastruktur und Rohstoffausbeutung benötigt wird.

Im Moment ist offen, inwiefern es etwa in Chile gelingen wird, mittels einer strengen ordnungspolitischen Umweltgesetzgebung den extremen ökologischen Verwerfungen, die der Lithiumabbau zur Folge hat, vorzubeugen, die Rechte der indigenen Bevölkerung des Landes zu stärken und die erneuerbaren Energiepotenziale vor allem national zu nutzen. Gleiches gilt für Kolumbien, wo Gustavo Petro in seinem Wahlkampf deutlich gemacht hat, dass er als Präsident die ausbeuterische extraktivistische Logik des vergangenen Rohstoffbooms durchbrechen will. In Ländern, deren Regierungen solche ökologischen und sozialen Regulierungen nicht durchsetzen können oder wollen, stehen soziale Bewegungen nicht nur vor der Ausweitung eines neokolonial geprägten grünen Extraktivismus. Sie müssen sich auch gegenüber einem hegemonialen grünen Diskurs behaupten, der das Schmieden internationaler Allianzen zusätzlich erschwert. Der grüne Transformationsdiskurs unterscheidet sich erheblich von jenem, mit denen die Befürworter:innen des Neo-Extraktivismus ihr Handeln legitimierten. Denn er führt als Ziel nicht mehr nur Entwicklung an, sondern grüne Modernisierung, grünen Fortschritt, Nachhaltigkeit und die Lösung der Klimakrise. Wer kann dagegen schon etwas haben?

Dennoch gibt es etliche Ansatzpunkte für eine Politisierung der sich vertiefenden neokolonialen Ausbeutungsstrukturen durch die grüne Energiewende. Die Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen mittels techno-fixierter Lösungen aus Europa wird in den Ländern des globalen Südens zu mehr sozial-ökologischen Verwerfungen führen. Die Verfügung über den Boden bleibt damit Gegenstand politischer Kämpfe und Gegenbewegungen. Vielfältige Ansätze einer anderen sozial-ökologischen Energiewende von unten werden in der Postwachstumsbewegung, in öko-sozialistischen Ansätzen und feministisch-indigenen Kämpfen diskutiert und praktiziert. Aufgabe einer linken emanzipatorischen Energiewendepolitik ist es, diese Kämpfe transnational zu verbinden.

Gleichzeitig bedarf es einer radikal-reformerischen Gestaltung des eingeschlagenen grünen Energiewendepfades, der sich vermutlich nicht mehr ganz abwenden lässt. Lithium wird weiter abgebaut werden, ebenso Kupfer. Die Produktion von grünem Wasserstoff wird steigen. Die entscheidende Frage ist, unter welchen politischen Bedingungen dies in den Ländern Lateinamerikas geschieht. Parallel zur Entwicklung alternativer Energiewendeansätze sollte eine emanzipatorische linke Intervention daher auch darin bestehen, jene Kräfte zu stärken, die in Lateinamerika und weltweit versuchen, den sich ankündigenden grünen Extraktivismus mit strengen umwelt-, demokratie- und sozialpolitischen Gesetzgebungen zu begrenzen.@

Kristina Dietz ist Professorin für
Internationale Entwicklung an der Fakultät
für Sozialwissenschaften der Universität Wien.

aus: rosalux-news am 24.August .2022

 

- zurück




      anti-atom-aktuell.de