Diese erneute Laufzeitverlängerung ist sinnlos, gefährlich und teuer Eine Reservierung für Atomkraftwerke von Ursula Schönberger, atommüllreport Am 27.09.2022 erklärte Wirtschaftsminister Habeck, dass er "Stand heute" einen Weiterbetrieb der beiden AKW Ohu 2 (Isar 2) und Neckarwestheim 2 über den 31.12.2022 hinaus für nötig halte. Gleichzeitig veröffentlichte er eine entsprechende Vereinbarungen mit den beiden AKW-Betreibern für den Weiterbetrieb. Ob dies das letzte Wort sein wird, ist fraglich. Anfang September hatte Habeck bei der Präsentation des sogenannten Stresstests noch großen Wert darauf gelegt, die von ihm verfügte Regelung als eine rein vorsorgliche darzustellen. Die Überführung der zwei süddeutschen Atomkraftwerke in eine Einsatzreserve eröffne lediglich die Möglichkeit für einen Weiterbetrieb in einem Fall, der aller Voraussicht nach gar nicht eintreten werde, betonte er damals in einer wortreichen Erklärung. Aber kurz vor Ende der Atomenergienutzung in Deutschland wittern die Verfechter*innen der Atomkraft Morgenluft. Schon jahrelang wird versucht, Atomkraft wieder hoffähig zu machen, indem der Atomstrom allen Tatsachen widersprechend als billig und klimafreundlich deklariert wird. Forciert wird das derzeitige Wiederaufleben dieser Debatte angesichts möglicher Energieengpässe durch den Ukrainekrieg und die verhängten Sanktionen gegen Russland von denselben Akteur*innen, die beispielsweise ein Tempolimit ablehnen. Das Umweltbundesamt hat aktuell festgestellt, dass durch ein Tempolimit jährlich 2,1 Milliarden Liter fossile Kraftstoffe in Deutschland eingespart werden könnten. Das entspräche 3,8 Prozent des Kraftstoffverbrauchs im Verkehrssektor. Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass ein Tempolimit fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren könnte. Täglich aufs Neue liefern Zeitungen, das Internet und das Fernsehen Beispiele für besorgte Blicke auf eine angespannte Energiesituation und heizen die Stimmung an. Im Wesentlichen außen vor bleibt in der medialen Bearbeitung des Themas das Stromeinsparpotential, das in vielen Bereichen auf der Hand liegt. Auch eine stundenweise Reduzierung stromintensiver Produktion wäre ein Beitrag zur Netzstabilisierung. Während es im Gassektor bereits Vorkehrungen für eine eventuelle Rationierung von Gas gibt, ist dies im Stromsektor nicht der Fall. Zunächst war im öffentlichen Diskurs vor allem auf die Probleme bei der Gasversorgung abgestellt worden. Diese Argumente konnten allerdings nicht so richtig ziehen, da Atomkraft die Wärmeversorgung durch Gas kaum ersetzen kann. Nun ist das aktuelle Argument: die Netzstabilität, die durch die desolate Atompolitik Frankreichs in Frage stehen würde. "Solidarität mit Frankreich" ist das Schlagwort; steht dahinter der schlichte Wunsch, ein einträgliches Geschäft fortsetzen zu können?
Die Stromproduktion in Frankreich liegt aufgrund einer völlig verfehlten, einseitig auf Atomkraft setzenden Energiepolitik ziemlich danieder. Seit Beginn 2022 wird bis auf wenige Ausnahmen täglich Strom aus Deutschland nach Frankreich exportiert – in einer Größenordnung von bis zu über 100 Gigawattstunden (GWh). Ein konventionelles oder nukleares Großkraftwerk erzeugt ca. 20 bis knapp 30 GWh pro Tag. Die deutschen Atomkraftwerke (und mindestens ein weiteres Kraftwerk) laufen also rechnerisch nur für den Export und stützen so die verfehlte Atomenergiepolitik Frankreichs, die trotz der offensichtlichen Probleme mit den Reaktoren weiterhin auf Atomkraft statt auf Erneuerbare Energie setzt. Für den eklatanten Mangel an Strom wird als Grund häufig der niedrige Pegel in den französischen Flüssen und damit fehlendes Kühlwasser genannt. Aber das ist nur der kleinere Teil der Wahrheit. Die französische Atomaufsicht, die sich in der Vergangenheit eher nicht durch besondere Strenge hervorgetan hat, rügt gravierende Sicherheitsmängel an den Reaktoren. Obwohl die Regierung mit dem Hinweis auf energiewirtschaftliche Notwendigkeiten Druck macht, doch mal fünf gerade sein zu lassen, bleibt die Autorité de sûreté nucléaire (ASN) bislang dabei, wegen der Risse im Material den Weiterbetrieb der Atomanlagen zu untersagen.
Befeuert wurde die Debatte um die Laufzeitverlängerung auch durch Grüne Politiker*innen. So erklärte beispielsweise die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckart (Grüne) bereits am 24.7.2022 in einer Talkshow, dass Atomkraft notwendig werden könnte, um die Stromversorgung von Krankenhäusern aufrecht zu erhalten. Selbst bei etwaiger Knappheit wird hier ein – in Anbetracht der Kapazitäten Deutschlands – unrealistisches (Horror-)Szenario aufgemalt, das Ängste schürt, anstatt eine zielorientierte Energiewende-Debatte voranzubringen. Ebenfalls im Juli 2022 haben SPD und Grüne der Stadt München im Aufsichtsrat der Stadtwerke München beschlossen, sich für einen Weiterbetrieb des AKW Ohu 2 (Isar 2) einzusetzen. (Die Stadtwerke München halten 25% an dem Atomkraftwerk. Die restlichen 75% sind im Besitz der PreussenElektra GmbH, einer 100%igen Tochter des E.ON-Konzerns.) Die 2. Bürgermeisterin in München, Katrin Habenschaden (Grüne), verteidigte ihre Entscheidung gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: "Die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner hat da für mich wirklich Vorrang". Die Grüne Umweltministerin Lemke, die die Atomaufsicht in Deutschland führt und für Reaktorsicherheit zuständig ist, hält sich bedeckt. Der Grüne Wirtschaftsminister führt seine Partei Stück für Stück aus der Ablehnung der Atomenergienutzung heraus, immer mit dem Verweis auf angebliche objektiven Sachzwänge. So überließ er es den Vertretern der Übertragungsnetzbetreiber, die Entscheidung für einen Reservebetrieb zu begründen. Immerhin haben 188 Delegierte einen Antrag für die Bundesdelegiertenkonferenz der Partei eingebracht, in dem sie verlangen, dass es beim Atomausstieg zum Ende des Jahres bleibt. Aber wieviele von denen stimmen dann tatsächlich gegen den Leitantrag des Bundesvorstands gestimmt, der dem Minister freie Hand lässt?
Wirtschaftsminister Habeck hat im Juli 2022 die vier Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW mit einem zweiten sogenannten "Stresstest" beauftragt. Sie sollten klären, ob und gegebenenfalls wie die Stromnachfrage im Winter gedeckt und die Netzstabilität erhalten werden kann. Im Stresstest wurden nach Vorgaben des Wirtschaftsministeriums verschiedene Szenarien geprüft. Parameter waren die Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke, mögliche Einschränkungen bei der Versorgung deutscher Kraftwerke mit Kohle auf dem Wasserweg wegen dauerhaftem Niedrigwasser, Nicht-Verfügbarkeit von Gaskraftwerken, extreme Kälte und ein deutlich erhöhter Verbrauch durch elektrische Heizlüfter. Am 5. September wurde das Ergebnis vorgestellt: die Versorgungssicherheit mit Strom ist gut. Aber in einem Szenario, in dem mehrere ungünstige Faktoren zusammentreffen, kann es im Winter stundenweise zu Netzengpässen kommen. Dagegen soll ein Bündel an Maßnahmen helfen. Laut Minister Habeck gehört dazu auch, die beiden AKW Ohu 2/Isar 2 und Neckarwestheim 2 nicht endgültig abzuschalten, sondern in die Reserve zu überführen beziehungsweise weiterzubetreiben. Und das, obwohl die Atomkraftwerke nur einen extrem kleinen Beitrag leisten könnten und selbst in einem sehr kritischen Strombedarfsszenario im Winter den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nur um 0,5 GW senken können und nicht um die Nennleistung der AKW.
Streckbetrieb
Das Zauberwort in dieser Debatte um eine Laufzeitverlängerung heißt "Streckbetrieb". Bei einem Streckbetrieb lässt man die die Dichte des Kühlmittels im Reaktor ansteigen, indem seine Temperatur bewusst abgesenkt wird. Durch diese Methode wird die Neutronen-Moderation verbessert und man kann ein bisschen mehr Energie aus dem Brennstoff rausholen als beim Betrieb mit 100 % Leistung. Die Neutronen werden besser abgebremst, wodurch mehr davon für die Spaltung zur Verfügung stehen. Diesen Effekt macht man sich zu Nutze und betreibt den Reaktor über sein natürliches Zyklusende hinaus. Die Stromproduktion wird durch Streckbetrieb nicht nur in die Länge gezogen, sondern insgesamt leicht erhöht. Das bringt nicht viel an zusätzlicher Energie. Ein solcher Betrieb ist für höchstens 80 Tage realisierbar. Da ein Reaktorblock im Streckbetrieb täglich ca. 0,5 % seiner Leistung einbüßt, wäre er nach 80 Tagen noch bei ca. 60 % seiner ausgelegten Leistung. Laut dem Niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies sind die Brennelemente im AKW Lingen 2/Emsland zum Ende des Jahres aufgebraucht. Anders sieht die Situation beim bayrischen AKW Ohu 2 (Isar 2) und dem baden-württembergischen AKW Neckarwestheim 2 aus.
Die Aussagen über die Situation im AKW Ohu 2 sind höchst widersprüchlich. Im April veröffentlichte der TÜV Süd eine Stellungnahme im Auftrag der bayerischen Landesregierung zur "Bewertung der konkreten erforderlichen technischen Maßnahmen für einen Weiterbetrieb des KKI 2 beziehungsweise eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C des KRB II". Er kommt bei Ohu 2 (Isar 2) zu dem Schluss, dass keine Drosselung der Leistung vor dem 31.12. nötig wäre und am Ende des Betriebszyklus Reaktivitätsreserven für einen Weiterbetrieb für ca. 80 Tage bestünden. Durch ein Umsetzen der vorhandenen Brennelemente könne der Reaktor sogar bis in den August 2023 betrieben und zusätzlich bis zu 5.160 GWh Strom erzeugt werden. Nur zwei Tage, nachdem Habeck erklärt hatte, Ohu 2 in die Reserve überführen zu wollen, wandte sich der Chef von PreussenElektra gegen die Pläne des Ministers. Guido Knott erklärte in einem Brandbrief an Minister Habeck, dass in einem Streckbetrieb "ein flexibles Anheben oder Drosseln der Leistung nicht mehr möglich ist". Minister Habeck fühlte sich missverstanden und stellte klar, dass es nicht um ein beliebiges Zu- und Abschalten der beiden Atomkraftwerke gehe, sondern dass im Dezember beziehungsweise Januar die Lage erneut beurteilt und entschieden werde, ob die AKW in Streckbetrieb gehen sollten und dann für die folgenden Wochen in Betrieb bleiben würden – unabhängig, ob dies für die Versorgung beziehungsweise Netzstabilität tatsächlich nötig sei. Zwei Wochen später wurde bekannt, dass es eine Leckage an einem Sicherheitsventil in Ohu 2 gibt. Nachdem PreussenElektra noch im August betont hatte, dass es kein Problem wäre, Ohu 2 bis Ende 2022 unter Volllast zu fahren und anschließend in den Streckbetrieb zu überführen, erklärt der Betreiber nun, dass das Ventil für den Streckbetrieb ausgetauscht werden muss und zwar noch im Oktober: Bis 31. Dezember bereite das keine Probleme, die Anlage könne sicher weiterlaufen. Ganz anders sehe das bei einem möglichen Betrieb bis Mitte April aus – dann sei eine Reparatur fällig, und das rasch, noch im Oktober. Grund: Schon im November hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren". In der Vereinbarung zwischen dem Wirtschaftsminister und den Betreibern werden die Reserven nach unten korrigiert. Das leckende Ventil soll im Oktober in einem einwöchigen Stillstand ausgetauscht werden. Der Reaktor wird dann wieder weiterbetrieben. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Ohu 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Falls ja, werde dieser vermutlich bis Anfang März aufrecht erhalten werden können, mit anfangs 95% und am Ende 50% Leistung und ca. 2 TWh Stromproduktion.
Das AWK Neckarwestheim 2 soll zum 31.12.2022 abgeschaltet und anschließend innerhalb von 2-3 Wochen der Reaktorkern rekonfiguriert werden. Im Dezember entscheidet der Wirtschaftsminister, ob das AKW Neckarwestheim 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Im Januar wird diese Entscheidung nochmals überprüft. Das AKW Neckarwestheim könnte dann bis zum 15.04.2023 weiterlaufen, mit anfangs 70% und am Ende 55% Leistung und ca. 1,7 TWh Stromproduktion. Neckarwestheim 2 steht seit Jahren in der Kritik wegen der enormen Versprödung sicherheitsrelevanter Bauteile. Bisher wurden mehr als 300 Risse in den Rohren der Dampferzeuger entdeckt. Sie können zum Abriss der Rohre führen und einen schweren Kühlmittelverluststörfall auslösen, der bis zur Kernschmelze führen kann.
Es gibt gute Gründe gegen den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, allen voran das Risiko einer Atomkatastrophe in Landshut oder Neckarwestheim. Die Atomkraftwerke weisen erhebliche Alterungsprobleme auf. Die umfassende periodische Sicherheitsüberprüfung, die eigentlich vor drei Jahren hätte stattfinden müssen, wurde den Betreiber erlassen wegen der Beendigung des Betriebes spätestens Ende 2022. Bei der periodischen Sicherheitsüberprüfung wird vor allem überprüft, inwieweit sich der Zustand einer Anlage von den aktuellen Sicherheitserkenntnissen und dem Stand von Wissenschaft und Technik entfernt hat und welche Nachrüstungsmaßnahmen notwendig sind. Vor dem Hintergrund, dass die letzten PSÜ vor den Anschlägen auf das World Trade Center stattgefunden haben, wird die Lücke zwischen der Sicherheit in den laufenden Reaktoren und neueren Erkenntnisse deutlich. Auch Maßnahmen gegen einen Terrorangriff außerhalb der Reaktoren wurden nicht umgesetzt. Die Nebeltarnung, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center als angeblicher Schutz im Angriffsfall propagiert wurde, ist gar nicht erst errichtet worden. Auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) weist auf die fehlende Sicherheitsüberprüfung, die fehlende technische Anpassung an neueste Sicherheitsentwicklungen und den fehlenden Schutz vor einem Angriff auf die Atomkraftwerke hin. Das Risiko katastrophaler Unfälle habe sich noch einmal verschärft. In der Vereinbarung zwischen Minister und Betreibern wurde festgelegt, dass sich an den aktuellen Sicherheitsanforderungen nichts ändert. Die Pflicht zur PSÜ bleibt ausgesetzt, die Betreiber bleiben in der atomrechtlichen Verantwortung und Haftung. Der Streckbetrieb birgt jedoch ein ganz eigenes Sicherheitsproblem. Denn wenn jedes ungeplante Herunterfahren des Reaktors bedeutet, dass dieser aufgrund des fortgeschrittenen Abbrandes gar nicht mehr in Betrieb gehen kann, ist zu befürchten, dass selbst bei erheblichen Problemen auf jeden Fall ein Abschalten vermieden werden wird.@ |
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