mit dem neuen EnergiesicherungsGesetz zückt Robert Habeck ein "scharfes Schwert" – zugunsten der Energiekonzerne

"(K)eineR muss frieren"

von Hauke Benner

Deutschlands Medien überschlagen sich seit Wochen mit immer neuen Horrormeldungen über die drohende Gaskrise aufgrund des Ukrainekrieges "Frieren wegen Putin" ist der einheitliche Tenor. Der russische Staatskonzern Gasprom hat die Lieferungen nach Mitteleuropa seit Beginn des Ukrainekrieges und der Sanktionen der EU deutlich reduziert und droht mit einem völligen Lieferstopp. Deutschland bezieht 50% seiner Gasimporte aus Russland.

Um die drohende Energiekrise abzuwenden hat der Bundestag Anfang Juli das seit 1975 bestehende EnergieSicherungsGesetz (EnSiG) überarbeitet. Danach kann der Staat im Fall eines ausgerufenen Notstands in der Gasversorgung umfangreiche Eingriffe in den Markt vornehmen.

Dazu gehört als "schärftes Schwert", so Minister Habeck, die treuhänderische Verwaltung beziehungsweise Enteignung einzelner Energiekonzerne. Weitere wichtige Werkzeuge im Gesetz sind die Möglichkeit, Preisobergrenzen festzusetzen oder die mengenmässige Zuteilung des Gasangebots an die Nachfrager aus den Unternehmen und Privathaushalten zu verordnen.

Vor der Novellierung kündigte der Energieminister vollmundig an, dass an oberster Stelle die Sicherung der Gasversorgung für die Privathaushalte stehe und im kommenden Winter keiner "frieren müsse". Doch wie bei vielen Vorhaben von Minister Habeck in den letzten Monaten folgte den schönen und beruhigenden Worten nur eine halbherzige politische Umsetzung. Ein paar Tage nach der Neuformulierung des EnSiG rückte Habeck von der "Priorisierung" in der Versorgung der Privathaushalte ab; auch Verbraucherinnen und Verbraucher müssten "ihren Anteil leisten”. "Die europäische Notfallverordnung Gas sieht vor, dass kritische Infrastruktur und Verbraucher geschützt sind und Industrie und Wirtschaft nicht”, sagte Habeck. Dies sei sinnvoll bei kurzfristigen und regionalen Problemen. "Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt im Moment haben”, sagte er weiter: "Wir reden hier möglicherweise von einer monatelangen Unterbrechung von Gasströmen."

Die "Interessen der Unternehmen müssten auch berücksichtigt werden" war aus Kreisen der Wirtschaftslobbyisten und der FDP sofort zu hören, sonst drohe ein massiver wirtschaftlicher Einbruch; so ist zum Beispiel der größte deutsche Chemiekonzern BASF bei der Produktion von Düngemitteln und Plastikrohstoffen zentral auf eine gesicherte Gasversorgung angewiesen und könnte bei deren Ausfall seine Megafabrik in Ludwigshafen dicht machen. Das geht natürlich in den Augen der Konzernfreunde in der Ampelkoalition gar nicht. Also: alles wie gehabt. Solange wie möglich soll der Markt die Preise und Mengen regulieren.

Bei der Verabschiedung im Bundestag bejubelte der FDP-Abgeordnete Michael Kruse das "Preissignal", das bestehen bleiben müsse, "damit die entsprechenden Anpassungsprozesse möglichst effizient im marktwirtschaftlichen Sinne erfolgen können".

Doch was der FDP-Hinterbänkler und auch Minister Habeck nicht sagen ist, dass die "Preissignale" seit dem Herbst 2021 völlig aus dem Ruder laufen. Schon ein Vierteljahr vor dem Überfall Russlands war binnen eines halben Jahres im Dezember 2021 der Gaspreis an den europäischen Märkten um das Vierfache (!) im Vergleich zum Januar 2021 gestiegen.

    Wie kam es dazu?

Die Erklärung ist relativ einfach. Die großen Energiekonzerne wie Exxon, Royal Dutch, Total, die alle neben dem Ölgeschäft auch massiv im Gashandel engagiert sind, aber vor allem auch der deutsch-finnische Gaslieferant Uniper (eine frühere Tochtergesellschaft des e.on-Konzerns) und zahlreiche kommunale Stadtwerke hatten im Zuge der coronabedingten Wirtschaftsflaute ihre langfristigen Lieferverträge (unter anderem mit Gasprom) gekündigt und sich an dem deutlich billigeren Spotmarkt 2020 und im ersten Halbjahr 2021 bedient. Das sicherte allen Konzernen 2021 hohe Profite.

Als dann aber für die Gaskonzerne wohl ein wenig überraschend im Herbst ‘21 die Konjunktur in Europa wieder anzog und die weltweite Gasnachfrage anstieg, schossen die Preise an den Spotmärkten durch die Decke, und Konzerne wie Uniper bekamen erhebliche Schwierigkeiten, denn mit ihren Gasabnehmern aus der Industrie hatten sie langfristige preisgünstige Lieferverträge geschlossen. Um diese Verträge zu erfüllen, musste Uniper zu wesentlich höheren Preisen einkaufen. Heute verliert Uniper dadurch täglich einen zweistelligen Millionenbetrag und steht vor der Zahlungsunfähigkeit. Und was passiert daraufhin? Aufgrund des EnSiG schritt Habeck ein und stellte Uniper unter den "Schutzschirm". Dieser Konzern ist einfach zu wichtig für die deutsche Gasversorgung als dass er gemäß den Gesetzen des Marktes untergeht; das können auch die Marktradikalen aus der FDP nicht zulassen. Dann werden eben einige Milliarden Steuergelder rübergeschoben. Hingegen droht genau dieses Schicksal vielen wesentlich kleineren Stadtwerken, die in einer ähnlichen Zwangsjacke stecken. Dafür seien die "Länder und Kommunen zuständig", wiegelte Habeck vor ein paar Tagen ab.

Die "Preissignale" wirken auch dank des neuformulierten Artikel 24 im EnSiG. Danach können die Versorger, so zum Beispiel die Stadtwerke, binnen einer Woche im von der Bundesregierung ausgerufenen "Notfall" ihre gestiegen Gaseinkaufspreis an die Kundinnen voll weitergeben. Das hat in diesem Jahr schon zu regional 70-100 % Preissteigerungen geführt. Und das Ende der Preisspirale ist nicht in Sicht. Derzeit haben sich die Gaseinkaufspreise um den Faktor 7 (!) im Vergleich zu Anfang 2021 erhöht. Für einen durchschnittlichen Vierpersonenhaushalt beläuft sich das auf eine jährliche Mehrbelastung von 2-3000 €. Natürlich können das die Millionen von ärmeren Haushalten in Deutschland nicht verkraften. Doch bisher weigert sich die Ampelkoalition, effektive monatliche Energiebeihilfen zu zahlen. Stattdessen vergeht kein Tag, an dem Minister Habeck nicht neue Energiesparappelle rausposaunt. Das "scharfe Schwert", wie die Festsetzung von Preisobergrenzen, nimmt er natürlich nicht in die Hand, darüber wacht die FDP.

Erstaunlich ist, dass außer von einzelnen Abgeordneten der Linken im Bundestag keine Debatte über die die Energiepreisspekulation geführt wird. Von Seiten kritischer Wirtschaftswissenschaftlerinnen wie Claudia Kemfert vom DIW oder dem früheren Ökonomen bei der Unctad, Heiner Flassbeck sind in den vergangen Monaten konkrete Vorschläge zur Eindämmung der Energiespekulationsmärkte gemacht worden. Das sehr schnell einzusetzende Werkzeug zur Eindämmung der milliardenschweren weltweiten Spekulation wäre eine Transaktionssteuer bei Termingeschäften für Gas, Öl und Strom. Die Wissenschaftlerinnen haben errechnet, dass nur wenige Hunderstelprozent auf jedes Transaktionsgeschäft ausreichen würde, um diesem Geschäft ein Ende zu bereiten. Es ist wie auf dem Weltfinanzmarkt: viele Spekulationsgeschäfte laufen im computergesteuerten Hochfrequenzhandel an den Terminmärkten wie in Paris, Leipzig oder New York. Und daran sind längst nicht nur Nachfrage oder Anbieter von Energie beteiligt, lediglich 3-7 % aller abgeschlossenen "Futures" (das sind, einfach gesagt, handelbare Versprechen auf Angebote oder Lieferungen) werden mit einer Lieferung abgeschlossen. Der große Rest ist reine Spekulation, und daran sind natürlich auch Banken und Hedgefonds beteiligt.

Die Gewinne aus diesen Geschäften sind außerordentlich. Allein in diesem Jahr schätzt das Netzwerk Steuergerechtigkeit die zusätzlichen Profite der Branche weltweit auf bis zu 1600 Milliarden Euro. Darunter werden die Extraprofite für die Gaskonzerne seit Beginn der Russlandsanktionen auf 1.000 Milliarden geschätzt.

Kein Wunder, dass einige Staaten in der EU eine sogenannte "Übergewinnsteuer" ins Spiel bringen. Die spanische Regierung erhofft sich dadurch einige zusätzliche Milliarden und will damit die ärmeren Haushalte unterstützen.

Doch die meisten großen Öl- und Gaskonzerne versteuern Teile ihrer Gewinne in den Förderländern, den Rest in Steueroasen. Auf die EU und Deutschland entfielen nur Bruchteile der Profite. Auf den ersten Blick könnte die Reform der Unternehmensbesteuerung Abhilfe schaffen, auf die sich 137 Länder im letzten Herbst geeinigt haben. Die Vereinbarung gewährt vielen Ländern mehr Besteuerungsrechte. Doch dummerweise sind Rohstoffkonzerne von dieser Reform ausgenommen.

    Was sind die Alternativen?
  1. Zu allererst wäre die sofortige Einstellung aller Kriegshandlungen, verbunden mit dem Ende der Sanktionspolitik, ein deutliches Signal an die Energiemärkte.
     
  2. Die Einführung einer Transaktionssteuer auf allen Terminmärkten weltweit und das Verbot des kaum zu kontrollierenden Hochfrequenzhandels.
     
  3. In Deutschland ein forcierter Ausbau der alternativen Strom- und Wärmeproduktion. Dazu gehört auch die Erschließung der Geothermie. Im Oberrheingraben schlummern große Wärmequellen, die technisch gut zu erschließen sind. Diese könnten ein Großteil des aus Russland importierten Gases als Wärmequelle zum Beispiel für die Beheizung der Häuser ersetzen.
     
  4. Energie darf keine Ware mehr sein. Jede/r hat ein Anrecht auf eine angemessene Grundversorgung. Dazu gehört allerdings eine Debatte darüber, was angemessen ist. Sicherlich wären SUV’s, große Villen oder Luxusjachten davon ausgeschlossen.
     
  5. Die Energiekonzerne im ersten Schritt entmachten und dann zerschlagen und die ökologischen Folgekosten endlich einpreisen.
     
  6. Die großen ‘Energiefresser’ in der Industrie, wie die Chemie- Stahl oder Aluminiumfabriken runterfahren beziehungsweise umbauen. Wir brauchen zum Beispiel in der ökologischen Landwirtschaft keine Pestizide und riesige Düngemittelmengen; die Plastikverpackungen können weg; wenn deutlich weniger Autos gebraucht werden, fällt auch für die Stahl- und Alumiumindustrie ein wesentliches Geschäftsfeld weg.
     
  7. Das alles ist sicherlich noch nicht der dringend erforderliche Systemwechsel, die Abkehr vom Kapitalismus. Aber es ist schon heute machbar und immerhin ein erster - notwendiger - Umbau mit dem Ziel einer klimaneutralen Wirtschaftsweise.@
 

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