Frankreich: Die perfekte Ausgangslage für einen Atom-Blackout von Ralf Streck Zu den sich ausweitenden Korrosionsproblemen kommt schon im Mai die erwartete Knappheit von Kühlwasser hinzu, was zeigt, dass sich Klimawandel und Atomkraft nicht vertragen. Die Lage im Atomstaat Frankreich spitzt sich dramatischer zu. Was als "Katastrophe in der Stromversorgung" erwartet wurde, nimmt nun immer deutlichere Konturen an. Ohnehin hatte niemand, der oder die sich einigermaßen ernsthaft mit der Lage im Atomstromland beschäftigt hatte, dem staatlichen Energiekonzern EDF die sehr positiven Prognosen für die Stromerzeugung – trotz des altersschwachen Atomparks – für das laufende Jahr abgenommen. Die konnte auch die EDF nicht länger vertreten. Der Konzern, der sich zu 85 Prozent in Staatshand befindet, musste am Donnerstag erneut eine eigene absurde Prognose kassieren. Dabei war das Produktionsziel schon im Februar für das Jahr 2022 auf ein neues Rekordtief von 295 bis 315 Terawattstunden (Twh) gesenkt worden, wofür verlängerte Sicherheitsinspektionen in den Atommeilern verantwortlich gemacht wurden. Zuvor war man sogar noch von einem Erzeugungsziel von 300 bis 330 TWh ausgegangen. Während man die Halbwertszeiten bei Verfall von radioaktiven Stoffen kennt, nimmt die Halbwertszeit der EDF-Prognosen derweil immer schneller ab. Nun erwartet der Energieriese nur noch eine Produktion zwischen 280 bis 300 Twh im laufenden Jahr.
Probleme an den AKWs Ein Problem der EDF und Frankreichs ist, dass immer neue Korrosions-Probleme an den EDF-Atommeilern auftreten. Schon zwölf Reaktoren sind deshalb abgeschaltet, bisher hauptsächlich die neueren und leistungsstärkeren. "Wir haben eine Feinabstimmung der durchzuführenden Reparaturen vorgenommen", hatte Regis Clement erklärt, als der stellvertretende Leiter der Atomabteilung des Unternehmens begründete, warum die bisherige Strom-Prognose kassiert wurde. Er fügte auf einer Pressekonferenz hinzu: "Wir müssen mehr Rohre aufschneiden, um weitere Kontrollen durchzuführen und mehr Reparaturen." Die renommierte Wirtschaft- und Finanznachrichtenagentur Bloomberg sieht darin einen "weiteren Schlag für die europäische Energiesicherheit".
Allerdings ist auch das bisherige Produktionsziel noch sehr ambitioniert, um es diplomatisch zu formulieren. Man darf bezweifeln, ob dieses Ziel eingehalten werden kann. Klar ist jedenfalls, dass auch die Fachpresse massive Zweifel äußert. So titelte Bloomberg am Donnerstag, dass es in "Frankreich eine sich verschärfende Nuklearkrise" gibt, die "mehr Energieschmerzen für Europa" mit sich bringt. Die Energieknappheit wird über den Ausfall des französischen Atomstroms noch weiter zugespitzt. Das Land muss verstärkt Strom aus anderen Ländern importieren, statt Strom zu exportieren. Das kommt Frankreich angesichts extremer Energiepreise teuer zu stehen. Die EDF musste deshalb nun eine Gewinnwarnung herausgeben und die Preise für die französischen Stromkontrakte stiegen für das vierte Quartal um bis zu 8,6 Prozent, nachdem das Produktionsziel gesenkt werden musste. Bloomberg stellt zum angeblich so billigen und sicheren Atomstrom fest: Die französischen Preise sind die teuersten in Europa, die Verträge für diesen Zeitraum sind fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Tatsächlich wird nun mehr Beobachtern klar, dass sich die Atomprobleme im Atomstaat immer stärker aufhäufen und die strahlenden Probleme für das hochverschuldete Land sehr teurer werden. "Korrosionsprobleme an Atomkraftwerken kommen EDF teuer zu stehen", titelte Yahoo Finanzen und beschreibt, dass die anhaltenden Korrosionsprobleme noch größer sind, als ohnehin bislang angenommen wurde. "Der Rückgang der Stromproduktion koste 18,5 Milliarden Euro statt wie bisher angenommen 16 Milliarden Euro, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit", führte Yahoo Finanzen aus. Um den Verbrauchern aber auch weiterhin das Märchen vom angeblich so billigen Atomstrom verkaufen zu können - natürlich hat das auch mit den Präsidentschaftswahlen und den anstehenden Parlamentswahlen zu tun -, hatte die Regierung die EDF im März verpflichtet, noch einmal 20 Prozent mehr als schon bisher Strom unter dem Marktpreis abzugeben, um die Stromkosten für die Verbraucher niedriger zu halten.
"Das Land mit dem höchsten Atomstromanteil ist traditionell niedrige Strompreise gewohnt", wird festgestellt. Dass die Preise alles andere als kostendeckend sind, zeigt auch die enorme und steigende Verschuldung einer EDF, die nicht rentabel arbeitet und ständig subventioniert werden muss. Nach dem Geschäftsbericht lag die Netto-Verschuldung der EDF schon im Jahr 2020 bei mehr als 41 Milliarden Euro. Schon mehrfach hatte Telepolis davon berichtet, dass immer neue Atommeiler in Frankreich ausfallen, weil bei Prüfungen Korrosionsprobleme an immer mehr Meilern festgestellt werden. Inzwischen sind von 56 Atomreaktoren 28 am Netz. Die Kapazität ist mit etwa 28 Gigawatt (Gw) so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte, theoretisch sollten die Meiler 62 Gigawatt produzieren. Ohne gut acht Gigawatt Solarstrom – wie am Freitagnachmittag - und die gut fünf Gigawatt Windstrom sowie die sechs Gigawatt aus Wasserkraft, hätte Frankreich sogar längst auch im Frühjahr ein massives Stromproblem. Obwohl die erneuerbaren Energien weiter stiefmütterlich behandelt werden, kommen sie auch im Atomstromland schon fast an die Atomstrom-Produktion heran, da dazu auch noch ein Gigawatt aus Biomasse kam. Ohne die erneuerbaren Energien wären Anfang April schon die Lichter beim Nachbar erloschen, nur weil es etwas kälter wurde. Wieder einmal wurde die Bevölkerung zum Stromsparen aufgefordert. Das Problem wird mit dem alternden altersschwachen Atompark ständig größer, da die erneuerbaren Quellen nicht konsequent ausgebaut werden. Statt das zu tun, setzt Präsident Macron auf Atommeiler, die es nicht einmal im Prototyp gibt. Natürlich werden darüber nur militärische Interessen verschleiert. Inzwischen bröckelt aber offensichtlich auch das Bild, dass von der Korrosion nur die eher neueren Reaktoren betroffen sind. Doch bisher versucht die EDF dieses Bild weiter aufrechtzuerhalten. So sprach der EDF-Chef Clement von einem Design-Fehler im Rohrleitungssystem neuerer Reaktoren mit einer Leistung von 1,3 Gigawatt, das für die Notkühlung bedeutsam ist. Es ist aus Fukushima bekannt, was mit einem Atomreaktor passiert, der im Ernstfall nicht mehr gekühlt werden kann. Er kündigte dabei an, dass weitere vier Meiler abgeschaltet werden sollen. Doch statt sie vorsichtshalber sofort abzuschalten, weil sie vermutlich auch den Fehler in einem "zu langen" Sicherheitssystem aufweisen, sollen sie erst im nächsten Jahr überprüft werden. Und natürlich auch erst nach dem Winter, ab dem zweiten Quartal. Es ist offensichtlich, dass man hier nicht nach Sicherheitsaspekten handelt, sondern hohe Risiken eingeht, weil man wenigstens die noch verbliebene Kraftwerkskapazitäten im Winter bereithalten will. Allen ist klar, dass es schon im Herbst in Frankreich eng wird und die Blackout-Gefahr im Winter extrem wird, sollte es für ein paar Tage wirklich kalt werden.
französische Atomindustrie Es ist natürlich auch ein Armutszeugnis für die französische Atomindustrie, dass Clement den Design-Fehler der eigenen Industrie zuschreibt, nämlich dem Kraftwerksbauer Framatome. Der hatte nach der Pleite von Areva die Sparte übernommen. Deshalb macht Clement das Problem sogar im eigenen Haus aus, denn seit 2018 eine Tochterunternehmen der EDF-Gruppe. Die Leitungen der 900-MW-Reaktoren, wo das Design vom US-Atomanlagenhersteller Westinghouse entwickelt wurde - seien "kürzer" und daher viel weniger von Problemen mit Spannungsrisskorrosion betroffen, meint Clement. Angemerkt sei hier, dass auch Westinghouse inzwischen von Toshiba in die Insolvenz geschickt wurde. Clement behautet, dass bisher bei diesen Reaktoren "keine Korrosionsspuren an den sicherheitsrelevanten RIS-Kreisläufen" gefunden worden seien. Über die RIS-Kreisläufe soll die Kühlmitteleinspeisung in den Primärkreislauf bei Kühlmittelverluststörfällen gewährleistet werden.Doch er bestätigte nun vorhergehende Berichte, die auf Gewerkschaftsangaben zurückgehen, dass sehr wohl Korrosionsprobleme auch in einem solchen kleineren Reaktor, nämlich Chinon 3, gefunden wurden. In diesem Fall im RRA-Kühlkreislauf, damit handelt es sich auch um ein Problem im Primärkreislauf. Es ist also klar, dass sich die Korrosionsproblematik immer weiter ausweitet. Damit aber nicht genug, drohen weitere Abschaltungen von AKWs sogar schon im Frühjahr, weil es an Kühlwasser mangelt. So musste die EDF kürzlich schon auf die ungewöhnlich hohen Flusstemperaturen aufmerksam machen, welche das Unternehmen wahrscheinlich dazu zwingen werde, die Atomkraftwerksleistung diverser Reaktoren zumindest zu reduzieren. Im AKW Blayais wurde schon die Kapazität von einem Meiler am 9. Mai reduziert, um die Gironde nicht noch stärker aufzuheizen. Um das AKW zu kühlen, wurde stattdessen Wasser aus der Garonne hineingepumpt. Das Problem kommt, angesichts der Tatsache, dass ohnehin nur die Hälfte der Meiler am Netz sind, für Frankreich zur Unzeit und es zeigt erneut, was von der angeblichen Versorgungssicherheit über AKWs zu halten ist. Auch Abschaltungen vom Reaktoren wegen fehlendem Kühlwasser sind wahrlich nicht unbekannt in Frankreich. Das war bisher aber erst im Sommer der Fall. Doch Dürre und ungewöhnlich hohe Temperaturen, an diesem Wochenende sollen es im Südwesten wieder 33 Grad werden, führen zu einem unlösbaren Problem für AKWs. Der Klimawandel und die Erhöhung der Temperatur wird das zu einem enormen Problem machen. So stellen auch Medien in Frankreich fest, dass noch nie zuvor schon im Mai die Drosselung eines AKW wegen der Aufheizung der Flüsse nötig geworden sei. Die Klimakrise zeigt, dass sie mit AKWs nicht kompatibel ist. Eine Aufheizung der Flüsse würde für einen Super-Gau für das Ökosystem Fluss bedeuten. Die Flüsse werden sich aber schon wegen des Anstieges der Temperaturen über den Klimawandel immer weiter aufheizen, weshalb verstärkt mit Abschaltungen von Kraftwerken zu rechnen ist. Dass Frankreich weiter auf Atomkraft setzt und mit etlichen Neubauten die Stromkrise beseitigen will, ist -diplomatisch ausgedrückt – unbegreiflich. 10 bis 15 Jahre gehen ins Land, bis ein Neubau vielleicht ans Netz gehen kann. Wie will das Land bis dahin seinen Strom erzeugen? Die Laufzeiten der AKWs sollen auf bis zu 60 Jahre erhöht werden. Doch das beseitigt die Korrosionsprobleme und die Versprödung der Materialien nicht, die schon jetzt zu den vielen Abschaltungen führen. Die Erfahrungen mit dem Neubau in Flamanville machen deutlich, dass es sich um eine Atom-Sackgasse handelt. Seit zehn Jahren sollte der neue EPR dort schon Strom liefern, ob er es jemals tut, darf bezweifelt werden. Derweil haben sich die Baukosten von geplanten 3,3 auf über 19 Milliarden schon vervielfacht. Und auch beim EPR ist längst ein Konstruktionsfehler bekannt, der sich zu den vielen Problemen hinzugesellt, die in Flamanville bekannt sind, wie ein schadhafter Reaktorbehälter. Hätte man das viele Geld in erneuerbare Energien gesteckt, könnte man heute schon billigen Strom liefern, hätte die Energieabhängigkeit gesenkt und für Versorgungssicherheit gesorgt.@ heise.de/ 21. Mai 2022 |
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