Drei Momentaufnahmen vorweg, fünf Ebenen notwendiger Veränderung, eingerahmt von einem dringenden Appell Weniger ist mehr von Hauke Benner 1. In der Covid19 Krise bekommen wir die Folgen der zerstörerischen Inwertsetzung der Natur jetzt mit einem Bumerangeffekt durch die Zoonosen zurückgeschleudert. Selbiges passiert in der Klimafrage: Über Jahrhunderte haben die Industrieländer und Konzerne die sozio-ökologischen Folgekosten der kapitalistischen Produktion externalisiert. Jetzt wird uns die Rechnung präsentiert: der kapitalistische Wachstumszwang untergräbt seine eigene Grundlage, der Planet ist soweit zerstört und ausgebeutet, dass er sich möglicherweise nicht mehr regenerieren kann. 2. Dabei ist das Bewusstsein, dass wir in einer endlichen Welt leben, durchaus verbreitet. Aber dass wir mit unserer imperialen Lebensweise - Leben auf Kosten anderer - genau diesen kapitalistischen Wahnsinn unterstützen – dieses Bewusstsein wiederum ist höchst unterentwickelt und wird nicht als kardinaler Widerspruch wahrgenommen. 3. Früher hieß es mal "die Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker". Diese soziale Empathie für Menschen, die für uns in den Sweatshops schuften oder die am verletzlichsten sind und die Folgen der Klimakrise durch Verlust ihrer Heimat millionenhaft schon jetzt ertragen müssen – diese Empathie ist heute mehr denn je nur rudimentär ausgebildet. Wir hier in den Ländern des hochindustrialisierten Nordens müssen uns noch in dieser Generation von vielen liebgewonnenen Gewohnheiten verabschieden - wie z. B. mit dem Flugzeug in alle Welt fliegen, jedes Jahr ein neues Smartphone, alle drei Jahre nach Auslaufen des Leasingvertrages ein neues Auto usw. Angesichts der dringlichen Notwendigkeit, unseren Energie- und Ressourcenverbrauch deutlich zu senken, ist das vielen Menschen einsichtig. Doch es fällt schwer. Konsumverzicht ist das Stichwort, das alle meiden wie der Teufel das Weihwasser. Denn viele von den Dingen, die uns Wohlstand und Zufriedenheit versprechen, fungieren als Kompensation für die Mühsal des tagtäglichen Stress‘ entfremdeter Arbeit im Hamsterrad des Kapitalismus. Gewohnheiten abzulegen für etwas ganz Neues ist nicht einfach und dauert zumeist lange.
Fünf Ebenen
Dabei ist es noch vergleichsweise einfach, die individuellen Konsumgewohnheiten zu verändern. Da tut sich ja schon einiges in den Haushalten der Eltern der friday for future kids. Nicht nur wegen der Coronapandemie ist die Zahl der Urlaube mit dem Ferienflieger drastisch eingebrochen. Schon 2019 wollten viele Schülerinnen nicht mehr mit in die Karibik … .
Viel schwieriger ist es allerdings auf der politischen Bühne demokratisch verfasster Gesellschaften. Bis sich auf dieser Ebene neue Einsichten durchsetzen, vielfach gegen massiven Lobbywiderstand wie z. B. in Sachen Atompolitik, dauert es Jahrzehnte. Die ‚Marktwirtschaft als natürliche Ordnung der Menschheit‘ ist mehr als eine Gewohnheit, es ist das zentrale ideologische Fundament für die Legitimität der kapitalistischen Wachstumswirtschaft. Selbst in tiefgreifenden Krisen wie der letzten Weltfinanzkrise 2008 hinterfragen nur für ein paar Tage die Mainstreammedien die Sinnhaftigkeit des Finanzkapitalismus. Sind die wichtigsten Banken mit Milliarden Steuergelder gerettet, wird wieder zur Tagesordnung übergegangen. Hier sind also noch ganz dicke Bretter zu durchbohren. Hier kann die herrschende Politik nur durch einen permanenten Druck von unten zu einer Abkehr von dem Wachstumswahnsinn gedrängt werden.
Den Kapitalismus zukunftsfähig machen: Neuerdings schlüpft der Wachstumswahnsinn mit dem green new deal in ein neues hübsches Kleid. "Nachhaltig, klimaneutral, zukunftsfähig" sind die Modewörter. Das Beispiel der heiß diskutierten Taxonomie der EU-Kommission, des Greenwashing der Atomkraft und des Erdgases veranschaulicht, dass es den europäischen Regierungen und auch den Grünen vornehmlich um den Erhalt einer Wirtschaftsordnung geht, die auf Profit und Wachstum setzt. Bei der Atomkraft spielen zudem auch die militärischen Aspekte, nicht nur in Frankreich, eine wichtige Rolle. Stichwort: wo kommt das Plutonium für die Bombe her, wenn alle Akw‘s abgeschaltet sind? Die neue Taxonomie der EU-Kommission soll die Gewähr für das weitere Wachstum in der Stromproduktion leisten. Die Dekarbonisierung der Stromproduktion soll unter keinen Umständen zu einer Reduzierung führen. Schließlich müssen die Millionen von Elektroautos auf den europäischen Straßen irgendwo ihren Saft herbekommen und natürlich soll die europäische Chemie- und Stahlindustrie nicht runtergefahren werden, nur weil zu wenig grüner Wasserstoff produziert wird. Der ‚green new deal‘ mag in seinen einzelnen Vorschlägen teilweise in die richtige Richtung weisen (Gebäudedämmung oder Förderung der erneuerbaren Energien), aber die eigentliche Philosophie ist der unbedingte Wille, die kapitalistische Wachstumswirtschaft in das Zeitalter der Null-CO2-Emmission hinüber zu retten.
Und auch im demokratischen Willensbildungsprozess auf kommunaler Ebene bewegt sich z. B. in Sachen Verkehrspolitik der (klimapolitische) Fortschritt nur im Schneckentempo. Die Parteien in den Kommunalparlamenten wissen genau, dass nicht nur die Autoindustrie immer wieder Sperrfeuer abschießt, sondern auch große Teile ihrer Wählerinnen nicht vom Auto lassen können.
Auch nicht ohne Anstrengung ist das Engagement in kleinem Kreis, in der Nachbarschaft, im Kiez. Hier gilt es, neue Strukturen des Gemeinschaftslebens aufzubauen, um in der alltäglichen Praxis, andere Formen des Umgangs miteinander einzuüben, in der Carearbeit oder in Repaircafes. Gemeinsam lernen, Energie einzusparen, Gebrauchswerte zu teilen, Dinge zu reparieren etc. Die Orientierung auf individuelle Rechte und Freiheiten der Selbstverwirklichung - auf Kosten anderer - diese neoliberale Indoktrination gilt es zu überwinden.
Gebot
der Stunde
So weit, so überschaubar und eigentlich nicht schwer zu verstehen. Wenn wir nun allerdings weiter annehmen
dann stehen wir aber auch vor sehr massiven Legitimationsproblemen. Denn Vernunft und die Ideale der Aufklärung galten leider nur selten in der jüngeren Geschichte der Menschheit als Handlungsanleitung für die Politik. Es geht hier also nicht allein um die Überwindung einer kapitalistischen Profitwirtschaft und ihres Wachstumszwangs. Es geht um das Aufbrechen, Hinterfragen von tiefsitzenden Konditionierungen, Ängsten, Wertsetzungen und Normierungen. Liebgewonnene Werte müssten in Frage gestellt werden. Das gilt nicht nur für die Regierenden, sondern auch für ihre Wählerbasis, also uns. Unser humanistisch-abendländisch geprägtes Wertesystem steht als Ganzes zur Disposition! Diese Erkenntnis tut weh und erfordert auch einiges Nachdenken, Hinterfragen über unsere Kultur und ihre nicht gerade ruhmreiche Geschichte in Sachen Kolonialismus und Rassismus. Wenn wir nun weiterhin der Überzeugung sind, dass wir diese (fast) nicht mehr lebenswerte Welt grundlegend verändern müssen, geht das nur, wenn eine breite Mehrheit diesen beschwerlichen Weg mitgeht und mitgestaltet! Wir müssen nicht nur die großen Konzerne, die für die Zerstörungen hauptverantwortlich sind, zerschlagen, sondern wir müssen auch die Menschen (vor allem hier in den Ländern des Nordens) anregen, von ihren Privilegien und ihren Konsumstandards Abstand zu nehmen zugunsten einer Lebensweise, die nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur (vor allem in den Ländern des Südens) basiert. Das ist das Gebot der Stunde.
nur vor dem Teufel halt? Wir haben nicht mehr viel Zeit, sagen uns die Klimaforscher und FfF-Kids. Wir geraten bei der Langsamkeit demokratischer Reform-Prozesse in ein politisches Dilemma: Wenn der Uhrzeiger wirklich schon auf zwölf steht, es in Sachen Klimawandel auch für die europäische Bevölkerung zwingenden Handlungsbedarf gibt (Stichwort: einige Kipppunkte sind überschritten) - steuern wir dann auf eine Ökodiktatur zu, wie Andreas Malm meint? Oder ist es doch noch möglich, eine deutliche Mehrheit in einem demokratischen Prozess hier in den reichen Ländern des Nordens zu finden, die bereit ist auf scheinbar selbstverständliche Privilegien des Konsums aller Art zu verzichten, damit auch die große Mehrheit der Ärmeren auf dieser Welt nicht vor die Hunde geht? Damit dies gelingt, ist es wichtig, jedenfalls ein paar mehr Aspekte einer Lebensweise, die sich Klimagerechtigkeit auf die Fahnen schreibt, zu benennen und auszumalen. Im Kapitalismus ist zwar nicht alles schlecht, aber ein Leben ohne Wachstumszwang und Konsumterror ist auch möglich. Heisst dann nur nicht mehr Kapitalismus sondern Sozialismus. Und das wäre allemal ein wahrer Fortschritt in der Geschichte der Menschheit. Doch das Verhalten einer lauten Minderheit in diesen Zeiten der Pandemie hier in Deutschland, macht mich skeptisch, ob diese Herkulesaufgabe bewältigt werden kann. Es ist u. a. auch ein Kommunikationsproblem. Alle Parteien drücken sich davor, bloß nicht Teile ihrer Basis zu verschrecken. Stattdessen wird den Leuten (grüner) Sand in die Augen gestreut, von wegen ein "klimaneutraler Wohlstand" ist möglich, wie es die ‚Grünen‘ behaupten!
Doch was für einen Wohlstand
meinen sie? Und was für einen Wohlstand meinen wir? |
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