aaa-uftakt
Der Streit um die EU-Taxonomie bringt es auf den Punkt: wenn die Menschheit als Ganzes eine Chance haben
soll, die Veränderungen der natürlichen Bedingungen zu überstehen, die der Klimawandel mit sich bringt, dann
muss die Welt schleunigst eine andere werden, das ist allgemeine Überzeugung. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Europäische Union haben als breit akzeptiertes Ziel auf Papier geschrieben, dass Aufgabe
jeglicher Politik die grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sein muss. Soweit die Einsicht - nur wohin diese Änderung führen soll, das ist und bleibt heiß umkämpft. Und inmitten dieser Auseinandersetzung steht die Nutzung der Atomkraft.
Einen Beitrag zum Schutz des Klimas kann die nicht leisten: zu langsam, zu teuer, nicht nur nicht wirksam,
sondern schädlich! Zudem gibt es eine Reihe guter Gründe, weshalb - selbst wenn dies anders wäre - diese
Option nicht einmal in Erwägung gezogen werden sollte. Über die Folgen des Uranabbaus, die Auswirkungen
schwerer Unfälle, die Verquickung mit kriegerischer Nutzung, die unendliche Ewigkeitslast des Atommülls
berichten wir mit jeder aaa-usgabe und wissen uns damit an der Seite einer sozialen Bewegung, die
sich argumentativ bestens aufgestellt zeigt.
Weltweit gesehen ist die Haltung in dieser Frage allerdings geteilt. Regierungen haben sich in der Vergangenheit für Atomprogramme in ihrem Land entschieden; wie im Beispiel Frankreich haben sich daraus Abhängigkeiten entwickelt, die so wirkmächtig sind, dass Entscheider*innen keinen anderen Weg sehen, als sich die
Sache schönzureden. Sie sind gerade dabei, der Atomkraft (ebenso wie der Verbrennung von Gas) das Etikett
"nachhaltig" anzuheften. Die "Taxonomie", die ursprünglich gedacht war als ein Hilfsmittel gegen greenwashing, haben sie durch ihren politischen Kuhhandel in ein Synonym genau dafür verwandelt.
Eine erstaunlich große Zahl von Menschen ist in der Lage, Teile ihres Einkommens nicht unmittelbar für ihren
Lebensunterhalt aufwenden zu müssen. Anders als in früheren Zeiten gibt es offensichtlich die Tendenz,
solche Guthaben nicht einem Sparkonto anzuvertrauen, sondern als Vermögen anzulegen. Entsprechende
Fachleute sprechen von "Verbraucher*innen auf der Suche nach Finanzprodukten". Und zwar nach solchen von
besonderer Qualität: "ethisch" sollen diese sein. Und was genau zum Beispiel ein "nachhaltiges Finanzprodukt"
ist, darüber gibt das Bewertungssystem Taxonomie detailliert Auskunft.
Ganz sicher ist es nicht schecht, engagiert dafür zu streiten, dass ein Wort in seiner Bedeutung nicht in sein
Gegenteil verkehrt wird. Eine EU-Taxonomie ohne fossiles Gas und Atomkraft ist ohne Zweifel besser als eine
mit. Wer Geld für sinnvolle Dinge investieren will, soll nicht durch Worttricksereien hinters Licht geführt werden. Unser Titelthema engt die Frage nach der Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse aber nicht
allein auf diesen Aspekt ein. Unsere Autor*innen gehen die Suche nach einem "guten Leben für alle" grundsätzlicher an. In allen Veränderungen im realen Jetzt - so die Forderung - soll bereits zumindest eine Spur des
besseren Morgen erkennbar sein.
Mit dem Zwang zum Wachstum, mit seiner unauslöschlichen Renditeerwartung ist der Kapitalismus der Garant für eine Fahrt voll gegen die Wand. Kann so gesehen ein "Finanzprodukt mit doppelter Dividende - sichere
Rendite plus gutes Gewissen" wie es die Werbung verspricht, die Tür für einen
Ausweg aus der Katastrope öffnen? Diese Frage gehört nach unserer
aaa-uffassung zur Diskussion um die Taxonomie unbedingt dazu.
ciaaao
zurück