Kapern Atomenergie und Gas gerade den Green Deal der EU und machen ihn damit unbrauchbar?

Risikotechnologien nicht als nachhaltig verkaufen!

von Michael Weiland, Greenpeace

Was bedeutet "nachhaltig"? Die Frage kann jeder Mensch für sich unterschiedlich beantworten, im Finanzbereich muss der Begriff allerdings exakt definiert sein – zumal "grüne" Anlagemöglichkeiten und Investmentsysteme eine immer größere Rolle spielen, auch bei der persönlichen Altersvorsorge. Hier kommt die EU-Taxonomie ins Spiel, mit der die Europäische Union als Teil ihres "Green Deals" in Zukunft Wirtschaftsakteure anhand ihres Beitrags zum Umwelt- und Klimaschutz klassifizieren will. Das Ziel soll sein, ökologisch nachhaltige Investitionen zu fördern.

So weit, so gut gemeint. Doch ein geleaktes Papier scheint die Befürchtungen vieler Beobachter:innen des Prozesses zu bestätigten. Das seit dem 29. Oktober in Brüssel zirkulierende Non-Paper (eine Art inoffizielles Diskussionspapier) schlägt vor, Gas und Atomkraft als nachhaltige Energiequellen zu klassifizieren. Das bedeutet, dass Investitionen in Atomkraftwerke hernach als umweltfreundliche Anlagemöglichkeiten gewertet würden.

Im schlimmsten Fall bedeutete dies, dass in der Europäischen Union weitere Atomkraftwerke gebaut werden und tatsächlich nachhaltige Projekte das Nachsehen haben. Damit würde eine hochriskante Art der Stromerzeugung von höchster Stelle grüngewaschen. "Wie ein Zombie droht eine totgeglaubte und gefährliche Technik derzeit zurückzukehren", sagt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie. "Dabei hat Atomkraft keine Zukunft."

    Greenwashing für Gas und Atom

Atomkraftwerke sind teuer und unrentabel, ihre Sicherheitsprobleme sind gut dokumentiert. Unfälle können in beispiellosen Katastrophen enden, und die Frage, wie man den über Generationen strahlenden Atommüll sicher endlagert, ist bis heute nicht ansatzweise beantwortet. Atomenergie ist auch nicht CO2-neutral, wie häufig behauptet. Atomkraft ist alles andere als nachhaltig. Eine EU-Taxonomie, die das Gegenteil behauptet, ist unglaubwürdig und betreibt nichts weiter als Greenwashing: Sie adelt eine Risikotechnologie mit einem unverdienten Klimaschutz-Etikett.

Gaskraftwerke werden in dem Papier als Klimaschutzbeitrag ebenfalls überbewertet. So werden auch hohe Emissionsmengen an CO2 noch als nachhaltig eingestuft. Zwar soll als Zielmarke 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom gelten, wie bereits unter Protest von Pro-Gas-Ländern im Vorfeld diskutiert; allerdings mit einigen Ausnahmen, die deutlich höhere Emissionen erlauben. Begründet wird das mit Gas als notwendiger Übergangstechnologie – während eine Begründung, warum das nachhaltig sein soll, fehlt.

Umweltschützer:innen aus ganz Europa verurteilen den Entwurf als energiepolitische Sackgasse. "Atomenergie und Gas dürfen nicht in die EU-Taxonomie aufgenommen werden, sie sind nicht nachhaltig", sagt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie. "Das würde die Kriterien für umweltfreundliche Investitionen vergiften und einer echten Energiewende großen Schaden zufügen."

    Was kann Deutschland dagegen tun?

Dass Atomkraft nicht nachhaltig ist, hat die österreichische Bundesregierung sich schwarz auf weiß bestätigen lassen: Ein vom Umweltministerium beauftragtes Rechtsgutachten der Kanzlei Redeker-Sellner-Dahs belegt das Punkt für Punkt, und mehr noch: wie für Österreich, kann auch die deutsche Bundesregierung auf dieser Grundlage klagen, sollte Atomenergie in die Taxonomie aufgenommen werden. Österreich hat einen solchen Schritt bereits angekündigt.

Die künftige Bundesregierung muss nachziehen, wenn der Atomausstieg kein allein deutsches Projekt sein soll – nicht zuletzt, weil bei Unfällen in den grenznahen AKW in Frankreich und Belgien die deutsche Bevölkerung genauso unter den Folgen litte. "Auch Deutschland muss von Anfang an klar machen, dass eine Taxonomie, die Atomenergie als grün und nachhaltig erklärt, beklagt wird", sagt Smital. "Es kann nicht sein, dass eine Regierung mit grüner und sozialdemokratischer Beteiligung hier tatenlos bleibt."

    Deutscher Atomausstieg nicht vollendet

Dabei ist selbst in Deutschland die Atomkraft bisher nicht völlig vom Tisch. Derzeit produzieren zwei Atomfabriken in Lingen und Gronau Brennstoff für Reaktoren in ganz Europa. Darunter befindet sich auch der überalterte Reaktor im belgischen Tihange nahe der deutschen Grenze, der von Expert:innen des Bundesumweltministeriums als nicht ausreichend sicher eingestuft wird. Die Brennelementproduktion verursacht zudem zusätzlichen Atommüll, dessen Entsorgung bisher ungelöst ist. "Vor diesem Hintergrund muss das Gesetz zum Atomausstieg in Deutschland auf die Brennelementproduktion und die Urananreicherung erweitert werden", fordert Smital. "Der hierfür nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erforderliche, legitime Zweck liegt vor."

 

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