Die Ampel will den Standort Deutschland ökologisch modernisieren. Das stellt die Klimabewegung vor neue Herausforderungen. Eine davon: ein neues Verständnis von Wohlstand salonfähig machen.

"Grüner" Kapitalismus oder kollektiver Wohlstand?

von Lars Thiele, Konzeptwerk

Als Grüne und FDP am Wahl­abend vor laufenden Kameras ankündigten, die Regierungsbildung zunächst unter sich ausmachen zu wollen, erschien das wie ein glamouröser Einzug des "grünen" Kapitalismus made in Germany. Der nun vorliegende Ampel-Koalitionsvertrag drückt den Stand der Kräfteverhältnisse nüchterner aus: Eine sanfte ökologische Modernisierung steht an. Dass deren Grenzen stets erreicht sind, sobald deutsche Wirtschaftsinteressen ernsthaft negativ berührt werden, betont der Vertrag Absatz für Absatz.

Die Klimapolitik der Ampel bewegt sich also in einem engen Korridor. Die nach langer GroKo-Blockade durchaus vorhandenen Spielräume eines "grünen" Kapitalismus können durch entsprechende technische und regulatorische Umstellungen besser genutzt werden, mehr aber auch nicht. Die Abhängigkeit der Wachstumswirtschaft von fossilen Brennstoffen wird sich noch fortsetzen, die von anderen – oft importierten – Rohstoffen sogar intensivieren. Kein "grüner" Kapitalismus wäre in der Lage, die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Widersprüche des Systems plötzlich aufzulösen, die Klimakrise aufzuhalten und nachhaltigen Wohlstand für alle zu bieten.

    Die Klimabewegung
    unter der Ampel

Dennoch ist festzuhalten, dass die Klimabewegung das politische Gefüge in Deutschland in Bewegung gebracht hat. Das Fiese daran: Menschen machen Geschichte immer noch nicht unter selbstgewählten Umständen. So ermöglichte die Bewegung zunächst – wenn auch teils unfreiwillig – den politischen Kräften, die den Kapitalismus ökologisch modernisieren möchten, sich gegenüber denjenigen durchzusetzen, die am Fossilen festklammern. Statt eines radikalen sozial-ökologischen Systemwandels steht jetzt erst einmal eine solche Modernisierung in einem standortnationalistischen Rahmen an: Deutschland soll "grüner" Exportweltmeister werden. Soziale und ökologische Kosten werden weiter in andere Weltregionen abgewälzt.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung als Geburtshelferin eines "grünen" Kapitalismus? Das mag ironisch klingen, ist aber unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen eine erwartbare Entwicklung. Auf diesem veränderten Spielfeld gehen die Auseinandersetzungen weiter. Für die Klimabewegung wird es zunehmend wichtiger, auch die Scheinlösungen und Problemverschiebungen des "grünen" Kapitalismus zu problematisieren. Diese rücken jetzt stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein, wie etwa die Mobilitätswende-Debatte zeigt. In neuen Infrastrukturen wie der ikonischen Tesla-Gigafactory vor Berlin materialisieren sich Reibungsflächen, an denen sich die Bewegung praktisch abarbeiten kann. Die Ampel schafft weiteres Konfliktpotenzial, setzt auf "grünen" Wasserstoff, der nur sehr begrenzt produzierbar sein wird, und auf "klimaneutrales Fliegen", das immer noch ferne Zukunftsmusik ist, aber heute schon die weitere Subventionierung der Flugindustrie rechtfertigen soll. Gegen den "grünen" Standortnationalismus werden wir weiter globale Klimagerechtigkeit fordern. Dabei können wir nicht nur auf die Erhöhung numerischer Klimaziele pochen, deren Umsetzung in einer "ökologischen Marktwirtschaft" an technische und wirtschaftliche Grenzen stößt. Wir müssen das Wirtschaftssystem qualitativ verändern – von Profit- zu Bedürfnisorientierung. Dazu sollten wir uns auch einmischen, wenn der aufgeschobene Konflikt um die Finanzierung der Ampel-Maßnahmen ausbricht – und neue politische Bündnisse schmieden.

    Klimagerechter Wohlstand?!

Um dabei wirklich transformativ zu wirken, braucht es ein zeitgemäßes Wohlstandsverständnis. Zwar bekennen sich von links bis konservativ alle zu "sozialem" Klimaschutz, doch "sozial" steht dabei oft bloß fürs Festklammern an den Überresten eines Modells aus dem letzten Jahrhundert. Nach Jahrzehnten neoliberaler Vorherrschaft hat davon vor allem noch das Kriterium der individuellen Konsumteilhabe überlebt. Platt ausgedrückt: Sozial ist, wenn ich im eigenen Auto zum billigen Shopping fahren kann. Nach diesem Maßstab bleibt der Kapitalismus zumindest für die deutsche Bevölkerungsmehrheit unschlagbar. Nach diesem Maßstab ist nur leider auch die Klimakrise nicht aufzuhalten, von Ansprüchen globaler Gerechtigkeit ganz zu schweigen.

"Vereint" werden Klima und Soziales dann bestenfalls über technische Korrekturen an technischen Korrekturen: Der CO2-Preis lässt sich, wie vage von der Ampel in Aussicht gestellt, als Pro-Kopf-Klimabonus zurückspeisen – sozial gerechter als Marktlösungen ohne Ausgleich. Doch der Preis soll eben auch die Konsumoptionen der Besserverdienenden nicht spürbar schmälern. Klimaeffekt? Mäßig. Sozialer Klimaschutz wird zur bloß quantitativen, niemals transformativen, letztlich konservativen Frage: Damit es so weitergehen kann wie bisher, müssen ein paar Kosten eingepreist und so verteilt werden, dass – unk, unk – die Massen nicht zur AfD überlaufen. Und schützt ja unsere Arbeitsplätze! So verstanden bleibt "Klima und Soziales" tatsächlich ein Widerspruch. Zu seiner vermeintlichen Auflösung müssen die bekannten Techno-Fantasien eines ewigen "grünen" Wachstums bemüht werden.

Abgesehen davon, dass dieses spezielle Wohlstandsversprechen auch in Deutschland nie annähernd für alle galt, ist es ein recht ärmliches. Schon im 20. Jahrhundert waren schließlich Autofahren und Einkaufen bloß glitzernde Oberflächenerscheinungen des Wohlstands. Das Fundament erkämpfte die Arbeiter*innenbewegung: Begrenzung von Arbeitszeiten, die der Mehrheit überhaupt erst Freizeit ermöglichte, Tariflöhne, eine solidarische Krankenversicherung und Zugang zu heute oft kaputtgesparten öffentlichen Infrastrukturen wie (Hoch-)Schulen und Kitas, Bussen und Bahnen, Schwimmbädern und Bibliotheken.

An diese kollektiven Formen müsste klimagerechter Wohlstand anknüpfen, der wirklich dauerhaft ein gutes Leben für alle bieten kann. Statt quantitativer Kompensation für vermeintliche "Klima-Zumutungen" braucht es eine qualitative Neubestimmung der Wohlstandsidee – als kulturelle Grundlage einer wachstumsunabhängigen, solidarischen Wirtschaft. Mehr freie Zeit durch kürzere Erwerbsarbeit wäre das Aushängeschild. Diverse Bausteine und Ansätze sind in Positionspapieren und Wahlprogrammen (leider oft gründlich) versteckt – viel zu zaghaft kommuniziert und jederzeit durch die nächste Auto-Wutdebatte ertränkbar.

Diese Programmatik zu vertreten ist kurzfristig eine undankbare Aufgabe. Für eine Systemtransformation aber müssen linke Politik und soziale Bewegungen genau diese kulturelle Auseinandersetzung um ein neues gesellschaftliches Wohlstandsverständnis offensiv angehen. Solange das spät-fossilkapitalistische Konsummodell unangetastet bleibt, werden immer die gewinnen, die es verteidigen – wahlweise mit oder ohne grünen Anstrich.@



Dieser Beitrag ist ein Zusammenschnitt aus drei Kolumnen
in der Tageszeitung neues deutschland
(13. August, 8. Oktober, 3. Dezember 2021)

 

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