Das "ganz andere Ganze": eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich sind

Sperriger Slogan

vom anti-Atom-Büro Hamburg

"Für eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich sind" ist ein ziemlich sperriger Slogan für eine anti-Atom-Gruppe. Und so sperrig wie er ist, sollte mensch glauben, alle Gruppenmitglieder wüssten noch in welchem Kontext er entstanden ist. Doch weit gefehlt! Für die einen stammt er "aus der Debatte nach Fukushima", für den Anderen "aus der Zeit, als das Kohlekraftwerk Moorburg gebaut wurde" und für mehrere war der Slogan immer schon da.

So unklar der Kontext der Entstehung des Slogans ist, so deutlich konnten aber alle benennen worum es ihnen dabei ging.

"Für eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich sind" ist keine bereits fertige Utopie, die wir erstreiten wollen, sondern vielmehr eine Denk- und Suchbewegung, die sich der Frage stellt: Wie konnte es in dieser Gesellschaft dazu kommen, dass Atomanlagen gebaut werden konnten?

In den konkreten politischen Auseinandersetzungen, die wir über die Jahre geführt haben, hat uns dieser Ansatz stets in neue Gefilde geführt.

Die Auseinandersetzung um Urantransporte im Hamburger Hafen war beispielsweise unmittelbar mit kolonialen Verhältnissen verknüpft, die sich beim Import von Uran aus Namibia oder Niger abbilden. Schaut mensch sich die 38 Länder an, die AKW betreiben, und die Länder, aus denen das dafür notwendige Uran stammt, wird schnell klar, dass Jene, die die Hauptlast des Uranabbaus tragen, gar keine AKW betreiben. Und selbst in den Ländern wie Kanada oder den USA wird bei einem genaueren Hinschauen klar, dass es sich um binnenkoloniale Verhältnisse handelt. Kolonialismus also als offenbar notwendige Voraussetzung für den Betrieb von Atomanlagen. Nicht zuletzt in Gesprächen mit CESOPE aus Tansania wurde dies deutlich.

In der Auseinandersetzung um den Bau des Kohlekraftwerkes Moorburg wurde uns schnell klar, dass die Abbaubedingungen zum Beispiel in den kolumbianischen Kohletagebauen vor allem auf Kosten der lokalen Bevölkerung gehen, und an der Mine El Cerejon nicht umsonst eine Garnison des Militärs stationiert ist. In Hamburg selbst wurde deutlich, dass vor allem der stark benachteiligte Stadtteil Wilhelmsburg in der Abwindfahne des Kraftwerkes liegen würde, weshalb sich mehr als 70 Mediziner*innen aus gesundheitlichen Gründen gegen den Bau des Kraftwerkes wandten. Würden alle Beteiligten und Betroffenen des Rohstoffabbaus, des Transportes, der Umwandlung und der Energieerzeugung wirksamme Einspruchsmöglichkeiten haben, wäre es unmöglich, Steinkohle, Uran und auch einheimische Braunkohle zu verstromen. Eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich wären, müsste Energieerzeugung also auch unter ernsthaft gleichberechtigten Verhältnissen denken. Eine Energieerzeugung also, die für alle Betroffenen und Beteiligten als fair empfunden würde.

Auf der anderen Seite wurde uns bei den Castortransporte eindrücklich vor Augen geführt, dass der Betrieb von Atomanlagen "mit aller Gewalt" durchgesetzt werden sollte. Der von Robert Jungk beschriebene Atomstaat zeigte sich auch uns gegenüber von einer sehr hässlichen Seite und es wurde überdeutlich, dass es immer eines aggressiven Überwachungs- und Sicherheitsapparates bedarf, um den Betrieb von Atomanlagen gegen Kritik und Widerstand abzusichern. Wessen Sicherheit ist es also, wenn von innerer Sicherheit gesprochen wird und gegen wen richtet sie sich?

Nicht zuletzt die Sicherheit beziehungsweise Absicherung eines Gesellschaftssystems, das klassischer Weise als Kapitalismus beschrieben wird, und uns vor allem mit dem Phänomen des Wachstumszwangs verbunden ist. Wachstum um jeden Preis, und auf Kosten anderer auf einem endlichen Planeten, für diese eigentlich nicht auflösbare Gleichung bietet die Atomenergie scheinbar eine geradezu wundersame Lösung. Wir bauen eine Maschine, die alle Sorgen, zumindest die Sorgen im Kontext der Energieerzeugung, löst – toll. In den 50er Jahren hieß es noch, der Strom aus Atomanlagen würde bald "to cheap to meter" sein, heute ist es der Wunsch, einfach eine neue Maschine zu bauen, und ansonsten nichts ändern zu müssen, um einen Weg aus der Klimakrise zu finden.

Diese Hybris, diese Machtphantasie begegnete uns in den Auseinandersetzungen immer wieder in der Form verschiedener männlicher Akteure, deren gesellschaftliches Naturverhältnis vor allem eines von Unterwerfung und Kontrolle ist. Wie absurd in einem Feld, das Zeit in Jahrzehntausenden und Raum im planetaren Maßstab bemisst. Und dennoch behauptet Mann die Möglichkeit von "End"-lagern und "Grenz"-Werten, die mehr über die eigenen Machtphantasien aussagen als über reale Verhältnisse, zu denen die Begriffe Ewigkeitslasten und verzögerte Freisetzung besser passen würden.

Eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich sind, wäre also eine, die sich unter anderem mit Kapitalismus, Patriarchat, Kolonialismus und Wissenschaftskritik auseinandergesetzt haben müsste.

Wir würden uns freuen,
Euch auf dem Weg dahin zu begegnen.@

 

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