Die Rolle der Geowissenschaften im Suchverfahren,
ihre Möglichkeiten und ihre Begrenztheit


Unverzichtbarer Beitrag

von Michael Mehnert

Gesucht wird ein langzeitstabiler dichter Bereich im tiefen Untergrund mit dem Ziel, die Freisetzung der radioaktiven Stoffe möglichst klein zu halten.

Der Mensch und damit die übertägigen und oberflächennahen Belange wie Bevölkerungsdichte, Bebauung und Grundwasservorkommen spielen erst einmal keine Rolle, da der sogenannte einschlusswirksame Gebirgsbereich in mehr als 300 m Tiefe im Mittelpunkt steht.

Mit der Bezeichnung einschlusswirksamer Gebirgsbereich (ewG) ist ein Gesteinsvorkommen gemeint, das einen sicheren Einschluss verspricht. Beim sogenannten sicheren Einschluss ist eine gewisse Undichtigkeit erlaubt, insofern wäre die Formulierung risikoarmer Einschluss zutreffender.

Die Suche nach einem solchen Gesteinsbereich soll in einem wissenschaftsbasierten Verfahren erfolgen. Aufgrund der zu betrachtenden langen Zeiträume von mehreren Millionen Jahren sind hier die Geowissenschaften, also die Geologie in Verbindung mit der Geophysik, der besonders gefragte Teil der Wissenschaft. Dabei sind Antworten auf folgende Fragen wichtig:

  • Wie arbeitet die Geologie, was kann sie, und was kann sie (noch) nicht?
  • Was spielte sich in den letzten 420 Mio. Jahren in Deutschland ab?
  • Welche Einflüsse gab es von unten und von oben?
  • Wie sieht das Ergebnis aus? Welche allgemeinen Erkenntnisse gibt es über den Untergrund in Deutschland?
  • Kann die weitere Entwicklung prognostiziert werden?
    Die Aufgabe

Die Entsorgung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle ist ein komplexes Problem. Da sich die Erdoberfläche nach geologischen Maßstäben schnell verändert, wird die Tiefenlagerung als mögliche Langzeitlösung angesehen. Geologische Prozesse laufen im Vergleich zu gesellschaftlichen Prozessen langsam ab.

Ein Tiefenlager soll radioaktive Stoffe möglichst sicher für einen langen Zeitraum von der Biosphäre isolieren. Daraus erwachsen eine Reihe von Anforderungen: Ein mögliches Wirtsgestein soll nur geringe Durchlässigkeit aufweisen, die Einlagerung radioaktiver Reststoffe soll möglichst keine Schäden im Wirtsgestein verursachen, Hohlräume sollen eigentragfähig sein. Keines der möglichen Wirtsgesteine kann all diese Anforderungen in gleicher Weise gut erfüllen.

So kann Steinsalz einen dichten Einschluss der Reststoffe in das Wirtsgestein durch seine Kriechfähigkeit sicherstellen, während Tongesteine durch ihre hohe spezifische Oberfläche Radionuklide adsorbieren können und nur geringen Grundwassertransport zulassen. In kristallinen Hartgesteinen muss dagegen der Einschluss der Radionuklide allein durch (geo-)technische Barrieren sichergestellt werden. Dafür sind Hohlräume in kristallinen Hartgesteinen langzeitstabil, was Konzepte, die eine Rückholbarkeit der Reststoffe vorsehen, erleichtert. Ein Vergleich unterschiedlicher Konzepte in den Wirtsgesteinen ist nicht trivial, vor allem, wenn konkrete Standorte fehlen. Im Standortauswahlverfahren ist deshalb vorgesehen, möglichst gute Gesteinsbereiche zu suchen und vergleichende Bewertungen des Langzeitrisikos durchzuführen. Gefragt ist hauptsächlich die Geologie.

    Geologie

Geologie ist eine Wissenschaft, die in die Vergangenheit blickt. Betrachtet wird nichts Geringeres als die letzten 4,5 Milliarden Jahre der Erdgeschichte. Um diese große Zeitspanne zu erfassen und die Prozesse zu beschreiben, haben die Geolog*innen eine Fachsprache entwickelt, die für Lai*innen kaum verständlich ist.

    Stratigraphie und Lithologie

Der geologische Untergrund ist schichtförmig aufgebaut. Aus dem Schichtaufbau rekonstruiert die Geologie die vor langen Zeiten abgelaufenen Prozesse. Denn in diesen Schichten eingelagert liegen Zeugnisse der Vergangenheit. So lassen sich Aussagen über die geographische Breite einer bestimmten Landabschnitts in der Vergangenheit machen, ob es vom Meer bedeckt war, wie das Klima war und welche Lebewesen existierten. Die zeitliche Einordnung ist Aufgabe der sogenannten Stratigraphie. (Einen Auszug aus der stratigrafischen Tabelle zeigt die Grafik auf der übernächsten Seite.) Die Beschreibung der Gesteine, die gebildet wurden, ist die Aufgabe der Lithologie.

Geologische Informationen werden gewonnen

  • an der Erdoberfläche (Felswände, Steinbrüche, genannt Aufschlüsse),
  • aus Bohrungen und
  • aus seismischen Untersuchungen zur Interpolation.
Dabei sind die Untersuchungen an der Erdoberfläche zum Beispiel mit dem berüchtigten Geologenhammer relativ einfach, bringen aber nur sehr eingeschränkte Ergebnisse. Die wichtigste Methode ist die Bohrung, die jedoch aufwändig ist. Man muss mit 1000 EUR pro Bohrmeter rechnen. Eine Bohrung von 1000 Meter in die Tiefe ist also ein Millionen-EURO-Projekt. Solche Bohrungen werden im Wesentlichen von der Rohstoffindustrie ausgeführt, die über hohes Risikokapital verfügen. Und nicht jede Bohrung bringt das Ergebnis, was man erwartet hat.

Auffallend ist die hohe Dichte von Tiefbohrungen im Wesentlichen im Norden und in geringerem Maße im Süden Deutschlands. Das sind die Bereiche, in denen interessante Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas vermutet und auch gefunden wurden.

    Schichtenverzeichnis als Bohrergebnis

Im Schichtenverzeichnis einer Bohrung (siehe links) werden in der rechten Spalte die lithologischen und stratigraphischen Informationen aufgelistet. Zum Beispiel bezeichnet in "Mergel (Oberkreide)" Mergel die Gesteinsart und Oberkreide die Bildungsperiode dieser Schicht. Mergel ist ein Gemisch aus feinem Material von Ton und Kalk. Oberkreide wird eine Zeitperiode von 98,9 bis 65,0 Mio Jahre vor der Gegenwart genannt. Diese geologischen Zeitperioden mit entsprechenden Informationen können Stratigraphischen Tabellen entnommen werden. Eine Kurzform liegt in Form einer Handtabelle dem Heft bei.

Die Anmerkung "Steinkohle (Karbon)" im Schichtenverzeichnis sagt aus, dass diese in der Teufe ab 1137,42 m lagernde Steinkohle in der Zeitperiode Karbon gebildet wurde, also vor 358 bis 296 Mio. Jahre. Das Alter der erbohrten Schichten wird zum Beispiel anhand von charakteristischen Beimengungen im Gestein wie Kleinfossilien bestimmt.

Eine Bohrung bietet Informationen sowohl über Gesteinsart (Lithologie) als auch Bildungszeit (Stratigrafie), jedoch nur an einem Punkt. Ergänzend werden seismische Untersuchungen zur Feststellung des Schichtenverlaufs gemacht, es werden also die lithologischen Eigenschaften zwischen zwei Bohrungen interpoliert. Dazu werden Schallwellen in den Untergrund geschickt und deren Reflektionen an den Schichtgrenzen mit Mikrophonen aufgenommen und ausgewertet. Man unterscheidet zwischen der 2D-Seismik, die Informationen zu einem Schnitt durch den Untergrund liefert, und der wesentlich aufwendigeren 3D-Seismik, die räumliche Informationen zum Schichtverlauf liefern. Seismische Messwerte können nur ausgewertet werden, wenn auch Informationen aus Bohrungen vorliegen.

    Kleine Gesteinskunde

In der Lithologie werden drei Hauptgesteinsarten unterschieden: Magmatite, Sedimentgesteine und Metamorphite.

Magmatite entstehen durch Aufsteigen von Magma aus dem Erdinneren. In dieser Gesteinsart sind zwei Gruppen zu unterscheiden: erreicht das Magma die Erdoberfläche nicht in einem Rutsch und kühlt in ihrem Aufstieg langsam ab, dann bilden sich kristalline Tiefengesteine – auch Plutonite genannt – wie zum Beispiel Granit. Erreicht das Magma in einem Durchbruch die Oberfläche, dann kühlt sie sich schnell ab und es bilden sich verglaste Ergussgesteine (Vulkanite) wie zum Beispiel Basalt.

Sedimentgesteine entstehen durch Ablagerung und Verfestigung von aus anderen Gesteinen entstandenem feinem Material. Durch Überlagerung mit weiteren Material werden diese Ablagerungen verdichtet und es bilden sich Schichten (Diagenese). Man unterscheidet biologische Sedimente wie Steinkohle, chemische Sedimente wie Steinsalz, das beim Eindunsten von Meerwasser entsteht, und klastische Sedimente wie zum Beispiel Tongestein. Das Wort klastisch ist dem Altgriechischen entlehnt und charakterisiert das betreffende Sediment als Ergebnis von Erosion, also dem Zerbrechen und Zermahlen harten Gesteins, das in Korngrößen zwischen feinsten Partikeln und grobem Geröll enden kann.

Metamorphite entstehen aus den Magmatiten oder auch aus Sedimentgesteinen, wenn diese durch Absinken in größere Tiefen hohen Drücken und Temperaturen ausgesetzt werden, die zu Umwandlungen (Metamorphosen) führen. Produkte sind zum Beispiele Gneise.

    Mögliche Endlagergesteine

... sind Granit (Plutonit) und Gneis (Metamorphit) Tonstein (klastisches Sediment), Steinsalz (chemisches Sediment).

Das Kristalline Hartgestein in Deutschland stammt aus der sogenannten variszischen Gebirgsbildung, die vor etwa 420 Mio. Jahre begann, und bildet das sogenannte Grundgebirge. In Norddeutschland liegt das in mehreren tausend Metern Tiefe und ist für ein Endlagerbergwerk nicht nutzbar.

Tonstein Teil der sehr komplexen Strukturen des Tongesteins ist der Tonstein. Tonstein als klastisches Sediment ist gekennzeichnet durch eine sehr geringe Korngröße mit einem Durchmesser kleiner als 0,002 mm. Die Körner sind mit dem Auge nicht mehr unterscheidbar. Diese Korngröße führt zu hoher Dichtigkeit dieses Gesteins; die dadurch bedingte große innere Oberfläche bietet Möglichkeit zur Anlagerung und damit Rückhaltung von radioaktiven Stoffen (Absorption).

Tonstein wurde in Deutschland im Wesentlichen in drei Zeitperioden gebildet.
Jura-Ton (170 Mio. Jahre)
Kreide-Ton (100 Mio. Jahre)
Tertiär-Ton (30 Mio. Jahre)

Steinsalz spielt für die Bewegungen im Untergrund eine besondere Rolle. Salz ist in der Regel leichter als das Gestein darüber. Weiterhin verhält es sich – betrachtet man längere Zeiträume – wie eine viskose Flüssigkeit. Damit entstehen Bewegungen, bezeichnet als Halokinese. Die vorerst flache Salzschicht sammelt sich in Salzkissen und dringt dann an einer Schwachstelle durch die überlagernden Gesteinschichten und schiebt diese beiseite. Es entsteht ein Salzstock.

Steinsalz wurde in Deutschland in vier Zeitperioden abgelagert. Die mächtigen Ablagerungen aus dem Zechstein vor ca. 255 Mio. Jahren bilden in Norddeutschland zahlreiche Salzstöcke
Zechstein-Salz (255 Mio. Jahre)
Röt-Salz (245 Mio. Jahre)
Muschelkalk-Salz (240 Mio. Jahre)
Malm-Salz (150 Mio. Jahre)

Die unterschiedlichen möglichen Endlagergesteine haben unterschiedliche Eigenschaften, so dass man keines dieser Gesteine als das ideale Gestein für die Endlagerung bezeichnen kann. Nur vereinzelt werden Gesteinskombinationen betrachtet wie Kristallin unter Ton oder Steinsalz über Kristallinem Hartgestein oder Steinsalz unter Ton. Systematisch gesucht werden solche Kombinationen jedoch nicht.

    Grenzen

Geologie befasst sich wissenschaftlich mit den für die Endlagerung von Atommüll langen Zeiträumen. Wie gesagt ist sie für die Langzeitlagerung unverzichtbar. Jedoch gibt es erhebliche Erkenntnisgrenzen.

Immer wieder gibt es Fälle, wo es bei geologischen Projekten zu unerwarteten Schwierigkeiten kam. Genannt seien zwei Beispiele: 1. das Vorhaben GeneSys Hannover, in dem demonstriert werden sollte, wie das Geozentrum in Hannover mit Erdwärme versorgt werden kann. Vorgesehen war die Wärmeversorgung der gut 1000 Arbeitsplätze aus tiefen geologischen Schichten von etwa 4000 Metern. Das Projekt wurde 2009 begonnen und musste 2012 vorerst aufgegeben werden. 2. Lange Jahre wurde für das Kontinentale Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik Deutschland (KTB) mit geophysikalischen Methoden ein geeigneter Bohransatzpunkt gesucht. Wie sich bei der Bohrung selbst herausstellte, waren die Prognosen für den schließlich gewählten Bohrpunkt nicht zutreffend.

Zwar werden Nichtwissen und Unsicherheiten durch Erkenntnisfortschritte, die sich insbesondere in der Geophysik verzeichnen lassen, zurückgedrängt. Sie werden aber weder heute noch morgen beseitigt werden können. Es gilt immer noch der Bergmannsspruch "Vor der Hacke ist es duster."

Die wichtigsten Grenzen der Aussagekraft der Geologie liegen im geringen Aufschlussgrad des Untergrundes, denn es gibt kein einfaches bildgebendes Verfahren mit hoher Auflösung für den Untergrund.

Schließlich wird durch das Endlagerbergwerk das vorhandene Gestein gestört. So wird das Gestein durch den Bau des Bergwerks aufgelockert. Diese Auflockerungen können auch durch den schließlichen Verschluss nicht beseitigt werden. Durch den hochradioaktiven Atommüll wird das Gestein auch thermisch belastet, was zum Beispiel anfänglich zur Ausdehnung und später zum Schrumpfen führt. Eine Berechnung für den Salzstock Gorleben zeigte, dass die Temperatur an der Grenze Salz-Deckgebirge in den ersten zweitausend Jahren immerhin um gut 10 Grad steigen würde.

    Kein zuverlässiger Blick in die Zukunft möglich

Bei der Endlagerung spielen Prognosen für die Zukunft von mehreren Millionen Jahren die wesentliche Rolle. Aber aus der in der Geologie stammenden Rekonstruktion der Vergangenheit folgt keine eindeutige Vorhersage. Es müssen unterschiedliche Szenarien berücksichtigt werden, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten sich nur in etwa abschätzen lassen.

Die einmal gebildeten Gesteine stehen unter Einflüssen von unten (endogen) und von oben (exogen).

Zu den endogenen Einwirkungen gehören die Gebirgsbildung durch Plattenkollisionen, Bildung von Störungen, Ausgleichsbewegungen zum Beispiel durch Veränderung der Gesteinsmasse durch Erosion oder die Eisauflast in Eiszeiten. Diese sogenannten isostatischen Ausgleichsbewegung kommt dadurch zustande, dass die starre Erdkruste als Platten auf einer zähflüssigen Gesteinsmasse schwimmt. Weiterhin spielt der Vulkanismus eine wesentliche Rolle, der auch in Deutschland zum Beispiel in der Eifel bis vor etwa zehntausend Jahren aktiv war.

Bei den exogenen Einflüssen spielt das Klima eine wesentliche Rolle. Das Klima wird nach bisherigen Erkenntnissen beeinflusst durch den Gehalt an Klimagasen wie Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre. Weiterhin verändert sich durch die Wanderung der Platten die geographische Breite eines bestimmten Landstrichs.

Zusätzlich ändert sich die Sonneneinstrahlung durch drei Phänomene (Croll-Milankovic-Zyklen) wie die Veränderung der Erdachsenneigung (40.000 Jahre), die Exzentrizität der Erdumlaufbahn (100.000 Jahre) und die Überlagerung der Präzession der Erdachse mit Drehung der Bahnellipse (19.000 und 23.000 Jahre).

Gerade der Einfluss der Eiszeiten kann enorm sein. So wird sogar vermutet, dass durch die Eisauflast selbst 300 km vor der Eisfront die Kräfte im Untergrund so groß werden können, dass Störungen im Gestein aktiviert werden können. Sieht man sich die letzten Eiszeiten an, so gilt dies für ganz Deutschland. Die 300 km-Zone der nördlichen Vereisungen reicht bis fast zur südlichen Eisfront, die aus den Alpen kam.

    Beteiligung

Beim Standortauswahlverfahren für eine möglichst risikoarme Langzeitlagerung von Atommüll spielt die Beteiligung der Bürger*innen eine wesentliche Rolle. Nur so kann Akzeptanz oder wenigstens Toleranz am gefundenen Ort erwartet werden. Da das Auswahlverfahren wesentlich durch geologische Arbeiten bestimmt wird, müssen Bürger*innen die Möglichkeiten bekommen, wenigstens die grundlegenden geologischen Argumentationen nachvollziehen zu können.

Um die Grundlagen der Geologie zu verstehen, ist kein besonderes mathematisches oder physikalisches Wissen notwendig. Weiterhin lassen sich geologische Sachverhalte mit den heutigen Visualisierungswerkzeugen meist anschaulich vermitteln. Eine Brücke des Verstehens zwischen Geolog*innen und Bürger*innen zu bauen, sollte deshalb möglich sein.

Leider gibt es bisher keine Anstrengungen, solch einen Brückenbau in Angriff zu nehmen. Keine Institution, die an der Endlagersuche beteiligt ist, sieht sich für die Vermittlung geologischer Grundkenntnisse zuständig. Niemand entwickelt ein didaktisches Konzept, um diese Kenntnisse in spannender Form zu präsentieren.@

 

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