Warum Staaten eine gescheiterte Energieform subventionieren

Geld für neue Atomreaktoren

von Dr. med. Alex Rosen

In den USA wird diesen Monat ein neuer Präsident vereidigt. Seine Regierung hat sich vorgenommen, die weltweite Klimakrise ernst zu nehmen und, anders als sein Vorgänger, konsequent auf eine Reduktion der CO2-Produktion hinzuarbeiten. Das klingt in europäischen Ohren zunächst vielversprechend. Dann folgt aber der Haken: Die versprochene klimapolitische Neuausrichtung beinhaltet nicht nur den Ausbau von Erneuerbaren Energien, sondern auch massive Subventionen für die Atomindustrie.

Wie alle Vorgängerregierungen seit dem Zweiten Weltkrieg setzt auch Biden darauf, die zivile Atomindustrie mit massiven Staatshilfen zu unterstützen – wohlgemerkt, eine Branche, die seit rund 70 Jahren auch nur dank massiver Subventionen existiert und daher nicht gerade im Verdacht stehen sollte, "Anschubfinanzierung" zu benötigen. In seinem Wahlprogramm schreibt Biden, er wolle eine Agentur gründen, die Forschung und Entwicklung von ‘kleinen modularen Reaktoren’ (‘small modular reactors’ oder SMR) vorantreiben soll. Solche Reaktoren kennt man bereits von atomar betriebenen U-Booten und Flugzeugträgern. Nun sollen sie in großem Stil gebaut und in alle Welt exportiert werden. Produktionsreif sind diese SMR noch lange nicht, dennoch wird schon jetzt so getan, als seien sie die Zukunft der Energiegewinnung.

Neben den SMR werden aktuell auch eine Reihe anderer Projekte verfolgt – Hauptsache, es fließt Geld vom Staat. Da wäre zum einen das Konzept eines Fusionsreaktors, das seit nahezu 70 Jahren für alle Welt unbegrenzte Energie verspricht, bislang aber vor allem zu nahezu unbegrenzten Staatssubventionen für immer wieder gescheiterte Vorhaben geführt hat. Auch alte Reaktorkonzepte aus den 1950er Jahren werden wieder aus der Mottenkiste geholt, wie der technisch nie für durchsetzungsfähig befundene Flüssigsalzreaktor. Anders gesagt: alter Wein in alten Schläuchen, aber dafür mit neuen, modern und hip wirkenden Start-up-Etiketten.

  So erhalten sich hyper-dynamisch präsentierende Start-ups wie ‘Nuscale’, ‘X-Energy’ oder das Unternehmen von Bill Gates, ‘TerraPower’ derzeit hunderte Millionen staatliche Subventionen, sowie Geld von privaten Investoren wie Jeff Bezos oder Peter Thiel. Und auch die von Bill Gates ins Leben gerufene Koalition ‘Breakthrough Energy‘ mischt im Markt für neue Reaktoren kräftig mit und finanziert nicht nur diverse Atom-Start-ups, sondern betreibt weltweit Propaganda für Atomtechnologie.

‘Breakthrough Energy’ finanziert beispielsweise Medienfirmen wie "Kurzgesagt", die für  öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland unterhaltsame Filmchen produzieren. Im November 2020 veröffentlichte der Jugendsender von ZDF und ARD, FUNK, einen Beitrag von Kurzgesagt mit dem Titel "Können wir den Klimawandel ohne Atomenergie stoppen?", der Atomtechnologie so einseitig und unkritisch als Lösung für die Klimakatastrophe propagierte, dass zahlreiche Organisationen Programmbeschwerden einreichten.

Über die Bill & Melinda Gates Foundation wird wiederum seit April 2019 das Projekt "Globale Gesellschaft" der Zeitschrift Spiegel finanziert. Seitdem erscheinen im Spiegel plötzlich in regelmäßigen Abständen Artikel, die die Atomenergie und die Forschung an neuen Atomreaktoren (wie beispielsweise durch Bill Gates‘ Firma ‘TerraPower’) unkritisch loben. Artikel mit Titeln wie "Rettet uns die Atomkraft vor dem Klimakollaps?" oder "Atomenergiebehörde hält Klimaziele nur mit Kernkraft für umsetzbar" bereiten den Weg für eine Infragestellung des deutschen Atomausstiegs und die Beschwörung einer sogenannten ‘Atomaren Renaissance’, die eher einem frustranen Wiederbelebungsversuch gleicht und mit der Realität der weltweit strauchelnden Atomwirtschaft wenig zu tun hat.

Auch andere ‘Leitmedien’ reihen sich ein in die bunte Atompropaganda: "Ökologische Zukunft hängt auch von Kernenergie ab" schreibt die Tagesschau online in einem Artikel mit dem verheißenden Titel "Die Renaissance der Atomenergie" im Dezember 2020. Deutschlandfunk titelt im November 2020: "Comeback der Atomkraft" und ergänzt die reißerische Überschrift mit verheißungsvollen Sätzen wie: "In Deutschland regt sich Widerstand gegen das Ende der Kernenergie." In der Welt wird in regelmäßigen Abständen die "Rückkehr zur Atomkraft" gefordert, die Zeit gibt Atomkraftbefürwortern auf einer Doppelseite in ihrer Rubrik "Streit" die Möglichkeit "Stoppt den Atomausstieg!" prominent unters Volk zu bringen, während auf eine Gegenposition verzichtet wird. Eine wirklichen ‘Streit’ will die Zeit wohl nicht riskieren.

Liest man diese Meinungsartikel, könnte man meinen, es gäbe hierzulande einen breiten Diskurs über die Frage des Atomausstiegs. Dabei ist dieser gesellschaftliche Großkonflikt längst befriedet. Außer den Rechtsradikalen in der AfD fordert keine Partei mehr eine Rückkehr zur Atomenergie. Alle deutschen Energiekonzerne haben sich längst aus dem Geschäft verabschiedet und halten eine Laufzeitverlängerung für völlig unrealistisch. Der Bund hat mit der BASE eine eigene Bundesagentur gegründet, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Atomenergie hierzulande abzuwickeln.

Gleichzeitig sind sich die Klimaexpert*innen einig: Atomenergie bietet keine Lösungen für die Klimakatastrophe. Aufgrund langwieriger Genehmigungs-, Planungs- und Bauzeiten dauert es Jahrzehnte, bis ein Atomreaktor ans Netz gehen kann. (...) Hinzu kommen die unsäglichen Folgen des Uranbergbaus und die hohe CO2-Last der Atommüllversorgung über Zeiträume von Hunderttausenden von Jahren. Eine Studie in der Fachzeitschrift Nature hat kürzlich erst zeigen können, dass Investitionen in Erneuerbare Energien klimaschädliche Gasemissionen relevant senken, während eben dies Atomenergie nicht vermag.

Zudem geht die Bedeutung der Atomenergie weltweit zurück, die existierenden Reaktoren altern, neue werden kaum gebaut und wenn, dann nur von Ländern mit militärischen Atomprogrammen oder Ländern, die solche entwickeln wollen.

    Beispiel Vereinigtes Königreich

Atomwaffenstaat seit 1952: Wie in den USA werden auch hier massive Subventionen für die Atomindustrie investiert, denn ohne diese hätte sich die Privatwirtschaft längst aus der Sparte herausgezogen. Britische Stromkunden kommt der Bau des anvisierten chinesisch-französischen Großreaktors in Hinkley Point teuer zu stehen – die Kilowattstunde wird für Jahrzehnte garantiert teurer sein als erneuerbar produzierter Strom. Firmen wie Rolls-Royce erhalten üppige Staatsgelder für die Entwicklung von SMR. Gleichzeitig steht die Modernisierung der britischen Atom-U-Bootflotte an, der maßgeblich auf der Weiterentwicklung von SMR beruht. Zufall?

    Beispiel Frankreich

Atowaffenstaat seit 1960: Innerhalb der EU drängt Präsident Macron auf finanzielle Hilfen für die strauchelnde Atomwirtschaft. Nach der Pleite des Vorzeigeunternehmens Areva droht nun auch dem Staatsbetrieb EDF die Zahlungsunfähigkeit. Korrosionsschäden an Reaktorhüllen, Korruptionsskandale, die blamablen Manipulationen und Materialfehler der renommierten Industrieschmiede in Le Creusot, heruntergefahrene Atommeiler aufgrund von Sicherheitsbedenken oder zu hohen Temperaturen in den französischen Flüssen und das Debakel um den Europäischen Druckreaktor in Olkiluoto und Flamanville haben den einstigen Riesen schrumpfen lassen. Der Aktienkurs des weltweit zweitgrößten Stromerzeugers ist in den vergangenen 13 Jahren um 87 Prozent eingebrochen. Der Konzern vermeldet aktuell rund 42 Milliarden Euro Schulden und muss in den nächsten Jahren mindestens 55 Milliarden in den Weiterbetrieb der veralteten französischen AKW stecken. Die Coronakrise hilft nicht unbedingt - EDF steckte 2020 erneut in tiefroten Zahlen - ein privates Unternehmen würde solche Tatsachen nicht überleben. So treibt EDF lediglich Frankreichs Staatsverschuldung in die Höhe. Frankreichs Atomindustrie braucht dringend Geld und sucht dieses in den Töpfen des EU Green Deals. Und mitten in diese Situation platzt die Nachricht, dass Macron künftig weiter auf Atomenergie setzen und der Industrie zu neuem Glanz verhelfen möchte. Selbst einen neuen Flugzeugträger will er bauen lassen, der mit SMR betrieben werden soll. Zufall?

    Beispiel China

Atomwaffenstaat seit 1964: während das Land massiv in erneuerbare Energien investiert, werden knapp fünf Prozent des jährlichen Strombedarfs in China weiterhin durch AKWs abgedeckt. China entwickelt mittlerweile selbst Atommeiler und forscht an neuen Reaktortypen. Im Mittelpunkt der chinesischen Militärforschung: die Entwicklung von SMR für atombetriebene U-Boote und den ersten eigenen atombetriebenen Flugzeugträger. Zufall?

    Beispiel Russland

Atomwaffenstaat seit 1949: Als erstes Land der Welt hat Russland  den "schwimmenden Atomreaktor" Akademik Lomonosow entwickelt, also ein Schiff mit zwei SMR, die über den Seeweg an nahezu jede Küste der Welt gebracht werden können. Für 740 Millionen US-Dollar, also rund 11.600 US-Dollar pro installiertem Kilowatt versorgt die Akademik Lomonossow aktuell die 4.000-Einwohner-Stadt Pewek im Fernen Osten Russlands.

Die staatliche Atomagentur Rosatom sieht sich gern als Exporteur von Nukleartechnologie und plant laut eigenen Angaben aktuell 32 Reaktorneubauprojekten in zwölf Ländern. Die meisten dieser Projekte sind jedoch Luftnummern. Nur an vier Standorten wird ernsthaft gebaut: in der Türkei, in Bangladesch und in Indien. Mehrere der geplanten AKW befinden sich in Erdbebengebieten, der Bau wird von massiven Protesten und Bedenken begleitet. Dennoch investiert der russische Staat massiv in den Export von Atomtechnologie und die Weiterentwicklung von SMR. Zufall?

    Quersubventionen für das Militär.

Wenn es also nicht wirklich um das Erreichen der Klimaziele geht, die Atomeskapaden Steuerzahler und Stromkunden viel Geld kosten und gleichzeitig große Sorgen um die Sicherheit der Atommeiler bestehen, worum geht es dann eigentlich? Die Forscher der University of Sussex haben diese Frage über viele Jahre bearbeitet und kommen zu einer bedrückenden Antwort: Es handelt sich bei der staatlichen Unterstützung der zivilen Atomindustrie um Quersubventionen für das Militär. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW kommt in einem Bericht zu dem Schluss, dass Atomkraftwerke ursprünglich "vor allem als ‚Plutoniumfabriken mit angehängter Stromproduktion‘ konzipiert" wurden. "Die treibende Kraft waren militärische Entwicklungen und Interessen, vor allem die Erzeugung von waffenfähigem Plutonium als auch – insbesondere in den USA in den 1950er Jahren – die Entwicklung von Druckwasserreaktoren als U-Boot-Antriebstechnik." Daran hat sich bis heute wenig geändert. Interesse an einer zivilen atomaren Infrastruktur haben heute nur noch Länder, die große militärische Atomprogramme haben oder solche aufbauen wollen. Die enormen Kosten für die Entwicklung, Forschung und Aufrechterhaltung von militärischen Atomkomponenten wäre ohne das Rückgrat einer zivilen atomaren Infrastruktur nicht vermittelbar. Seit Jahrzehnten wandelt sich die Bedeutung der unterschiedlichen Bestandteilen der atomaren Triade. Flugzeug- und landgestützte Atomwaffensysteme verlieren zunehmend an militärischer Bedeutung, während die seegestützten Systeme wie Atom-U-Boote im Gegenzug an Bedeutung gewinnen.

Der Bau moderner SMR ist somit Garant und Bedingung für die Etablierung einer seebasierten atomaren Abschreckung. Viele U-Boot-Systeme kommen derzeit in die Jahre und müssen aufwendig modernisiert werden. Daher das Interesse von Staaten wie Frankreich, den USA, China, Russland oder dem Vereinigten Königreich an neuen SMR-Technologien. Auch Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea, die vier sogenannten "inoffiziellen" Atomwaffenstaaten, suchen nach Wegen, mit von der Partie zu sein.

Die britische BBC brachte das Konzept für Großbritannien kürzlich auf den Punkt: "Stromrechnungen subventionieren Atom-U-Boote." Anders ausgedrückt, müssen britische Stromkunden überhöhte Tarife zahlen, um eine Technologie im Markt zu halten, die zwar keine Vorteile für ihr Portemonnaie, ihre Gesundheit, ihre Umwelt oder ihren ökologischen Fußabdruck mit sich bringt, aber vom Militär dringend benötigt wird. Zivile SMR machen wirtschaftlich, ökologisch und technisch wenig Sinn. Viel Sinn machen Sie als Antrieb von U-Booten, Flugzeugträgern oder für die Versorgung mobiler Militärbasen in abgelegenen Regionen. Digitalisierung, Drohnen, Laserwaffen und vieles mehr müssen mit Strom versorgt werden.

    weltweit neuer Rüstungswettlauf

Weltweit tobt derzeit ein neuer Rüstungswettlauf um Technologien und Systeme, mit denen Atomwaffen weltweit eingesetzt und damit das Abschreckungspotential des eigenen Atomprogramms maximiert werden kann. Die staatlichen Subventionen neuerer Atomtechnologien, die Propaganda für SMR und die Rufe nach einer sogenannten atomaren "Renaissance" fügen sich alle wissentlich oder unwissentlich in diese übergeordnete Strategie ein. Die Versprechen einer klimafreundlichen "Übergangstechnologie" werden durch die Realität Lüge gestraft.

Wir brauchen in der Debatte um die Zukunft der Atomtechnologie eine ehrliche und umfassende Transparenz. Genau das fürchten die Befürworter jedoch, denn sie wissen, dass es weltweit keine gesellschaftliche Unterstützung für Atomwaffentechnologien gibt. Dabei muss klargestellt werden: Wer sich für Atomenergie einsetzt, befördert die atomare Aufrüstung. Wer die Welt von Atomwaffen befreien will, muss auch gegen die zivile Atomindustrie vorgehen.@

www.ippnw.de Jan.2021

 

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