'Der Atomstaat' und seine Aktualität heute
In dem 1977 erschienenen Buch "Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit" hat Robert Jungk eindrücklich vor "dem lebensfeindlichen Charakter" der Atomenergie gewarnt. Die Warnungen sind leider aktuell geblieben.
Robert Jungk hat den Begriff "Der Atomstaat" erstmals bei einer Kundgebung gegen das deutsche AKW Brokdorf am 19. 2. 1977 verwendet. Die Stimmung bei der Demonstration war ziemlich aufgebracht, es gab ein riesiges Polizeiaufgebot und brutale Gewaltanwendung gegen Demonstranten – gesprochen wurde von der "Schlacht um Brokdorf". Offensichtlich wollte man ein Exempel statuieren, um vor weiteren Kundgebungen abzuschrecken. Erfreulicherweise gab es keinen Toten, wie kurz davor bei einer Demonstration gegen den Schnellen Brüter im französischen Malville, die Stimmung muss aber auch hier – so Jungk – bedrohlich gewesen sein. Er habe den Begriff "Atomstaat" nicht am Schreibtisch vorbereitet, sondern dieser sei "wie eine plötzliche Eingebung" in seinem Kopf während der Rede aufgetaucht, schreibt Jungk in seinen Memoiren.
"Mit der technischen Nutzbarmachung der Kernspaltung wurde der Sprung in eine ganz neue Dimension der Gewalt gewagt. Zuerst richtete sie sich nur gegen militärische Gegner. Heute gefährdet sie die eigenen Bürger. Denn ´Atome für den Frieden´ unterscheiden sich prinzipiell nicht von ´Atomen für den Krieg´. Die erklärte Absicht, sie nur zu konstruktiven Zwecken zu benutzen, ändert nichts an dem lebensfeindlichen Charakter der neuen Energie. Die Bemühungen, diese Risiken zu beherrschen, können die Gefährdungen nur zu einem Teil steuern. Selbst die Befürworter müssen zugeben, dass es niemals gelingen wird, sie ganz auszuschließen. Der je nach Einstellung als kleiner oder größer anzustehende Rest von Unsicherheit birgt unter Umständen solch immenses Unheil, dass jeder bis dahin vielleicht gewonnene Nutzen daneben verblassen muss." "Dieser Griff in die Zukunft, die Angst vor den Folgeschäden der außer Kontrolle geratenen Atomkraft wird zur größten denkbaren Belastung der Menschheit: sei es als Giftspur, die unauslöschlich bleibt, sei es auch nur als Schatten einer Sorge, die niemals weichen wird." Sein Buch sei "in Angst und Zorn geschrieben": "In Angst um den drohenden Verlust von Freiheit und Menschlichkeit. In Zorn gegen jene, die bereit sind, diese höchsten Güter für Gewinn und Konsum aufzugeben", so Jungk. Viele würden meinen, über Technologien müsse ohne Emotionen gesprochen werden. Doch dies sei die heutige Version der biedermeierlichen Beschwichtigung: "Ruhe ist erste Bürgerpflicht", meint Jungk. "Wer den Ungeheuerlichkeiten, die der Eintritt in die Plutoniumszukunft mit sich bringen muss, nur mit kühlem Verstand, ohne Mitgefühl, Furcht und Erregung begegnet", so Jungk weiter, "wirkt an ihrer Verharmlosung mit". Es gebe Situationen, in denen die Kraft der Gefühle mithelfen müsse, einer Entwicklung gegenzusteuern und das zu verhindern, "was nüchterne, aber falsche Berechnung in Gang gesetzt hat."
Jungk schildert die grundsätzliche Gefahr der Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten, zu der neben dem damals akut werdenden politischen Terrorismus die zunehmenden "Sicherheitsrisiken" der rasch an Zahl zunehmenden Atomanlagen führten. "Der Doppelantrieb von Terror- und Atomfurcht wird die Industriestaaten dazu veranlassen, alle `Erkenntnisse´, die über ihre Bürger in den verschiedensten staatlichen und privaten Datenbanken gehortet sind, bei Bedarf zu einem einzigen Warn- und Kontrollsystem von nie zuvor gekannter Dichte zusammenzuschalten." Robert Jungk sieht in der Irreversibilität von Prozessen, die durch die Atomspaltung angestoßen werden, das Hauptproblem. Diese sei eine "ganz neue historische Erfahrung". "Ist ein Reaktor einmal angefahren, dann werden damit Prozesse in Gang gesetzt, die man auf lange Zeiten hin nicht mehr aus der Welt schaffen kann. Generationenlang andauernde radioaktive Zerfallsvorgänge mit ihren Strahlengefahren für alles Lebendige müssen von da an sorgfältigst und in Permanenz kontrolliert werden." So ist der Atommüll auch heute das noch immer verdrängte Problem, das künftigen Generationen aufgebürdet wird. Plutonium hat etwa eine Halbwertszeit von 27.000 Jahren, das entspricht an die 500 Generationen. "Dahinter steht die noch umfassendere Frage, ob die bisherige, auf Unterwerfung und Ausbeutung zielende Richtung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts für den Menschen noch taugen können." "All diejenigen, die mit der Bewegung gegen die Atomkraftwerke ausschließlich die Vorstellung von Protest oder gar Gewalt verbinden, sollten verstehen, dass diese Menschen nicht nur Gegner sind, sondern in erster Linie für etwas eintreten. Für die Erhaltung ihrer bedrohten Existenz haben die Bauern von Whyl, Saint Laurent, Kalkar und Brokdorf demonstriert. Für ihre Gesundheit gingen die Arbeiter von La Hague auf die Straße. Für die Erhaltung der Umwelt wurde der Bauplatz von Seabrook (USA) besetzt, für ihre Nachkommen und die bedrohte Zukunft der Kommenden sind Japaner, Basken, Italiener und Holländer in Hungerstreik getreten, für die von Uranabbau bedrohten Urbewohner ihres Landes traten die australischen Docker in den Ausstand. Für weiteste demokratische Mitbestimmung bei der Vorbereitung technischer Großprojekte, die zum Großteil aus Steuergeldern finanziert werden, kämpften Atomgegner in Gösgen, Barsebeck und Zwentendorf."
bedarf eines anderen Lebensstils und Bewußtseins. Zu Recht verweist Jungk abschließend darauf, dass eine andere Energiepolitik ohne Risikotechnologien eines anderen Lebensstils und Bewusstseins bedarf. Er spricht von einer neuen sich anbahnenden "Internationale", deren Denkweise bestimmt sei von einem "Bekenntnis zu einem bescheidenen Leben". Diese neue Internationale sei gewachsen aus der Erkenntnis, "dass die materiellen Grundlagen der Menschheit begrenzt sind und die bisherige Verschwendungswirtschaft der Industrienationen einem Ende zugehen muss." Denn: "Nicht eine Zukunft unbegrenzten Reichtums" stehe uns bevor, "sondern eine der Verknappungen". Eng verbunden mit dieser neuen Denkweise sei zweitens, so Jungk weiter, "das Streben nach Gerechtigkeit". Eine Internationale, die es mit der Solidarität ernst nimmt, müsse die gewaltigen Unterschiede im Lebensniveau der ´entwickelten´ und ´weniger entwickelten´ Länder ernster nehmen als bisher.@ Quelle: https://jungk-bibliothek.org |
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