Kurz gesagt: Klimaaktive fordern mehr Aufklärung. Atom-Spin auf dem Klimakrisen-Trittbrett von Eva Stegen »Klimakrise in die Medien!« - Lange haben "die Medien" die Rufe der Klimaschutz-Aktiven nach Berichterstattung zur Klimakrise konsequent überhört. Selbst über Klimabrände und Wetterextreme wurde oft mit quotenheischenden Bildern und emotionalisierender Sprache berichtet, ohne das K-Wort auch nur zu erwähnen. Das Muster "Keine Einordnung, weil die Agentur sie nicht mitliefert" zieht sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung. Obwohl eine Umfrage kurz vor der letzten Bundestagswahl belegte, dass die Klimakrise auf Platz 1 der Sorgen der Menschen rankte, kam das Thema medial schlicht nicht vor, bis die Schulstreiks eine Trendwende einleiteten. Doch kaum dass die Rufe der Leserschaft erhört werden, fällt auch der gewichtige Trittbrettfahrer auf, der zunehmend häufig auf dem Klimazug mitfährt: Atomlobbyisten bekommen irritierend oft eine mediale Bühne, um ihren mehrfach widerlegten Mythos, Atomkraft sei ein Klimaretter, mit großer Reichweite zu ventilieren. »Brauchen wir Atomkraft, um den Klimawandel zu stoppen?« fragte das neue Video des Formats "Kurzgesagt", das im Auftrag des ZDF für "funk" produziert wird. Unbedarfte aus der jungen Zielgruppe werden vermutlich "eigenständig" zu der Überzeugung kommen, die rhetorische Frage mit "Ja" zu beantworten, weil ihnen das Fachwissen fehlt, die Meinungsmache zu durchschauen. In Wort und Bild wird suggeriert, es bestünde eine Notwendigkeit für Weiterbetrieb und Neubau von AKW. Der Plot gipfelt in der Aufforderung, das zu akzeptieren: »…je länger wir das nicht akzeptieren desto härter wird der Kampf.«
Der Film behauptet manipulativ, dass wir »etwa im gleichen Tempo Atomkraftwerke vom Netz genommen haben wie wir erneuerbare Energien hinzugefügt haben«. Eine grob verzerrte Darstellung, insbesondere im Betrachtungszeitraum 2000 – 2019, auf den der Film sich bezieht. Die Zahlen zeigen, dass die Stilllegungen der Atomanlagen, die das Ende ihrer technischen beziehungsweise wirtschaftlichen Betriebszeit erreicht haben, durch den AKW-Zubau im selben Zeitraum gerade einmal ausgeglichen werden konnten: Mehr als ein Stromproduktions-Zuwachs von 8% war in 19 Jahren nicht drin (2.600 TWh –> 2.800 TWh). Zeitgleich legten die Erneuerbaren um 145% zu (2.900 TWh –> 7.000 TWh). Um den Eindruck zu erzeugen, die ganze Energiewende sei für die Katz, wird weggelassen, dass a) die Stromproduktion insgesamt um 73% gestiegen ist, b) dass die Atomkraft seit mehr als 60 Jahren massiv gefördert wird und ihr Beitrag zum Wachstum trotzdem nur minimal ist und c) dass die wachstumsstarken Erneuerbaren, PV und Windkraft, erst vor rund 20 Jahren Zugang zum kommerziellen Strommarkt bekamen. Sie haben ihr großes Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Es gibt eine Reihe Peer-Review-validierter Studien die belegen, dass eine 100% Erneuerbare Energieversorgung möglich ist - sowohl hier als auch weltweit. Keine dieser Studien wird in dem Film zitiert oder in den Quellen genannt.
Stattdessen wird nach dem Rosinenpicker-Prinzip behauptet, BRD-»Windenergie gleicht nur die fehlende Atomkraft aus, statt Kohle zu ersetzen«. Das ist falsch. Im Betrachtungszeitraum sank die Atomstromproduktion um 95 TWh. Im selben Zeitraum legte allein die Windkraft um 116 TWh zu, von knapp 10 TWh auf 126 TWh. Dazu kamen 89 TWh aus weiteren regenerativen Quellen. In den 19 Jahren, auf die sich der Film bezieht, steht der Abnahme von Atomkraft um 95 TWh also eine Zunahme von Erneuerbaren um 205 TWh gegenüber. Hier wird massive Desinformation betrieben.
Anders als bei anderen Kurzgesagt-Filmen, fällt in den zugehörigen Quell-Informationen ein deutliches Übergewicht auf: 36 von 54 Links leiten auf die Website von "Our World in Data", die an anderer Stelle mit umstritten niedrigen Todeszahlen glauben machen will: »die Atomkraft ist eine der sichersten Energiequellen« (Mehr Details in den Zusatzinfos unten). Die Verfasser*innen des englischen Quellentextes, dessen Übersetzung den im Film gesprochenen Text liefert, bleiben anonym, auch auf Nachfrage. Eine weitere öffentlich zugängliche Quelle, die der Film leider nicht nutzt (energy-charts.info), belegt den anhaltenden Zuwachs der Erneuerbaren. Sie liefern 2020 mehr als alle fossil-atomaren Quellen zusammen. Richtig ist also, dass die Erneuerbaren nicht nur Atomstrom, sondern auch Kohlestrom ersetzt haben.
Grob irreführend ist die Aussage: »Länder wie Frankreich haben aber gezeigt, dass es trotz der Nachteile möglich ist, Atomenergie als Teil der Lösung einzusetzen.« Gerade dort wachsen die Probleme im alternden Kraftwerkspark. AKW fallen im Sommer aus, wenn bei Dürre das Kühlwasser der Flüsse nicht reicht. Der Film nennt dieses Problem aber ausschließlich im Kontext mit Wasserkraftwerken: »Regnet es in einem Jahr aber wenig, kann das zu Engpässen führen« und suggeriert nachfolgend: »Wir scheinen also Atomenergie zu brauchen«, grad so, als ob das Niedrigwasser der Flüsse die AKW nicht beträfe. Auch im Winter kommt es im Musterschüler-Atomland immer wieder zu Engpässen. Seit 2008 fordert der Netzbetreiber RTE seine Kunden regelmäßig über Radio, Mails, SMS etc. auf, die Verbrauchsspitzen zu dämpfen und Strom zu sparen. Skurrile Maßnahmen wie eingeschränkte Straßenbeleuchtung sind eine Folge. Aber eben auch immer wieder großflächige Stromausfälle, bei denen mehrere Hunderttausend im Dunkeln sitzen. Mit keinem Wort wird erwähnt, welche großen Probleme Frankreich mit seinem einzigem AKW-Neubauprojekt Flamanville, mit der gesamten Reaktorbausparte und der Zulieferindustrie für Ersatzteile hat. Der Creusot-Skandal hat massive Auswirkungen auf die gesamte Atomwirtschaft weltweit. Kein Wort darüber, dass trotz vollmundiger Versprechen das Halten des Status Quo der Nuklearkapazitäten auf Kosten der Sicherheitsmargen geht und dass trotzdem Frankreichs Schlüsselindustrie als ein riesiges Milliardengrab sogar den Staatshaushalt in Bedrängnis bringt. Das auch nur als »Teil der Lösung« zu deklarieren ist unredlich. Das französische Stromversorgungssystem ist auf Kante genäht, die Stromausfallquote liegt seit Jahren mehrfach über der deutschen, obgleich hierzulande mittlerweile über 50% des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt. Die Phasen, in denen große Teile des französischen AKW-Parks nicht verfügbar sind, mehren sich. Corona tut ein Übriges, um die Wartungsarbeiten zu erschweren. Wenn im Winter französische Stromheizungen mit Importstrom betrieben werden und die Nachbarn dafür ihre Kohlekraftwerke hochregeln, besteht kein Anlass, Atomkraft als »die Lösung« der Klimakrise zu proklamieren.
Als zweiter Musterschüler wird Schweden genannt. Die im Film angegebenen »fast 40 % Atomstrom« weichen deutlich von den Zahlen der IAEA ab, die für 2019 nur 34% angibt. Die Abschaltung von Ringhals 2 im Dez 2019 wird sich auf die 2020-er Bilanz auswirken. Von 13 schwedischen Reaktoren sind mittlerweile 6 endgültig abgeschaltet, im Dezember 2020 folgt mit Ringhals 1 der siebte. Der Betrieb ist nicht mehr wirtschaftlich, so Vattenfal. In Schweden legt insbesondere die Windkraft zu, von 0,4 TWh (2000) auf 20 TWh (2019), Ende 2020 werden es 29 TWh sein. Während Schweden eher einen Transformationspfad beschreitet, ist Frankreich ein Beispiel für technologische Sperrhaltung: trotz bester geographischer Bedingungen wurden die Erneuerbaren lange politisch zurückgedrängt. Der Film verschweigt, dass im Interesse der Atommacht von nebenan die wesentlich günstigeren Erneuerbaren klein gehalten werden. Der Anteil der Windkraft lag 2019 bei mageren 6%, die Solarenergie lieferte gerade 2%. Weitere Beispiele, die das Muster einer technologische Sperrhaltung zeigen:
Die Frage, ob wir Atomkraft brauchen, um den Klimawandel zu stoppen, haben schon viele gestellt. Gerne wurden dazu einzelne Länder gegenübergestellt, um den Beweis für die jeweils bevorzugte Hypothese zu liefern, entweder die im Film vertretene, dass es ohne Atomkraft nicht ginge. Oder die konträre, dass sich Atomkraft und erneuerbare gegenseitig verdrängen. Ein aktuelle Studie hat diese Hypothesen systematisch, anhand von Langzeit-Datensätzen aus 123 Ländern untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass starke nationale Atomkraft-Fixierung nicht mit signifikant geringerem CO2-Ausstoß korreliert, während dies bei regenerativ-orientierten Staaten der Fall ist. Das funk-Team fegte den Hinweis auf die in Nature Energy veröffentliche Studie lapidar vom Tisch: Sie habe »diverses kritisches Feedback für ihre Methoden bekommen und werden daher von der Redaktion als problematisch eingeordnet. Zum einen werden dort gerade Länder wie Schweden und Frankreich ignoriert, die besonders auf Atomkraft setzen.« Das ist nachweislich falsch, sie werden weder ignoriert noch als Sonderfälle herausgestellt. »Zum anderen gibt es auch mathematische Mängel« so das Funk-Team weiter, das eine gewisse wissenschaftliche Unbekümmertheit zelebriert, indem es versucht, eine peer-Review-validierte Studie mit einen Tweet abzuräumen, der einwirft: »Vielleicht habe ich falsch gerechnet…«. Der Verfasser, Ken Caldeira*, ist ein ausgewiesener Atomkraft-Unterstützer, er durfte sich im Guardian darüber ausbreiten, dass Atomkraft den einzig gangbaren Weg im Klimawandel ebne. Der Atmosphärenwissenschaftler fantasierte von einer Zubau-Rate von 61 AKW jährlich und bemühte als "Beleg" für die Machbarkeit einen Blick in die Aufbauphase der nuklearen Kraftwerksparks in Frankreich und Schweden aus den 1960/70-ern. Bezeichnend, dass behauptet wird: »die Länder mit der meisten Atomenergie haben derzeit die sauberste Elektrizität«, während die verlinkte Tabelle ebenso gut den entgegengesetzten Schluss zulässt (wenn CO2-arm das einzige Kriterium für "sauber" wäre).
Ein eklatantes Beispiel für Rosinenpickerei findet sich bei dem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat der Union of concerned Scientists, UCSUSA. Ein Satz aus einem Artikel, der sich mit »schwerwiegenden wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Problemen« der Atomkraft befasst, soll die Eingangsthese des Kurzgesagt-Films unterfüttern, »immer mehr Stimmen aus der Wissenschaft und dem Umweltschutz« hielten Atomkraft für einen Klimaschützer. Dabei weist der UCSUSA -Artikel unter anderem darauf hin, dass mehr als 1/3 des US Atomkraftwerksparks unwirtschaftlich arbeitet. Die UCSUSA beobachtet, dass der Kostendruck der durch die günstigeren Alternativen verursacht wird, die Wirtschaftlichkeit der Atomkraft bedroht. Dieser Druck, so kritisiert die UCSUSA, treibt die Industrie an, Sicherheitsstandards zu reduzieren. Nichts von den Erkenntnissen der benannten Zitatquelle findet sich in dem Kurzgesagt-Film wieder. Stattdessen werden Dinge behauptet wie: »die Zahlen legen also nahe, dass wir die Atomenergie brauchen, um unsere Stromversorgung möglichst kohlenstofffrei zu bekommen«. Neue Reaktorkonzepte
Äußerst problematisch ist die gewagte These, es gäbe »heute vielversprechende neue Konzepte«. Bei diesen Power-Point-Reaktoren wird die Illusion der Verfügbarkeit von Lösungen erzeugt und falsche Hoffnungen werden geweckt, denn diese »Konzepte« sind keineswegs neu. Der Nachweis für ihre Machbarkeit fehlt, obgleich einige davon bis in die 1940er und -50er Jahre zurückreichen. Das als »vielversprechend« darzustellen ist einseitig. Das Lösungspotenzial ist keineswegs so unumstritten, wie es der Film glauben machen will und es gibt viele seriöse, kritische Stimmen, welche massive Zweifel an der Realisierbarkeit dieser theoretischen Konzepte äußern. Selbst wenn junge, schöne Atommüllerstöchter in aufwändig produzierten Kinofilmen versprechen, sie könnten Atommüll zu Strom verspinnen, um kapitalstarke Investoren zu ködern, die bereit sind, viel Geld in den Sand setzen – die klassische Startup-Strategie geht nicht immer auf. Transatomic Power hat so zunächst viel Aufmerksamkeit und Geld auf sich gezogen, bevor es im September 2018 aufgeben musste, einige Monate nachdem es überzogene Angaben zu seinem "fortschrittlichen Reaktordesign" revidiert hatte. Die Überprüfung durch MIT-Professoren hatte schwerwiegende Berechnungsfehler aufgedeckt. Mit dem milliardenschweren Klimafreund Bill Gates versucht sich bereits der siebte am Prinzip des Laufwellenreaktors seit 1958. Dazu gründete er 2006 das Unternehmen Terrapower. Seine Firma forscht auch an der Entwicklung eines Flüssigsalzreaktors, eine Idee aus dem Jahr 1946, die 1954 aufgegeben wurde. In einem detaillierten Vortrag zeigte der Thorium-Experte Rainer Moormann im Nov 2017 die Schlüsselprobleme der »als GenIV angepriesenen Reaktorkonzepte für Thoriumeinsatz« auf. Sie »wurden sämtlich in der Frühzeit der Kerntechnik entwickelt und später wegen Problemen aufgegeben«.
Wer wie im Kurzgesagt-Film Zusatzinfos
‚funk‘ ist ein Content-Netzwerk der öffentlich-rechtlichen Sender, das durch den Rundfunkbeitrag finanziert wird. Das Jahres-Budget von etwa 45 Mio. Euro kommt vom ZDF und von der ARD. Funk erklärt, dort gäbe es wegen des öffentlich-rechtlichen Auftrags »keine Werbung und keine Produktplatzierungen«. Auf dem funk-Videokanal von AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber, ist ein weiterer Atomkraft-Promotions-Film eingestellt: »Atomkraft kann auch anders« ‚Kurzgesagt‘ ist eine Designagentur und ein Animationsstudio, das Erklärvideos erstellt und Grafikdesign-Dienstleistungen anbietet. Zu den Kunden gehören das ZDF, die Bill and Melinda Gates Foundation, Microsoft, Lyft, UNIDO, Siemens u.v.m. Die Bill and Melinda Gates Foundation ist die größte private Stiftung der Welt, sie finanziert eine große Bandbreite an Projekten, unter anderem zu Gesundheit, Bildung, Innovation. Ob es nicht sinnvoller wäre, dass demokratisch legitimierte Instanzen den finanziellen Bedarf wichtiger Projekte organisieren anstelle von kapitalstarken Philanthropen, soll hier nicht weiter erörtert werden. Auch wenn die Zuwendungen diverser Einrichtungen des Nuklear-Startup-Gründers Gates an die Beteiligten der funk- beziehungsweise Kurzgesagt-Filme in keiner nachweisbaren Abhängigkeit zum Inhalt des Beitrags stehen, steht doch die Unbefangenheit der Produzenten in Frage. Die Bill and Melinda Gates Foundation gibt die Förderung für kurzgesagt in 2015 mit 570.000 $ an. Für OurWorldInData schreibt dessen Gründer Max Roser über die Förderung durch die Gates Foundation: »2016 haben wir auch eine Zusammenarbeit mit dem YouTube-Kanal Kurzgesagt begonnen und im Dezember unser erstes Video veröffentlicht. Sowohl die Partnerschaft mit der Gates Foundation als auch mit Kurzgesagt besteht bis heute fort.« In einem englischsprachigen Kurzgesagt-Video sind die pronuklearen Botschaften subtiler. Darunter steht: »Dieses Video ist Teil einer Reihe über den Klimawandel, die von Breakthrough Energy unterstützt wird, einer von Bill Gates gegründeten Koalition …« Die Breakthrough Energy Coalition ist eine globale Gruppe von 28 vermögenden Investoren, die sich für die Finanzierung "sauberer Energieunternehmen" einsetzt. Neben Gründer Bill Gates sind unter anderem Jeff Bezos, Marc Zuckerberg, George Soros dabei. Bill Gates investiert in Atomkraft. 2006 gründete er Terrapower, das "neuartige Reaktorkonzepte" entwickelt. Die Lobbyausgaben des Nuklear-Startups Terrapower beliefen sich 2020 auf 240.000 $. Lobbyfact Europe beschreibt Gates Ventures, LLC. als das private Büro von Bill Gates, das unter anderem Initiativen in den Bereichen saubere Energieinnovation unterstützt. Neben dem US-Headoffice gibt es eine Niederlassung im Brüsseler EU-Viertel. Ken Caldeira: 23.3.2020 "Heute startet mein neuer Job. Ich arbeite für Bill Gates, unterstütze ihn, Wissen und menschliche Fähigkeiten zu entwickeln um dem globalen Klima/Energie-Problem zu begegnen. aus: Freitag am 3.12.2020 |
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