Bislang wenig Aussicht für tragfähigen Konsens
bei der Suche nach einem Atommülllager-Standort Mediator*innen mahnen von Dr. Dieter Kostka und Roland Schüler Trier / Köln, 30. September 2020
Offener Brief Sehr geehrte Damen und Herren, Ziel der gegenwärtigen Suche ist es, "in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren" einen Standort "mit der bestmöglichen Sicherheit" zu ermitteln (§2 Abs. 1 Satz 1 Standortauswahlgesetz). Dieses anspruchsvolle Ziel hat in der Form Gesetzeskraft, und darüber wurde zuvor lange gerungen. Mediator*innen aus dem Bundesverband Mediation und dem Förderverein Mediation im öffentlichen Bereich kritisieren das aktuelle Vorgehen der zuständigen Behörden als nicht ausreichend unter Konfliktlösungs-Aspekten und nicht konform mit dem Geist des Gesetzes. Mit dieser Kritik sollen sowohl die betroffene Bevölkerung als auch die handelnden Personen bei den zuständigen Behörden, der Politik und dem Vorhabenträger an ihre Verantwortung erinnert werden.
Wo Wir haben in Deutschland hochradioaktiven Atommüll – seit gut 60 Jahren. Wir denken darüber nach, wo dieser Atommüll schließlich gelagert werden soll – seit gut 40 Jahren. Wir haben deswegen jetzt ein Gesetz, wie ein Standort gefunden werden soll – seit sieben Jahren: das "Standortauswahlgesetz" (StandAG). Seit drei Jahren haben wir ein Suchverfahren. Und auch das ist noch nicht ganz fertig, denn es soll ein "lernendes Verfahren" sein. Wir haben in Deutschland somit einen Konflikt über unseren Atommüll – seit mindestens 40 Jahren ohne Lösung. Deswegen steht im Gesetz nicht nur, wie man herausbekommen möchte, wo der Atommüll am besten gelagert werden soll, sondern auch, dass es dazu ein-es breiten Konsenses bedarf, der auch von den am Ende Betroffenen toleriert werden kann. Der zuständige Vorhabensträger (BGE) und die zuständige Behörde (BASE) starten nun Ende September 2020 die heiße Phase des "Standortauswahlverfahrens" mit einem Zwischenbericht zur Ermittlung von Teilgebieten, und knapp drei Wochen später gleich mit dem Auftakt zur sogenannten "Fachkonferenz Teilgebiete". Als Konfliktexpert*innen aus zwei Mediationsverbänden, die das Thema seit sieben Jahren beobachten, interessiert uns, ob und ggf. wie es tatsächlich möglich gemacht werden kann, dass die Frage, wo der Atommüll verbindlich gelagert werden soll, zufriedenstellend beantwortet wird und zugleich der bisherige Konflikt im ersten Schritt bearbeitet und dann beigelegt werden kann. Was wir bisher wahrnehmen, lässt uns leider wenig zuversichtlich sein - obwohl zielführende Wege immer noch möglich wären. Notwendige Elemente dafür möchten wir hier aufzeigen.
Schritt für Schritt – statt Zeitdruck und Informationsflut Zu Recht verlangt das Standortauswahlgesetz Transparenz. Dafür reicht es aber nicht, dass große Mengen von Informationen prinzipiell auffindbar sind. Man muss auch wissen, wonach man suchen muss, und dazu wiederum, inwiefern man überhaupt betroffen ist oder sein könnte. Anschließend muss dann die Möglichkeit bestehen, die Informationen angemessen verarbeiten zu können. Hier gab es allerdings bereits im Vorfeld Versäumnisse und Vorfestlegungen, die die Schaffung von Transparenz erschwert haben und weiter erschweren: Eine Herausforderung des Suchverfahrens war etwa der Umstand, dass zu Beginn nicht klar war, in welchen Regionen nach einem Standort für das Lager gesucht werden wird, so dass unklar war, wer konkret die Betroffenen sein würden. Erst die eigene Betroffenheit führt jedoch bei vielen Menschen zu einem Beteiligungswunsch: das sogenannte "Beteiligungsparadoxon". Mit der Benennung der Teilgebiete entsteht nun erstmals potenzielle Betroffenheit im Hinblick auf eine tiefengeologische Lagerstätte, so dass zentrale Fragen danach auf der Fachkonferenz Teilgebiete mit der potenziell betroffenen Bevölkerung besprochen werden könnten. Bereits das StandAG baut ab der Benennung der Teilgebiete allerdings Zeitdruck auf: In maximal sechs Monaten und drei Sitzungen soll die Fachkonferenz Teilgebiete zu einer Stellungnahme gelangen. Das allein ist nach unserer bisherigen Erfahrung sehr ehrgeizig, denn Beteiligung benötigt vor allem ausreichend Zeit. Umgesetzt wurde dies nun sogar in einen Zeitraum von Februar bis Juni, somit nur vier Monaten und unter Ausschluss von organisierten Arbeitsgruppen zwischen den Konferenzen. Nun wurde für den Auftakt der Fachkonferenz Teilgebiete mit der Terminierung auf den 17.-18. Oktober 2020 begrüßenswerter Weise ein Wochenendtermin gewählt. Leider liegt dieser Termin jedoch in den meisten Bundesländern in den Herbstferien, was generell ungünstig ist, besonders jedoch unter den Corona-Bedingungen, da eine Urlaubsreise in den Frühjahrsferien nicht möglich war und viele Menschen auch auf einen Urlaub im Sommer verzichtet und stattdessen im Herbst eine Reise geplant haben. Dies als Hinweis für zukünftige Planungen. Außerdem liegt dieser Termin kurz nach der Veröffentlichung des Berichts über die Teilgebiete am 28. September 2020, so dass den Teilnehmer*innen Zeit zur Vorbereitung fehlt. Des Weiteren benötigt Transparenz nicht einfach die Offenlegung vieler Daten, sondern vor allem aller relevanter Daten. Das neue Geologiedatengesetz schafft hier jedoch nur begrenzt Abhilfe. Und statt sich dem Problem in breiter Diskussion zu stellen, soll es das Nationale Begleitgremium (NBG) richten (diese Änderung seines bisherigen gesetzlichen Auftrags hat sogar das NBG selbst kritisiert): private Daten, die nicht veröffentlicht werden dürfen, werden einigen Sachverständigen im Auftrag des NBG zur Einsicht bereitgestellt. Diese dürfen nur Stellungnahmen gegenüber dem NBG abgeben, "ob diese Daten im Standortauswahlverfahren zutreffend bewertet und sachgerecht berücksichtigt worden sind" oder vom NBG "für weitere Fragestellungen zur Berücksichtigung geologischer Daten im Standortauswahlverfahren" hinzugezogen werden; ansonsten sind sie zur Geheimhaltung verpflichtet. Transparenz im Verfahren dagegen müsste anders aussehen, Konsensschaffung auch. Die Beteiligten könnten, wenn nicht sogar sollten sich darauf verständigen, wie mit dieser Herausforderung in Zukunft umgegangen werden soll. Ob eine gesetzliche Vorgabe die Akzeptanz des Verfahrens fördert, wird die Zukunft zeigen.
Tolerierungs-Chance ohne ergebniswirksame Partizipation: Notwendige Bürger*innenbeteiligung im Rahmen der Fachkonferenz Teilgebiete Im Hinblick auf den gesuchten "Standort mit der bestmöglichen Sicherheit" muss die am Ende betroffene Bevölkerung die Suche einerseits als fair und wissenschaftsbasiert (im Gegensatz zu politisch gesetzt) bewerten und den letztendlichen Standort andererseits als den unter den gegebenen Umständen bestmöglichen ansehen, sonst wird dieser Standort aller Voraussicht nach am Widerstand der dortigen Bevölkerung scheitern. Da aber noch nicht bekannt ist, wer am Ende tatsächlich betroffen sein wird, müssen erst einmal mehrere, vielleicht zahlreiche Gebiete damit rechnen und müssten die Suche als fair erleben. Und das geschieht nur, wenn die Menschen in diesen Gebieten an der Suche jederzeit auf Augenhöhe beteiligt sind, und ihre Beteiligung im weiteren Verlauf einen spürbaren Unterschied ausmacht. Bevor die Fachkonferenz Teilgebiete überhaupt das erste Mal tagt, sind jedoch
Außerdem sind entscheidende Vorfestlegungen getroffen worden (tiefengeologische Lagerung, Auswahlkriterien, Sicherheitsanforderungen), die nun als unverrückbar gesetzter Rahmen der Suche gelten sollen. Laut Gesetz soll das Standortauswahlverfahren jedoch selbsthinterfragend und lernend sein. Hierzu müssten die Betroffenen den zuständigen Behörden, Politiker*innen und dem Vorhabenträger Anstöße geben. Die genannten Vorfestlegungen bei Bedarf noch einmal zu hinterfragen, könnte beispielsweise ein solcher Anstoß sein. Wir sehen die Gefahr, dass im weiteren Verlauf der Suche jede Region für sich in einen isolierten Abwehrkampf gerät im Sinne eines "Bloß nicht bei uns!" und somit ein egoistisches Gegeneinander der Regionen entsteht, anstatt sich gemeinsam für die bestmöglichen Rahmenbedingungen und bestmögliche Ergebnisse bei der Suche einzusetzen. Weiterhin ist die Ergebniswirksamkeit der zu erarbeitenden Stellungnahme der Fachkonferenz Teilgebiete – also ein durch sie bedingter spürbarer Unterschied - unklar: Ob die Betroffenen überhaupt im Rahmen dieser Konsultation Gehör finden und in welchem Umfang, hängt vom Wohlwollen des Vorhabenträgers und des BASE ab. Mitwirkungsrechte haben die Betroffenen qua Gesetz nicht, und selbst eine Verpflichtung, Stellungnahmen im Sinne eines inhaltlichen Einfließens zu berücksichtigen, existiert nicht. Die Betroffenen können also viel sagen, wirklich gehört werden müssen sie dagegen nicht - bei online-Formaten gilt dies verschärft. Vom Anspruch her müsste es allen, die sich beteiligen möchten, möglich sein, dies auch zu tun; niemandem darf die Beteiligung aktiv oder passiv verwehrt werden. Es dürfte somit keine Begrenzung der Zahl der Teilnehmenden geben und auch keine Teilnahmehürden wie Konferenzen zu typischen Arbeits- oder Ferienzeiten sowie entstehende Fahrtkosten, die selbst getragen werden müssen. Wenn das Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 5 Abs. 1 StandAG1 ernst genommen würde, müsste das gesamte Suchverfahren qua Gesetz inklusive der Art und Weise der Beteiligung daran mit der potenziell betroffenen Bevölkerung gemeinsam entwickelt werden. Das Verfahren ist aktuell jedoch noch weit davon entfernt, so dass dies in den kommenden Monaten von den potenziell Betroffenen noch aktiv sichergestellt werden müsste.
Einige grundlegende Fragen sind für die Fachkonferenz Teilgebiete nicht vorgesehen oder wurden bereits vorab einseitig festgelegt, müssten jedoch für eine partizipative Standort-suche unerlässlich miteinander vereinbart werden: Ort, Zeitrahmen, Moderation…
Als Mediator*innen geht es uns darum, unsere Erfahrung einzubringen, wie eine Gesellschaft mit hochkomplexen und zugleich entsprechend konfliktbeladenen Themen so umgehen kann, dass ein allseits zufriedenstellender oder zumindest erträglicher Weg dazu gefunden werden kann. Aus dieser Motivation heraus haben wir bereits vor, während und nach der Arbeit der damaligen Kommission "Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" mehrmals öffentlich unsere Stimme erhoben und vor Vorgehensweisen gewarnt, die geeignet waren, Konflikte zu erzeugen, zu befeuern oder zu vertiefen, statt diese zu bearbeiten und zu befrieden. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass die handelnden Akteure in Politik und Behörden einerseits aus ihrer Sicht gute Gründe für ihr Handeln haben, und dass dieses Handeln andererseits aber niemals "alternativlos" ist, sondern im Sinne der gemeinsamen Sache verändert werden kann. Wir hoffen daher, Nachdenklichkeit zu erzeugen, welche in Handlungsoptionen transformiert werden kann. Bei aller Kritik bietet das Standortauswahl-gesetz hierfür Ansätze, wenn wir als Gesellschaft seinen Zweck ernst nehmen und die potenziell Betroffenen und die Sicherheit nachfolgender Generationen in den Mittelpunkt des Verfahrens rücken. @
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