Übersprung
über die Verantwortung der Agrarindustrie und nachhaltige Lösungen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten Yaak Pabst in einem Interview mit dem Evolutionsbiologen Rob Wallace Das Corona-Virus ist ein Krankheitserreger, der von Tieren übersprang. Diese Übertragung von Krankheiten nennt sich Zoonose. Die Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittelproduktion, der Übertragung von wildlebenden Tieren auf den Menschen und deren weltweite Ausbreitung sind durch komplexe soziale, politische und wirtschaftliche Beziehungen geprägt, die sich nicht einfach durch die Schließung von den Märkten, an denen diese Tiere gehandelt werden beheben lassen. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben die chinesischen Behörden den Handel und den Konsum von Wildtieren verboten. Viele westliche Medien identifizierten diese Märkte und sowie den "barbarischen" Verzehr von Wildtieren als den Ursprung des Corona-Viruses. Doch die Schuld für den Ausbruch von Covid-19 so zu vereinfachen ist gefährlich und rassistisch. Es ist ein Beispiel für Orientalismus, also das Überlegenheitsgefühl des vermeintlich "aufgeklärten Westens" gegenüber dem "mysteriösen Asien". Obwohl es wichtig ist, diese Märkte zu verbieten, würde es dennoch nicht ausreichen, denn es sind weitaus tiefere Veränderungen erforderlich. Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie Lebensmittel im Allgemeinen und Fleisch im Besonderen in der kapitalistischen Wirtschaft produziert und gehandelt werden. Den Zusammenhang von der Corona- Pandemie mit der Agrarindustrie hat Yaak Pabst in einem Interview mit dem Evolutionsbiologen Rob Wallace über die Gefahren von Covid-19, die Verantwortung der Agrarindustrie und nachhaltige Lösungen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten beschrieben:
Die eigentliche Gefahr jedes neuen Ausbruchs ist das Versagen, oder, besser gesagt, die zweckdienliche Weigerung zu begreifen, dass jeder Covid-19-Fall kein Einzelfall ist. Das vermehrte Auftreten von Viren steht in engem Zusammenhang mit der Nahrungsmittelproduktion und der Profitabilität der multinationalen Unternehmen. Wer verstehen will, warum Viren immer gefährlicher werden, muss das industrielle Modell der Landwirtschaft und insbesondere der Viehzucht untersuchen. Gegenwärtig sind nur wenige Regierungen und wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu bereit. Ganz im Gegenteil: Wenn die neuen Virusinfektionen ausbrechen, sind die Regierungen, die Medien und sogar die meisten medizinischen Einrichtungen so auf jeden einzelnen Notfall konzentriert, dass sie die strukturellen Ursachen, die dazu führen, dass mehrere eher marginale Krankheitserreger nacheinander zu plötzlicher weltweiter Berühmtheit gelangen, außer Acht lassen.
Ich habe industrielle Landwirtschaft gesagt, aber es gibt einen größeren Rahmen dafür. Das Kapital erobert weltweit die letzten Urwälder und die letzten von Kleinbauern bewirtschafteten Flächen. Diese Investitionen treiben die Entwaldung und damit eine Entwicklung voran, die zur Entstehung neuer Krankheiten führt. Die funktionelle Vielfalt und Komplexität dieser riesigen Landflächen wird so vereinheitlicht, dass zuvor eingeschlossene Krankheitserreger auf die lokale Viehzucht und die menschlichen Gemeinschaften überspringen. Kurz gesagt, die Metropolen des globalen Kapitals, Orte wie London, New York und Hongkong, müssen als Krisenherd für die wichtigsten Krankheiten betrachtet werden.
Es gibt derzeit keine "kapitalfreien" Krankheitserreger. Selbst die Weltabgeschiedensten sind betroffen, wenn auch in entfernter Weise. Ebola, Zika, die Coronaviren, das Gelbfieber, verschiedenste Vogelgrippen und die afrikanische Schweinepest bei Schweinen sind nur einige der vielen Erreger, die aus dem entlegensten Hinterland in Stadtrandgebiete, in die regionalen Hauptstädte und schließlich in das globale Reisenetz gelangen. Es braucht nur wenige Wochen von den Flughunden in Kongo, die vermutlich das Ebolavirus übertragen, bis zu den Sonnenanbetern in Miami, die an dem Virus sterben.
Der Planet Erde ist heute weitgehend eine einzige große industrielle Agrarfabrik, sowohl in Bezug auf die Biomasse, als auch die Landnutzung. Die Agrarindustrie versucht, den Lebensmittelmarkt zu beherrschen. Das neoliberale Projekt ist darauf ausgerichtet, Unternehmen aus den entwickelteren Industrieländern dabei zu unterstützen, Land und Ressourcen schwächerer Länder zu stehlen. Als Folge dessen werden viele dieser neuen Krankheitserreger, die zuvor in den über lange Zeiträume entstandenen Waldökosystemen gebunden waren, freigesetzt und bedrohen die ganze Welt.
Die nach kapitalistischen Bedürfnissen organisierte Landwirtschaft, die an die Stelle der natürlichen Ökologie tritt, bietet genau die Mittel, durch die ein Krankheitserreger die gefährlichste und ansteckendste Erscheinungsform entwickeln kann. Ein besseres System zur Züchtung tödlicher Krankheiten lässt sich kaum entwickeln.
Durch Züchtung genetischer Monokulturen von Nutztieren werden alle eventuell vorhandenen Immunschranken beseitigt, die die Übertragung verlangsamen könnten. Eine große Tierpopulation und -dichte fördert hohe Übertragungsraten. Solche beengten Verhältnisse beeinträchtigen die Abwehrkräfte des Immunsystems der Tiere. Ein hoher Durchlauf von Tieren, der Teil jeder industriellen Produktion ist, versorgt die Viren mit ständig neuen Wirtstieren, was die Ansteckungsfähigkeit der Viren fördert. Mit anderen Worten: Die Agrarindustrie ist so auf Gewinn ausgerichtet, dass die Entscheidung für ein Virus, das eine Milliarde Menschen töten könnte, das Risiko wert zu sein scheint.
Diese Unternehmen können die Kosten ihrer bezüglich des Ausbruchs von Epidemien gefährlichen Operationen einfach allen anderen aufbürden: den Tieren selbst, den Verbraucherinnen und Verbrauchern, den Bauern, den lokalen Gemeinschaften und den Regierungen quer über alle Zuständigkeitsbereiche. Die Schäden sind so umfangreich, dass das Agrobusiness, wie wir es kennen, für immer erledigt wäre, wenn wir diese Kosten in die Unternehmensbilanzen einrechnen würden. Kein Unternehmen könnte die Kosten für die von ihm verursachten Schäden tragen.
Ja und nein. Es gibt räumliche Anhaltspunkte, die dafür sprechen. Die Rückverfolgung von Kontakten, die mit Infektionen in Verbindung stehen, führt zum Hunan-Großmarkt für Meeresfrüchte in Wuhan, wo auch Wildtiere verkauft werden. Stichproben haben offenbar das westliche Ende des Marktes, in dem die Wildtiere gehalten wurden, identifiziert. Aber wie weit zurück und wie weit sollten wir nachforschen? Wann genau hat der Ernstfall wirklich begonnen? Die Fokussierung auf den Markt übersieht die Ursprünge bei der Wildlandwirtschaft im Hinterland und ihre zunehmende Kommerzialisierung. Weltweit, und auch in China, wird Wildnahrung zunehmend zu einem formellen Wirtschaftssektor. Aber die Beziehung zur industriellen Landwirtschaft geht über das bloße Teilen desselben Geldbeutels hinaus. Da sich die industrielle Produktion – von Schwein, Geflügel und Ähnlichem – auf den Urwald ausdehnt, übt sie Druck auf die Erzeuger von Wildnahrungsmitteln aus, die weiter in die Wälder vordringen, um dort nach den Ursprungspopulationen zu suchen, wodurch sich die Schnittstelle zu neuen Krankheitserregern, einschließlich Covid-19, vergrößert und deren Ausbreitung verstärkt wird.
Ja, aber das ist kein chinesischer Sonderfall. Die USA und Europa haben auch als "Nullpunkte" für neue Vireninfektionen gedient, zuletzt H5N2 und H5Nx, und ihre multinationalen und neokolonialen Vertreter haben die Entstehung von Ebola in Westafrika und Zika in Brasilien angefacht. Und während der Ausbruch der Schweinegrippe (H1N1) im Jahr 2009 und der Geflügelpest (H5N2) schützten US-Gesundheitsbeamte die gesamte Agrarindustrie.
Ja. Die Gefahr eines solchen Erregers besteht darin, dass die Gesundheitsbehörden die statistische Risikoverteilung nicht in den Griff bekommen. Wir haben keine Ahnung, wie der Erreger reagieren könnte. Wir sind von einem Ausbruch auf einem Markt zu Infektionen gekommen, die sich innerhalb Weniger Wochen über die ganze Welt verteilten. Der Erreger könnte einfach absterben. Das wäre großartig. Aber wir wissen es nicht. Eine bessere Vorbereitung würde die Chancen verbessern, die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Erregers zu unterbieten. Die Erklärung der WHO ist gleichzeitig ein Teil dessen, was ich als Pandemie-Theater bezeichne. Internationale Organisationen sind angesichts ihrer Untätigkeit zu Grunde gegangen. Da fällt mir der Völkerbund ein. Die Gruppe der UNO-Organisationen ist immer besorgt über ihre Bedeutung, ihre Macht und ihre Finanzierung. Aber ein solcher Aktionismus kann sich auch der tatsächlichen Vorbereitungen und der Prävention annähern, die die Welt braucht, um die Übertragungsketten von Covid-19 zu unterbrechen.
Da ist die schreckliche, aber aufschlussreiche Geschichte des Mitarbeiters der Miami Medical Device Company, der nach seiner Rückkehr aus China mit grippeähnlichen Symptomen das Richtige für seine Familie und seine Gemeinde tat und von einem örtlichen Krankenhaus verlangte, ihn auf Covid-19 zu testen. Er fürchtete, dass seine magere Krankenversicherung von Obama Care die Kosten für die Tests nicht abdecken würde. Er hatte Recht. Er hatte plötzlich eine Rechnung über 3.270 US-Dollar am Hals. Für die USA könnte eine Forderung lauten, eine Notverordnung zu verabschieden, wonach während des Ausbruchs einer Pandemie alle ärztlichen Rechnungen im Zusammenhang mit den Tests auf Infektion und für die Behandlung nach einem positiven Test von der Bundesregierung bezahlt werden müssen. Wir wollen die Menschen ermutigen, Hilfe zu suchen, anstatt sich zu verstecken – und andere anzustecken –, weil sie sich keine Behandlung leisten können. Die offensichtliche Lösung ist ein staatlicher Gesundheitsdienst, der für solche Notfälle personell und materiell ausreichend ausgestattet ist.
Die Nutzung der Coronakrise, um die neuesten autokratischen Kontrollmöglichkeiten zu testen, ist ein Kennzeichen des aus den Fugen geratenen Katastrophenkapitalismus. Im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit halte ich mich lieber an Vertrauen und Mitgefühl, die wichtige Variablen bei einer Epidemie sind. Ohne beides verlieren die Regierungen die Unterstützung der Bevölkerung. Wir brauchen ein Gefühl der Solidarität und des gegenseitigen Respekts, um solche Bedrohungen gemeinsam zu überstehen. Selbstquarantäne mit geeigneter Unterstützung, ausgebildete Nachbarschaftshilfe, Lebensmittelwagen, die von Tür zu Tür fahren, Arbeitsbefreiung und Arbeitslosenversicherung – damit kann diese Art von Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt werden, das wir benötigen.
Das ist natürlich Unsinn. Da sich das Virus bereits überall verbreitet, ist jetzt das einzig Sinnvolle, dafür zu sorgen, dass das öffentliche Gesundheitswesen so belastbar wird, dass es keine Rolle spielt, wer mit einer Infektion auftaucht. Wir haben die Mittel, um Infektionen zu behandeln und zu heilen. Und natürlich müssen wir aufhören, den Menschen in anderen Ländern ihr Land zu stehlen und die Massenauswanderung damit überhaupt erst weiter anzufachen. Wir können dafür sorgen, dass die Krankheitserreger gar nicht erst entstehen.
Um das Ausbrechen neuer Virusinfektionen einzuschränken, muss die Nahrungsmittelproduktion radikal verändert werden. Die Unabhängigkeit der Landwirte und ein starker öffentlicher Sektor können den umweltbedingten Sperrklinkeneffekt und unkontrollierte Infektionen eindämmen. Dazu gehört auch die Förderung der Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen und einer strategischen Wiederaufforstung, sowohl auf der Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe, als auch regional. Tiere müssen sich vor Ort fortpflanzen dürfen, um Immunitätsmechanismen weiterzugeben. Es geht darum, eine gerechte Produktion mit einem gerechten Warenkreislauf zu verbinden. Dazu gehört auch die Subventionierung der ökologischen Landwirtschaft und der Verkaufspreise sowie Programme für Verbraucher. Diese Projekte müssen vor den Zwängen, die die neoliberale Wirtschaft Einzelpersonen und Gemeinschaften gleichermaßen auferlegt, geschützt und gegen die Bedrohung durch die vom Kapital geleitete staatliche Unterdrückung verteidigt werden.@ aus: Corona-Times No 1 |
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