Brasilien -Uranbergbau:

Hier kommt das Wirtschaftswunder

von Katja Maurer

Die Halbwüste des brasilianischen Sertãos zieht sich durch den Nordosten des Riesenlandes. Über endlose Kilometer erstreckt sich diese hügelige Landschaft aus rotem Staub und dürrem Gestrüpp durch das Herz Brasiliens. Einmal im Jahr regnet es, wenn der Wettergott den Bewohnern hold ist. Dann blüht die Wüste für kurze Zeit, Mensch, Pflanzen und Tiere legen Wasserreservoire an, um die unvermeidlichen Dürren zu überleben. Die jetzige hält schon fünf Jahre an. Und doch ist diese Wüstenei in ihrer Unwirtlichkeit gerade deshalb das Symbol der sogenannten "Brasilianidade", verkörpert die Neuschöpfung einer Nation und eines Staates auf dem Weg in die Moderne, gegründet auf einer behaupteten Leere, die die Neuankömmlinge aus der alten Welt erst urbar gemacht hätten. Der Gründungsmythos Brasiliens ähnelt dem anderer Einwandererländer, die mit Vertreibung und Ausrottung der Urbevölkerung zugleich eine Ursünde begangen haben.

Wer Brasilien auf dem Weg zu einer Weltmacht verstehen will, ist in jeder Hinsicht im Sertão am richtigen Ort. Euclides da Cunha hat mit dem "Krieg in Sertão" den Beginn dieses Weges beschrieben. Das Werk, heute eine schwer verständliche Pflichtlektüre für jeden Schüler in Brasilien, berichtet von der brutalen Niederschlagung eines Aufstandes der Entrechteten und Armseligen unter der Führung eines messianischen Heilsbringers in der Stadt Canudonam, Ende des 19. Jahrhunderts, gelegen in eben jenem Sertão. Die Stadt wurde zerstört, fast alle Bewohner*innen getötet. Da Cunha, selbst Augenzeuge, erzählt diesen Krieg als Verbrechen gegen Menschlichkeit, unternommen im Namen eines nationalen Fortschritts, der sich bis heute auf einer tiefen strukturellen Ungleichheit gründet.

    Beginn des Uranabbaus
    in Caetite

Modernisierung und Verarmung, Fortschritt und Menschenrechtsverletzung sind im Sertão zwei Seiten einer Medaille. Die Fortsetzung dieser alten Geschichte lässt sich heute am Beispiel der im Sertão gelegenen Kleinstadt Caetité erzählen. Das Örtchen ist 750 Kilometer von Salvador de Bahia entfernt und ist ein verschlafenes Provinznest mit 40.000 Einwohnern, wenn man die umliegenden Ortschaften mitzählt. Es gibt eine Hauptstraße, eine große Kirche und ein Museum. Es zeigt die Geschichte des hier geborenen Volkspädagogen Anisio Tixeira, Gegner der brasilianischen Militärdiktatur, der 1970 auf ungeklärte Weise ums Leben kam, was aber im Museum nicht thematisiert wird. Das luftige Städtchen mit dem angenehmen Klima liegt auf 800 Meter Höhe und träumt den Traum jeder Provinz - den Traum von überregionaler Bedeutung.

Als im Januar des Jahres 2000 die größte Uranmine Lateinamerikas am abgelegenen Stadtrand von Caetité eröffnet wurde, waren deshalb die Erwartungen groß. Der staatliche Betreiber INB (Industria Nuclear Brasileira) kündigte interessante Arbeitsplätze, Prosperität für die Region und ein eigenes kommunales Engagement an. Caetité werde ein wesentlicher Bestandteil des "modernen und sauberen" Energiekonzepts Brasiliens werden, mitten in der von Dürre geplagten Region eine - dank der Atomenergie und des dafür nötigen Uranabbaus - blühende Landschaft. Wer im armen Sertão wollte das nicht glauben!

Doch es kam anders. Gleich mit der Eröffnung der Mine begann eine Serie von Unfällen, in deren Folge das Grundwasser und die Umgebung radioaktiven Kontaminierungen ausgesetzt wurden. Nach zwei weiteren Unfällen im selben Jahr, in denen eine Grundwasserverseuchung der gesamten Gemeinde befürchtet wurde, schloss man die Mine für ein halbes Jahr ganz. Den nächsten Unfall meldete der staatliche Betreiber daraufhin erst gar nicht.

Die Liste der Unfälle ist seither so lang wie die Liste der Vertuschungen. 2008 schließlich veröffentlichte Greenpeace in Caetité eine Studie über die dramatische Verseuchung der Umgebung. 26 Bauernfamilien in der unmittelbaren Nähe der Mine müssten eigentlich wegen extremer Gesundheitsgefährdung sofort evakuiert werden. Die Studie weist die Verseuchung von neun Brunnen nach. Die täglich stattfindenden Sprengungen wirbeln weiße Wolken voll radioaktiven Uranstaubs durch die Luft, so dass nicht nur die Grundwasserbrunnen verseucht sind, sondern auch Regenwasser nicht aufgefangen werden darf, weil es Uranstaubpartikel enthält. Nicht nur Caetité, sondern 80 weitere Gemeinden in der Umgebung sind direkt oder indirekt diesen Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt. Hinzu kommt der hohe Wasserverbrauch des Uranabbaus, der laut einer 2011 verfassten Menschenrechtsuntersuchung neben der Kontaminierung, den Zugang zu Wasser in einer ohnehin wasserarmen Region drastisch reduziert.

Die Weigerung der Uranindustrie wie der regionalen Behörden, die Gesundheit der Arbeiter wie Bewohner regelmäßig zu untersuchen, sei eine "kriminelle Unterlassung", heißt es in einem 2011 verfassten Bericht zu den Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Uranabbau. Eine der Autorinnen sitzt vor uns in einem Café in Sao Paulo, das gerade ganz in Orange gehüllt ist, weil es Werbewoche für "World Vision" macht.

Die hochgewachsene Marijane Lisboa ist Soziologin, hat einige Jahre für Greenpeace gearbeitet und viele Jahre in Deutschland auf der Flucht vor der Militärdiktatur verbracht. Marijane arbeitete nach der Wahl Lulas ein Jahr im Umweltministerium. "Ich habe bis heute nicht verkraftet, was ich da erlebt habe", sagt sie und wirkt doch wie eine Frau, die so schnell nichts erschüttern kann. Ihr sei nicht klar gewesen, welche unkündbaren Deals auf Kosten der Umwelt und zugunsten von Agrobusiness und Rohstoffindustrie von der Arbeiterpartei Lulas bereits vor der Wahl getroffen wurden. Nach einem Jahr hängte sie enttäuscht ihren Job an den Nagel.

Die Menschenrechtsverletzungen, die sie im Umgang mit den gesundheitsschädlichen Folgen beim Abbau des Urans in Caetité in ihrem Bericht 2011 konstatierte, bestätigen ihre Enttäuschung. Sie hält das ganze Gerede von der Notwendigkeit der Atomenergie im Rahmen des Energiekonzeptes für ziemlichen Unsinn. Marijane und viele ihrer Mitstreiter fürchten, dass es im Atomprogramm viel eher um die militärische Bedeutung geht. Unverhohlen sprechen Militärs von der Notwendigkeit U-Boote atomar zu bewaffnen, um die großen Erdölvorkommen vor der brasilianischen Küste zu sichern

    Protest und Widerstand

Die Gegnerinnen und Gegner der Uranmine in Caetité sammeln sich in der örtlichen katholischen Gemeinde, die von Padre Osvaldinho Barbosa geleitet wird. Der von der Befreiungstheologie geprägte Padre stammt selbst aus dem Sertão und kennt die Sorgen und Nöte der Kleinbauern, deren Existenz und Gesundheit von der Uranmine bedroht ist.

Mit dem engagierten Priester und der Journalistin Zoraide Vilas Boas, die die lokale Umweltbewegung mit Wissen und Verbindungen in die Bundeshauptstadt Salvador unterstützt, fahren wir in das Abbaugebiet, das wie eine Sicherheitszone eingezäunt und bewacht ist. Vom Zaun aus werfen wir einen Blick auf das riesige Gelände. Die Mine breitet sich schweigend und unschuldig vor unseren Augen aus. Um sie herum liegen die kleinen Bauernhöfe wie Sprengsel in die Landschaft geworfen, es werden Maniok und Kakteen angebaut, an dem dürren Gestrüpp nagt das Vieh.

In einem der kleinen Höfe wohnt der 57-jährige Bauer Florisvaldo. Seine sparsam eingerichtete Wohnstube blitzt vor Sauberkeit. Liebevoll sind die wenigen Habseligkeiten geordnet. Nichts spricht dafür, dass er hier weg will. Wäre die Uranmine nicht, die seinen Brunnen auf 10 Jahre radioaktiv verseucht hat, würde er die Fortschritte auf dem Land genießen. Die Regierungsprogramme der linken Präsidenten, wie "Strom für alle", die Rentenerhöhungen und die Familienunterstützungen, haben die Lebensverhältnisse auch für Florisvaldo verbessert. Aber die unsichtbaren Gefahren der Radioaktivität und die täglichen Sprengungen machen ein Leben hier unmöglich.

Der schlanke Mann mit dem sonnenverbrannten und zerfurchten Gesicht ist bestens informiert. Er nahm an Seminaren teil, die die Umweltkommission der katholischen Gemeinde, gemeinsam mit der Umweltgruppe von Zoraide, dem Movimiento Paulo Jackson, organisierte. Dort traf er auch auf Aktivisten anderer Länder, u.a. aus Namibia und Ecuador, die sich gegen gesundheitsgefährdende Bergbauunternehmen wehren. Beim Hinausgehen erzählt er uns, dass er demnächst gemeinsam mit einem Gewerkschaftskollegen aus der Uranmine ein Seminar der brasilianischen Atomenergiegegner besuche, um über die hiesige Situation zu berichten.

Draußen zeigt er uns die neue weiße Zisterne, die ein Abgeordneter im Rahmen seines Wahlkampfes den Bauern der Region geschenkt hat. Florisvaldo zuckt mit den Schultern. Der Zynismus und die Ignoranz der Mächtigen spiegeln sich sogar in sinnlosen Wahlkampfgeschenken. Man darf sie schließlich nicht benutzen.

    Ohnmacht, Empörung und Mut

Die Geschichte dieses Bauern ist für Padre Osvaldinho ein Beispiel für das, was ihn im Kampf gegen die Mine am meisten bewegt: Ohnmacht und Bestürzung. "Die Minenbetreiber haben der Bevölkerung das Blaue vom Himmel versprochen", sagt Padre Osvaldinho. "Dann kamen sie mit riesigen Maschinen, die tiefe Täler in die Landschaft gruben, und haben den Menschen alles genommen, was sie besaßen. Erhalten haben sie im Gegenzug nur die Zerstörung ihrer bisherigen Existenz. Aus den Hoffnungen wurde Bestürzung." Diese Ohnmacht mache die Menschen depressiv und handlungsunfähig. "Das ist eine soziale Krankheit", so Osvaldinho Barbosa. Immerhin hat der Widerstand Florisvaldo wieder zum Handeln gebracht.

    Debatte um Extraktivismus

Die Auseinandersetzungen in Caetité um die Uranmine sind in mehrfacher Hinsicht von symbolischer Bedeutung für die Debatte um das brasilianische Entwicklungsmodell. In einem Gespräch mit der Umweltkommission der Gemeinde, erklärt uns eine gesetzte Dame, Lehrerin an der örtlichen Hauptschule, warum: Dieses Modell beruhe auf dem massiven Export von Rohstoffen.

Es handele sich um eine neue Form von Neokolonialismus, der auch noch vielfach mit Sklavenarbeit einhergehe. In der Mine würden die gefährlichsten und gesundheitsschädlichsten Arbeiten von schlechtbezahlten Leiharbeitern ausgeführt, die über keinerlei Rechte verfügten. Mit dem sogenannten Extraktivismus entstünden neue Konflikte um Land und Wasser, so die Lehrerin. In Caetité kommt noch die autoritäre Geheimniskultur der Atomindustrie hinzu, wie sie auch aus anderen Ländern bekannt ist. "Sie haben auf alles eine Antwort", so Padre Osvaldinho, "und meistens sind es dreiste Lügen".

Und doch hat die Bewegung erstaunliche Erfolge gegen die Uranmine zu verzeichnen. "Am Anfang hatte die Nuklearindustrie einen großen Vorsprung. Wir sind immer nur hinterher gelaufen", so der katholische Priester. "Jetzt laufen sie uns hinterher." Der Umbruch ereignete sich als vor einem Jahr mehr als 3000 Menschen einen Atomtransport in Caetité blockierten. Diese Aktion schaffte es in die Schlagzeilen der nationalen Presse. Sie war ein Zeichen der Gesundung gegen die "Krankheit" Ohnmacht. "Ich habe große Hoffnung", so der Gemeindepriester, "denn wenn Hoffnung von Empörung und Mut begleitet wird, wie in Caetité, dann ist sie berechtigt." @

medico.de/hier- 13.9.2012

 

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