Russlands Geschäft mit der Atomkraft

Im Dienste der Bombe

von Dr. med. Alex Rosen

Russland ist eine Atomgroßmacht. Nicht nur hat das Land die meisten Atomsprengköpfe weltweit (rund 6.500 nach neuesten Schätzungen), sondern es betreibt auch insgesamt 37 Atomreaktoren und baut gerade 4 neue (zwei in Kursk, einer nahe St. Petersburg und einer im zentralrussischen Nowoworonesch). Rund 18% der russischen Stromproduktion stammt aus Atomenergie.

23 weitere Reaktoren sollen landesweit in Planung sein, wobei Rosatom selbst kürzlich aufgrund der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit von Atomstrom einen Großteil dieser Projekte auf unabsehbare Zeit verschoben hat. Zudem stammt ein Großteil der russischen AKW-Flotte (30 von 37) noch aus der Zeit vor Tschernobyl, sind also mittlerweile 30-50 Jahre am Netz. 2009 ging im AKW Rostow bei Wolgodonsk der erste Reaktorneubau nach über 20 Jahren Baupause ans Netz. Seitdem hat Russland 6 weitere Reaktoren fertig gestellt, zuletzt die beiden schwimmenden Reaktoren der Akademik Lomonossow.

Wie in den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und China, sind in Russland die zivile und militärische Atomindustrie eng mit einander verzahnt. Beide werden mit großzügigen staatlichen Subventionen ausgebaut. Neben dem Bau neuer Atomwaffen wird auch in neue AKWs investiert, in die Forschung und Entwicklung neuer Brennstoffe und Atomtechnologien und in sogenannte schwimmende Atomreaktoren.

    Geostrategisache Interessen

Seit einigen Jahren unterstützt Russlands staatseigener Atombetrieb Rosatom zudem Reaktorneubauten in Ländern, die für Russlands Außenpolitik geostrategische Bedeutung haben: 8 Reaktorprojekte habe Rosatom laut eigenen Firmenpublikationen im Iran, 4 in der Türkei, 4 in Ägypten, 4 in Indien, 2 in Nigeria, 2 in Jordanien,  2 in Bangladesh, 2 in Ungarn, 2 in Weißrussland, 1 in Finnland, 1 in China und 1 in Armenien. Insgesamt brüstet sich Rosatom also mit 33 Reaktorneubauprojekten in 12 Ländern – deutlich mehr als alle anderen Atomunternehmen der Welt (die französische Firma EDF kommt gerade einmal auf 5 Neubauprojekte in anderen Ländern, die koreanische KEPCO auf 4, Toshiba/Westinghouse auf 4 und chinesische Staatsfirmen auf 2).

    Wirtschaftliche Luftnummern

Auf den ersten Blick sieht es also gut aus für den russischen Atomkraftwerksbauer Rosatom. Schaut man jedoch genauer hin, wird schnell klar, dass es sich bei einem Großteil dieser Projekte um wirtschaftliche Luftnummern handelt:

  • In Armenien wird der Baustart für den neuen Reaktor seit nunmehr 6 Jahren verschoben. Baubeginn: ungewiss
  • In Ungarn gibt es zwar einen Vertrag, aber noch keine Baugenehmigung für die beiden neuen Reaktoren am AKW Paks.
  • * Die seit fünf Jahren geplanten 4 Reaktoren in El Dabaa in Ägypten sind vorerst auf Eis gelegt, während sich ein Rechtsstreit um "unvorhergesehene Bodenbeschaffenheiten" am geplanten AKW-Standort anbahnt.
  • In Bushehr im Iran sollen ganze 8 Atomreaktoren entstehen – in einem Erdbebengebiet. Die Bauarbeiten haben noch nicht begonnen.
  • In Jordanien wird der Bau von zwei Reaktoren zwar angekündigt, es gibt jedoch weder einen Bauvertrag noch ein Datum für den Baubeginn.
  • Während China und Russland Zulieferverträge für den Bau von mehreren Reaktoren am Standort Tianwan unterzeichnet haben, ist ein tatsächlicher Baubeginn noch nicht abzusehen und auch nicht klar, welche Teile der Baumaßnahmen Rosatom tatsächlich übernehmen würde.
  • Das Rosatom-Neubauprojekt in Nigeria wird zwar seit zehn Jahren immer wieder angekündigt, konkret ist es aber bislang noch nicht geworden. Noch nicht einmal die voraussichtlichen Standorte stehen fest.
  • Das Neubauprojekt im finnischen Hanhikivi stockt seit 6 Jahren. Mittlerweile ist offiziellen Quellen zu Folge mit einem Baubeginn nicht vor 2021 zu rechnen.
    Tatsächlich im Bau

Lediglich an vier Standorten wird tatsächlich gebaut:

  • In Rooppur in Bangladesch wird damit gerechnet, dass die beiden Reaktoren 2023 und 2024 ans Netz gehen
  • In Ostrovets in Weißrussland wurde die Inbetriebnahme der beiden geplanten Reaktoren gerade aufgrund von Bauverzögerungen um ein weiteres Jahr auf 2020 verschoben.
  • In Akkuyu in der Türkei sind die Bauarbeiten am ersten AKW des Landes mittlerweile 4 Jahren verzögert, so dass das AKW voraussichtlich 2023 ans Netz angeschlossen werden soll, statt wie ursprünglich 2019. Drei weitere Reaktorprojekte, die ursprünglich angekündigt waren, scheinen mittlerweile aufgrund von wirtschaftlichen und geologischen Bedenken vom Tisch zu sein.
  • In Kudankulam in Indien wird seit 2017 an zwei neuen Reaktoren gebaut, zwei weitere sollen ebenfalls gebaut werden. Das geplante AKW befindet sich in einem Erdbebengebiet, der Bau wird von massiven Protesten begleitet.

Von insgesamt 33 Reaktorbauprojekten (auf der Internetseite des Konzerns ist sogar von 35 die Rede) sind also tatsächlich nur 7 derzeit im Bau, an 4 Standorten. Hinzu kommt, dass in nahezu allen Fälle die Hauptlast der Finanzierung der geplanten Atomreaktoren von Russland getragen werden – in der Form günstiger Staatskredite. Die russischen Steuerzahler subventionieren also den Bau von AKWs in anderen Ländern.

Dies ist durchaus im Interesse der russischen Regierung, denn als Rückgrat für das militärische Atomprogramm des Landes ist eine robuste nukleare Infrastruktur von Nöten, wie der Kreml immer wieder betont. Durch den Bau von Atomkraftwerken im Ausland erzeugt man eine Nachfrage an Ingenieuren, Wissenschaftlern, Technikern und Zulieferern, die auch für das militärische Atomprogramm dringend benötigt werden. Der Export ziviler Atomtechnologie führt so zu einer indirekten Quersubventionierung von Forschung, Entwicklung, Nachwuchsförderung und Ausbildung im militärischen Bereich der Atomindustrie.

Hier zeigen sich deutliche Parallele zu den Entwicklungen in den USA, China, Frankreich und Großbritannien, wo ebenfalls mit enormem staatlichem Aufwand und unter Einsatz hoher Subventionen durch Steuergelder die Atomindustrie am Leben erhalten, bzw. ausgebaut wird.

Am Ende des Tages ist es daher relativ unerheblich, ob die vielen Reaktorneubauprojekte tatsächlich realisiert werden. Was zählt ist das Bild des russischen Staatskonzerns Rosatom als weltweit agierendes Atomtechnologieunternehmen und das Bild der Atomenergie als Zukunftstechnologie, auch wenn sich diese beiden Bilder bei näherer Betrachtung als Illusion herausstellen.@  

www.ippnw.de/11.11.19

 

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