Stein als Erinnerung
und Zeichen des Widerstands Vor 15 Jahren, da war Sébastien gerade 22 Jahre alt. 15 Jahre ist es nun her, dass Sébastien getötet wurde. Er wurde vom CASTOR-Zug, der einige Stunden später genau dort in den Verladekran einfuhr, überrollt. Seit dem gab es eigentlich fast in jedem Jahr in der ein oder anderen Form eine Aktion, um seiner zu gedenken oder um seinen Tod in Erinnerung zu behalten. Oft waren es Schienenspaziergänge, bei denen nächtliche Feuer auf den Gleisen entzündet wurden, es gab auch oft Mahnwachen an Bahnhöfen entlang der gesamten CASTOR-Strecke zwischen La Hague und Gorleben. Ich erinnere mich an mindestens eine Aktion, bei der durch Brandstiftung in einem Kabelschacht der Deutschen Bahn auf deren eigene Verantwortung hingewiesen werden sollte. Zum 15. Jahrestag des Todes von Sébastien entstand im Bure-Soli-Komittee die Idee, in einem größeren Rahmen zusammen zu kommen und einen Gedenkstein für ihn zu errichten. Hierfür haben wir hier diesen letzten Schienenabschnitt vor dem Verladekran gewählt, der im Jahr 2004 das Ziel auch jenes CASTOR-Zuges war, der Sébastien überrrollte. Wir wollten, dass auf dieser Veranstaltung jemand ein paar Worte spricht, der oder die eine persönliche Verbindung zu den Ereignissen von damals hatte. Dafür hatte ich mich bereit erklärt und hier sind meine Gedanken…. Vor 15 Jahren war ich 19 Jahre alt. Als Jugendlicher, im Wendland aufgewachsen und schon immer etwas widerspenstig, bin ich recht bald mit dem CASTOR-Widerstand in Berührung gekommen. Mit meinen Freundinnen und Freunden begann vieles bei der Organisierung einiger Schüler*innen-Demos in Lüchow, die damals immer von Jahrgang zu Jahrgang weitergegeben wurden. Damals habe ich das erste mal eine Rede auf einer Demonstration gehalten. Ich erinnere mich noch an das Motto. Das war "STOP KILLING OUR FUTURE!". Ich erinnere mich noch ziemlich deutlich an den heutigen Abend vor 15 Jahren, als es wahr wurde, dass dann wirklich und sehr direkt jemand getötet wurde, der sich auch für den Kampf entschieden hatte, und der auch noch so jung war wie wir… Das Wendland lag im CASTOR-Fieber, kurz vor dem achten Tag X. Nach einem langen Tag im Gelände rund um Hitzacker an den CASTOR-Gleisen, versammelten sich viele Menschen in der Stadt zu einer abendlichen Kundgebung. Ich weiss, dass schon vorher das Gerücht auftauchte, dass es einen Unfall bei einer Blockadeaktion gegeben habe. Auf der Kundgebung kam die Bestätigung der schrecklichen Nachricht, die wie eine Schockstarre auf mich und viele andere wirkte. Sébastien war damals nicht viel älter als wir. Er hatte sich zum Handeln entschieden wie wir und hatte die Konsequenzen dafür getragen. Ich war erst entsetzt, dann wütend, weil ich dachte "Dass die das fertig bringen, jemanden umzubringen..." Die eigene Verantwortung der Aktions-Gruppe von Sebastien an dem Tod konnte ich erst später reflektieren, doch was blieb und geblieben ist, ist das Wissen, dass die Verantwortlichen für den CASTOR-Transport, auf politischer, polizeilicher und logistischer Ebene, diesen in Kauf genommen haben. Und auch deswegen sind wir hier heute an den Gleisen, weil wir unversöhnlich bleiben und erneut auf die Mitverantwortung dieses widerwärtigen Unternehmens Namens "Deutsche Bahn" hinweisen wollen. Es war ein Unfall, ja, aber er wurde fahrlässig und billigend in Kauf genommen. So ein Unfall war mit einkalkuliert. Und so kam nach der Wut die Ernüchterung, wogegen wir eigentlich kämpfen und was dies bedeuten konnte – was die Konsequenzen sein konnten. Diese Erfahrung machte mich ernsthafter. Wofür war Sebastien gestorben? Wofür kämpften wir eigentlich? Dies alles war keine nette Freizeitbeschäftigung, sondern ein Kampf, der bewusst, ernsthaft und konsequent geführt werden musste. Man entschied sich dafür, oder dagegen. Sebastien war Franzose und setzte doch alles daran einen Atommüllzug aufzuhalten, der ins deutsche Gorleben rollen sollte. Und das war ja auch eher die Regel: Der Widerstand im Wendland hat immer von aussen gelebt, und war ein internationaler. Daher stammt die Parole: Atomare Strahlung kennt keine Grenzen – Widerstand auch nicht. Einige Menschen haben damals die Konsequenz gezogen, dass es nun besser wäre ruhig zu bleiben. Dass es nun zu gefährlich sei, einen CASTOR-Zug zu blockieren. Mein Freundeskreis und ich hatten Verbindungen und Freundschaften nach Frankreich, auch in das Umfeld von Sebastien und wir dachten uns: jetzt erst Recht. Wir begannen mit der Planung einer Ankettaktion und führten diese im April 2005, ein halbes Jahr nach Sebastiens Tod, durch. In Lothringen stoppten wir den Atomtransport vom AKW Stade zur sogenannten Wiederaufbereitungsanlage La Hague für ungefähr zwei Stunden. Dies geschah mit einer deutsch-französischen Gruppe. Und dies geschah nicht in einem "jugendlichen Leichtsinn", wie es damals oft zu hören war. Und wir wollten damit nicht nur an Sebastien erinnern, sondern auch zeigen, dass es noch geht, dass es noch notwendig ist und dass es egal ist, woher die Züge kommen und wohin sie gehen….und dass wir es verdammt ernst meinen!
Was ist geblieben? Die Frage bleibt: Wofür ist Sebastien gestorben? Und wofür sind auch so viele andere gestorben? Wofür haben auch wir so viel riskiert? Zum einen stelle ich fest: In den letzten 15 Jahren sind wir alle 15 Jahre älter geworden. Und Vieles hat sich seit dem im legendären Wendlandwiderstand verändert. Was tun wir heute? Heute stellen wir einen Gedenkstein auf. Und in genau diesem Moment stelle ich fest: Manchmal kommt es mir so vor, als schauten wir arg zu oft zurück... Wir, damit meine ich ein paar Leute aus der Vorbereitungsgruppe für diesen Abend, haben vor kurzen mit Freunden darüber diskutiert, dass es auch ein zweischneidiges Schwert ist, einen Gedenkstein zu errichten. Zum einen weiss ich gar nicht, ob Sébastien so etwas überhaupt gewollt hätte – ich selbst kannte ihn persönlich auch gar nicht. Wolltet ihr einen solchen Gedenkstein für euch? Ich glaube, ich nicht so unbedingt. Wir wollen ja Sébastien auch nicht zu einem Mythos oder gar Held stilisieren. Die Gefahr besteht natürlich. Und wir fragten uns auch, an welcher Stelle all die anderen benannt sind, die es sicherlich gab und die im Rahmen unseres anti-Antom-Kampfes ihr Leben ließen. Oder durch radioaktive Strahlung, Verseuchung, Zerstörung und Vertreibung. Oder in anderen Kämpfen. Oder im alltäglichen Kampf, um ein würdiges Leben auf dieser verrückten Welt. Warum also gerade Sébastien so hervorheben? Ich habe keine einfach Antwort auf diese Frage, ausser, dass ich sagen kann, dass mich sein Tod damals sehr berührte und mich stark beeinflusst hat. In meiner Wahrnehmung ging es vielen so, sowohl in Frankreich als auch im Wendland. Abgesehen von dem persönlichen Drama, hatte sein Tod politisch eine starke Bedeutung für den Fortgang großer Teile der anti-Atom-Bewegung. Mit dem Gedenkstein manifestieren wir also sicherlich auch eine ideologische Vorstellung von der Bedeutung von Sébastien, die er selber niemals wollte. Dazu kommt, dass es oft ein Hinweis darauf ist, wenn jemand ganz laut "UNVERGESSEN" ruft und dass dann auch noch in Stein meißelt, dass es deswegen geschieht, weil es eben in Vergessenheit zu geraten droht. Da hilft auch kein Stein in Dannenberg am Ostbahnhof, hunderte Kilometer von dem Ort des Unfalls entfernt. Es kann sein, dass dieser Stein auch symbolisiert, dass die Geschichte nun abgeschlossen ist. Doch das soll es nicht! Wenn wir also schon, wie ich eben sagte, so oft zurückblicken, dann hoffe ich viel mehr eines: nämlich, dass eine Begnung heute hier und vielleicht weitere Begegnungen an diesem Stein, die Ernsthaftigkeit für einen Kampf nicht nur gegen die Atomindustrie, sondern gegen ein komplettes menschenverachtendes und umweltzerstörendes System in Erinnerung rufen kann. Für mich symbolisiert dieser Gedenk-Stein eher eine Erinnerung daran, zu überlegen, wann und wo wir den nächsten Stein schmeißen sollten. Und: der Stein wird stehen, wo wir es wollen und wo wir es für richtig halten, auch wenn ihr (gerichtet an das übermässige Polizei aufgebot bei dem Gedenken) das nicht wollt. Wir setzen ein Zeichen, auch gegen euch, also werden wir euch wohl nicht fragen. Denn ihr steht dafür, diejenigen, die diese Welt zerstören wollen – wogegen Sebastien kämpfte – zu unterstützen – ihr seid die Handlager, seid es immer gewesen. Und wir und dieser Stein stehen dafür, dass wir dies nicht zulassen werden. So. Und nun möchte ich mit einem Zitat von dem Musiker Yok Quetschenpaua enden: Die, die sterben, die werden weiter leben. In unseren Herzen, unseren Kämpfen sowieso. Und die, die leben, die müssen weiter kämpfen. Bis hin zum Sieg vielleicht mal irgendwann, irgendwo...@ |
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