Fukushima: Freispruch für frühere Atommanager, aber nicht für Japans Atomprogramm

Der Widerstand wächst

von aaaRed

Mehr als acht Jahre mussten die Betroffenen der Atomkatastrophe von Fukushima auf die juristische Aufarbeitung des Unfalls warten. Am Donnerstag endete der Prozess gegen drei ehemalige Vorstände des Kraftwerksbetreibers Tepco für sie mit einer herben Enttäuschung. Das Gericht sprach den früheren Verwaltungsratschef von Tepco, Tsunehisa Katsumata, seine Vizepräsidenten Ichiro Takekuro und einen weiteren Manager, Sakae Muto, vom Vorwurf frei, durch grobfahrlässige Unterlassungen für die dreifache Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima I persönlich verantwortlich zu sein.

Mitschuld des Staates festgestellt Bereits 2013 war eine unabhängige Kommission zu dem Ergebnis gekommen, dass das Unglück vorhersehbar und vermeidbar war. Es handle sich um ein "Desaster von Menschenhand". Verantwortlich sei das Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Atomlobby. Mehrere Gerichte hatten in den vergangenen Jahren eine Mitschuld des Staates und des Betreibers Tepco an der Katastrophe in Fukushima festgestellt und Entschädigungszahlungen verfügt. Staat und Tepco hätten sich der Nachlässigkeit schuldig gemacht. Das Unternehmen hätte zu Vorkehrungen vor Tsunamis verpflichtet werden müssen. Doch strafrechtlich wurde niemand zur Verantwortung gezogen - weder beim Staat noch bei Tepco.

    Einziger Strafrechtsprozess

Es hatte Bewohner der Unglücksprovinz Fukushima mehr als fünf Jahre gekostet, den damaligen Tepco-Chef Tsunehisa Katsumata sowie zwei weitere Verantwortliche vor ein Strafgericht zu bringen. Die japanische Staatsanwaltschaft hatte sich zweimal geweigert, die Atommanager anzuklagen. Sie waren schliesslich 2016 wegen beruflicher Fahrlässigkeit mit Todesfolge angeklagt worden.

Mehr als 5700 Bürger hatten in dem einzigen Strafrechtsprozess wegen der Atomkatastrophe den drei Hauptverantwortlichen vorgeworfen, ungeachtet auch interner Warnungen vor einem hohen Tsunami nichts unternommen zu haben, um die Reaktoren zum Beispiel durch die Errichtung von hohen Tsunami-Mauern zu schützen. So war Tepco bereits im Jahr 2008 darüber informiert gewesen, dass ein Tsunami von rund 16 Metern Höhe das Atomkraftwerk heimsuchen könne.

Die angeklagten Ex-Manager hatten jedoch auf unschuldig plädiert. Der Tsunami von 2011 sei unvorhersehbar gewesen. Zudem wäre es ohnehin zur Katastrophe gekommen, selbst wenn Massnahmen ergriffen worden wären. Die Richter sahen es allerdings nicht als erwiesen an, dass die notwendigen Arbeiten bis zum Tsunami hätten ausgeführt werden können.

    Grosses öffentliches Interesse

Das öffentliche Interesse an dem Fall ist weiterhin gross. Das Hochhaus des Tokioter Bezirksgerichts glich am Donnerstag einer Trutzburg im Belagerungszustand. Fünf Übertragungswagen der nationalen Fernsehsender parkierten vor dem Haupteingang, Kamerateams flankierten andere Eingänge. Vertreter von Klägern und Anti-Atomkraft-Gruppen vervollständigten den Kordon. Sie waren zwar nach dem Urteil bitter enttäuscht, jedoch nicht entmutigt. "Ob gestern, heute oder morgen, wir werden unseren Widerstand fortsetzen", sagt Akiko Morimatsu, eine Vertreterin der 5700 Kläger gegen Tepco.

    Rechtliche und politische
    Auseinandersetzungen
    nicht zu Ende

Für die drei Vorstände mag das Urteil ein kleiner persönlicher Sieg sein Aber die rechtlichen Auseinandersetzungen sind damit für den Betreiberkonzern nicht beendet. Es gilt als wahrscheinlich, daß der Fall in Berufung geht. Zudem laufen vor Gerichten noch mehrere Zivilrechtsklagen, die von Tausenden von Bürgern Fukushimas angestrengt wurden.

Und politisch ist die Angelegenheit weder für Tepco erledigt, noch bahnt sie der Atomstrategie des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe einen Weg. Tepco wurde schon mehrfach zu Zahlungen von Schadenersatz verurteilt. Zudem gerät Abes Versuch, die noch funktionsfähigen Atomkraftwerke wieder ans Netz zu bringen und womöglich neue Kraftwerke zu bauen, acht Jahre nach dem Unfall immer stärker in die Kritik.

    Auch in der Regierungspartei wächst der Widerstand

Iin Abes liberaldemokratischer Partei wächst der Widerstand gegen die offizielle Politik. Kaum hatte Abe den politischen Jungstar Shinjiro Koizumi vorige Woche zum Umweltminister ernannt, wandte der sich gegen seinen Regierungschef. Er wolle herausfinden, wie man die AKW abstellen, nicht wie man sie erhalten könne, erklärte der 38-Jährige an seiner ersten Pressekonferenz. "Wir sind verloren, wenn wir einen weiteren Atomunfall erlauben", sagte Koizumi.

Koizumis Worte haben trotz seinem für japanische Politiker niedrigen Alter hohes Gewicht im öffentlichen Diskurs. Nicht nur wird er als möglicher Nachfolger von Abe gehandelt, wenn dieser wie geplant 2021 abdanken sollte. Er ist auch der Sohn von Abes früherem Mentor, dem legendären Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi. Dieser hatte sich nach dem Atomunfall vom überzeugten Förderer zum prominentesten Gegner der Atomenergie gewandelt . Greenpeace sieht Japans Atompolitik vor dem Scheitern

Shaun Burnie von Greenpeace Deutchland wertet es als Erfolg, dass den Tepco-Vorständen überhaupt der Prozess gemacht wurde. Dies ist nicht selbstverständlich in einem Land, in dem die Atomlobby über Jahrzehnte Politik und Medien fest im Griff hatte. So hatten sich Staatsanwälte wiederholt geweigert, in dem politisch brisanten Fall Anklage zu erheben. Doch ein Bürgerausschuss des Justizministeriums erzwang 2015 das Gerichtsverfahren. Das Gericht musste dann Anwälte für die Vertretung der Anklage beauftragen.

Ausserdem widerlegte das Gericht mit der Urteilsbegründung die Behauptung der Atomlobby, dass der Unfall unvorhersehbar gewesen sei. Zwar schlug sich Richter Kenichi Nagafuchi letztlich auf die Seite der Atomlobby und lehnte eine persönliche strafrechtliche Haftung der Vorstände ab. Der Unfall sei ernst gewesen, doch die Gesetze hätten damals nicht absolute Sicherheit gefordert, so der Richter. In einer verantwortlichen Position zu sein, bedeute daher in diesem Fall nicht, auch strafrechtlich belangt werden zu können. Aber er sah es immerhin als klar erwiesen an, dass die Tepco-Vorstände von der Gefahr eines riesigen Tsunamis wussten.

Burnie glaubt daher, dass Abes Atompolitik trotz dem Freispruch gegen die ehemaligen Tepco-Fürsten zum Scheitern verurteilt ist. Die Regierung wolle vermutlich die Zahl der Kraftwerke von derzeit neun wieder auf über dreissig hochfahren: "Aber das wird Abe niemals schaffen." Dies sei schon wegen des zähen Widerstands vieler Japaner schwierig. Massendemonstrationen sieht man in dem ostasiatischen Land zwar nicht so oft. "Aber die Bürger kämpfen vor Ort und werden niemals aufgeben", sagt der Experte voraus. "Hier gibt es Justizfälle, die über dreissig bis vierzig Jahre geführt werden. Dieser Durchhaltewille ist eine Stärke der Japaner"@

Quelle:
nzz.ch 19.9.19
derbund.ch 19.9.19

 

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