Lüneburg: Kletterprotest von 4 Antimilitarist*innen bei "Rückkehrerappell":

Gewahrsamnahme war rechtswidrig

von Cécile Lecomte

Am 30. März 2017 kletterten 4 Antimilitarist*innen in Lüneburg der Bundeswehr aufs Dach. 2 von ihnen seilten sich über den Marktplatz an einer Gebäudefassade ab. Sie spielten mit einem Megafon anti-Kriegs-Lieder ab und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift "Krieg ist Terror - Nur mit mehr Geld". Anlass für die Protestaktion war ein "Rückkehrerappell" der Bundeswehr auf dem Marktplatz.

Die 4 Beteiligten wurden durch ein Sondereinsatzkommando (SEK) heruntergeholt und durch Staatsschützer Olaf Hupp - bekannt für seinen Eifer bei Maßnahmen gegen linke Aktivist*innen im Wendland - in Gewahrsam genommen. Amtsrichterin Lindner bestätigte den Gewahrsam. Die Freiheitsentziehung war rechtswidrig, wie das Oberlandesgericht Celle nun rechtskräftig festgestellt hat (Az. 10 W 6/19).

"Das öffentliche Auftreten der Bundeswehr soll die Menschen davon überzeugen, dass man Hunger mit Panzern stillen kann, dass Hunderte von zivilen Todesopfern als Kollateralschaden bei Fehl-Bombardierungen im Kampf gegen Terrorismus eine Notwendigkeit sind. Kriegspropaganda darf kein Raum geboten werden", begründete die Aktionsgruppe seine Aktion damals.

Die kreative Art der Meinungsäußerung missfiel sowohl der Lüneburger Polizei als auch der Stadt. Die 4 Aktivist*innen wurden bis Ende der Bundeswehrveranstaltung in Gewahrsam genommen.

"Die Bundeswehr gaukelt vor, sie müsse Kriege zur Verteidigung von Menschenrechte führen. Die Wahrung von Grundrechten gelingt ihr aber nicht einmal hierzulande. Wer sie kritisiert, wird seiner Freiheit beraubt," kommentiert Kletteraktivistin Cécile Lecomte das Geschehen und das juristische Nachspiel. "Menschenrechte müssen wir selbst verteidigen! Darum gehen wir am 11. Mai gegen das neue niedersächsische Polizeigesetz in Hannover auf die Straße. Darin wird der Vorbeugegewahrsam ausgeweitet. Das Tor zu Willkür wird immer weiter geöffnet."

Die 2 Aktivist*innen, die sich abseilten wurden noch während ihrer Ingewahrsamnahme der Haftrichterin am Amtsgericht vorgeführt, diese bestätigte die Anordnung der Freiheitsentziehungsmaßnahmen. Die Betroffenen warfen Amtsrichterin Lindner bereits zum Zeitpunkt ihrer Anhörung Voreingenommenheit gegenüber ihrem politischen Engagement vor. Das OLG in Celle korrigierte nun im Beschwerdeverfahren die Entscheidung der Amtsrichterin mit klaren Worten.

Die 2 Aktivisten, die ihre Kletterpartner*innen auf dem Dach sicherten, wurden damals nicht angehört. In solchen Fällen ist ein nachträglicher Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme vor dem Amtsgericht zulässig. Ein Betroffener stellte einen solchen Antrag. Am Lüneburger Amtsgericht wurde aber erneut schlampig gearbeitet.

Richterin Koertge leitete den Antrag des Aktivisten als "Beschwerde" an das Landgericht weiter, "aus den zutreffenden und fortbestehenden Gründen des angefochtenen Beschlusses" und beging gleich drei Rechtsfehler auf einmal. Das Landgericht ist zum einen für Beschwerdesachen nicht zuständig, sondern das Oberlandesgericht in Celle. Zum anderen gab es im Falle des Antragsstellers gar keinen erstinstanzlichen Beschluss, also keinen "angefochtenen Beschluss" mit "zutreffenden und fortbestehenden Gründen".

Hier sei die Frage gestattet, ob die Amtsrichterin die Akte überhaupt gelesen hatte. Das Oberlandesgericht wies schließlich die Sache an die Amtsrichterin zurück, mit dem zusätzlichen Verweis auf den Beschluss des OLG Celle im Paralellverfahren von Cécile Lecomte. Das Amtsgericht lenkte schließlich ein und erklärte nun doch die Ingewahrsamnahme des Antragsstellers für rechtswidrig. "Die Polizei Lüneburg hat durch die Ingewahrsamnahme der Aktivist*innen die angebliche Gefahrenabwehr als Ersatzbestrafung eingesetzt. Jetzt haben wir ein Stück Papier, dass klar stellt, dass so ein Verhalten der Polizei nicht mit den Gesetzen vereinbar ist. Das macht eine willkürliche Freiheitsentziehung nicht ungeschehen!", sagt Sven Schupp.

Die Freiheitsentziehungsverfahren sind somit rechtskräftig abgeschlossen. Die Strafverfahren sind ebenfalls rechtskräftig abgeschlossen. Sie endeten mit einer Einstellung nach § 170 II StPO. Die Abseilaktion an der Fassade über dem Marktplatz stellte keine strafbare Handlung, insbesondere keinen Hausfriedensbruch dar. Die Beschuldigten sind nicht in geschlossene Räume eingedrungen, sie haben sich nicht im Gebäude aufgehalten, sondern darauf und an der Fassade.@

krieg@nirgendwo.info 6.5.2019

 

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