Einladung zur Debatte

Eine neue anti-Kriegsbewegung?!

von: interventionistische Linke

"Stell Dir vor, es ist Ostermarsch und keiner geht hin." Mit dieser geringfügig abgeänderten Version einer berühmten, angeblich von Bertolt Brecht stammenden Zeile ist der gegenwärtige Zustand der "Friedensbewegung" hinreichend beschrieben. Aber muss, aber darf das so bleiben? Wir finden nein – und starten deshalb einen Call zu den Perspektiven einer neuen Antikriegsbewegung.

Ausgangspunkt für diesen Call ist die Frage, wie sich die bestehende – durchaus breite – gesellschaftliche Ablehnung von Krieg und Waffenexporten zu einer politischen Kraft entwickeln kann, die auch auf der Straße sichtbar wird. Wir gehen davon aus, dass dies grundsätzlich möglich ist. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich das diffuse Bedürfnis nach einer anderen Zukunftsorientierung, von dem wir immer wieder sprachen, seit dem Sommer der Migration über #wellcomeunited, #unteilbar – und wenn wir es weiterdenken auch #fridaysforfuture – immer wieder zu artikulieren und zu konkretisieren vermag, wenn auch punktuell. Niemand muss also bei Null anfangen. Aber: Haben wir das richtige Gespür für das politische Momentum, wenn wir nun auf eine Neue Antikriegsbewegung setzen?

Wenn heute eine ganze Generation weltweit auf die Straße geht, um für eine andere Klimapolitik zu kämpfen, macht das deutlich, dass wir uns an einem radikal anderen Punkt befinden, als zur letzten großen globalen Antikriegsbewegung vor ziemlich genau 16 Jahren. Diese versammelte 2003 allein in Berlin 500.000 Menschen. Damals mobilisierten Antikriegskomitees in vielen Städten zum Tag X; nachdem auf der ganzen Welt im Fernsehen übertragen worden war, wie nachts die Bomben auf Bagdad fielen, streikten auch wir Schüler*innen am nächsten Morgen, dem 20. März europaweit.

    Gesellschaftliche Dinglichkeit ...

Während die letzte Antikriegsbewegung heute kaum mehr ein Bezugspunkt ist, sind die Gründe, gerade hier wieder gegen Krieg und Militarisierung auf die Straße zu gehen, augenfälliger denn je. Ebenfalls immer deutlicher wird die unausweichliche Nähe von Klimakatastrophen und den Kriegen um Rohstoffe. Seit den 2000er Jahren hat sich darüber hinaus das ganze katastrophale Ausmaß der politischen Reaktionen auf den 11. September ungebrochen entfaltet; der Terror von Daesh und anderen hält an – ebenso wie die Leiden der Zivilbevölkerung in Afghanistan, wo seit 2001 kein Frieden herrscht, wohin Deutschland aber munter abzuschieben bereit ist, wenn es irgend geht.

Ausgehend von der drohenden Kriegsgefahr in Rojava und der besonderen Stellung, die der kurdische Kampf für uns als Linke inne hat – und im Widerspruch zum oben aufgerufenen Unbehagen der deutschen Zivilbevölkerung am Krieg – müssen wir dennoch anerkennen, dass die Kämpfe, die uns selbst derzeit am dringendsten erscheinen mögen, aktuell kein großes Mobilisierungspotential zu haben scheinen: Während vor einiger Zeit die ganze Welt ihre freiheitlichen Hoffnungen auf Rojava projizierte und Firmen wie H&M die Anzüge kurdischer Kämpferinnen als modische Massenware auflegte, fragen wir uns heute betrübt, wie wir unser Ziel erreichen sollen, der Bedrohung Rojavas, die durch die Kooperation der Bundesregierung mit Erdogan abgeschützt wird, irgendetwas entgegenzusetzen.

    ... und offene Fragen

Trotzdem, stecken wir den Kopf nicht in den Sand – sondern diskutieren gemeinsam: Wie lassen sich die Fragen von Krieg und Frieden auf der Höhe der Zeit thematisieren? Wie umgehen mit der neuen Überübersichtlichkeit, mit innerstaatlichen Konflikten und Geopolitik, mit dem Nebeneinander alter und neuer imperialer Machtansprüche, von den USA über die EU bis hin zu Russland und China? Was könnten Kristallisationspunkte und Verstetigungsdynamiken einer neuen Antikriegsbewegung sein? Was ist die Zukunftsorientierung in dieser Vorstellung von gesellschaftlicher Mobilisierung, unsere Vision? Was wäre das Neue? Und muss nicht vom Alten immerhin gelernt sein, dass eine Neue Antikriegsbewegung nur eine internationale Bewegung sein kann? Wer sind hier unsere Verbündeten? Mit wem können wir noch Bündnisse schmieden, außer mit unseren Genoss*innen in Rojava? Wer sind Adressat*innen der Antikriegsforderungen?

Gerade die traditionelle Antikriegsbewegung erscheint in der öffentlichen Debatte in der Regel als weißes Mittelschichtsphänomen. Liegt ein Erliegen der Bewegung auch daran, dass sie ausgrenzend organisiert ist? Müssen wir uns fragen, wie wir sie inklusiver gestalten können? Und letztendlich: Wie sieht es mit dem Konzept des Pazifismus aus, das in der radikalen Linken schlichtweg verpönt ist? Wie müsste eine neue Antikriegsbewegung aussehen, ohne dass diese mit einem hippiesken Flair einhergeht, den Eindruck erweckt, es nicht ernst zu meinen?

Die deutschen
Rüstungs- und
Waffenexporte
als Startpunkt?

Ein erster Ansatzpunkt könnte der politische Angriff gegen deutsche Rüstungs- und Waffenexporte sein: Hier wird der Zusammenhang deutscher Konzerne mit dem Leiden und Sterben der Menschen andernorts und den furchtbaren Geschichten, welche die hierhin Flüchtenden zu berichten haben, deutlich. Hier ist, betrachten wir den Beliebtheitsgrad solcher Exporte in der Bevölkerung, eine Kerbe geschlagen: Können wir diese vertiefen? Kann dies zu einer "Politisierung" von diffusen Friedenswünschen und antimilitaristischen Einstellungen beitragen? Welche Organisationsformate und Strukturen müssten hierfür gefunden werden? Profitiert unser Teil des Kampfes um Rojava vom Aufbau einer breiten Antikriegsbewegung oder muss eine Antikriegsbewegung immer von Rojava ausgehen, weil dort unsere Hoffnung liegt, dort am klarsten die Alternative sichtbar wird zwischen Freiheit und absoluter Gewalt?@



Solche und ähnliche Fragen werden aktuell an vielen Orten der gesellschaftlichen radikalen Linken diskutiert. Schreibt doch mal auf, was ihr dazu sagen, ausführen, anmerken, umdenken wollt – und schickt es uns! Erreichbar ist die Redaktion unter:

blog(ätt)@interventionistische-linke.org

 

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