Per EU-Teilhabe zur deutschen Atombombe?

Atommacht EU-ropa?

von Claudia Haydt

Das Ende des INF-Vertrages hat die Problematik der atomaren Rüstung oder gar eines neuen atomaren Rüstungswettlaufs wieder auf die politische Tagesordnung gebracht. Das Thema war indes, trotz einer vorübergehenden relativen Entspannung zwischen den großen Atommächten, nie ganz von der Tagesordnung verschwunden. In den letzten Jahren wurde jedoch - wenn überhaupt - dann das Atomprogramm Nordkoreas oder ein mögliches Programm des Iran diskutiert. Die in Europa nach wie vor vorhandenen Atomwaffen waren leider nur ein Thema weniger Spezialisten und Aktivisten. US-amerikanische und Europäische Atompläne werden viel zu selten diskutiert, obwohl sie die Gefahr eines Atomkrieges deutlich anheizen.

In diesem Kontext könnte auch eine alte Protokollnotiz aus dem Jahr 1974 noch heute eine Rolle spielen und sogar den deutschen Zugriff auf eine "europäische Bombe" möglich machen. Sie bildet die Grundlage für Bestrebungen, dass sich Deutschland an einer "Europäisierung" der französischen Atomwaffen beteiligen könnte, wie sie jüngst zum Beispiel vom einflussreichen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, gefordert wurde: "Die atomaren Einsatz-Optionen Frankreichs sollten nicht nur das eigene Territorium, sondern auch das Territorium der EU-Partner mit abdecken." (n-tv, 09.02.2019)

    Das Ende des INF-Vertrags

Vorab werde ich kurz auf den INF-Vertrag eingehen: Sein Abschluss 1987 hatte und hat hohe praktische und symbolische Bedeutung. Es ging nicht allein um die Begrenzung, sondern vor allem um den Abzug atomarer Mittelstreckenraketen aus Europa. Betroffen waren Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern. Interkontinentalraketen und taktische Waffensysteme mit kürzerer Reichweite waren von den Regelungen ausgenommen.

Die Mittelstreckenraketen und deren Stationierung waren das zentrale Thema des Rüstungswettlaufs in den 1980er Jahren. Deswegen hatte die Beendung des Wettrüstens in diesem Bereich eine so hohe Bedeutung. An der Frage der Mittelstreckenraketen bekam der Weg von Abrüstung und Vertrauensbildung praktische Relevanz. Umgekehrt hatte die spätere Entscheidung der USA und der NATO-Staaten, ein System zur Abwehr ballistischer Raketen aufzubauen, eine verheerende Wirkung für die Stabilität dieses Abkommens.

Die Problematik dieses Schrittes lässt sich am besten im Rückgriff auf die Zeit des Schwertkampfes erläutern. Wenn ein Abkommen regelt, welche und wie viele Schwerter jede Seite haben darf, dann bringt der Einsatz von Schilden die Balance aus dem Gleichgewicht. Ohne Schild muss jede Seite die angreift einkalkulieren, dass sie selbst verwundbar ist. Mit einem Schild lassen sich solche Gegenschläge wenigstens teilweise abfangen und offensive Kampfszenarien werden wieder denkbar und gewinnen seit der US-Aufkündigung des Vertrags zum Verbot von Raketenabwehrsystemen im Juni 2002 immer weiter an Bedeutung. Russland hat zudem den USA vorgeworfen, dass deren Kampfdrohnen zwischenzeitlich so leistungsfähig seien und sie eine so hohe Nutzlast tragen könnten, dass sie de facto eine vergleichbare Wirkung entfalten könnten wie Mittelstreckenraketen. Auf diese und andere Weise, so der Vorwurf, hätten die USA seit langer Zeit den INF-Vertrag unterlaufen.

Umgekehrt gibt es den Vorwurf an Russland, seinerseits in jüngster Zeit den bodengestützten Marschflugkörper Novator 9M729 (NATO-Name: SSC-8) mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern entwickelt zu haben und dadurch den Westen Europas zu bedrohen. Letzteres war der erklärte Anlass dafür, dass Trump im Oktober 2018 am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Nevada erklärte, der INF-Vertrag wäre nutzlos und die russische Seite hätte ihn ohnehin schon gebrochen. Trump hat dabei vollständig ignoriert, welche hohe symbolische und befriedende Wirkung der Vertrag hat.

Trump zielte bei seinem Vorgehen möglicherweise nicht nur auf Russland, sondern auf den Rivalen China, der nicht von diesem Vertrag erfasst ist, da China 1987 nicht zu den wettrüstenden Großmächten gehörte. Offensichtlich gibt es die Hoffnung von Teilen der US-Administration, dass nach dem Zerbrechen des INF-Vertrags eine neue Abmachung möglich ist, die auch die chinesische Rüstung reglementiert. Das ist allerdings ein hoch riskanter Schachzug.

Mit der Zerstörung des INF-Vertrags verlieren die USA zusätzlich an Glaubwürdigkeit als Vertragspartner, die ohnehin schon unter anderem durch den Bruch des Abkommens mit dem Iran gelitten hat. Wie stark der Wille der USA zur Einhaltung zukünftiger Verträge ist, darf angesichts dieser und anderer Erfahrungen durchaus hinterfragt werden. In jedem Fall fördert das US-Gebaren die Bereitschaft anderer Länder, sich auf Rüstungskontrollverträge einzulassen, in keiner Weise - im Gegenteil.

Steigende Atomkriegsgefahr

Kurz- bis mittelfristig muss nun mit einer Neustationierung von Atomwaffen in Europa gerechnet werden. Von Seiten der USA wurde dies bereits angedroht und russische Gegendrohungen gibt es ebenfalls. Für die Friedensbewegung mag dies die Mobilisierung gegen den neuen Rüstungswettlauf zwar leichter machen, das ist jedoch angesichts der zunehmenden Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen NATO und Russland ein schwacher Trost.

Wegen der extrem kurzen Vorwarnzeiten beim Einsatz von Mittelstreckenraketen ist schon allein die Gefahr von Unfällen, von Missverständnissen und schlussendlich von versehentlich ausgelösten Kriegen extrem hoch. Dies ist einer der Gründe, warum die so genannte Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) zurzeit auf 2 Minuten vor 12 steht. So gefährlich haben die beteiligten Wissenschaftler die Weltlage nur einmal zuvor, in den 1950er Jahren, eingeschätzt.

In der deutschen politischen Debatte wurde das Ultimatum an die russische Regierung, innerhalb von 60 Tagen das Novator-Programm einzustellen, als Kompromiss zwischen der US-Position (sofortiger Austritt) und dem Verbleib im INF-Vertrag gefeiert.

Die NZZ (5.12.2018) formuliert die Problematik wie folgt: "Eine Kündigung des Abkommens trägt nichts dazu bei, die illegale Stationierung russischer Marschflugkörper mittlerer Reichweite rückgängig zu machen. Im Gegenteil: Moskau könnte dann diese Aufrüstung ganz offen und in weitaus größerem Ausmaß weiterführen."

Wir erleben im Moment keine Deeskalation, sondern eine gefährliche Eskalation und den Einstieg in einen verstärkten konventionellen und nuklearen Wettlauf. Wer atomar rüstet, begibt sich in die gefährliche militärische Logik, dass die atomare Abschreckung glaubwürdig sein muss. Das heißt: Wer atomar rüstet, muss seine Bereitschaft diese Waffen auch einzusetzen, plausibel erscheinen lassen.

Wenn wir über Atomwaffen reden, dann reden wir wohl über die unmenschlichste Waffe, die jemals erfunden wurde. Deswegen ist die aktuelle Eskalation auch eine, die wir nicht ignorieren dürfen. Wie bereits erwähnt, wurde die Eskalation mit dem Aufbau des NATO-Raketenschilds eingeleitet. In Ramstein befindet sich übrigens das Kommando- und Kontrollzentrum des NATO- Raketenprogramms, das ohne die dortige Infrastruktur nicht einsatzfähig wäre.

Global gesehen gibt es mehrere solcher Installationen. Eine relative neue befindet sich in Südkorea (THAAD). An der Positionierung lässt sich auch die Aufgabe dieser Programme ableiten: Es geht um ein militärisches Containment von Russland und China sowie um den Erhalt der US-amerikanischen Interventionsfähigkeit.

Im Kontext dieser Konfrontation tauchen in letzter Zeit immer wieder mediale Impulse auf wie die folgende Überschrift aus der Welt am Sonntag (29.12.2017): "Brauchen wir die ‚EU-Bombe‘?"

Der Artikel erinnert daran, dass der frühere Außenminister Guido Westerwelle den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland gefordert hatte und postuliert, dass daran heute niemand mehr denken würde. Die Autorin, Martina Meister, fordert als Konsequenz aus der Krimkrise und der unkalkulierbaren Politik von Trump, dass Europa atomar auf eigenen Füßen stehen solle.

Die Autorin übersieht dabei, dass die globale Schieflage mit noch mehr Waffen nicht auflösbar ist, sondern allein durch Abrüstung und Vertrauensbildung. Dabei ist es notwendig, an bestehende globale Abrüstungsmechanismen anzuknüpfen und nicht, diese zu zerstören.

    Die Grenzen des Nichtverbreitungspaktes

Durch den Nichtverbreitungspakt ist es gelungen, dass eine Reihe von atomaren Schwellenländern auf diese Fähigkeiten verzichtet und wie Südafrika sogar auf bereits vorhandene Waffensysteme verzichtet haben. Die Erfahrungen von Schwellenländern, auf Fähigkeiten im Bereich von Massenvernichtungswaffen zu verzichten, sind jedoch nur begrenzt ermutigend, wie man am Beispiel Libyens und Iraks sehen konnte.

Dem Vertrag ist es außerdem nicht gelungen, die vollständige Abrüstung der bisherigen Atommächte auch nur in greifbare Nähe zu bringen. Die Federation of Atomic Scientists geht davon aus, dass die USA im Moment im Besitz von 6.550 Atomsprengköpfen sind, und Russland wird ein Bestand von 6.409 zugerechnet. Das sind Bestände, die mehr als ausreichend dafür wären, das menschliche Leben auf der Erde vollständig auszulöschen.

Der Nichtverbreitungspakt ist damit deutlich an seine Grenzen gekommen und er wird etwa durch die Tatsache, dass Deutschland durchaus als atomares Schwellenland bezeichnet werden könnte, weiter strapaziert. Denn Deutschland verfügt über atomwaffenfähiges Material, zivile Atomkraftwerke und Anlagen zur Anreicherung von Uran, die zusammen auch den potentiellen Zugriff auf die Atomwaffe ermöglichen: "Nuclear Power powers The Bomb", ist der Slogan mit dem die anti-Atom-Bewegung international auf diese Problematik aufmerksam macht. Allerdings existieren sowohl national als auch international erhebliche Widerstände gegenüber einer rein nationalen deutschen Atombombe, weshalb auf allerlei Wegen versucht wird, sich auf andere Weise einen Zugriff zu verschaffen.

Der Nichtverbreitungspakt wird dabei etwa mit dem Konzept der atomaren Teilhabe vielfach unterlaufen. Dass deutsche Piloten mit deutschen Flugzeugen und in Deutschland gelagerten Atomwaffen deren Einsatz für den Ernstfall üben, ist ein klarer Vertragsverstoß. Trotzdem wird mit Verweis darauf, dass diese Waffen ja im US-Besitz seien, ein deutscher Vertragsbruch zurückgewiesen.

Das Konzept der atomaren Teilhabe ist leider kein Auslaufmodell, sondern eines, das möglicherweise zukünftig auch im Rahmen der EU zum Einsatz kommen könnte. Frankreich ist im Moment im Besitz von 10 Atomwaffen, die von Flugzeugen abgeworfen werden können. 250 der französischen Atomwaffen sind seegestützt und 40 stationäre Interkontinentalraketen. Auf diese Waffen haben manche deutsche Sicherheitspolitiker schon länger ein Auge geworfen, auch um dieses Potential noch auszubauen.

    Gefährliche Nachrüstung in Büchel

Im rheinland-pfälzischen Büchel sind 20 US-Atomwaffen gelagert, die bis 2020 ausgetauscht werden sollen. Öffentlich wird von einer Modernisierung dieser Bomben gesprochen. Konkret handelt es sich jedoch um die Stationierung einer neuen Generation von Atomwaffen. Die Einsatzoptionen ändern sich dadurch grundlegend. Momentan sind es frei fallende Bomben, deren Einsatz durch die Reichweite der veralteten Trägersysteme - Tornado-Kampfflugzeuge - deutlich begrenzt ist. Die Existenz dieser Waffen in Deutschland ist gefährlich, dennoch ist die Einsatzwahrscheinlichkeit nicht allzu hoch.

Bei der neuen Generation B61-12 handelt es sich jedoch um so genannte smarte Bomben, was natürlich nicht bedeutet, dass es klug wäre diese Waffen einzusetzen, sondern dass diese in ihr Ziel gesteuert werden, Bunker brechen können und dass die atomare Sprengkraft skaliert werden kann. 50 Kilotonnen beträgt die maximale Sprengkraft, die minimale 5 Kilotonnen. Letzteres ist dennoch mehr, als in Hiroshima zum Einsatz kam. Die neuen Bomben wiegen etwa 350 Kilogramm damit gehört diese Waffen nicht zu den Schwergewichten unter den Bomben. Wie bereits erwähnt, gibt es den russischen Vorwurf, dass mit US-Drohnen der INF-Vertrag unterlaufen wird. Angesichts der Nutzlast von über 1.000 Kilogramm, die manche US-Drohnen befördern können, erscheint dieser Vorwurf nicht völlig aus der Luft gegriffen.

In einem Artikel im National Interest (9.10. 2018) nennt Zachary Keck die B61-12 "die gefährlichste" Atomwaffe. Nicht weil sie die größte wäre, denn es gibt Atomwaffen mit deutlich höherer Sprengkraft, sondern weil sie so variabel, vielseitig einsetzbar ist und mit Zielabweichungen von maximal 30 Metern sehr präzise. Damit scheint, aus militärischer Sicht, der Einsatz kalkulierbar und vertretbar. Damit wird die Schwelle für ihren Einsatz deutlich gesenkt und die Idee eines "führbaren" Atomkriegs ist damit greifbarer als mit der älteren Generation dieser Waffe.

Was bedeutet diese Neustationierung für Deutschland? Bisher wird die Nukleare Teilhabe mit Tornados eingeübt. Deutsche Militärs gehen davon aus, dass die veralteten Tornados spätestens ab 2025 nicht mehr zum Einsatz kommen können. Die Vorstellung von Ursula von der Leyen bestand darin, dass die Eurofighter so umgerüstet werden können, dass sie als Trägersysteme geeignet sind. Eine entsprechende Anfrage beim Pentagon wurde (bisher) allerdings nicht positiv beschieden. Die US-Administration würde gerne eigene Kampfflugzeuge an die Bundeswehr verkaufen, während das Verteidigungsministerium vorzugsweise eigene Trägersysteme entwickelt und einsetzt.

Unter der Prämisse, dass die deutsche Regierung nicht auf die atomare Teilhabe verzichten will, stellt sich die Frage, welche Optionen dann weiter verfolgt werden. Am intensivsten wird ein Projekt diskutiert, das im Kontext von PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit) entwickelt wird, das so genannte Future Combat Air System (FCAS). In einer gemeinsamen deutsch-französischen Erklärung wurde dies bereits zum Thema gemacht und die ersten Entwicklungsverträge wurden im Februar 2019 abgeschlossen. Dieses neue Kampfflugzeug soll nach dem Willen der Beteiligten auch als atomares Trägersystem fungieren können.

Für den Fall, dass US-amerikanische Atomwaffen in das FCAS integriert werden sollen, müssten sämtliche Konstruktionsdetails an die US-amerikanischen Partner übermittelt werden, um eine Zertifizierung zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der rüstungsindustriellen Rivalität von Lockheed Martin und dem europäischen Airbus Konzern, gibt es von Seiten der Industrie einige Vorbehalte gegenüber der Weitergabe sensibler Konstruktionsdaten an die USA.

Eine europäische Atomwaffe?

Eine Lösung für das Dilemma wäre eine, die vollständig in der Hand der europäischen Partner liegt, also europäische Kampfflugzeuge bestückt mit europäischen Atombomben. Dieses Szenario wird von deutschen und französischen Sicherheitspolitikern diskutiert und ist besonders für diejenigen, die eine noch stärkere deutsche Militärmacht favorisieren, attraktiv.

Bevor ich dieses Thema wieder aufgreifen werde, möchte ich kurz an die deutsche Geschichte erinnern. Es ist bekannt, dass es bereits zu Zeiten des Nationalsozialismus Programme gab, um eine deutsche Atomwaffe zu entwickeln. Auch im Nachkriegsdeutschland, unter Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, entwickelten sich wieder atomare Begehrlichkeiten. Glücklicherweise gab es damals renommierte Atomwissenschaftler, die diese Pläne in aller Deutlichkeit öffentlich angriffen. Außerdem gab es damals starken Gegenwind aus Frankreich (Matthew Karnitschnig, German bomb debate goss Nuclear, Politico, 8.3.2018). Charles de Gaulle wollte Frankreich als die zentrale und möglichst auch einzige Atommacht auf dem westeuropäischen Kontinent verankern. In jüngerer Vergangenheit hat sich diese französische Haltung jedoch etwas verändert und der damalige Präsident Sarkozy hatte 2007 ein Angebot an die deutsche Regierung gemacht, über die französische Waffen mit verfügen zu können, im Gegenzug für eine substantielle finanzielle deutsche Beteiligung (Spiegel Online, 15.9.2007).

Damals wurde das Angebot in Berlin nicht positiv aufgegriffen, was sich aber dann vor etwa 2 Jahren durch einen CDU-Politiker änderte. Roderich Kiesewetter fragte den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, ob es völkerrechtliche Hindernisse gäbe, die einer Ko-Finanzierung von Atomwaffen durch Deutschland im Wege stünden (Wissenschaftliche Dienste, Völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands beim Umgang mit Kernwaffen, 23.5.2017). Die Antwort wurde in Deutschland medial kaum zur Kenntnis genommen. Auch wenn die Idee einer EUropäischen Abschreckung "Euro Deterrence" später von Wolfgang Ischinger und anderen aufgegriffen wurde (Karnitschnig a.a.O.). International gab es einen größeren Widerhall, in der New York Times (5.7.2017) etwa konnte man lesen: "Ein europäisches Nuklearwaffenprogramm wäre legal, besagt eine deutsche Prüfung."

Das 11seitige Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes kommt zu dem Schluss: "Im Ergebnis schließt die fehlende Staatspraxis eine Möglichkeit zur Finanzierung ausländischer Atomwaffenpotentiale rechtlich nicht aus. Auch aus dem allgemeinen Völkerrecht ergibt sich derzeit (!) kein Finanzierungs- und Unterstützungsverbot für ausländische Atomwaffenpotentiale." Zusätzlich wurde in dem Gutachten die Frage erörtert, ob dies über den EU-Haushalt finanziert werden könnte. Der Wissenschaftliche Dienst wies darauf hin, dass es einen EU-Verteidigungshaushalt, der vergleichbar mit den nationalen Haushalten wäre, nicht gäbe.

An dieser Antwort zeigt sich, wie dynamisch sich die EU Militärpolitik zur Zeit entwickelt. Der Text wurde 2016 geschrieben. Zwischenzeitlich liegt ein Entwurf für den nächsten mehrjährigen EU-Haushalt (2021-2027) vor, der de facto einen umfangreichen europäischen Rüstungsetat - Verteidigungsfonds genannt - beinhaltet. Über einen Vorläufer wird bereits unter anderem die Erforschung und Entwicklung der waffenfähigen Eurodrohne finanziert und auch für das FCAS gibt es fortgeschrittene Überlegungen, es maßgeblich über den künftigen Verteidigungsfonds mitfinanzieren zu lassen.

Der European Council on Foreign Relations (ECFR) hat einen ganzen Artikel der Frage gewidmet, ob die Europäische Union eine Nuklearmacht werden könnte (Manuel Lafont Rapnouil et al: Can Europe be a nuclear power? ECFR, 3.9.2018). Die Welt (27.7.2018) geht noch einen Schritt weiter und postuliert: "Eine Nuklearmacht Deutschland stärkt die Sicherheit des Westens".

Gleichzeitig entsteht mit dem Atomwaffenverbotsvertrag, auf den unten noch weiter eingegangen werden soll, eine völkerrechtliche Grundlage, die eine Finanzierung von Atomwaffen unterbinden würde.

    Eine Protokollnotiz als deutsche Hintertür

Eine deutsche Atomwaffe mag für einige Militaristen attraktiv sein, sie würde jedoch schlichtweg zum Kollaps des Nichtverbreitungspaktes führen. Warum wird diese Forderung dennoch aufgestellt? Der Nichtverbreitungspakt wird in Deutschland traditionell Atomwaffensperrvertrag genannt. Das mag auch der Sichtweise derjenigen entsprochen haben, die 1974 den Vertrag ratifiziert haben. Sie sahen ihn teils als Hindernis für den deutschen Zugriff auf die Atombombe.

Der Vertrag verpflichtet zur Einstellung der Produktion von Atomwaffen und zur Auflösung vorhandener Potentiale. Unglücklicherweise geschieht dies aber ohne zeitliche Vorgaben, so dass die gängige Reaktion der NATO-Staaten darin besteht, mindestens so lange Atomwaffen haben zu wollen, wie es noch andere Potentiale gibt. In Artikel 2 werden Nichtatomwaffenstaaten dazu verpflichtet, die Verfügungsgewalt über Atomwaffen von niemandem mittelbar oder unmittelbar anzunehmen. Das schließt, nicht nur nach meiner Interpretation die Nukleare Teilhabe aus, egal ob im Rahmen der NATO oder der EU.

Weil der Nichtverbreitungspakt einen guten Ansatz hatte, aber nun seit Jahrzehnten stagniert, haben zahlreiche NGOs, aber auch Staaten die Initiative ergriffen, einen zusätzlichen Vertrag zu initiieren, der Atomwaffen vollständig ächtet. Dafür, diesen Atomwaffenverbotsvertrag auf den Weg zu bringen, hat ICAN glücklicherweise den Friedensnobelpreis bekommen. Eine Unterzeichnung des Vertrags wird in Deutschland durch eine große Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt (German public rejects nuclear weapons, ICAN, 23.3.2016). Die deutsche Regierung hat jedoch weder an den Verhandlungen über den Vertragstext teilgenommen noch hat sie sich jemals positiv darauf bezogen.

Woher kommt die vehemente Ablehnung dieses Vertrags? Dabei spielt offensichtlich die NATO-Bündnissolidarität eine Rolle, aber möglicherweise auch militaristisches Eigeninteresse. Aufschluss darüber kann die Protokollnotiz geben, die Deutschland 1974 bei der Unterzeichnung des Nichtverbreitungspaktes hinterlegt hat.

"The government of the federal Republic of Germany states that no provision of the Treaty may be interpreted in such a way as to hamper the further development of European unification, especially the creation of a European Union with appropriate competence."

Sinngemäß hält diese Notiz fest, dass keine einzige Regelung des Vertrags so interpretiert werden darf, dass sie eine europäische Einigung und besonders eine Europäische Union mit entsprechenden Atomwaffen-Kompetenzen einschränkt. Eine Protokollnotiz gibt den Rahmen vor, unter dem die Zustimmung zu einem Vertrag stattfindet.

In anderen Worten: alles was Deutschland in Bezug auf den Nichtverbreitungspakt zugesagt hat, verhindert nicht, dass Deutschland im Kontext einer EU-Militärunion auch die (Mit-)Verfügungsgewalt über eine gemeinsame Atomwaffe haben könnte. Mit dieser Notiz hat die damalige deutsche Regierung es ermöglicht, dass Deutschland die Option des Zugriffs auf Atomwaffen nicht vollständig aufgeben musste.

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung stand die Atomwaffenfrage dann wieder auf der Tagesordnung. Damals hatte die deutsche Regierung im Rahmen des Zweiplusvier-Vertrags wiederum zugesagt, keine Atomwaffen anschaffen zu wollen. Das wurde ergänzt um die Passage: "Insbesondere gelten die Rechte und Verpflichtungen aus dem Vertrag für Nichtverbreitung von Kernwaffen ... für das vereinte Deutschland fort".

Das bedeutet auch, dass im de facto Friedensvertrag Deutschlands nicht nur der Nichtverbreitungspakt, sondern auch die zugehörige Protokollnotiz fortgilt. Damit bleibt die Option einer europäischen Atomwaffe mit substantiellem deutschem Zugriff auf der Tagesordnung.

Deutsche und EU-Atomwaffen stoppen!

Gleichzeitig erklärt dies auch die deutsche Ablehnung des Atomwaffenverbotsvertrags. Am 7. Juli 2017 wurde dieser Vertrag mit großer Mehrheit bei den Vereinten Nationen angenommen. Er enthält ein vollständiges Verbot der Lagerung, der Produktion, des Einsatzes, des Transports und selbst der Finanzierung von Atomwaffen. Sobald 50 Staaten diesen Vertrag ratifiziert haben, tritt er in Kraft - Stand März 2019 haben ihn 70 Staaten unterzeichnet und 22 ratifiziert.

Wenn er rechtlich verbindlich wird, dann sind die heutigen Atomwaffenpotentiale noch nicht aufgelöst, aber es wird zunehmend schwieriger werden Atomwaffen zu entwickeln, sie zu transportieren oder ihren Einsatz zu üben. Sollte Deutschland den Vertrag ratifizieren, müssten die US-Atomwaffen abgezogen werden, europäische Optionen wären vom Tisch, Transporte durch den deutschen Luftraum und die Finanzierung von Atomwaffen durch deutsche Finanzinstitute wären rechtswidrig. Insgesamt ist die Mobilisierungsfähigkeit für diesen Vertag in der Gesellschaft sehr hoch. Diesen Rückenwind müssen wir für eine weitere Mobilisierung nutzen, denn der Vertrag ist notwendig, um aus den Träumen der deutschen Militaristen keine realen Alpträume werden zu lassen.@

 

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