Russischer Staat will Umweltschützer mundtot machen

Strafverfahren gegen Eco-Defense

PM BI Lüchow-Dannenberg 19.6.19

Sassenberg/Wendland/Kaliningrad. Eine Woche nach den massenhaften Festnahmen von Regierungskritikern in Russland bedrohen die Behörden des Landes nun auch die renommierte NGO Ecodefense, eine der ältesten Umweltorganisationen des Landes. Wie die deutschen Partnerorganisationen BI Lüchow-Dannenberg und urgewald erfuhren, haben die russischen Behörden am 30. Mai fünf Strafverfahren gegen Ecodefense eingeleitet, bei denen der Geschäftsführerin Alexandra Korolewa eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren droht. Heute wurde bekannt, dass Korolewa in Deutschland politisches Asyl beantragt hat.

Hintergrund des Verfahrens sind angeblich nicht erfüllte Auflagen im Rahmen des umstrittenen "Auslandsagenten"-Gesetzes. Mit dieser Einstufung von zivilgesellschaftlichen Organisationen versucht die russische Regierung die freie Arbeit missliebiger NGOs seit Jahren zu erschweren. Dass damit einhergehende Strafzahlungen von Ecodefense nicht gezahlt werden konnten, wollen die Behörden nun offenbar nutzen, um der Organisation die Arbeit endgültig unmöglich zu machen.

"Wir fordern, dass alle Strafverfahren gegen unsere Geschäftsführerin sofort eingestellt werden. Wenn Präsident Putin so große Angst vor unserer Arbeit hat, sollte er lieber die von uns aufgedeckten Umwelt- und Menschenrechtsskandale in Russland beenden", fordert Vladimir Slivyak, Campaigner bei Ecodefense.

Katrin Ganswindt von urgewald fordert: "Wladimir Putin entlarvt sich abermals als ein Präsident, der mit Mitteln des Kalten Krieges agiert. Die deutsche Bundesregierung sollte nun alle diplomatischen Kanäle nutzen, um sich für den Schutz von Ecodefense einzusetzen."

Kerstin Rudek von der BI Lüchow-Dannenberg fordert: "Wir verurteilen das durchschaubare Manöver des russischen Staats. Die Stigmatisierung von NGOs als "Auslandsagenten", die diese auch finanziell in den Ruin treibt, muss aufhören. Umweltschutz ist ein universelles Menschenrecht und wir kritisieren aufs Schärfste, dass Ecodefense in seiner Arbeit für eine lebenswerte Zukunft massiv vom russischen Staatsapparat behindert wird."

Seit vielen Jahren setzt sich Ecodefense erfolgreich für Klimaschutz und gegen Atom- und Kohleprojekte in Russland und weltweit ein. 2013 führte eine Kampagne von Ecodefense dazu, dass der Neubau eines AKWs in Kaliningrad verhindert wurde. In Deutschland wurde Ecodefense bekannt, als die NGO gemeinsam mit deutschen Umweltschutzgruppen den Export von Abfällen aus der Urananreicherungsanlage URENCO (Gronau/Westfalen) nach Russland stoppte. In den vergangenen Monaten gelang es Ecodefense gemeinsam mit Partnern erstmals eine neue Kohlemine in der sibirischen Kohleregion Kusbass zu verhindern, wo Kohlefirmen immer wieder mit schweren Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen.

    Hintergrund:

Ecodefense wurde 1989 in Kaliningrad gegründet und setzt sich seitdem mit Studien, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit unter anderem gegen die Gefahren russischer Atomanlagen und Menschenrechtsverletzungen in den Kohleregionen des Landes ein. Den Status "Auslandsagentin" zwangen die Behörden Ecodefense im Jahr 2014 auf. Hintergrund war die Arbeit der NGO gegen ein AKW in Kaliningrad. In einer mehrjährigen Kampagne überzeugten die Umweltschützer*innen eine Reihe europäischer Investoren, kein Geld in den Bau des AKW zu stecken. Dies führte Mitte 2013 zum Einfrieren des Projekts.

Das russische Justizministerium eröfnete insgesamt 28 Strafverfahren gegen Ecodefense wegen Verstößen gegen die Auflagen des "Auslandsagenten"-Gesetzes. Die meisten davon endeten in Strafzahlungen, die sich insgesamt auf rund 30.000 Euro belaufen. Als gemeinnützige, nicht-kommerzielle Organisation konnte Ecodefense diese Summe nicht bezahlen.

Trotz der Schikanen arbeitete Ecodefense erfolgreich weiter. Unter anderem stoppte die NGO 2017 zusammen mit Partnern in Südafrika den Bau von acht russischen Atomreaktoren der Staatsfirma Rosatom, die dem Land große Sicherheits-, Umwelt- und Entsorgungsprobleme beschert hätten. Weitere Informationen:

Die deutschen NGOs werden Ecodefense beim anstehenden Rechtsstreit unterstützen. Wer sich beteiligen möchte, kann unter dem Stichwort "Ecodefense" spenden:@

    Alexandra Korolewa hat Angst.

Angst vor dem mächtigen russischen Staat, vor dem sie soeben geflohen ist. Denn mit ihm hat sich die Direktorin und Mitbegründerin von "Ecodefense", der ältesten Umweltschutzorganisation Russlands, immer wieder angelegt. Die russische Regierung reagierte mit Schikanen - unter anderem mit einem Gesetz, wonach nichtstaatliche Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, sich als "Ausländische Agenten" registrieren lassen müssen.

"Als unsere Organisation 2014 in die Liste der ausländischen Agenten aufgenommen wurde, haben wir sofort entschieden, dass wir uns diesem Gesetz nicht unterordnen werden - weder den Buchstaben, noch dem Geist dieses Gesetzes. Es ist für uns unannehmbar. Deswegen haben wir keine einzige Anforderung dieses Gesetzes erfüllt, und so erhielten wir alle drei Monate neue Strafen", so Alexandra Korolewa. Doch auch diese Strafen zahlte Ecodefense nicht - wie fast alle von dem Gesetz betroffenen NGOs. Stattdessen verklagten sie die russische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Verfahren läuft noch. Strafbefehle statt Strafgelder

Für Alexandra Korolewa allerdings spitzte sich die Lage in den letzten Tagen zu. Denn statt Bußgeldbescheide schickte die Staatsanwaltschaft nun Strafbefehle gegen die Leiterin der Umweltorganisation. Umgerechnet 30.000 Euro soll sie zahlen - oder bis zu zwei Jahre in Haft. Eine neue Dimension der Repression. Also packte sie ihre Sachen und verließ das Land. "Wir sind der Meinung, dass die Verfolgung meiner Person, die formal aussieht wie eine Strafverfolgung wegen einer nicht gezahlten Strafe, in Wirklichkeit eine politische Verfolgung ist, die begonnen hat, lange bevor das Gesetz über "ausländische Agenten" in Kraft trat."

Aus diesem Grund hat sie - als erste prominente russische Umweltaktivistin - politisches Asyl in Deutschland beantragt. Die einzige Möglichkeit, um den Drohungen der russischen Staatsmacht, um der Angst zu entgehen. "Vorübergehend fühle ich mich jetzt sicher," sagt sie. "Aber ich mache mir große Sorgen um meine Kollegen, die in Russland geblieben sind."@

Quelle
Jürgen Döschner, WDR 19.6.19

 

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