Anmerkungen aus der antiAKW-Bewegung zum verkündeten "Kohleausstieg" Altes Valium in neuen Schläuchen antiAtom Büro Hamburg Viel ist zu dem seit einiger Zeit vorliegenden Abschlussbericht der "Kommission für Wachstum, Stukturwandel und Beschäftigung", in dem manche gern einen Beschluss zum bundesdeutschen Kohleausstieg sehen, bereits gesagt worden. Kaum beleuchtet wurde der Bericht der sogenannten Kohlekommission bislang in (bewegungs-)historischer Perspektive. Diesen Versuch unternimmt der vorliegende Kommentar aus der anti-AKW-Bewegung, die in den letzten Jahrzehnten bereits zweimal mit ähnlichen Beschlusslagen zu tun und somit Gelegenheit hatte, etwas Erfahrung damit zu sammeln.
Wenn Regierungen Kommissionen einsetzen, kann davon ausgegangen werden, dass das Problem, das sie angehen sollen, so delikat und der dahinterliegende Konflikt in der Gesellschaft so wirkmächtig geworden ist, dass eine Lösung bzw. die Befriedung des Konflikts nur möglich erscheint, wenn alle relevanten Akteure eingebunden sind. Das Ergebnis solcher Kommissionen muss deshalb immer auch daraufhin analysiert werden, welche Akteure und Anliegen wie bedient worden sind. Drei Akteure der Kohlekommission können unmittelbar als Gewinner beschrieben werden:
Was aber ist mit den Klimainteressen? Vertreten durch die großen Umweltverbände saß auch die Klimabewegung in Teilen mit am Tisch. Für sie sieht das Ergebnis schlechter aus: Von den fünf größten CO²-Emitenten Europas, sämtlich Braunkohlekraftwerke, stehen vier in Deutschland. Wäre es in der Kohle-Kommission um das Anliegen gegangen, möglichst schnell die CO²-Emissionen Deutschlands zu reduzieren, wäre ein schnelles Ende dieser Kraftwerke besonders naheliegend gewesen. Von den laut Beschluss in den nächsten fünf Jahren stillzulegenden Kraftwerken sind jedoch weniger als ein Viertel Braunkohlekraftwerke. Lediglich einzelne Blöcke werden abgeschaltet und keinem einzigen Standort droht in den nächsten Jahren das Aus. Die deutschen Rekordhalter bleiben unangefochten in den Top Ten der CO²-Quellen Europas. Die Klimabewegung wird also kärglich abgespeist beim "Kohleausstieg", obgleich – und das ist bemerkenswert – der milliardenschwere Kompromiss der politischen Öffentlichkeit nicht zuletzt mit Blick auf die Klimainteressen schmackhaft gemacht werden soll.
Als langjährig Aktive der anti-AKW-Bewegung wundern wir uns über diesen Widerspruch kaum, kommt uns doch das energiepolitische Muster in diesem Papier nur zu bekannt vor. Bereits aus dem sogenannten "Atomkonsens", im Jahr 2000 ausgehandelt von der damaligen rot-grünen Bundesregierung und den großen Energieversorgungsunternehmen, gingen die vier "Energieriesen" mit großzügigen "Restlaufzeiten" für ihre AKW und somit Bestandsgarantien als heimliche Gewinner hervor, während das Papier vornehmlich als umweltpolitische Leistung verkauft wurde. Und das Muster kehrte wieder im Ausstieg von 2011, Merkels gefeierter atompolitischer Kehrtwende. Zwar wurden absolut veraltete Schrottreaktoren wie die AKW Krümmel und Biblis abgeschaltet, jedoch bekam fast die Hälfte der anderen AKW einen Bestandsschutz für fünf bis zehn Jahre. Angesichts der gesellschaftlichen Stimmung nach dem GAU in Japan war das eine überraschend magere Bilanz für die anti-AKW-Bewegung und eine ähnliche, wie wir sie jetzt für die Klimabewegung ziehen müssen. Selbst in den Details ähneln sich die Beschlüsse: Beim Großteil der in den nächsten Jahren abzuschaltenden Kohleraftwerke handelt es sich um längst nicht mehr rentable Steinkohlekraftwerke. In den kommenden Jahren wären sie ohnehin abgeschafft worden, nun aber können die Konzerne für diesen Schritt Stilllegungsprämien verlangen, die sie sonst nicht erhalten würden. Als besonderen Clou gibt es für die Besitzer des umstrittenen, nach Rechtsverstößen bei der Genehmigung und wegen technischer Probleme nie ans Netz gegangenen Kraftwerkes Datteln eine fette Entschädigung. Auch hier liefert der "Atomkonsens" eine Vorlage: Für das AKW Mülheim-Kärlich, das rechtswidrig auf erbebengefährdetem Grund errichtet worden war und nach nur rund 30 Monaten Laufzeit vom Netz genommen werden musste, bekam RWE mehr als 30 Jahre Volllastbetrieb als Reststrommenge gutgeschrieben und konnte sie auf andere AKW übertragen. Geschaffen wurde damals wie heute vor allem Planungssicherheit für die Konzerne inklusive Bestandsschutz für ihre wichtigsten Anlagen. Und das in einem – gelinde gesagt – herausfordernden Marktumfeld: angesichts einer durch Fukushima schockierten Öffentlichkeit 2011 und angesichts einer verkündeten Energiewende, der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst und krachend verfehlter Klimaziele jetzt.
Eine zentrale Erkenntnis des sogenannten Atomausstiegs ist, dass derlei Politik vor allem die Reaktion auf aktuelle Kräfteverhältnisse ist und Konzerne und Regierung versuchen, die Zeit für sich spielen zu lassen. Nach Fukushima 2011 war die Liste der sofort abzuschaltenden Schrottreaktoren schnell zusammengestellt. Für die Übrigen wurde das Ende der Stromproduktion vage für zehn Jahre später benannt. Erst als angesichts der massiven Proteste klar wurde, dass dieser Plan wegen seiner unsicheren Aussichten nicht durchsetzbar war, entschied sich die Regierung Merkel für Zwischenschritte: Vier, sechs und acht Jahre nach dem Gau sollte jeweils einen Reaktorblock abgeschaltet werden (Ende 2019 Philippsburg 2). Die übrigen Kraftwerke sollten dann alle zehn bzw. elf Jahre später stillgelegt werden. Ähnliches findet sich im sogenannten Kohleausstieg. Nach einer initialen Stilllegung von größtenteils unrentablen Steinkohlekraftwerken, die öffentlichkeitswirksam inszeniert wird, soll ähnlich wie bei den Entwürfen zum Atomausstieg bis Anfang des übernächsten Jahrzehnts erst einmal nicht mehr passieren als das, was marktwirtschaftlich geboten erscheint: "Die aktuell vorliegenden Studien gehen davon aus, dass bis 2030 die Emissionen der Energiewirtschaft auch ohne zusätzliche Maßnahmen signifikant sinken werden." (S. 17 des Abschlussberichts). Die Zielmarke "Ausstieg" wird dann auf das Jahr 2038 verlegt. Aber werden sich Politiker_innen in 3,5 Legislaturperioden noch an Beschlüsse aus dem vorletzten Jahrzehnt gebunden fühlen? Ist das nicht ebenso zweifelhaft wie das Versprechen, dass gut zweieinhalb Legislaturperioden nach dem verkündeten Atomausstieg 2022 die verbliebenen Reaktoren tatsächlich vom Netz gehen? Obwohl Bayern den Netzausbau behindert, wo es geht? Obwohl die CDU den Ausbau der Windenergie erfolgreich torpediert? Und obwohl die aktuelle Umweltministerin vernehmbar warnt, dass nirgendwo sonst in der Welt Kohle- und Atomausstieg gleichzeitig stattfinden sollen, während in den Zeitungen die neuesten AKW-Technologien als Klimaretter vorgestellt werden? Doch, ist es. Zweifel an Ausstiegsversprechen sind höchst angebracht, meinen wir, und halten es für keineswegs unwahrscheinlich, dass man sich je nach Opportunität zum gegebenen Zeitpunkt "Laufzeitverlängerungen" überlegt, wie 2010, als die schwarz-gelbe Merkel-Regierung kurzerhand den rot-grünen "Atomkonsens" vom Tisch wischte.
Wachsamkeit und ungebrochener Widerstandsgeist wären somit mehr als angebracht. Doch fatalerweise werden mit Ausstiegsversprechen ganz unabhängig von ihrer Glaubwürdigkeit selbst radikale Umweltbewegungen befriedet. Mit der Verkündung des sogenannten Atomausstiegs schwand die Mobilisierungsfähigkeit der ehemals beeindruckenden anti-Atom-Bewegung. Heute werden Personen, die aus denselben guten Gründen aufstehen, die vor zehn Jahren noch Tausende auf die Straßen und in die Wälder brachten, für Ihre Aktionen bestenfalls belächelt. Es wird kluges Agieren brauchen, um die radikale Klimagerechtigkeitsbewegung beim Thema Kohle vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Gelingt dies nicht, könnte der Kohlekompromiss nicht nur keine Verbesserung, sondern in seiner Eigenschaft als Schlafmittel für die kritische Öffentlichkeit sogar eine dramatische Verschlechterung der Ausgangssituation für das Klima bewirken. Um aktionsfähig zu bleiben, scheint es uns angezeigt, den Widerstand in den Dörfern zu unterstützen, die vom Weiterbetrieb der Braunkohlekraftwerke betroffen sind. An ihnen lässt sich wohl am deutlichsten zeigen, dass ein Kohleausstieg nicht stattfindet, und in den Initiativen vor Ort lassen sich Verbündete finden, die nicht einfach das Aktionsfeld wechseln (können), wenn das Thema Klimapolitik in absehbarer Zeit als abgehakt gilt. Energiepolitik bleibt Handarbeit Für eine Gesellschaft in der Atomanlagen nicht möglich sind@ |
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