Endlagesuche Phase 1: Grosse Datenlücken belasten das Verfahren Vor der Hacke ist es duster von Angela Wolff Bergleute und Geolog*innen kennen die alte Bergmannsregel: Erst wenn die Spitzhacke den Stollen freilegt, weiß man, wie es im Untergrund wirklich aussieht. Die Regel gilt nach wie vor -auch bei der Suche nach einem tiefengeologischen Atommüll-Lager. Einzelne Bohrungen können da nur begrenzt Auskunft geben - und bisweilen auch täuschen Deutschland ist lückenlos vermessen und kartiert - alle topografischen Fragen dieses Landes sind weitgehend geklärt. Doch wie es unterhalb der Erdoberfläche aussieht, ist nicht annähernd bekannt. Erkenntnisse über die geologischen Schichten im Erdinneren werden erst seit dem 18. Jahrhundert gesammelt. Die Erkundungsarbeiten sind aufwändig und mit hohen Kosten verbunden. Bohrungen geben Auskunft über einen punktuellen Ausschnitt des Untergrundes. Geophysikalische Messungen dagegen, die etwa die Ausbreitung seismischer Wellen untersuchen, liefern zwar großräumigere Erkenntnisse über den Aufbau des Erdinneren. Trotz allem sind die tiefengeologischen Schichten in weiten Gebieten Deutschlands nur wenig erforscht. Das ist die Ausgangssituation bei der Suche nach einem tiefengeologischen Atommüll-Lager. Das Standortauswahl-Verfahren greift in Phase 1 ausschließlich auf bereits vorhandene Geodaten zurück. Die Auswahl der voraussichtlich sechs bis neun Regionen, die dann in der zweiten Phase des Verfahrens näher erkundet werden sollen, stützt sich also allein auf die Auswertung von Altdaten, die zudem in aller Regel nicht vor dem Hintergrund einer Atommüll-Lagerung erhoben wurden. Das wirft sowohl quantitative als auch qualitative Probleme auf.
Mut zur Lücke? Da tiefengeologische Erkundungen mit hohen Kosten verbunden sind, erfolgen sie seit jeher in aller Regel aus wirtschaftlichen Interessen. Wer tief in der Erde bohrt, sucht meist nach Bodenschätzen, Öl, Gas, seltenen Metallen. Entsprechend ist die geowissenschaftliche Datendichte in rohstoffreichen Regionen unverhältnismäßig viel größer als in Gebieten, in denen keine oder nur geringe Bodenerträge zu erwarten sind. Das Ruhrgebiet etwa ist sehr gut erforscht - und entsprechend "durchlöchert"; als Standort für ein Atommüll-Lager käme die Region wohl allein schon deswegen nicht mehr infrage. Andererseits gibt es Landstriche, in denen nur wenig oder keine Exploration stattgefunden hat. Die Anwendung der im Standortauswahl-Gesetz (StandAG) fixierten Auswahlkriterien für die Atommülllager-Suche ist hier nicht oder nur sehr begrenzt möglich. Diese großen Datenlücken belasten das Verfahren. Nachträgliche Erkundungen sind in Phase 1 jedoch nicht vorgesehen und auch in späteren Phasen aufgrund der damit verbundenen Kosten eher unwahrscheinlich. Möglicherweise wird die schlechte Datenlage für einige Gebiete damit sogar zum einzigen Ausschlusskriterium. Das StandAG überlässt dem Bundestag am Ende von Phase 1 die Entscheidung, ob Gebiete, über die keine ausreichenden Daten vorliegen, im Verfahren bleiben oder ausscheiden.
Jeder Meter kostet Geld. Daher ist völlig klar, dass Untergrundbohrungen nur so tief gehen, wie für das jeweilig Vorhaben erforderlich. Die meisten Bohrungen reichen keine 100 Meter in den Boden (u.a. Trinkwasser, Landwirtschaft, Kalk, Ton). In größeren Tiefen nimmt die Anzahl der Bohrungen immer weiter ab. Auf 130 Quadratkilometer kommen durchschnittlich nur zwei Bohrungen, die zwischen 300 und 1.500 Meter ins Erdinnere reichen. Sehr tiefe Bohrungen stehen meist im Zusammenhang mit Abbau oder Förderung von Erdgas, Öl, Salz oder Erzen. Laut StandAG muss das Atommüll-Lager eine Teufe (Tiefe unter der Erdoberfläche) von mindestens 300 Metern aufweisen. Entsprechend sind, um die geologische Eignung eines Gebiets zu beurteilen, vor allem Aufschlussbohrungen in Tiefenlagen von mehreren Hundert Metern relevant - doch die sind dünn gesät.
Die Qualität geowissenschaftlicher Daten ist abhängig vom jeweiligen Nutzungsinteresse. Eine Ölfirma bohrt, weil sie Öl sucht. Das Vorhaben ist eindeutig und jede Zusatzinformation ein Abfallprodukt. Ebenso verhält es sich mit allen weiteren Tiefbohrungen, die immer vor dem Hintergrund konkreter Interessen erfolgen. Auch geologische Forschungsprojekte sind zielgerichtet, dennoch liefern sie die brauchbarsten, weil detailliertesten Aufzeichnungen. Da die meisten Daten jedoch von der Industrie erhoben werden, ist eine große Fülle an Datensätzen im Standortauswahlverfahren nicht unbedingt gleichbedeutend mit einem hohen Erkenntnisgewinn für die Fragestellungen der Atommüll-Lagerung. Eine sachgerechte Auswertung insbesondere der wirtschaftsbezogenen Daten dürfte am Schreibtisch der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mitunter schwierig werden, prophezeien Vertreter*innen der geologischen Landesdienste. Es brauche regionalgeologische Expertise, um die spezifischen örtlichen Gegebenheiten bei der Einordnung der Aufzeichnungen berücksichtigen zu können.
Große Ratlosigkeit herrscht angesichts unzähliger Leitz-Ordner in den Kellern der Staatlichen Geologischen Dienste (SGD) der Länder. Es gebe noch kein Konzept zum Umgang mit geowissenschaftlichen Daten, die nicht digital vorliegen, räumt die BGE im Frühsommer 2018 ein. Doch wer sollte überhaupt in der Lage sein, diese Papierberge aufzubereiten? Weder die BGE noch die geologischen Landesbehörden verfügen über die nötigen Kapazitäten, um eine Digitalisierung der Unterlagen vorzunehmen. Obendrein würde diese Arbeit wohl Jahre in Anspruch nehmen und das Verfahren zusätzlich verzögern. Die BGE müsste die Relevanz einzelner Datensammlungen bestimmen. Derzeit ist jedoch noch nicht mal geklärt, ob und wie die Daten überhaupt zur BGE gelangen. Gleichzeitig nimmt das Verfahren seinen Lauf. Bleiben die Ordner am Ende geschlossen?@ www.ausgestrahlt.de/blog/ 27.8.18 | ||
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