in Atomkraftwerken
Auszug aus dem Recherchebericht von ‚correctiv'


Brandschutz

Am 16. September bemühte die NRW-Regierung den "Brandschutz". Die Baumhäuser im Hambacher Forst - so beschied es die Bauministerin in Düsseldorf - seien Gebäude, bei deren Errichtung die Vorschriften der Brandschutzverordnung nicht eingehalten worden seien. Mit dieser Begründung setzte sie einen beispiellosen Polizeieinsatz zur Räumung des besetzen Waldgebiets in Gang.

Als hätten sie es geahnt, legten drei Tage zuvor JournalistInnen vom Rechercheteam ‚correctiv' ihre Ergebnisse zum Brandschutz vor. Allerdings ging es in ihrer Untersuchung um den in Atomkraftwerken: in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland. Auszüge daraus geben wir hier wieder.

    aus dem Bericht
    von Annika Joeres
    und Bastian Schlange

AKWs in Deutschland haben ein Sicherheitsproblem: ihre Brandschutzklappen sind Jahrzehnte alt. In der Schweiz und in Frankreich sieht es diesbezüglich nicht besser aus.

Beim Brandschutz sind die Konsequenzen von Alter und Verschleiß besonders gefährlich. Seit dem Fiasko rund um den neuen Berliner Hauptstadtflughafen redet das ganze Land über das Thema. Denn dass der BER über acht Jahre nach der geplanten Eröffnung noch nicht in Betrieb ist, liegt maßgeblich an der fehlgeplanten Brandschutztechnik. Der Rauch sollte nach unten gesogen und aus den Gebäuden geleitet werden. Über den Brandschutz in Atomkraftwerken spricht niemand. Außer einigen wenigen Experten.

Matthias Dietrich, Brandschutz-Gutachter in deutschen Reaktorblöcken, nennt ihn "eine der Achillesfersen" der Atomkraft. Wer verstehen will, warum gerade das fortgeschrittene Alter von Brandschutzklappen so gefährlich ist, muss etwas in die Architektur von Meilern und ihrer Sicherheitssysteme eintauchen. Breitet sich ein Feuer aus, bedroht es die Kühlsysteme. Die wiederum sind unerlässlich, um den Reaktorkern zu kühlen und damit eine Kettenreaktion zu verhindern. Deshalb ist ein Atomkraftwerk so gebaut, dass im Brandfall - unabhängig von den Löschanlagen - der brennende Bereich abgeriegelt und so verhindert wird, dass Feuer oder Rauch andere Räume erreichen. Das nennt sich Schottungssystem. Die Räume sind durch massive Wände aus Beton getrennt, die einem Feuer mehrere Stunden standhalten können.

    Eine Klappe pro Schacht

Schwachstelle dieses Konzepts sind die Lüftungsschächte. Denn Räume ohne Fenster brauchen Frischluft. Feuer auch. Deshalb sind diese Schächte mit Brandschutzklappen versehen. Wenn es brennt, sollen sie die Räume automatisch abriegeln und so verhindern, dass sich Rauch und später Feuer über die Lüftung in andere Bereiche ausbreiten können.

Ein Problem dabei ist: Pro Lüftungsschacht gibt es oft nur eine Klappe, und damit entziehen sie sich dem sogenannten Redundanzprinzip, auf dem die Sicherheit eines AKW gründet: Fällt ein Teil aus - also eine Pumpe, ein Stromkreis oder ein Steuerungssystem - dann laufen zum Beispiel drei oder vier weitere gleiche Teile weiter. So lassen sich technische Risiken reduzieren. Außer eben bei den Brandschutzklappen

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Ein Brand kann wiederum beispielsweise mehrere Pumpen auf einmal außer Gefecht setzen. "Dadurch kann gegebenenfalls das in der Tiefe gestaffelte Sicherheitskonzept eines AKW gefährdet sein", heißt es in einer gemeinsamen Studie von Bundesumweltministerium und Bundesamt für Strahlenschutz von 2016

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    40 ist ein schlechtes Alter für eine
    Brandschutzklappe - in doppelter Hinsicht.

Da ist zum einen schlicht der Verschleiß. Das Material versprödet, korrodiert, ermüdet, zersetzt sich, Schmierstoffe schmieren nicht mehr. "Brandschutzklappen wurden früher mit deutlich geringeren Materialstärken gefertigt. Häufig haben veraltete Klappen daher über die Jahrzehnte Haarrisse bekommen und versagen unter der extremen Belastung eines Feuers", sagt der Wuppertaler Brandschutzexperte Matthias Dietrich.

Störfälle, zeigt Dieter Majer, folgen einer Badewannenkurve. Der ehemalige Leiter der Abteilung "Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen" des deutschen Bundesumweltministeriums hat diese Kurve in einer Studie für die Schweizer Energiestiftung aufgezeigt: Nach Anfangsschwierigkeiten gibt es lange Zeit kaum Störfälle. Nach 20 Jahren allerdings schießt die Kurve rasant nach oben, wobei sich "bei 40 Betriebsjahren und mehr eine drastische Erhöhung von Ausfällen zeigt".

Brandschutzexperte Dietrich zufolge besitzen alte Klappen auch minderwertige Dichtungen, die den Rauch stärker durchlassen als moderne Klappen. Anders als bei modernen Brandschutzklappen bestünde darüber hinaus die Gefahr, dass sich die alten Lüftungsleitungen bei hohen Brandtemperaturen ausdehnen und die Klappen einfach aus Wand oder Decke herausgedrückt werden. Damit wären sie im Falle eines Feuers völlig wirkungslos.

Das ist das eine. Das andere ist, dass die alten Klappen von Anfang an einen Konstruktionsfehler hatten: Sie schließen zu spät, um Rauch einzudämmen und moderne Elektronik zu schützen.

    Fehler im System

Die alten Modelle werden in der Regel von einem Schmelzlot ausgelöst: einem kleinen Stück Messing, das - zwischen zwei Federn gespannt - die Klappe geöffnet hält. Bei einer Temperatur von 72 Grad schmilzt es, und die Klappe fällt zu.

Überspitzt gesagt: im Atomkraftwerk muss es erst brennen, damit die Brandschutzklappen schließen. Bis dahin zieht der für den Menschen hoch toxische Rauch ungehindert durch das Lüftungssystem. In einem Krankenhaus, einer Schule oder einem Flughafen wird diese Technik in der Regel nicht mehr eingesetzt.

Die Auswirkungen dieser Konstruktion sind heute potenziell noch gravierender als zu den Bauzeiten der AKW. Damals war die Technik eines Atomkraftwerks analog und relativ unempfindlich gegenüber ätzendem Rauch und Hitze. Moderne Computertechnologie mit Platinen und Prozessoren sind das nicht. Schwerer Rauch und ein Temperaturanstieg um 20 oder 30 Grad können einem Rechner schwer zusetzen.

Moderner Brandschutz muss also früher reagieren. Die Schweizer Behörde schrieb uns zum Fall Gösgen, dass "neuere Brandschutzklappen statt dem Schmelzlot eine thermoelektrische Auslösung besitzen". Sie lassen sich aus der Ferne versperren und schließen automatisch bei Rauch.

    Wie funktionieren die Brandschutzklappen in den AKW?
    Wurden sie jemals ausgetauscht und erneuert?

Ein genaues Bild vom Zustand der Brandschutzklappen in deutschen Atomkraftwerken, so viel zeigt unsere Recherche, ist schwer zu bekommen. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) stellte in seinem Jahresbericht 2016 eine "deutliche Steigerung" von Störfällen fest, die bei Systemen auftraten, "zu denen vor allem die Brandschutzeinrichtungen und Feuerlöschsysteme zählen". 2016 entfiel jede fünfte Meldung auf diese Kategorie. Das BfE führt diese Häufung besonders auf "Ereignisse" zurück, die aus dem stillgelegten Reaktor Biblis gemeldet wurden. 2017 war es noch jeder sechste Störfall.

"Falls es einmal zu einem Brand kommt, muss jede Brandschutzklappe funktionieren", sagt Christoph Pistner, Mitglied in der Reaktorsicherheitskommission des Bundesumweltministeriums. "Nicht eine einzige sollte ausfallen, denn dann springt der Brand über." Und es gibt Indizien, dass auch in deutschen AKW die Brandschutzklappen nicht immer funktionieren. So schloss im Mai im AKW Neckarwestheim bei einem Test eine Brandschutzklappe nicht, wie das Umweltministerium des Landes in einer Störfallmeldung mitteilte.

EnBW, der Betreiber von Neckarwestheim, antwortete gegenüber correctiv ausführlich auf Fragen nach den Brandschutzklappen. Und wies daraufhin, dass "die ursprünglich eingebauten Klappen Bestandsschutz haben".

Die für die Atomaufsicht zuständigen Ministerien lieferten auf unsere Nachfragen zu Zustand und Alter der Brandschutzklappen in Deutschland nur spärliche Informationen: Insgesamt sind über 5.500 Brandschutzklappen in deutschen AKW verbaut. Demnach seien 46 davon seit Betriebsbeginn ausgetauscht worden. Der Betreiber EnBW teilt mit, in seinen zwei AKW seien bisher 36 Klappen ausgetauscht worden.

    Die Antworten der Länder-Atomaufsichten im Detail

Wie veraltet deutsche Anlagen tatsächlich sind, wird am Beispiel Brokdorf deutlich. Es hat 600 Brandschutzklappen. Davon wurden nach Angaben des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums in den vergangenen 15 Jahren nur zehn ausgetauscht. Und: ebenfalls nur 10 der 600 Klappen reagieren thermoelektrisch auf Rauch. Die übrigen schließen im Brandfall erst bei 72 Grad über ein Schmelzlot.

Neben Brokdorf bekamen wir noch eine detaillierte Antwort zu Neckarwestheim in Baden-Württemberg. Von den 723 Brandschutzklappen im Reaktorblock Neckarwestheim 2 wurden bisher sechs ausgetauscht - zuletzt im Jahr 2000. Bei dem zweiten AKW in Baden-Württemberg Philippsburg 2 sei von ähnlichen Werten auszugehen, so das Umweltministerium des Landes. Das bayerische Landesumweltministerium teilte trotz mehrerer Nachfragen nur mit: "Detaillierte Angaben zu den Brandschutzklappen sind aufgrund ihrer hohen Anzahl nicht möglich." Und weiter: "Die Brandschutzklappen in den Kernkraftwerken Isar 2 und Gundremmingen Block C sind ein Teil der umfassenden Brandschutzkonzepte in den beiden Anlagen entsprechend dem gültigen kerntechnischen Regelwerk."

Für die übrigen Atomkraftwerke in Deutschland erhielten wir keine Antworten, die Aufschluss über den Zustand der Brandschutzklappen geben könnten. Das kann dreierlei bedeuten:

  • Erstens, dass 99 Prozent der Brandschutzklappen in deutschen Atomkraftwerken zwischen 30 und 40 Jahre alt sind und aufgrund der veralteten Technik erst schließen, wenn es schon brennt.
     
  • Zweitens, dass die Umweltministerien als zuständige Aufsichtsbehörden es nicht immer mitbekommen, wenn Klappen ausgetauscht werden. 
     
  • Drittens, dass sie Informationen gezielt zurückhalten.

Das Atomgesetz schreibt vor, dass die sicherheitsrelevanten Bereiche eines AKW auf dem Stand von Wissenschaft und Technik sein müssen, also auf höchstem Stand der derzeitigen technischen Entwicklung. Brandschutzexperte Dietrich sagt, dass Brandschutzklappen, die 30 oder 40 Jahre alt sind oder ausschließlich über ein Schmelzlot ausgelöst werden, in keiner Weise diesem Anspruch gerecht werden.

Wie kann es dann sein, dass deutsche Meiler entweder mit einem extrem hohen Anteil veralteter Klappen weiterlaufen oder die Aufsichtsbehörden darüber nicht Bescheid wissen?

"Der Betreiber ist für die Sicherheit seiner Anlagen verantwortlich", sagt Christoph Pistner, Mitglied in der Reaktor-Sicherheitskommission des Bundesumweltministeriums. "Das ist die grundsätzliche Philosophie aller Atompolitik." Die grundsätzliche Philosophie des Rechtsstaats sieht allerdings auch vor, dass der Staat die Einhaltung seiner Gesetze überwacht. Dass er seiner Kontrollpflicht genügend nachkommt, ist in Deutschland fraglich.

Ebenso wie in der Schweiz führt der hiesige Betreiber eines AKW die Sicherheitsprüfungen selbst durch. Die Aufsichtsbehörde prüft lediglich die Berichte, die er ihr liefert. Der Betreiber muss dann die gemeldeten Mängel und Störfälle beheben. "Bis komplizierte Probleme behoben sind, kann es aber auch Jahre dauern", sagt Pistner. Das Bundesumweltministerium bestreitet, dass die Aufsicht nur auf dem Papier stattfindet und verweist auf eine "hohe Präsenz der Aufsichtsbehörden und Sachverständigen in den Anlagen".

Ein Beispiel, das daran Zweifel aufkommen lässt: Im Abschlussbericht der periodischen Sicherheitsüberprüfung für das AKW Brokdorf ist von dieser Präsenz nichts zu bemerken. Er bezieht sich lediglich auf Dokumente, die der Betreiber lieferte. Auszug aus dem Abschlussbericht: Weder Betreiber noch Behörde sehen Verbesserungsbedarf im AKW Brokdorf. Wer das Fazit des Prüfberichts für Brokdorf (KBR), das 32-jährige AKW an der Elbe mit den Schmelzlot-Brandschutzklappen, liest, käme nicht auf den Gedanken, dass darin eine längst überholte Technologie verbaut ist.

"Im Ergebnis ihrer Analysen und Bewertungen leitet die Betreiberin keine Maßnahmen zur weiteren Optimierung der Anlagensicherheit ab", schreibt das zuständige Ministerium in Schleswig-Holstein. Mit Betreiberin ist die Betreibergesellschaft PreussenElektra gemeint. Das Ministerium hat daran nichts auszusetzen: "Hinweise auf sicherheitstechnische Mängel mit unmittelbarem Handlungsbedarf sind danach aus der Sicherheitsüberprüfung nicht ableitbar", heißt es im Abschlussbericht 2006 des Ministeriums weiter.

Die ursprünglich einmal festgelegten Belastungsgrenzen für AKW werden während ihrer Laufzeit gelockert. Alle zuständigen Landesumweltministerien beschreiben diesen Vorgang als völlig normal und selbstverständlich. "Im Zuge der Weiterentwicklung des Alterungsmanagements wurde festgestellt, dass die damals spezifizierten Grenzwerte für Lastfälle konservativ waren", schreibt zum Beispiel das Landesumweltministerium in Baden-Württemberg.

"Den politischen Entscheidungsträgern ist meist nicht klar, dass Grenzwerte je nach Berechnungsmethode einen ganz unterschiedlichen Schutz bieten," sagt Wolfgang Renneberg. Der Physiker und Volljurist leitete elf Jahre lang die Abteilung Reaktorsicherheit und Strahlenschutz des Bundesumweltministeriums.

"Häufig werden die Lösungen gewählt, die für den Betreiber wirtschaftlich sind - aber nicht diejenigen, die sicherheitstechnisch nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich wären."@

Gesamter Bericht:
https://correctiv.org/recherchen/stories/2018/09/12/feuergefahrdet-so-altersschwach-ist-der-brandschutz-in-europas-atommeiler/

 

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