AKW-Schlüsselkomponenten:
die Irrungen von Le Creusot unter der Verantwortung
von Monsieur Bolloré und Areva

Hinter den Kulissen des Euro-Reaktor-Fiaskos

Übersetzung (Eva Stegen) eines Berichts von Émilie Massemin über die Hintergründe zum Skandal um die Metallurgie-Betriebe des französischen Atomkonzerns Areva (reporterre.net, Okt. 2017)

Die Fabrik Le Creusot schmiedete die Kalotten des Reaktordruckbehälters des Europäischen Druckwasser-Reaktors, EPR, in Flamanville, allerdings mit Defekten. Das Ergebnis: eine Bedrohung für die Sicherheit des Atomreaktors. Michel-Yves Bolloré hatte den Auftrag erhalten und begann mit der Fertigung.

Große Metallzylinder mit verschiedenen Durchmessern und Farben - rostigrot, mattgrau, silber-glänzend - warten geduldig auf dem Parkplatz. Zwei Arbeiter in weißer Uniform und Schutzhelm auf dem Kopf kommen aus der riesigen Maschinenhalle, die mit dem Akronym von Areva geschmückt ist. Jean-Luc Mercier, Koordinator des allgemeinen Gewerkschaftsbunds CGT und seit 2001 Mitarbeiter des Creusot Forge Labors , grüßen sich mit einem freundlichen "Hallo", bevor die Express-Visite außerhalb der Gebäude fortgesetzt wird.

"In der ersten Werkstatt, in der wir uns trafen, wurden die großen Stahlblöcke gegossen. Danach werden die Gussblöcke mit dem Zug zum ersten Gebäude der Creusot Schmiede transportiert, in dem die Öfen und Pressen untergebracht sind. Dort wird der Gussblock geschmiedet, bis das Teil den gewünschten Durchmesser erreicht. Schließlich geht das Werkstück in die Maschinenhalle, wo Bohrfräsmaschinen ihm die endgültige Gestalt verleihen" Eine Lenkrad-Drehung in eine perfekte Parklücke neben der Vorfertigung, in der sich die Gewerkschaftsräume befinden, und Jean-Luc Mercier überschaut den Standort mit einem Blick: "Von einem Ende zum anderen ist es einen Kilometer lang!"

Mehrere Ringe, Dampferzeuger, Deckel und andere geschmiedete Teile, die für französische und ausländische Atomreaktoren bestimmt sind, haben diese historische Fabrik im Zentrum der Stadt Le Creusot in der Region Saône-et-Loire verlassen. Es ist schwer zu glauben, dass die Creusot Schmiede eine der schwersten Krisen in ihrer turbulenten Existenz durchmacht, wenn man die Arbeiter wie ein gut inszeniertes Ballett ruhig in ihre Gebäude zurückgehen sieht: das Versagen beim Herstellen einwandfreier Kalotten für Reaktordruckbehälter (RDB) und die Entdeckung von Fälschungen in den Herstellungsdokumenten. Der Versuch, die Verantwortung der aufeinanderfolgenden Direktoren der Produktionsstätte zu entwirren, erfordert einen technischen Umweg.

Die Tür des CGT-Betriebsraums ist geschlossen, Jean-Luc Mercier versucht, das Rätsel der tausend Puzzle-Teile - wirtschaftliche, politische und industrielle - zu rekonstruieren. Jean-Luc Moine, Schmied, in den Betriebsrat gewählt und lebendes Gedächtnis der Fabrik, kommt zu uns. "Ich bin 1978 hergekommen! Es war gestern vor 39 Jahren" [18. September 2017], erinnert er sich. "Ich fing an der Basis an und warf die Kohle auf die Ambosse der Presse, damit das Stück besser wird." Seitdem hat er alle Arbeitsplätze "im heißen Bereich" in der Anlage - Gießerei, Stahl und Schmieden - durchlaufen und der Prozess, ein großes Stück Stahl zu machen, hat für ihn keine Geheimnisse mehr.

Wie läuft das ab? Der Gussblock wird zuerst in den Ofen gelegt, wo er auf über 1.200°C, fast 1.300°C erhitzt wird, so dass der Stahl verformbar wird. Dann wird der Gussblock in eine Presse eingeführt, die es ermöglicht, dem richtigen Teil den richtigen Durchmesser zu geben. Wenn seine Temperatur während des Schmiedens zu stark abfällt, wird das Teil in den Ofen zurückgeführt, um wieder eine Temperatur zu erreichen, bei der wieder geschmiedet werden kann, ohne dabei die Spaltung des Stahls oder Verunreinigungen darin zu riskieren. "Die Dauer dieser Operation variiert zwischen 45 Minuten und fünf Stunden", erklärt Schmied Jean-Luc Moine, während er in Bildern von glühenden Öfen und weißglühenden Werkstücken blättert, neben denen die Arbeiter die Größe von kleinen Ameisen haben. "Die Hitze ist intensiv, es raucht!"

Aber es hat nicht immer perfekt funktioniert. Am 7. April 2015 entdeckte die Atomaufsicht (ASN) einen Überschuss an Kohlenstoff, in denjenigen Teilen, die als "Kalotten" bezeichnet werden und die den Boden und den Deckel des EPR-Druckbehälters in Flamanville (Normandie) bilden - hergestellt von Creusot Forge. Eine Woche später bezeichnete Pierre-Franck Chevet, Präsident der ASN, die Anomalie in diesen für die Sicherheit des Reaktors lebenswichtigen Komponenten als "ernst, wenn nicht sehr ernst". Das letzte Kapitel dieses Skandals erschien am 28. Juni 2017, nach einigen Monaten von Berechnungen und Tests für die beanstandeten Teile: Die Atomaufsicht empfiehlt regelmäßige Kontrollen am Boden des Reaktordruckbehälters und den Austausch des Deckels bis zum Ende 2024.

Spulen wir den Film zurück. Die meisten Komponenten des Euroreaktors EPR von Flamanville (Rohransatzstutzen mit integriertem Flansch, RDB-Ringe, Übergangszone und Deckelflansch) wurden in Japan von Japan Steel Works (JSW) hergestellt. Der Creusot-Anlage gelang es trotzdem, einige Aufträge an Land zu ziehen: acht Rohre, die zwischen dem 27. März 2006 und dem 20. Juli 2007 geformt wurden, der RDB-Deckel, der vom 5. September bis 10. Oktober 2006 geformt wurde und der RDB-Boden, vom 23. Januar bis 14. Dezember 2007.

Die Fabrik war damals in einem merkwürdigen Zwischen-Zustand. Im Besitz der France Essor-Gruppe des Finanzinvestors Michel-Yves Bolloré, die sie im Juli 2003 für einen symbolischen Euro erworben hat, wurde sie am 8. September 2006 für 170 Millionen Euro von Areva zurückgekauft. Obwohl Areva den größten Teil des Schmiedens der Kalotten leitete, fand der Beginn der Fertigung unter der Leitung von Herrn Bolloré statt, gemäß den Methoden, die er seit drei Jahren überwacht hatte.

    Ein beispielloser Auftrag für
    eine Fabrik in Unter-Kapazität

Es bleibt abzuwarten, ob die Fabrik tatsächlich in der Lage war, diese Kalotten herzustellen. Sie handelte allerdings auf eine bisher beispiellose Auftragserteilung hin. Mehrere EPR-Teile wurden bereits für den EPR von Olkiluoto in Finnland geschmiedet. Aber der Vorgang war der Creusot Schmiede entwischt, da er den japanischen Firmen Mitsubishi Heavy Industries und JSW anvertraut wurde.

Denn selbst wenn die Creusot-Werkstätten die Erfahrung gehabt hätten, die Kalotten für die Reaktoren der bestehenden Flotte in Frankreich herzustellen, sind die für den EPR entworfenen Kalotten deutlich anders. Die Instrumente zur Steuerung der Atomreaktion, die zuvor durch den Boden des Reaktordruckbehälters geleitet wurden, führen nun durch den Deckel. Die Deckel-Kalotte des EPR ist auch dicker als die der 1.450 MW-Reaktoren. Folglich konnten die Werkstätten nicht auf ihre üblichen Prozesse zurückgreifen und mussten an einem Stahlgussblock mit einer noch nie da gewesenen Tonnage arbeiten - 157 Tonnen.

Ein derart enormer Gussblock ist besonders komplex zu bearbeiten. "Nach dem Guss und der Verfestigung des Stahls sind die Gussteile mit großer Dimension nicht völlig homogen, was die chemische Zusammensetzung und die mechanischen Eigenschaften angeht", stellte die (staatlich geförderte Sachverständigenorganisation) IRSN (Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit) in einem Bericht 2015 fest.

Erläuterung: Während der Abkühlung des Stahls wandert der Kohlenstoff in die langsamsten Bereiche, um sich zu verfestigen - besonders in den oberen Teil des Gussblocks. Diese Zonen mit erhöhter Kohlenstoffkonzentration, weisen nicht die gleichen mechanischen Eigenschaften auf, wie der Rest des Teils: Die Zähigkeit des Stahls wird vermindert, d.h. das Metall ist anfälliger für die Ausbreitung von Rissen - und die Unfallgefahr steigt. Um diesen Defekt zu begrenzen, besteht eine Lösung beim Schmieden darin, den gesamten Kopf des Gussblocks, in dem sich der Kohlenstoff konzentriert, abzutrennen.

"Die Creusot Forge-Fabrik von Areva NP hat diesen Bereich nicht ausreichend beseitigt," was sich "somit im mittleren Bereich der fertigen Teile wiederfindet", beklagte ASN in einer technischen Notiz vom 28. Juni 2017

    Die Werkstätten in denen sich die Schmiede und die Presse befindet

Für die IRSN war Areva fahrlässig und berücksichtigte nicht die Warnungen, die ihr von der ASN geschickt wurden: "Das Risikomanagement der heterogenen Zentralzone der Kalotten wurde (...) von der ASN angesprochen" in einem Brief der an Areva gerichtet war, datiert vom 21. August 2006 - ungefähr 2 Wochen vor dem Beginn der Fabrikation des Deckels des Reaktordruckbehälters RDB, also während der Zeit, in der M. Bolloré die Verantwortung für die Fabrik trug. "Auf diese Frage gab es keine substanzielle Antwort, Areva bezieht sich auf ein zukünftiges Dossier."

    Im Jahr 2006 ist der Atom-
    Aufseher beim Besuch auf
    dem Gelände des Herrn Bolloré
    "schier zusammengebrochen"

Im Jahr 2007 übermittelte Areva der ASN nur widerwillig Unterlagen, welche die technische Qualifikation (Einzelheiten des gewählten Herstellungsprozesses) ausreichend präzisieren. In einem solchen Maße, dass im Jahr 2008 die Atom-Aufsicht Areva verbot, sich an die Herstellung von neuen Komponenten zu wagen, wenn nicht als Vorbedingung ein vollständiges Dossier übermittelt würde. Aber für die Kalotten des RDB-Deckels und des Bodens war der Schaden bereits angerichtet.

Man mußte bis zum September 2012 warten, bis Areva anbot, Tests an einer ähnlichen Kalotte durchzuführen, die für den amerikanischen Markt bestimmt war: das Ziel war, zu sehen, ob diese Komponenten eine Anomalie der Kohlenstoffkonzentration hatten. Die ersten - schlechten - Ergebnisse wurden der ASN erst im Oktober 2014, sieben bis acht Jahre nach dem Schmieden der Kalotten, bekannt gegeben. Und neun Monate nach dem Einsetzen des RDB in Flamanville.

Sobald die gesamte Datei in der Hand der IRSN war, beurteilte sie das in ihrem Bericht von 2015 von Areva angewandte Herstellungsverfahren streng: "Die gewählte Fertigungstechnologie (...) ist rückständig im Vergleich zu der in Betrieb Befindlichen im Kraftwerkspark."

Areva gab schließlich zu, dass deren technische Wahl "im Widerspruch zu den Bemühungen der frühen 80er Jahre stehen könnte (...), aber es gehörte zur allgemeinen Tendenz, das Ausmaß der Teile zu vergrößern", so Actu-Environnement in einer Untersuchung, die am 7. Juli 2016 veröffentlicht wurde. "Zwischen den Zeilen verstehen wir, dass Areva nicht über die industrielle Ausstattung verfügt, die es ermöglicht, für solche großen Stücke die seit dreißig Jahren bevorzugte Technik zu verwenden," interpretierte die Informationsstelle.

Diese schlechte technische Wahl und die mangelnde Bereitschaft, die von der ASN geforderten Nachweise bereitzustellen, fallen in einen größeren Zusammenhang mit schwerwiegenden Fehlfunktionen in den Werkstätten. Die Atomaufsicht hat bereits am 16. Dezember 2005 Alarm geschlagen. In einem Brief, der durch eine Recherche von FranceInfo enthüllt wurde, warnte die ASN die EDF, dass "im Rahmen ihrer Mission zur Kontrolle der Herstellung von nuklearen Druckbehältern, das BCCN [Bureau de contrôle des chaudières nucléaires = Kernkraftwerkskontrollamt] kürzlich viele Diskrepanzen in Bezug auf die Schmiede Creusot Forge entdeckte. Diese Elemente stellen die Qualität der Arbeit und die Überwachung ihrer Subunternehmer, die von der Creusot Schmiede durchgeführt werden, in Frage." Während der Zeit also, als Michel-Yves Bolloré das Unternehmen leitete.

Im April 2006 inspizierte die Atomaufsicht das Gelände und stellte 16 Beobachtungen von Abweichungen und Unregelmäßigkeiten fest. Am 16. Mai 2006 kam es zu einem neuen Warnschuss: Die ASN meldete erneut "zahlreiche Zwischenfälle" in der Fabrik, was zu einer "erheblichen Anzahl von Ausschuss" führte. Der ehemalige ASN-Direktor André-Claude Lacoste teilte France Info mit, dass er 2006 den Standort besucht habe und "schier zusammengebrochen" sei. Ihm zufolge "war die Schmiede nicht auf dem Niveau der im Nuklearbereich erwarteten Standards".

"Bollorés Zielsetzung war finanziell und sie war nicht besonders technisch. (...) Ich konnte ihn nicht dazu bringen, über eine industrielle Strategie zu sprechen ", versichert gegenüber France Info René Dumont, Geschäftsführer von Creusot Forge von 1997 bis 2005. Zu dieser Zeit "verließen viele Führungskräfte die Schmiede. Die Fabrik ist schlecht in Stand gehalten und verliert ihre Kompetenzen."

    Mitarbeiter werden
    überstürzt und schlecht
    ausgebildet rekrutiert

Alle diese Anomalien haben für die Gewerkschafter Jean-Luc Moine und Jean-Luc Mercier denselben Ursprung: der Mangel an Ressourcen, die insbesondere mit der Kostensenkungs-Politik zusammenhängen. "Unsere japanischen Kollegen pflegten derartige Werkstücke zu schmieden und machten es gut. Wir waren nicht daran gewöhnt, sie bei Creusot Forge herzustellen und wir hatten nicht die passenden menschlichen und materiellen Kapazitäten", sagt Jean-Luc Mercier gegenüber Reporterre.

Erste Schwierigkeit: die Zahlen. "Zum Zeitpunkt des Kaufs durch Michel-Yves Bolloré 2003, hatte Creusot Forge nur 80 Mitarbeiter, erinnert sich der Gewerkschafter. Um eine Produktion zu starten, wie man normal sagen würde, im 3x8 Schicht-Betrieb, ist das unmöglich." Jean-Luc Mercier und Jean-Luc Moine sind sich einig, dass Herr Bolloré viele Mitarbeiter eingestellt und die Belegschaft auf 200 Mitarbeiter angehoben hat. "Aber die Neuzugänge waren nicht unbedingt für die Nuklear-Komponenten ausgebildet", bedauert Jean-Luc Mercier. "Die Kernenergie kam aus einem Tiefpunkt. Wie willst Du das üben, wenn du kein Teil produzieren kannst, um daran zu üben? Es wäre eine ehrgeizige Ausbildungspolitik nötig gewesen, die auch bereit ist, Prüfstücke zu schmieden, die als Ausschuss enden, um für die ersten Aufträge ausgebildete Arbeitskräfte zu haben."

Die Herstellung von RDB-Versuchs-Kalotten hätte darüber hinaus auch den Creusot Forge Ingenieuren erlaubt, die Genauigkeit ihres "Herstellungsprotokolls", "d.h. die Auflistung der Herstellungsschritte zu überprüfen, der die Arbeiter folgen müssen", entschlüsselt Jean-Luc Mercier. Dem Gewerkschafter zufolge kostet ein Gussblock rund 500.000 Euro. "Es kam für unsere Manager nicht in Frage, einen Gussblock zu kaufen um ihn dann in den Müllcontainer zu legen."

Diese Suche nach Einspar-Möglichkeiten wurde mit einem gewissen Mangel an Strenge kombiniert, was einen explosiven Cocktail bildete. "Normalerweise muss ein Arbeiter, bevor er einen Block in den Ofen stellt und ihn schmiedet, warten, bis er das abgezeichnete Herstellungsprotokoll in der Hand hat. Aber einige Verantwortliche wollten die Arbeitnehmer nicht warten sehen und verlangten von ihnen , den Gussblock einzubauen, ohne auf das signierte Herstellungsprotokoll zu warten", bezeugt Jean-Luc Mercier.

"Ein anderes Beispiel: Wenn Sie einen Gussblock erhalten, müssen Sie auf das Dokument mit seinen Testergebnissen warten - wie es gemacht wurde, seinen Kohlenstoffgehalt und so weiter - bevor es bestätigt wird. Aber oft wurden von uns verlangt, den Gussblock in den Ofen zu bringen, ohne auf die Dokumentation zu warten. Von dem Moment an, in dem Sie beginnen, den Gussblock zu bearbeiten, haben Sie ihn akzeptiert, und der Lieferant des Gussblocks ist von allem befreit. Wenn die Dokumente danach ankommen und man entdeckt, dass der Gussblock nicht gut war, aber man hat ihn auf die richtige Größe gebracht, mit dem ganzen Zeitaufwand des Heizens, Pressens und der Bearbeitung, der dahintersteckt, kann man verstehen, dass man ihn nicht mehr wegwerfen will. Die Realität ist, dass einige Stücke niemals in die Werkstätten hätten hereinkommen dürfen"@

freitag.de/autoren/evastegen/hinter-den-kulissen-des-euro-reaktor-fiaskos
17.01.2018

 

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