Die ursprünglich geplante Zeitdauer von 40 Jahren reicht für die "Zwischen"-lagerung nicht aus

Zeit-Horizont

von Jochen Stay

Die Zwischenlagerung des hochradioaktiven Atommülls wird sehr viel länger dauern, als ursprünglich behauptet. Die bisherigen Hallen sind nicht weiter tragbar.

An 17 Orten in Deutschland lagern große Mengen hochradioaktiven Mülls, meist in oberirdischen Lagerhallen, den sogenannten Zwischenlagern. Die ersten Castoren landeten dort um die Jahrtausendwende, genehmigt sind Behälter und Hallen für bis zu 40 Jahre. Die erste Genehmigung, für das Zwischenlager Gorleben, wird demnach schon 2034 auslaufen. Am längsten darf Atommüll noch im bayerischen Gundremmingen lagern: bis 2046. Doch schon heute ist klar, dass es weder 2034 noch 2046 irgendwo einen Ort geben wird, der für die langfristige Lagerung hochradioaktiven Atommülls ausgewählt, genehmigt, ausgebaut und aufnahmebereit ist. Und selbst wenn es ihn gäbe, würde es dann trotzdem noch Jahrzehnte dauern, alle 1.900 Castor-Behälter aus den 17 Zwischenlagern dorthin zu transportieren und einzulagern.

"Insgesamt muss man damit rechnen, dass zumindest ein Teil der Behälter noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts in Zwischenlagern stehen wird", sagt der Physiker und Castor-Experte Wolfgang Neumann. Diese Prognose trifft sogar dann zu, wenn bei der Suche nach einem tiefengeologischen Langzeit- Lager alles halbwegs glatt gehen würde – wovon ja nicht auszugehen ist. Das bedeutet: völlig unabhängig davon, ob man auf schnelle Erfolge bei der Standortsuche vertraut oder dies skeptisch sieht, besteht dringender Handlungsbedarf.

Denn die Castor-Behälter sind nicht für so lange Zeiträume ausgelegt. Und die derzeitigen Lagerhallen halten schon heute Flugzeugabstürzen und Angriffen mit panzerbrechenden Waffen nicht sicher stand. Es braucht also neue, langfristige Zwischenlösungen, wobei es irreführend wäre, wieder ein "Zwischen"-Wort dafür zu benutzen, denn es geht ja um viele Jahrzehnte und das Inventar der Castor-Behälter ist wahrlich Teufelszeug.

Dass die Politik das Problem, wenn überhaupt, dann nur sehr zögerlich angeht, hat vermutlich zwei Gründe: Zum einen hatte sie den Standortgemeinden hoch und heilig versprochen, dass diese den Atommüll nach 40 Jahren wieder los sind – und tut sich nun entsprechend schwer, zuzugeben, dass dies völlig illusorisch ist und dass auf die AnwohnerInnen bei längerer Lagerdauer zusätzliche Risiken zukommen.

Zum anderen befürchten manche PolitikerInnen, die sich für eine zügige Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager einsetzen, dass daraus nichts wird, wenn man sich jetzt um die Zwischenlager kümmert. Jeden besorgten Hinweis auf Probleme dort verstehen sie als Störfeuer für ihr Auswahlverfahren. Manche scheinen sogar die Strategie zu verfolgen, die prekäre Situation in den Castor-Lagern mit Absicht aufrechtzuerhalten, um so den Druck zur schnellen Einrichtung eines Tiefenlagers zu verstärken.

    Wie viele neue
    Zwischenlager?

Trotzdem werden nach und nach erste Ideen diskutiert, wie es mit den Castor-Behältern weitergehen soll. Das Bundesumweltministerium etwa hat bei der Vorlage des "Nationalen Entsorgungsprogramms" (NaPro) den Vorschlag gemacht, am noch zu findenden Standort eines Endlos-Lagers ein sogenanntes "Eingangslager" zu errichten, also eine große Halle, in die dann die Castoren aus allen bisherigen Zwischenlagern gebracht werden sollen, und zwar unabhängig von der Genehmigung und dem Bau des Tiefenlagers. Politisch würde das bedeuten, den gleichen Fehler wie in Gorleben ein zweites Mal zu machen: Jeder Castor-Transport in das Eingangslager zementiert den Standort für das Tiefenlager, selbst wenn dieser sich später als ungeeignet herausstellt. Entsprechend werden diese Transporte auch auf großen Widerstand stoßen.

Davon abgesehen dreht sich die langsam anlaufende Zwischenlager-Debatte vor allem um deren künftige Anzahl:

Ein einziges
entweder am Bergwerks- oder an einem davon unabhängigen Standort in der Republik

drei
jeweils eine zentrale Lagerhalle in Nord-, Süd- und Ostdeutschland

sieben
in jedem Bundesland, in dem schon jetzt Castoren lagern, jeweils ein Neubau oder ertüchtigter Altbau, also in Bayern, Ba-Wü, Hessen, NRW, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Meck-Pomm; das soll Kosten sparen und Transportwege reduzieren

fünfzehn
die bisherigen Hallen (außer Jülich und Obrigheim) einfach weiternutzen; die Atomwirtschaft behauptet frech, Castoren und Gebäude würden auch länger halten, obwohl es dafür keine Beweise gibt

siebzehn
an jedem bereits existierenden Zwischenlager-Standort, und zwar, wenn es nach der anti-Atom-Bewegung geht, als robuster Neubau; das würde unnötige Castor-Transporte und die damit einhergehende Strahlenbelastung und Unfallgefahr vermeiden

Die Befürworter einer reduzierten Zahl an Zwischenlagern argumentieren mit den Kosten: Je weniger Neubauten, desto billiger – zumal, wenn die neuen Lagerhallen jeweils noch mit einer teuren heißen Zelle ausgestattet sein müssen, um defekte Behälter reparieren oder umladen zu können. Weniger Zwischenlager hieße aber, Hunderte von Castoren umzulagern – und Castor-Transporte sind auch nicht billig.

Durch den geplanten Abriss der AKW wird an fast allen Zwischenlagern in einigen Jahren die Möglichkeit fehlen, mit schadhaften Behältern zu hantieren. Dazu bräuchte es überall heiße Zellen. Viele AtomkraftgegnerInnen fordern diese als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Andererseits gibt es einige Standort-BIs, die genau das sehr skeptisch sehen – weil sie befürchten, dass durch den Bau einer heißen Zelle "ihr" Zwischenlager zu einem der in Erwägung gezogenen neuen zentralen Standorte werden könnte.

Auflösen ließe sich dieses Dilemma nur über einen gesellschaftlichen Verständigungsprozess auf Augenhöhe, an dem sich alle mit gleichen Rechten beteiligen können, die von den Fragen rund um die Zwischenlagerung betroffen sind.@

 

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