AKWs für Indiens militärische Supermacht-Ambitionen von Peter Moritz Da einerseits der Ausbau der Atomenergie auch in Indien immer absurder erscheint und anderseits die indische Regierung nicht blöd ist, stellt sich die Frage nach den wirklichen Zielen des indischen Atomenergieprogramms. Dieser Beitrag stellt folgende These zur Diskussion: Mit dem Bau von AKWs soll eine einheimischen Atomindustrie aufgebaut werden, die in der Lage ist, die indische Kriegsmarine mit Atomantrieben auszurüsten.
Der Ausbau der Atomkraft in Indien wird gerne mit dem "Energiehunger" des Landes begründet. Sechzig Millionen Haushalte haben keinen Stromanschluss. Die Versorgung dieser Haushalte ist mit dezentraler Stromerzeugung und Ausbau der Infrastruktur möglich. Die Steigerung der zentralistischen Stromproduktion durch Atomkraftwerke würde lediglich die schon bestehenden Überkapazitäten vergrößern. "However, many of the power stations are idling for lack of electricity demand. The idling generation capacity can supply three times the domestic electricity needs (nearly 80 billion KWh) of the people who do not have access to electricity." (Wikipedia) Selbst wenn es um die Versorgung von stromfressenden Industrien geht, ist Atomkraft die schlechteste - weil teuerste - Variante. Das weiß auch die indische Regierung. Dennoch setzt sie auf den weiteren Ausbau der Atomkraft.
Im Mai 2017 bekräftigte die indische Regierung ihre Absicht, zehn einheimische Schwerwasserreaktoren bauen zu wollen. Die beiden importierten russischen AKws in Kudankulam funktionieren nicht, trotzdem wurden bei Rosatom weitere Reaktoren bestellt. Areva/EdF ist es bis heute nicht gelungen, auch nur einen EPR fertig zu bauen, der Nachweis eines zuverlässigen Betriebs ist in weiter Ferne. Trotzdem will die indische Regierung gleich sechs Reaktoren vom Typ EPR einkaufen. Und bei der Pleite-Firma Westinghouse, die den Bau einiger AP1000-Reaktoren in den USA aufgeben musste, will die indische Regierung ebenfalls sechs Reaktoren bestellen. Zum Pariser Klimagipfel kündigte die indische Regierung an, die Atomstromproduktion bis 2032 auf 63 GW zu erhöhen, das Zehnfache der heutigen Kapazität. Kritiker der Atomkraft weisen schon immer daraufhin, dass militärisches und ziviles Atomprogramm nicht voneinander zu trennen sind. Wenn die zivile Nutzung der Atomenergie obsolet ist, bleibt nur noch der militärische Zweck. Dabei geht es allerdings nicht nur und in Indien nicht mehr um Atombomben.
Atomwaffen - Indien wird Atommacht Als Reaktion auf den ersten Atombombentest Indiens 1974 wurde die Nuclear Suppliers Group (NSG) zur Kontrolle des Handels mit Atomtechnik und spaltbarem Material gegründet. Gegen Indien wurde ein Atomhandelsembargo verhängt. Den Atomwaffensperrvertrag hat Indien bis heute nicht unterzeichnet. Dennoch wurde das Embargo 2008 aufgehoben. Vorausgegangen war eine außenpolitische Annäherung Indiens an die USA. Indien hatte ein starkes Interesse am Import von Uran. Uranknappheit gefährdete das zivile und militärische Atomprogramm, erste Atomkraftwerke mussten heruntergefahren werde. Als Gegenleistung für die Aufhebung des Embargos verpflichtete sich Indien zum Import von Atomkraftwerken aus den USA, Frankreich und Russland (zusätzlich zu Kudankulam). Für die importierten Atomanlagen wurden gleich Standorte festgelegt, z.B. Jaitapur für Areva. Unmittelbar nach der Aufhebung des Embargos lieferte Areva Uran und die Rosatom-Tochter TVEL Urandioxidpellets, angeblich für die Leichtwasserreaktoren in Tarapur. Inzwischen hat Indien so große Uranvorräte angehäuft wie noch nie. Der Nachschub ist durch Importverträge mit Ländern wie Australien, Kanada, Russland, Kasachstan und demnächst wohl auch Usbekistan auf Jahre hinaus gesichert. Indien verfügt über Anreicherungsanlagen und Reaktoren, die nicht unter internationaler Kontrolle stehen. Der weiteren Produktion von Atombomben steht nichts mehr im Wege, Indien verfügt über genügend Material und alle technischen Möglichkeiten. Die erste Phase der Atomrüstung ist erfolgreich abgeschlossen, Indien ist Atommacht - wahrscheinlich mit Zweitschlagfähigkeit. Weitere AKWs braucht es dafür nicht. Um dahin zukommen, hat sich Indien allerdings zum Import von AKWs verpflichtet, die weder für den Bau von Atombomben noch für die Stromversorgung notwendig sind.
Atomare Kriegsmarine - Indien auf dem Weg zur Supermacht Indien wird in den nächsten Jahren zum bevölkerungsreichsten Land werden. Vor 2040 wird sein Bruttoinlandsprodukt das der USA übertreffen (PWC-Prognose) . Indien wird nach China und vor den USA zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht aufsteigen. Die indische Regierung sieht ihren Staat auf dem Weg zur Supermacht, die über eine adäquate militärische Ausrüstung verfügen soll. Da genügen Atombomben nicht. Als Supermacht in spe orientieren sich die politischen Machthaber Indiens an der militärischen Ausstattung aktueller Großmächte. Atomar angetriebene Kriegsschiffe, U-Boote und Flugzeugträger, sind essentielle Bestandteile der jeweiligen Kriegsmarine. Um die Dimension zu verdeutlichen: Die USA haben an die achtzig Atom-U-Boote und elf atomar angetriebene Flugzeugträger im Einsatz. Druckwasserreaktoren erzeugen Dampf direkt für den Antrieb oder zur Stromerzeugung für Elektromotoren. In der zweiten Phase der Atomrüstung geht es um die Entwicklung von Fähigkeiten und Kapazitäten für den Aufbau einer atomaren Kriegsmarine. Indien steht am Anfang dieser zweiten Phase. Das erste indische Atom-U-Boot, die INS-Arihant, wurde 2016 in Dienst genommen. Der 83-Megawatt-Reaktor wurde mit russischer Unterstützung vom Bhabha Atomic Research Centre (BARC) in Kalpakkam entwickelt, dem Standort zweier Schwerwasserreaktoren, eines nicht fertig werdenden Schnellen Brüters und weiterer Atomanlagen. Die INS-Arihant ist nur das erste U-Boot seiner Klasse, das zweite wurde im November 2017 auf den Namen INS Arighat getauft und soll einen leistungsfähigeren Reaktor haben. Zwei weitere U-Boote dieser Klasse sind geplant. Am 1. Dezember 2017 wurde ein Milliardenprogramm für atomar angetriebene, aber nicht mit Atomwaffen ausgestattete Angriffs-U-Boote gestartet. Eine dritte Klasse von großen Atom-U-Booten mit 190 MW-Reaktoren ist noch in einem sehr frühen Planungsstadium (vgl. India Today vom 7.12.17). Die indische Kriegsmarine arbeitet zur Zeit an zwei Flugzeugträgern. Der erste NS Vigrant soll Ende 2018 in Dienst gestellt werden. IDer zweite NS Vishal ist in Olanung. Er kann nicht wie zunächst angedacht mit einem atomaren Antrieb ausgestattet werden. Dafür ist ein Reaktor mit über 500 MW Leistung erforderlich. Das Bhabha Atomic Research Centre (BARC) konnte angeblich bislang nur einen Reaktor mit 190 MW entwickeln, die Entwicklung eines schiffstauglichen Leichtwasserreaktors brauche noch 15-20 Jahre. Indien verfügt noch nicht über die erforderlichen Technologien für die selbständige atomare Aufrüstung der Kriegsmarine. Indiens Industrie ist noch nicht in der Lage alle Komponenten selbst zu produzieren. Die mühsam aufgebaute einheimische Lieferkette droht wegen Verzögerungen beim U-Boot-Bau wieder zu brechen.
Eine Studie an der Universität Sussex für Großbritannien hat gezeigt, dass der Bau von AKWs dort zur Querfinanzierung der Erneuerung der U-Boot-Flotte dient. Dabei geht es um die Entwicklung von Technologien, Qualifizierung von Arbeitskräften und den Aufbau einer industriellen Lieferkette. Wenn wir dies auf Indien übertragen, ergibt sich die These:
Zum Aufbau einer inländischen Atomindustrie gehört in Indien auch die Entwicklung einer Basisindustrie zur Produktion von qualitativ hochwertigen Komponenten. Auch technologische Kompetenz und Qualifizierung von Ingenieuren und Arbeitskräften dürften in Indien eine größere Rolle spielen als in Großbritannien.
Die Ankündigung des Baus von zehn indischen Schwerwasserreaktoren richtet sich in erster Linie an die indische Industrie, für Investitionen in Produktionskapazitäten werden sichere Profite in Aussicht gestellt. Die indischen Reaktoren der neuesten Generation sollen 700 MW leisten. In Kakrapar/Gujarat wird seit 2010 und in Kota/Rajasthan sei 2011 an jeweils zwei solchen Reaktoren gebaut. Alle vier Projekte stecken in der Krise, die geplanten Fertigstellungstermine konnten nicht eingehalten werden, neue Termine können nicht genannt werden. Wenn man der indischen Regierung Glauben schenken möchte, sind dafür, angeblich inzwischen behobene, finanzielle Schwierigkeiten bei Zulieferfirmen verantwortlich. Auch wenn für die Kriegsmarine Leichtwasserreaktoren gebraucht werden, dürfte es doch erhebliche Überschneidungen bei den Komponentenlieferanten geben. Zu diesen gehört auch die indische Niederlassung des deutsche Pumpenhersteller KSB in Frankenthal/Pfalz.
Qualifizierung in Kudankulam Kudankulam kann als gigantisches Technologietransfer-Projekt und Förderprogramm für die indische Atomindustrie verstanden werden. Der im Dezember 2017 veröffentlichte Bericht des indischen Rechnungshofes (CAG) über Kudankulam 1 und 2 illustriert dies. Bei der Wartung von Kudankulam 1 wurde im Jahre 2015 auf russische Experten verzichtet, stattdessen wurde noch nicht ausreichend qualifiziertes indisches Personal eingesetzt. Laut CAG-Bericht dauerte die Wartung deshalb 222 statt 60 Tage. Zentrale Komponenten, die ursprünglich aus Russland geliefert werden sollten, wurden in Indien hergestellt. Die drastisch höheren Kosten spielten keine Rolle, es ging um Technologietransfer. Der Rechnungshof fordert künftig in solchen Fällen vorab eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen. Längere Ausfälle der Reaktoren und Verzögerungen bei der Fertigstellung wurden in Kauf genommen, um Personal auszubilden und die indische Atomindustrie zu fördern. Betrug der Anteil der in Indien hergestellten Komponenten bei der ersten Ausbaustufe noch zwanzig Prozent, soll er bei den folgenden Ausbaustufen auf über fünfzig Prozent gesteigert werden. Ob das AKW dann tatsächlich Strom produziert ist vergleichsweise nebensächlich. AKW- und U-Boot-Bau mit Hilfe von Rosatom sind eng verzahnt. Die ersten beiden Reaktoren in Kudankulam wurden parallel zum ersten indischen Atom-U-Boot gebaut. Etliche indische Firmen lieferten für beide Projekte. Bekannt wurden Bharat Heavy Electricals Ltd. (BHEL), Larsen & Toubro, Heavy Engineering Corporation (HEC), Reliance, Walchandnagar Industries Ltd.(WIL). Die enge Kooperation mit der russischen Atomindustrie im militärischen und zivilen Bereich - auch beim Export von AKWs etwa nach Bangladesch - hilft beim Aufbau einer einheimischen Lieferkette für Leichtwasserreaktoren, kann aber auch in eine starke Abhängigkeit von russischer Technologie führen.
Betrachtet man nur die erste Phase der Atomrüstung, dann haben die indischen Regierungen die Gegenleistung für die Aufhebung des Atomembargos erfolgreich hinausgezögert. GE/Hitachi hat wegen des indischen Haftungsrechts aufgegeben. Areva/EdF und Westinghouse verhandeln seit zehn Jahren. Beide Konzerne scheuen inzwischen die Gesamtverantwortung für den Bau der Atomanlagen und wollen sich auf die Lieferung zentraler Komponenten beschränken. Die indische Seite könnte weiter auf Zeit spielen, bis Areva/EdF und Westinghouse den nicht militärischen AKW-Bau aufgegeben haben. Kudankulam wurde außerhalb des Atomembargos vereinbart. Nachdem Haripur, der geplante Standort für den Import weiterer russischer AKWs als Gegenleistung für die Aufhebung des Embargos, wegen des Widerstandes der Bevölkerung aufgegeben werden musste, lässt sich die indische Regierung Zeit mit der Festlegung eines Ersatzstandortes. Indiens Verhandlungsstrategie könnte, wenn es nur um die erste Phase ginge, als erfolgreiche Verzögerung und Aushebelung der Zusagen von 2008 verstanden werden. Selbst der Widerstand etwa in Jaitapur würde ins Kalkül passen. Dass die Shiv Sena als kleiner Koalitionspartner in der Regierung den Widerstand unterstützt, wäre so gesehen auch schlüssig. Für die zweiten Phase der Atomrüstung sieht es anders aus. Die Verhandlungen mit EdF/Areva und Westinghouse dienen auch dazu, von der russischen Technologie unabhängiger zu werden. . Zur Kostenreduktion soll zum einen der Skaleneffekt ("Economies of scale") genutzt werden, zum anderen die Lokalisierung der Produktion ("Make in India"). Zur Auslotung der Lokalisierungsmöglichkeiten und für die Lizenzierung der Reaktortypen werden die technischen Pläne bis ins Detail durchgearbeitet. Der damit verbundene Knowhow-Transfer ist ein beabsichtigter Nebeneffekt der Verhandlungen. Dann wird schon auch mal ein Vertrag zum Knowhow-Transfer abgeschlossen, etwa zwischen Areva und Larsen & Toubro . Ob für die Phase 2 der Technologietransfer über Konzepte und Lizenzen ausreichen, oder ob der Bau der Atomkraftwerke für den Aufbau der industriellen Lieferkette in Indien angestrebt wird, ist möglicherweise noch nicht entschieden. Die Entscheidung wird auch von Kopplungsgeschäften im militärischen Bereich abhängen. Der Schlüssel zum Verständnis des indischen Atomenergieprogramms liegt im militärischen Atomprogramm. @ https://indien.antiatom.net/atomkraftwerke-fur-indiens-militarische-supermacht-ambitionen/ |
||
anti-atom-aktuell.de |