Keine Klimaschutzgelder für die Atomenergie don't nuke the climate Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch mit Schattenblick (SB) Seit einigen Jahren bemüht sich die Atomindustrie um Geldmittel aus dem Green Climate Fund. Dieser Fonds, über den im Zeitraum von 2020 bis 2030 jährlich 100 Mrd. Dollar verteilt werden sollen, ist eigentlich dafür vorgesehen, wirtschaftlich ärmere Länder dabei zu unterstützen, sich auf den Klimawandel einzustellen, und Maßnahmen zu finanzieren, damit diese Länder auf ihrem Weg der nachholenden Entwicklung nicht wie die heutigen Industriestaaten auf fossile Energien, sondern emissionsarme, erneuerbare Energien bauen. Die Initiative Don't Nuke the Climate hat sich die Aufgabe gestellt zu verhindern, dass die Kernenergie als klimafreundlich anerkannt wird. Im Anschluß an eine Pressekonferenz von Don't Nuke the Climate am 3. November 2017 traf sich der Schattenblick noch mit mehreren Referentinnen und Referenten zu einem Gespräch, um einige Aspekte des Themas zu vertiefen. An dem Treffen nahmen teil: Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg; Angelika Claussen, Mitglied des Europavorstands des IPPNW; Sebastian Sladek, Vorstandsmitglied der Genossenschaft EWS (Elektrizitätswerke Schönau); und Günter Hermeyer, BI Lüchow-Dannenberg Schattenblick (SB): Ihr habt vorhin bei der Pressekonferenz berichtet, dass die Atomindustrie von Geldern für den Klimaschutz profitieren will, die der Green Climate Fund verwaltet. Weiß man, wie sich dieser zu dem Ansinnen der Atomindustrie stellt? Angelika Claussen (AC): In dem Gremium des Green Climate Fund sitzen 24 Vertreter aus verschiedenen Ländern und Regionen. Bei Entscheidungen besteht das Einstimmigkeitsgebot. Wenn sie keine Einigung erzielen können, werden keine Finanzmittel freigegeben. Darin liegt für uns eine Chance, denn es gibt Länder, von denen wir relativ sicher sagen können, dass deren Vertreter das nicht mitmachen würden. Wir wissen also, wen wir ansprechen müssen. Aber wir finden es bedenklich, dass der Green Climate Fund bisher die Atomenergie auch nicht prinzipiell ausgeschlossen hat. Das hätte er ja längst tun können. Genau das wollen wir erreichen, damit am Ende nicht aufgrund irgendwelcher verwaschenen Bestimmungen Schlupflöcher entstehen und plötzlich doch die Atomkraft als Klimaschutzmaßnahme finanziert wird. SB: Wegen der Proliferationsgefahr haben die USA ein Problem damit, dass beispielsweise der Iran über Atomtechnologie verfügt. Wie schätzt ihr das ein, haben die Atommächte überhaupt ein Interesse daran, dass etwa in Ländern Afrikas Atomkraftwerke gebaut werden? AC: Das Problem der Atomindustrie besteht darin, dass sie im Niedergang begriffen ist. Die Unternehmen haben alle kein Geld. Auch Areva nicht, und die Schulden von EDF lagen im vergangenen Jahr bei fast 38 Mrd. Euro. Sicherlich, die zivile Atomindustrie ist mit der Rüstungsindustrie eng verbandelt. Einer Studie der Universität Sussex zufolge wird zum Beispiel Hinkley Point gebaut, damit man darin ganz viele Subventionen für die Rüstungsindustrie Englands unterbringen kann. Sebastian Sladek (SeS): Da sollen Betriebsmannschaften für die U-Bootflotte trainiert werden. AC: Ein weiteres Beispiel für versteckte zivil-militärische Zusammenarbeit ist die Urananreicherungsanlage in Gronau. Das angereicherte Uran geht in die USA und dort gibt es im Bundesstaat Tennessee einen Reaktor, der das umwandelt und dabei Tritium erzeugt. Das ist waffenfähig und wird auch für die US-Atomwaffen benutzt. Weil die USA ihre in die Jahre gekommenen Anlagen runtergefahren haben, läuft das Geschäft nun über eine deutsche Firma. Das ist der Grund, weswegen wir uns sowohl das Gesamtbild als auch die einzelnen Firmen anschauen und im Widerstand gegen die Atomenergie überall Hand anlegen müssen. SeS: Zumindest mal mit dem Finger darauf zeigen. Du hast natürlich recht, bei jedem Projekt bestehen immer große Chancen, dass es am Geld scheitert. Man kann es aber auch umdrehen und sagen, eben weil das Geld knapp ist, liebäugelt die Atomindustrie mit dem Green Climate Fund. Kerstin Rudek (KR): Ich glaube, dass sich die hauptsächlichen Akteure in einem großen inneren Widerspruch befinden. Auf der einen Seite wollen sie die Atomtechnologie gerne komplett unter ihrer Kontrolle behalten. Sie bringen immer dann das Argument der Proliferationsgefahr, wenn sie irgendeinem Staat etwas nicht liefern oder nicht mit ihm kooperieren wollen. Auf der anderen Seite steht momentan das Monetäre so auf der Kippe, dass sie vielleicht manchmal doch Kompromisse eingehen müssen, weil sie andernfalls wirtschaftlich nicht vorankommen. Die Atomindustrie hängt zur Zeit regelrecht am Hungerhaken. Die hat sich selbst in eine Situation gebracht, in der die Unterstützung nicht mehr so fließt wie in den vergangenen Jahrzehnten. Und ich sage mal, die sind ja auch unersättlich. In Deutschland sind die ganzen abgeschriebenen Atomkraftwerke reine Gelddruckmaschinen: Die AKWs werden nicht nachgerüstet, und die Kosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Dem russischen Atomkonzern Rosatom, der bei den UN-Klimaverhandlungen vorangegangen ist, geht es sicherlich auch ums Geld, aber generell ebenfalls um militärische Macht, um eine Vormachtstellung im weltweiten Vergleich. Ich mache das an verschiedenen Dingen fest, von denen Vladimir hin und wieder berichtet. Manchmal trifft das Unternehmen völlig unwirtschaftliche Entscheidungen, und es werden hohe Summen in einige Vorhaben gesteckt, dass ich den Eindruck habe, es müßte eigentlich noch etwas anderes dahinterstecken. Das wären zum Beispiel militärische Aspekte. Bei einem der Reaktoren in der Türkei hat Rosatom etwas Neues vor. Das Unternehmen will alles komplett liefern und die abgebrannten Brennelemente zurückzunehmen. Es will quasi nur den Strom produzieren, um für ihn abzukassieren. Das ist eigentlich Rußlands Lieblingsmodell, auf diese Weise hätte es größtmögliche Kontrolle über das spaltbare Material, was sich am Ende auch wieder in ihren Händen befinden würde. Günter Hermeyer (GH): Ich sehe das genauso. Letztendlich wird versucht, eine günstige geostrategische Position einzunehmen. Mit den Wiederaufbereitungsanlagen im eigenen Land und den abgebrannten Brennelementen aus anderen Ländern könnte Rußland Atomwaffen ohne Ende produzieren ... obwohl es davon eigentlich schon genug in der Welt gibt! SeS: Wobei das Risiko grundsätzlich bleibt: In unsicheren Staaten können sich alle möglichen Gruppierungen einer solchen Anlage bemächtigen und sie können selbst noch mit dem, was sie im Abfall finden, schmutzige Bomben bauen. SB: Ich möchte noch einmal auf die Studie zur CO2-Bilanz der Kernenergie zurückkommen, von der auf der Pressekonferenz die Rede war. Wurden bei der Berechnung auch nukleare Unfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl eingerechnet? Die kämen ja eigentlich noch oben drauf, weil ungeheure Anstrengungen unternommen wurden und noch immer werden, um die Strahlenschäden allein dieser beiden schweren Nuklearunfälle zu beseitigen. KR: Das käme noch oben drauf. SeS: Die Anlagen, aus denen ich meinen Ökostrom beziehe, um ihn meinen Kunden zu liefern, muß ich CO2-neutral stellen. Sonst darf ich mich heute in Deutschland nicht mehr Ökostromversorger nennen. Ein Windrad beispielsweise schlägt mit 40 Gramm CO2 pro Kilowattstunde erzeugten Stroms zu Buche. Das war jahrelang anders, da hieß es, erneuerbare Energien sind CO2-neutral. Auf derselben Basis macht das die Atomindustrie heute. Sie schaut sich nur den laufenden Betrieb an. So gesehen wären Erneuerbare ebenfalls CO2-neutral. Aber, ehrlich gesagt, angesichts der Größe des Klimaproblems sollten wir endlich aufhören, uns in die Tasche zu lügen. SB: Ist geplant, eine weitere Studie durchzuführen, um eine vollständige Gesamtbilanz der CO2-Emissionen, inklusive der Unfälle, zu ziehen und somit die verschiedenen Energieträger vergleichbar zu machen? AC: Solche Studien gibt es. Der IPCC hat das in seinem Sachstandsbericht im Jahr 2014 gemacht. Wobei sich immer die Frage stellt, welche Studien dem Ganzen zugrunde gelegt werden. Jedenfalls wurde behauptet, Atomenergie sei CO2-arm. Sie haben jedoch eher die niedrigen Werte für Atomenergie gelten lassen und auf der Basis dann Akws mit anderen Kraftwerken verglichen. KR: Ich gebe auf deine Frage eine sehr praktische Antwort: Wir sind gerade dabei, in einer Kampagne Spenden zu sammeln, um so eine Studie und den Report darüber drucken zu lassen. Jetzt eine neue Studie in Auftrag zu geben, ist eigentlich nicht unsere Aufgabe. Das ist wirklich auch eine Frage des Geldes. Normalerweise müßte man das UNFCCC auffordern, genau solche Studien auf einer wissenschaftlichen Basis durchzuführen und dabei sämtliche Aspekte zu berücksichtigen. Wir können immer nur darauf hinweisen, was eigentlich sonst noch alles in solch eine Studie hineingehört. Wir sind eine kleine, effektive Kampagne, die genau darauf hinwirken will, dass solche Studien auch gerne weiter erstellt werden und mehr Ehrlichkeit in die Debatte kommt. AC: Eine weitere Studie hat der WBGU, der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen, für die Bundesregierung erstellt. Er hat über die große Transformation geschrieben und sehr deutlich gesagt, wie wichtig es ist, andere Produktions-, Erzeugungs- und Konsumtionsmodelle zu verfolgen. Ich finde auch, dass eine große Transformation angezeigt ist. Das mögen nur die meisten Menschen nicht so gerne hören. SB: Wobei es nicht unbedingt das gleiche ist, was der WBGU zur großen Transformation sagt und was sich NGOs darunter vorstellen. Nochmals eine andere Frage ist, was die Bundesregierung am Ende aus den WBGU-Gutachten macht. KR: Mich erinnert das stark an das, was jetzt mit dem Endlagersuchgesetz gemacht wird. Erst wird ein Gesetz geschaffen, anschließend wird dazu eine Kommission eingesetzt. Dann darf die Regierung oder der Bundestag darüber entscheiden, ob Aspekte dieser Kommission aufgenommen werden oder eben nicht. Wir aber haben es unheimlich eilig! Wir wollen nicht, dass sich das Weltklima weiter erwärmt. Wenn wir wirklich eine Katastrophe abwenden wollen, müssen wir unter der globalen Erwärmung von 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit bleiben, wie das vor zwei Jahren in Paris beschlossen wurde. Das ist die Hauptaussage unserer Kampagne: Wir können uns keine falschen Lösungen mehr leisten. SB: Die IAEA hat die Aufgabe, die Atomtechnologie zu verbreiten. Werden die Zahlen und Angaben der Behörde bei Studien anderer Institutionen zugrundegelegt und weisen die dann nicht interessenbedingte Mängel auf? AC: Die IAEA hat selbst eine Studie herausgegeben. Die nennt sich "Climate Change and Nuclear Power". Darin sind viele Themen gar nicht enthalten. Es fehlt zum Beispiel die ganze nukleare Kette mit ihren vielen einzelnen Prozessen. Deshalb sehe ich das so, dass das zum Teil Propaganda ist. Folglich haben wir uns gesagt, dass wir etwas gegen die Propaganda der IAEA unternehmen müssen. Immerhin muß man die IAEA als hochrangige UN-Behörde einstufen. Sie untersteht direkt dem Sicherheitsrat und damit den fünf Atomwaffenstaaten. KR: (lacht) Ich sage an der Stelle mal: Nur weil man Verfolgungswahn hat, heißt das noch lange nicht, dass man nicht verfolgt wird. Oder: Es gibt keinen Zufall. SB: Rußland und andere Länder propagieren die Atomtechnologie. Ich frage mich, wann wird Deutschland nachziehen? SeS: Spätestens 2022. Dann werden wir vor der Debatte stehen, ob wir jetzt wirklich die letzten Akws ausschalten können oder ob wir nicht nochmal fünf Jahre dranhängen müssen. Ich halte es mittlerweile angesichts dessen, was hier propagandistisch läuft und wie die Energiewende vermurkst wird - das kann man nicht anders sagen -, nicht mehr für komplett unmöglich, dass es plötzlich heißt: das Projekt Energiewende ist gescheitert. Wir haben einen Anteil von 45 oder 50 Prozent an erneuerbaren Energien, dabei belassen wir es. KR: Unser Anliegen hingegen ist es, die Energiewende zu verteidigen. So heißt ja auch das Buch von Claudia Kemfert. Wir hatten zweimal einen sogenannten Atomkonsens in der Bundesrepublik Deutschland. Den ersten im Jahr 2000. Der hat uns einige Zwischenlager an Atomkraftwerksstandorten beschert und einen weiterhin garantierten Betrieb der Akws. Und den zweiten nach der Fukushima-Katastrophe. Der hat uns zwar einen Ausstieg beschert – es wurden acht AKWs sofort stillgelegt – aber neun liefen weiter. In der Zeit dazwischen aber waren per Gesetzesänderung Laufzeitverlängerungen beschlossen worden. Das war eine Zeit, in der wir die größten anti-Atomdemonstrationen erlebt haben. Die Leute waren empört. Sie hatten schon Jahrzehnte dafür gestritten, dass wir endlich mit der Atomkraft Schluß machen, und dann wurden mal eben in einem Handstreich Laufzeitverlängerungen beschlossen. Hieran wie auch an dem Beschluß des Atomausstiegs kurz darauf sehen wir, dass politische Entscheidungen eine recht kurze Halbwertszeit haben. Darauf kann man sich nicht verlassen. SeS: Es droht natürlich die Gefahr, dass die gesamte deutsche antiAtombewegung einschläft – teilweise ist sie schon eingeschlafen – und gar nicht merkt, sollten wesentliche Gesetzesänderungen beschlossen werden. Ende 2010, als die Laufzeitverlängerungen durchgesetzt wurden, sind über 200.000 Menschen auf die Straße gegangen. Bei der Demo 2015 "Energiewende retten!" waren wir nur noch um 13.000. Sehr viel mehr schaffen wir inzwischen nicht mehr. Die meisten Leute glauben, dass der Atomausstieg geschafft ist. Hinzufügen möchte ich aber noch, dass wir nicht glauben dürfen, dass das grüne Wachstum uns retten wird. Wir müssen downsizen. Wir müssen unser Verhalten ändern, jeder von uns, der Verbrauch muß gesenkt werden. SB: Vielen Dank euch allen, dass ihr euch die Zeit genommen habt.@ aus: Schattenblick 146 |
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