Bewaffnung Deutschlands mit einem Atom-Arsenal

Wege und Irrwege

Jürgen Wagner IMI

Die Ambitionen, an eine Atomwaffe zu gelangen, sind wohl nahezu so alt wie die Bundesrepublik selbst. Doch in jüngster Zeit hat die Debatte um eine mögliche deutsche Atombewaffnung bedenklich Fahrt aufgenommen. International gelang es dagegen. mit dem am 7. Juli 2017 verabschiedeten "Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen" ein wichtiges Zeichen gegen die bedrohliche aktuelle atomare Rüstungsspirale zu setzen.

    Nukleare Teilhabe

Die USA haben in fünf Ländern zwischen 150 und 200 Atomwaffen stationiert – unter anderem wohl 20 davon in Deutschland (Büchel). Obwohl die USA bis zur Zündung die volle Kontrolle über diese Waffen haben, wären es im Einsatzfall deutsche Soldaten, die sie ans Ziel bringen würden. Diese Waffen sind Teil der Nuklearen Teilhabe der NATO und werden aktuell für geschätzte 6 Milliarden Dollar "modernisiert", wodurch sie zielgenauer, durchschlagender und gefährlicher werden (siehe IMI-Studie 2016/7).

Gerade auch angesichts allmählich lauter werdender Stimmen, die eine Art zweite Nachrüstung fordern, um mit dem russischen taktischen Arsenal gleichzuziehen, ist es höchste Eisenbahn, dass diese Waffen endlich aus Deutschland verschwinden (siehe Petition: http://www.no-nukes-germany.de/). Dies forderte sogar im März 2010 der Bundestag in einem fraktionsübergreifenden Antrag (17/1159), in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, sich "bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der Nato im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen".

    Deutsche Atombewaffnung?

Obwohl einiges dafür spricht, dass die Nukleare Teilhabe gegen den Atomwaffensperrvertrag (NVV), den Deutschland unterzeichnet hat, verstößt, ist die Debatte in Deutschland inzwischen in eine komplett andere Richtung geirrlichtert. Angestoßen wurde sie unter anderem vom Mitherausgeber der FAZ, Berthold Kohler, der im November 2016 in dieser Zeitung eine Atombewaffnung Deutschlands forderte. Seither mehren sich Artikel, die teils positiv, teils negativ die Angelegenheit beleuchten, was an sich bereits ein Novum darstellt.

Diese Debatte wird mittlerweile teils doch recht hemdsärmelig geführt, zum Beispiel von Maximilian Terhalle im Debattenportal des Tagesspiegel: "Die Antwort auf den Wegfall des strategischen Schutzes für unsere nationale Sicherheit muss daher lauten: Deutschland braucht Atomwaffen. […] Ein Deutschland hingegen, das die Macht von Putins Russland begrenzen will, um unabhängig und damit politisch unbeugsam ein Europa aufrechtzuerhalten, das unseren innen- und außenpolitischen Handlungsspielraum erhält, muss dies militärisch und damit nuklear tun. Alles andere ist Illusion". (Terhalle, Maximilian Tagesspiegel Causa, 23.1.2017)

    Rechtlicher Beistand

Einer, der sich ebenfalls für eine atomare Bewaffnung Deutschlands erwärmen kann, ist der einflussreiche CDU-Militärpolitiker Roderich Kiesewetter. Er schaltete sich ebenfalls schon im November letzten Jahres in die Debatte ein, indem er forderte, es dürfte in dieser Angelegenheit "keine Denkverbote" geben. Vor allem die Finanzierung französischer (und möglicherweise britischer) Atomwaffen und deren Überführung in einen wie auch immer gearteten EU-Rahmen schien es ihm angetan zu haben.

Um sich anschließend zu versichern, dass sich seine Vorschläge auch rechtlich auf sicherem Boden bewegten, beauftragte Kiesewetter danach den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, um ihm genau dies zu bestätigen. Dieser veröffentlichte am 23. Mai 2017 pflichtschuldig seinen Sachstand "Deutsche und europäische Ko-Finanzierung ausländischer Nuklearwaffenpotentiale", wobei er zu einem Ergebnis kam, das ganz im Interesse Kiesewetters sein dürfte: "Die derzeitigen völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem NVV und dem ‚Zwei-Plus-Vier-Vertrag‘ beschränken sich auf das Verbot eines Erwerbs von eigenen Atomwaffen (‚deutsche Bombe‘). Die ‚nukleare Teilhabe‘, wie sie bereits im Hinblick auf die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen praktiziert wird, verstößt ebenso wenig gegen den NVV wie die Ko-Finanzierung eines ausländischen (z.B. französischen oder britischen) Nuklearwaffenpotentials."

    Atomwaffen-Verbotsvertrag

Unter anderem wohl da eine – zumindest von Teilen der Regierung augenscheinlich angestrebte – Ko-Finanzierung ausländischer Atomwaffen mit dem neuen "Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen" definitiv nicht zu machen wäre, versagte Deutschland der Initiative die Unterstützung. Gestartet wurde sie im Oktober 2016, als 123 Staaten im UN-Hauptausschuss für Abrüstung und Internationale Sicherheit beschlossen, im kommenden Jahr Verhandlungen über den besagten Vertrag zur Etablierung eines weltweiten Atomwaffenverbots zu beginnen, mit dem sich die Unterzeichner "verpflichten, unter keinen Umständen Atomwaffen einzusetzen, herzustellen, zu entwickeln, zu beschaffen, zu lagern oder zu besitzen und keiner anderen Partei bei solchen Unternehmungen zu helfen." (Martin Singe: Bundesregierung stellt sich gegen UN-Atomwaffenverbot, Grundrechtekomitee, 8.6.2017)

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass das Vorhaben im Westen nicht unbedingt offene Türen einrannte: "Fast alle nuklearwaffenbesitzenden Staaten sprachen sich gegen diese Initiative aus, auch alle NATO-Staaten – außer den Niederlanden. Immerhin enthielten sich China, Indien und Pakistan, die Atomwaffen besitzen." (Ebd.) Dennoch begannen die Verhandlungen im März 2017, die am 7. Juli 2017 in die Unterzeichnung des "UN Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons" mündeten. Für den Vertrag stimmten 122 Länder (bei einer Gegenstimme (Niederlande) und einer Enthaltung (Singapur), der Rest, unter anderem eben auch nahezu alle NATO-Staaten inklusive Deutschlands zog es vor, durch Abwesenheit zu glänzen.

Es wäre nicht zu spät, den Vertrag noch nachträglich zu unterzeichnen; wenn dies auch machtpolitisch nicht gewollt ist, würde es doch dem Willen eine großen Mehrheit der Bevölkerung entsprechen: "Laut einer Forsa-Umfrage von März 2016 sprechen sich 85% der Bundesbürger*innen für den Abzug der in Deutschland gelagerten Atomwaffen aus, 93% befürworten ein völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen." (Ebd.)@

aus: Ausdruck August 2017
Informationsstelle Militarisierung (IMI)

 

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