Am 23.März stimmte der deutsche Bundestag dem Standortauswahlgesetz zu. Das ist nicht unser Gesetz... Erklärung Bäuerliche Notgemeinschaft Das "Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze", kurz: StandAG, wird derzeit in aller Eile durch den Bundestag getrieben.
Seit 2011 geht das so. Jede öffentliche Debatte über das Standortsuchverfahren für ein Atommüll-"Endlager", vor allem über dessen Grundlagen, wird mit dem Hinweis auf den angeblichen Zeitdruck abgelehnt. Das ist eines der auffälligsten Kennzeichen dieses Gesetzgebungsverfahrens. Ein anderes ist die Weigerung der Verantwortlichen, sich mit den Fehlern der Vergangenheit zu befassen und daraus Lehren für die zukünftige Suche nach einem "Endlager" zu ziehen. Das Projekt "Endlager Gorleben" blieb immer strittig - und belastete sämtliche Diskussionen, in allen Gremien. Gorleben musste im Verfahren gehalten werden, das war die Vorbedingung aus den süddeutschen Bundesländern, sich überhaupt an einer neuen Standortsuche zu beteiligen. In der Folge hat das dann dazu geführt, dass die Kriterien, an denen die Eignung eines Standortes beurteilt wird, mit Rücksicht auf den Gorlebener Salzstock formuliert sind. Schon in der Entstehungsphase zeigte das Gesetzgebungsverfahren, dass es dem Gesetzgeber in erster Linie darauf ankam, Bundestag und Bundesregierung die volle Kontrolle über das Verfahren zu verschaffen. Die Möglichkeiten, die Standortauswahl durch Gerichtsentscheidungen zu korrigieren, wurden rigoros auf das von der EU vorgeschriebene Minimum beschnitten. Das zentrale Instrument dafür ist die umstrittene "Legalplanung": Eigentlich erfunden, um begrenzte Projekte, etwa eine Umgehungsstrasse, zügig durchziehen zu können, soll sie nun ein Jahrtausendproblem obrigkeitsstaatlich lösen. Denn sie verschafft dem Bundestag die Befugnis, jeden Verfahrensschritt in ein Bundesgesetz zu gießen und damit praktisch unangreifbar zu machen.
Die Absicht des Gesetzgebers zeigt sich auch dort, wo selbst die Atommüllkommission die Beteiligung der Gesellschaft und ein "lernendes Verfahren" fordert. Vom Gesetzgeber dagegen wird "Beteiligung" nicht als Mitwirkung der BürgerInnen, sondern als das Herunterreichen von ausgewählten Informationen verstanden. Dazu dürfen dann Stellungnahmen abgegeben werden - was mit denen geschieht, bleibt offen. Alles was zu einem Dialog auf Augenhöhe führen könnte, wird vom Gesetz behindert. Die Empfehlung der Atommüllkommission, zumindest ein "Nationales Begleitgremium" einzusetzen, das Konflikte identifizieren und Krisen moderieren könnte, wurde nur halbherzig umgesetzt: Nationales Begleitgremium ja, aber ohne die von der Kommission geforderten Befugnisse. Man kann sich an etlichen Paragrafen und Kritikpunkten in diesem Gesetz abarbeiten und dabei vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Schaut man von oben auf das Gesamtwerk, dann wird der Raum sichtbar, den es für das politische Aushandeln eines Standortes schafft. Die "wissenschaftsbasierten" Kriterien können ausgelegt und abgewogen, gedehnt oder weggeschoben werden.
Das zentrale Argument der Parteien für die Legalplanung war immer die angebliche St-Florians-Haltung in der Bevölkerung: Keine Region wolle ein Atommülllager, deswegen müsse das Heft des Handels beim Bundestag und der Regierung bleiben. Die Realität zeigt bislang allerdings, dass die Parteien und ihre FunktionsträgerInnen, von Kommunalräten bis zu den Bundestagsabgeordneten, das eigentliche St-Florians-Problem darstellen. Sie werden alle Möglichkeiten, die das StandAG für politische Deals bietet, zu nutzen versuchen. Das ist der eines auf Zeit gewählten Abgeordneten innewohnende Drang, wie man die dafür nötigen Mehrheiten und Netzwerke schafft, hat er gelernt. Nicht der starke Staat ist die Lösung dieses Problems, sondern die Beteiligung der Gesellschaft. Partizipation: Dafür braucht es ein "lernendes Verfahren", das die Bevölkerung nicht allein formal und mittels konventioneller Top-Down-Beteiligung, sondern real einbezieht. Ein Verfahren, das Evaluationen zulässt und regelmässig einplant, das Fehler und neue Erkenntnisse identifizieren kann und Verfahrensschritte reversibel macht.
Am Ende der Standortsuche sollte ein Konsens stehen. Das Einvernehmen der Gesellschaft mit der betroffenen Region. Dazu gehört auch das Vetorecht des Standortes. Nur dann wird es dort die Bereitschaft geben, konstruktiv ein Konsens mitzuentwickeln. Ohne Vetorecht dagegen werden die Regionen von Anfang an in eine kompromisslose Verteidigungshaltung gezwungen. Denn die Erfahrung zeigt, dass in der Atompolitik jedes Misstrauen gegen die Behörden gerechtfertigt ist. Aber der Geist des Gesetzes ist leider der alte: Die gewählten Mandatsträger entscheiden, ihre Entscheidungen werden irreversibel in Gesetze einbetoniert, der Rechtsschutz ist verkürzt, die Partizipation auf den Fluss von ausgewählten Informationen von oben nach unten beschränkt. Am Ende muss der Standort dann mit staatlichen Ordnungsmitteln durchgesetzt werden. Das ist nicht unser Gesetz. @
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