La Paz (Bolivien) Ein Sieg für den anti-Atom-Widerstand von Elizabeth Peredo Beltran, 7. 10.2015 In Bolivien haben die benachbarten Gemeinden wie auch die Anwohner*innen von Mallasilla, den Bau der geplanten Atomanlage in ihrem Ort entschieden zurückgewiesen. Sie kritisierten die völlig unzureichende Begründung für das Projekt. Nach einem jahrelangen Prozess und vielen Ankündigungen des Präsidenten und Vizepräsidenten der multiethnischen Nation, Atomanlagen in Bolivien bauen zu wollen, hatte die Regierung jetzt ihre Absicht erklärt, in Mallasilla einen – wie sie sagt - "nicht offensiven Atomkomplex" zu errichten. Die Gegner*innen des Projekts sind Bewohner*innen sowohl städtischer wie auch touristischer Gemeinden und ökologisch geprägter Gegenden wie Mallasa, Mallasilla und Achocalla. Sie erklärten u.a., dass das geplante Projekt in einer äußerst fragilen Dürrezone entstehen soll, die besonders in der Regenzeit verletzlich sei, weil sie von geologischen Auswaschungen geprägt sei. Die Befürchtungen Die Anwohner*innen befürchten die unklaren Risiken und die außerordentliche Ausdehnung des Projekts. Zudem macht ihnen Angst, dass – falls etwas "außer Kontrolle" geraten sollte – die Quellen ihrer Wasserzuflüsse gefährdet seien, die dort in den Rio La Paz münden, wo sich Obst- und Gemüseanbauflächen befinden. Im weiteren Verlauf fließt das Wasser in den Rio Beni. Im Gegenzug hat jetzt die Regierung kleine Gruppen beschuldigt, über das Projekt "Desinformationen" zu verbreiten. Auf der anderen Seite ist klar, dass die Empfindlichkeit der Bevölkerung deshalb so groß ist, weil hinter dem Projekt die immer wieder von Regierungsseite geäußerte Absicht steht, Bolivien zu einer "Regionalmacht bei der Energieerzeugung" zu machen, mit dem Ziel, Strom zu exportieren. Dies auf dem Hintergrund vom Bau großer Wasserkraftanlagen sowie der Ausweitung der Erforschung und Ausbeutung von Erdöl und Erdgasquellen in der gesamten betroffenen Region, die auch Nationalparks umfasst. Dazu kommt, dass bei der geplanten Errichtung eines Atomkraftwerkes in der Region völlig offen ist, welches der genaue Standort sein soll und was letztlich die Gesamtkosten sein könnten. Die offizielle Seite hat seit Monaten immer wieder Gespräche abgelehnt und betont, "dies sei ein Thema, das nur mit Experten diskutiert werden solle." Die Regierung begreift offensichtlich nicht, warum die GegnerInnen nicht verstanden haben, dass ihr Atomprojekt der Allgemeinheit dienen soll, weil es der Wissenschaft und der Technologienentwicklung diene. Zu dem Projekt gehöre auch ein Zyklotron (Teilchenbeschleuniger), das im Gesundheitswesen gebraucht werde und Krebserkrankungen aufspüren soll. Weiterhin sei ein Teil vorgesehen, der Gammastrahlen produziert um Lebensmittel und Saatgut zu bestrahlen. Als Letztes sei auch ein kleiner Reaktorteil vorgesehen, der nur der Forschung und der Ausbildung von Spezialisten diene. Die von der Regierung verbreiteten Informationen lassen dennoch vermuten, dass jenseits aller ‘Wohltätigkeiten‘ wie im Gesundheitssektor letztlich nur ein Vorläuferprojekt geschaffen werden soll, das Projekt am gleichen Ort später zu einem Atomreaktor zur Stromgewinnung auszubauen. Jetzt (offenbar wegen aller Proteste) sucht die Regierung nach einem anderen Standort und wird sich mit Sicherheit mit mehr Menschen "herumärgern" müssen, die immer mehr Fragen stellen werden. Sie wird auch mit der Solidarität all derjenigen rechnen müssen, die – wie auch wir- sagen, dass ein solches Nuklearzentrum, wie es jetzt geplant ist, unakzeptabel ist. Die Herrschenden werden bessere Antworten finden und sich auf Fragen wie diese vorbereiten müssen:
Zusammengefasst: wie stellt die Regierung sicher, dass diese oder auch eine größere Anlage (die sie ja schön ankündigt) nachhaltig zu bewirtschaften sind und nicht uns und künftigen Generationen große Umweltgefahren hinterlässt? Diese und andere Fragen werden von Menschen in den Dörfern und Kommunen gestellt (auch wenn diese Menschen keine Experten und keine Politiker*innen sind) weil es die Bewohner*innen der Gegend sind und die, die unmittelbar betroffen wären, wenn "mal etwas schief läuft." Erinnern wir uns nur an die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, bei denen Tausende Kinder und Erwachsene betroffen waren, und niemand von ihnen ein Experte war. Das Gute an allem, was hier passiert, ist, dass jetzt - gegen die Wünsche und Planungen der Regierung – und Dank der Mobilisierung der Betroffenen – Fragen gestellt werden und dass sich die Möglichkeit einer politischen Debatte über das Thema Atomenergie in Bolivien eröffnet. Und es hat den Bürgern*innen einen Weg geöffnet, sich in radikaler Weise gegen die Atomenergie zu äußern. @ *Elizabeth Peredo Beltrán ist Sozialpsychologin am Bolivianischen Institut für Klimawandel und hat die Initiative "Trenzando Ilusiones" ( Hoffnungen verflechten) - ein Netzwerk, das sich mit Möglichkeiten sozialökologischer Veränderung beschäftigt- mitentwickelt und vorangetrieben. Boliviens Traum vom Energiezentrum Lateinamerikas (3/2015) Hintergrund und Entwicklung Die bolivianische Regierung unter Evo Morales, dem indigenen Präsidenten, hat große Hoffnungen geweckt, nicht nur in Bolivien. Als Vorreiter für die Rechte der indigenen Völker und Verteidiger von Mutter Erde, gegen die profitorientierte Ausbeutung durch den Kapitalismus. Doch in Wirklichkeit imitiert sie den sogenannten Fortschritt. Bolivien soll zum "Energiezentrum" Lateinamerikas avancieren. Alle Schritte gehen in diese Richtung:
Der Energiebericht des Landes zum Jahr 2025, vom Januar 2014 erwähnt auf Seite 132 ausdrücklich die Nutzung der Atomenergie zur Energiegewinnung. Das PBEN (Bolivianisches Programm für Atomenergie) proklamiert "die Ausbildung einer technisch-wissenschaftlichen Elite von bolivianischen Fachleuten, um die technologische Selbständigkeit des Landes durch die "friedliche" Nutzung der Atomenergie zu konsolidieren, zum Nutzen der bolivianischen Bevölkerung." Es wurden in den letzten Jahren mehrere Absichtserklärungen und Abkommen mit verschiedenen Ländern zur "friedlichen" Nutzung der Atomenergie unterzeichnet, die bis 2014 fast nicht an die Öffentlichkeit drangen. Bei einem Besuch in Argentinien im Mai 2014 sagte Evo Morales öffentlich, dass die Arbeiten zu Beginn "im Geheimen und hinter geschlossenen Türen" stattfanden, da die beauftragten Wissenschaftler ihn gewarnt hätten, die Sache zu verbreiten sei "sehr gefährlich" wegen einer möglichen negativen Reaktion der Bevölkerung gegen diese Energieform. Seit 2007 besteht ein erstes Abkommen mit dem Iran - 2010 ratifiziert - zur "friedlichen" Nutzung der Atomenergie und zur Uranexploration. Bisher ist von 44 Uranvorkommen die Rede, die größten im Department Potosí. 2014 wurden Beziehungen zu mehreren Ländern aufgenommen, zuerst Frankreich, dann Argentinien und Russland. Mit der russischen staatlichen Atomgesellschaft Rosatom wurde vor wenigen Wochen ein Abkommen über die Begleitung der Erstellung eines Atomforschungszentrums und eines AKWs unterzeichnet - in der Presse ist von 6.000 MW die Rede (Tschernobyl hatte 4.000 MW). Das Atomforschungszentrum umfasst einen Cyclotron-PET zur Krebsdiagnose, eine Gamma-Bestrahlungsanlage auf der Grundlage von Kobalt-60 zur Lebensmittelbestrahlung und Desinfizierung von medizinischem Material und einen Forschungsreaktor zur Herstellung von Radioisotopen. Alle drei Elemente sollen zusammen in einem Forschungspark installiert werden - vorgesehen ist ein Gelände am Stadtrand von La Paz, zwischen den Städten La Paz, Mallasilla und Achocalla, in den Badlands, dem instabilsten Gebiet überhaupt in dieser Gegend, zur Konstruktion ungeeignet. Dieses Forschungszentrum wird von Argentinien geliefert, während das AKW von Rosatom erstellt werden soll, ebenfalls im Department von La Paz. All diese diplomatischen Verknüpfungen zeigen eine klare Expansion der BRICS-Länder nach Südamerika und vor allem nach Bolivien als geostrategischem Land in der Region. In Bolivien sollen also die vorhandenen Uranvorkommen quantifiziert und ausgebeutet, ein Forschungszentrum und ein Groß-Atomkraftwerk gebaut werden.
2014 schon wurde Evo Morales in einem offenen Brief von renommierten internationalen Wissenschaftlern auf die Gefährlichkeit der Atomenergie hingewiesen. Seit dem Bekanntwerden der Pläne für den Bau des Forschungszentrums formiert sich Widerstand in den genannten Städten. Am 27. September 2015 fand eine gemeinsame große Demonstration statt. Von der Regierung wurde diese Demonstration als Aktion einer kleinen Minderheit dargestellt, die sich nicht von technischen sondern von politischen Gründen leiten lasse und Lügen in der Bevölkerung verbreite. Aufgrund dieser Proteste hat die Regierung verlautbaren lassen, das Forschungszentrum werde nun nicht mehr in La Paz sondern in einem anderen Department gebaut. Die Regierung hat im Okt.2015 ein "Abkommen" mit der Federación de Juntas Vecinales (Fejuve), ein Zusammenschluss der Bürgervereinigungen der Stadt El Alto unterschrieben, dass das Atomzentrum nun im Distrikt 8 von El Alto gebaut werden soll, genauer gesagt in Parcopata, das ist im Südwesten der Flughafenstadt. Trotzdem wächst die Widerstandsgruppe weiter und formiert sich nun systematischer. Der öffentliche Diskurs für Mutter Erde und die Realpolitik, die für den eigenen Staat das Recht auf Entwicklung einklagt, klaffen weit auseinander. @ | ||
anti-atom-aktuell.de |