Bolivien auf dem Weg ins Atomzeitalter 1/2016
Bolivien ist ein kleines Land im Herzen Südamerikas. Es hat zwar etwa die dreifache Flächenausdehnung im Vergleich zu Deutschland, aber nur etwa 10 Millionen Einwohner. Zur Zeit wird es zur Einfallsschneise für die russischen Interessen auf dem Kontinent. Abgesehen von seiner geopolitisch strategischen Lage verfügt es über große Rohstoffvorkommen, vor allem auch an Gas und Öl. Bolivien hat Verträge mit der russischen Gasfirma Gazprom abgeschlossen. Zudem gewährt Russland großzügige Kredite für den Ankauf von russischen Rüstungsgütern und Flugzeugen. Russlands Atompolitik in Bolivien ist von diesen geopolitischen Initiativen nicht zu trennen. Im März 2016 wurden zwei Vereinbarungen zum Aufbau der Atomindustrie zwischen Bolivien und Russland abgeschlossen. Es handelt sich um ein allgemeines Abkommen zur "Kooperation auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomenergie" und ein weiteres zur "Kooperation beim Bau des Zentrums für Forschung und Entwicklung in Nuklear-Technologie auf dem Territorium des plurinationalen Staates Bolivien", das sich spezifisch auf den Bau des Atomforschungszentrums in der Stadt El Alto bezieht.
Dieses Versäumnis hatte weitreichende Konsequenzen: die Opposition konnte ihre Bedenken bezüglich der Abkommen und ihrer verfassungsrechtlichen Konformität nicht äußern und die Bürger wurden davon abgehalten, ein Referendum (Volksabstimmung) über die beiden Abkommen zu fordern. Es sind inzwischen zwei Verfassungsklagen, hier spricht man von PETITION, vor dem Verfassungsgericht in Vorbereitung: eine Petition von einer Gruppe von Parlamentariern der politischen Opposition, die andere von der Bürgerbewegung.
Die bolivianische Regierung versteht es gut, ihre wahren Absichten und die wirkliche Reichweite der Abkommen zu verschleiern. So wird an keiner Stelle der Bau von Atomkraftwerken direkt erwähnt, obwohl fünf Atomkraftwerke im Land geplant sind, wie aus vorherigen Verlautbarungen der Regierung aus dem Jahr 2015 hervorgeht. Ein bolivianischer Physiker vergleicht diese Abkommen mit dem Kauf von russischen Puppen (Matrjoschkas). Die äußere Puppe, sozusagen die Vorzeige- oder Propagandapuppe, repräsentiert das geplante Forschungszentrum, das der Gesundheit (Zyklotron), der Lebensmittelsicherheit (radioaktive Bestrahlung von Lebensmitteln und medizinischem Gerät) und der Forschung (Herstellung von Isotopen für Medizin, Industrie, Wissenschaft und anderes) dienen soll. Zudem wird in diesem Zentrum auch das bolivianische Personal ausgebildet. Es heißt nun offiziell Zentrum für Forschung und Entwicklung in Nuklear-Technologie (Centro de Investigación y Desarrollo en Tecnología Nuclear), geplant auf 4.000 Metern Höhe mit einer Fläche von 15 Hektar in El Alto. Die Kosten belaufen sich auf 300.000 Dollar, die Bauzeit soll 4 Jahre betragen. Während der Phase der "Sozialisierung" der Abkommen - vor deren Unterzeichnung - wurde vor allem die medizinische Bedeutung dieses Forschungszentrums hervorgehoben, nämlich die Installation eines Zyklotrons für die Früherkennung von Krebs. Dieser Bestandteil des Zentrums wird in den Abkommen nicht mehr erwähnt. Geblieben sind die anderen beiden Elemente, die Lebensmittelbestrahlung und der Forschungsreaktor. Allerdings hatte der Reaktor vor der Unterschrift der Abkommen nur eine Kapazität von 30 KW, in den Abkommen ist seine Kapazität wunderbarerweise auf das 5fache, nämlich 200 KW angestiegen. Ein weiterer Akt der Verschleierung....!? Das Fatale ist: öffnet man die erste Puppe, so muss man alle weiteren ebenfalls öffnen und was sich da alles verbirgt.... Zunächst kommt die Exploration und Ausbeutung der bolivianischen Uranvorkommen zum Vorschein, dann die Bindung an die russische Technologie im Verlauf des gesamten Projektes, also 30 Jahre und mehr. Innen verbergen sich ganz klein und gut versteckt die AKWs. Als letztes werden "weitere Kooperationsbereiche" genannt, die auf diplomatischem Wege unter Ausschluss der Abgeordneten beschlossen werden können. Russland sichert sich über lange Zeit das absolute Monopol der Übermittlung des Know-Hows und den Verkauf seiner Technologie. Und vergibt die dafür erforderlichen Kredite, so dass die finanzielle Abhängigkeit wahrscheinlich noch länger andauert. Wenn man das Abkommen aufmerksam liest, wird man auch die Prioritäten erkennen, die sich in der Abfolge der Bereiche der Zusammenarbeit im Artikel 3 spiegelt. Als erstes wird da die Entwicklung der Infrastruktur für die Nuklear-Energie genannt; im Klartext sind das wohl die Atomkraftwerke, die an keiner Stelle des Abkommens explizit erwähnt werden. An zweiter Stelle erscheint der Bau von Forschungsreaktoren (Plural!), während die Herstellung von Radioisotopen (eines der Propaganda-Argumente während der Sozialisierungsphase) erst an achter Stelle Erwähnung findet. Dafür stehen an dritter Stelle die Exploration und Ausbeutung der Uranvorkommen und an vierter Stelle die Dienstleistungen im Bereich des Brennstoffzyklus.
Nicht nur die Einführung der Atomenergie in Bolivien ist ein großer Fehler - das Land ist reich an fossilen Brennstoffen wie Gas und Öl. Vor allem bieten die hohe Sonneneinstrahlung speziell in den Höhenlagen und gute Voraussetzungen für die Nutzung von Wind- und Wasserkraft ein großes Potenzial für die erneuerbaren Energiequellen. Außerdem ist die Unfallgefahr sehr hoch, da Bolivien stark erdbebengefährdet ist! Neuere Studien prognostizieren Erdbeben bis zu einer Stärke von 8,9 auf der Richterskala (in Fukushima waren es 9,0). Auch die Wahl Russlands als Partner ist strategisch zumindest unklug. Es bedingt die jahrzehntelange Abhängigkeit von einer ausländischen Großmacht. Dies trägt nicht zu der ständig von Evo Morales beschworenen Souveränität des Landes bei. Es hat sich eine Bürgerbewegung gegen den Ausbau der Atomtechnik in Bolivien gebildet, in den bisher hauptsächlich betroffenen Städten La Paz und El Alto, aber auch in anderen Städten Boliviens. Die Bürgerbewegung ist vor allem juristisch recht gut aufgestellt. Zur Zeit werden Unterschriften gegen die beiden Abkommen gesammelt, um eine Verfassungsklage starten zu können. Leider hat diese Bewegung bisher keine Breitenwirkung und auch die Kontakte der Gruppen untereinander müssten intensiviert werden. @ gruenes-blatt.de 3/2015 und 1/2016 | ||
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