Der Bonner Staatsschutz durchsucht die Räume des Administrators der externer Link antiatombonn.de
Hausdurchsuchung
bei Bonner Atomkraftgegner


von anti-Atom-Gruppe-Bonn

Exakt 2 Jahre nach der skandalösen Hausdurchsuchung und Beschlagnahmungsaktion in den Redaktionsräumen der Anti-Atom-Aktuell erschienen am morgen des 16. August ein halbes Dutzend Beamte des Bonner Staatsschutzes mit einem Hausdurchsuchungsbeschluß beim Administrator der Internetseite „antiatombonn.de“. Sie durchsuchten akribisch Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer und außerdem Computer und alle Datenträger. Computer mit Datenträgern (incl. aller Backups) wurden beschlagnahmt mit der Aussage, dass eine Rückgabe erst nach Auswertung in einem halben bis einem Jahr erfolge.

Dieser Maßnahme lag folgender Beschluss des Amtsgerichts Bonn zugrunde:

    „In dem Ermittlungsverfahren [...] wegen Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 102, 105 StPO die Durchsuchung der Wohnung und der sonstigen Räume des Beschuldigten, seiner Person und der ihm gehörenden Sachen, insbesondere seiner Kraftfahrzeuge, angeordnet, da nach den bisherigen Ermittlungen zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird, nämlich Schriftstücke und PC, die die Urheberschaft des auf der Internetseite www.antiatombonn.de eingestellen Artikel „Bonn goes G8: Bewegen, blockieren, bleiben“ belegen.

Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis ist der Beschuldigte verdächtig, als Verantwortlicher der vorgenannten Internetseite den fraglichen Artikel eingestellt zu haben, in dem im Hinblick auf den G8-Gipfel in Heiligendamm offen zu aktiven Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte etwa durch gewaltsames Wegdrücken aufgerufen wurde. Das vorgefundene Beweismaterial ist in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.“


Pax Christi gewaltbereit?

Den jetzt hier in Bonn kriminalisierten Text des Bündnisses Block G8 haben 2006 u.a. AtomkraftgegnerInnen aus dem Wendland, Pax Christi, die Bundesjugendleitung der BUNDjugend zusammen mit Gewerkschaftsgliederungen, Antifas und der Grünen Jugend initiiert. Diese haben sich sehr wohl und äußerst ausführlich mit möglichen juristischen Folgen, mit dem Ziel und dem Konzept der Blockadeaktionen beschäftigt - monatelang und mit hunderten von ehrenamtlichen AktivistInnen. Allein die Tatsache, dass es ein derart breites Bündnis „Block G8“ gab, und dass man sich nicht in einen „guten“ und „bösen“ Protest spalten ließ, wurde von den Beteiligten als riesiger Erfolg gewertet.

Es handelt sich bei dem inkriminierten Text um nicht mehr als eine BESCHREIBUNG der gewaltfreien Sitz- bzw. Stehblockaden, an denen sich um den G8-Gipfel rund 10.000 Menschen beteiligten. Der Text stellt die Aktionsformen und Verhaltensweisen bei Blockaden und deren Räumung vor - friedlich und entschlossen. Dafür mit einer Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme von EDV überzogen zu werden, ist ungefähr so, wie wenn man den Hinweis, dass es bei Blitzeinschlag brennen kann, zu einer aktiven Brandstiftung erklärt.

Jeder konnte sich selbst im Mai bei der öffentlichen Probeblockade im Bonner Hofgarten davon überzeugen, wie gründlich und seriös von den eingeladenen professionellen Trainer- Innen auf ein deeskalierendes, gewaltfreies Verhalten bei Aktionen zivilen Ungehorsams vorbereitet wurde. Das rund um Heiligendamm angewandte Konzept ähnelt sehr den jährlichen gewaltfreien Sitzblockaden im Wendland; nicht zuletzt gibt es personell bei den Aufrufenden Überschneidungen.

Tatsächlich sind die Blockaden aber nicht völlig gewaltfrei geblieben - es gab Dutzende teils schwer verletzte DemoteilnehmerInnen durch Schlagstockeinsatz, Reizgas und andere Gewalteinwirkungen seitens der eingesetzten Polizeieinheiten. Ein Landesvorstandsmitglied des BUND aus Aachen war zusammen mit der Bonner Gruppe unterwegs, wurde mit einem Wasserwerfer praktisch gezielt von der Straße geschossen und erlitt vor Ort einen Schock. Ein anderer Teilnehmer verlor durch den völlig überzogenen Wasserwerfereinsatz gegen eine friedliche Sitzblockade ein Auge.


Nichts für ungut, Frau Polizeiabsperrung

Schaut man isoliert auf die Durchsuchungsanordnung, so scheint das Vorgehen gerechtfertigt, ja man könnte die spontan durch die Presse gegangenen Repliken von „Bündnis90/ DieGrünen“, „Attac“, „Block-G8“ und dem „Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein“ als Überreaktion abtun, gäbe es nicht objektive Verfälschungen und konstruierte Vorwürfe der Staatsanwaltschaften.

So werden typischerweise aus Flatterband und Metallgittern bestehende Polizeiabsperrungen zu „Vollzugsbeamten“ hochstilisiert (oder Vollzugsbeamte zu „Absperrungen“ degradiert?) und dem Opfer der Bonner Razzia vorgeworfen, „offen zu aktiven Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte etwa durch gewaltsames Wegdrücken“ aufgerufen zu haben.

Ein Vergleich der Formulierung mit dem betreffenden Dokument, macht die Fälschung offenbar. Dort nämlich heißt es: „Unser Ziel ist zu blockieren, d.h. wir werden Polizeiabsperrungen überwinden, sie wegdrücken, sie umgehen oder geschickt durch sie hindurchfließen. Wir lassen uns nicht stoppen, bleiben nicht stehen und steigen nicht auf mögliche Eskalationsstrategien der Polizei ein.“ Aus dem Dokument „Bonn goes G8: Bewegen, blockieren, bleiben“

Von „gewaltsamem“ Vorgehen gegen „Vollzugsbeamte“ ist in dem Aufruf keine Rede, ganz im Gegenteil: Man lasse sich „Motive und Aktionsformen unseres entschiedenen und gewaltfreien Widerstands gegen Atomkraft wie G8 nicht absprechen“, heißt es deutlich hervorgehoben im Text.

Die BEHAUPTUNG, dass zu einem gewaltsamen Wegdrücken von Polizisten aufgerufen worden sei, ist eine KONSTRUKTION der Ermittlungsbehörden, um einen Durchsu chungsbeschluss zu erwirken. Deswegen wird das Ermittlungsverfahren bundesweit von Anwälten, Organisationen und Verbänden als völlig überzogen und konstruiert eingeschätzt. Das Vorgehen ist bisher einmalig und beispiellos und hat dementsprechende Reaktionen hervorgerufen.


Praktischer Umgang mit dieser Repression

Bitte geht nicht den Behauptungen der Polizeieinsatzführung und einiger weniger Medien auf den Leim, die alles, was mit G8-Protestaktionen zu tun hat, gleich pauschal unter Terroris musverdacht stellen. Da nicht erst seit Heiligendamm die Hemmschwelle zum Abbau von Grund- und Freiheitsrechten stark gesunken ist, wäre es das falsche politische Signal, nur daneben zu stehen und die Hände in den Schoß zu legen, solange man selbst nicht bei seinem politischen Engagement mit Krimi nalisierung konfrontiert wird. Natürlich hat unser Anwalt sofort die entsprechenden juristische Schritte (d.h. Beschwerde beim Amtsgericht) eingeleitet. Um jedoch nachhaltige Rechtssicherheit zu erkämpfen, muss dieser Prozess öffentlich und politisch begleitet werden.

Als erste Reaktion auf die Hausdurchsuchung haben wir daher als Antiatomgruppe Bonn gemeinsam mit attac Bonn und dem Netzwerk Friedenskooperative Bonn eine Pressemitteilung verfaßt (vgl. http://www.antiatombonn. de) und regional verbreitet. Bundesweit haben sich attac Deutschland, der Republikanische AnwältInnenverein und Block G8 mit einer Stellungnahme an die Presse gewandt.

Die zahlreichen Solidaritäts- und Unterstützungsbekundungen von Personen, Organisationen, Initiativen, Verbänden und Parteien aus der Region, aus der gesamten Republik und aus Frankreich haben uns überrascht und uns Mut gemacht. Nach unseren Informationen haben bisher Junge Welt, TAZ und WDR konkret zum Fall recherchiert und berichtet, außerdem wurde von uns ein Radiointerview gegeben. Das Bündnis „Block G8“ hat ein Rechtshilfe-Konto „Solidarität Bonn“ eingerichtet (Konto-Nr. 400 8700 801, GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67).

Interessant sind aus unserer Sicht insbesondere die Beiträge, die die Bonner Hausdurchsuchung bei einem Atomkraftgegner in den Kontext einer insgesamt verschärften staatlichen Überwachung Andersdenkender stellen (z.B. Telepolis „Ein Klima der Angst“, http:// www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26038/1.html).

Alles in allem war das Medienecho außerhalb der „Szene“ auf unsere breit angelegte Pressearbeit jedoch eher gering. Wir führen dies darauf zurück, dass nach drei Monaten für die Medien der G8-Gipfel in Heiligendamm irgendwie „rum“ ist. Es fehlt derzeit an der notwendigen konkreten Brisanz und Betroffenheit - trotz breiter allgemeiner Diskussion über das Pro und Contra einer Verschärfung staatlicher Überwachungsmaßnahmen.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns für eine „Strategie der kleinen Schritte“ entschieden, mit der wir auf Hausdurchsuchung und Beschlagnahme reagieren werden. Entsprechend unseres inhaltlichen Ansatzes eines gewaltfreien zivilen Ungehorsams werden wir mit langen Atem bis zur Einstellung des Verfahrens und der Rückgabe des Laptops mit kreativen Aktionen für unsere Rechte kämpfen.

In einem von mehreren Gruppenmitgliedern namentlich unterzeichneten Schreiben an die Richterin beim Bonner Amtsgericht, die für die Anordnung der Hausdurchsuchung die Verantwortung trägt, haben wir unser Unverständnis hinsichtlich der erfolgten Hausdurchsuchung wie Ihrer juristischen Begründung geäußert und um ein persönliches Gespräch gebeten.

Wir werden eine Online-Unterschriftenliste auf http://www.antiatombonn.de einrichten, um Menschen die Möglichkeit zu geben, Ihrer Solidarität Ausdruck zu verleihen und gegen willkürliche staatliche Maßnahmen zu protestieren.


Ein gemeinsame Sprache sprechen

Die langfristig vielleicht wichtigste Entwicklung liegt aus unserer Sicht im regionalen Zusammen schluss und gemeinsamen Handeln der Aktiven vieler örtlicher Initiativen, Gruppen und Parteien im Zusammenhang mit der Bonner Hausdurchsuchung. Wie erstmals beim Aufruf zum G8-Gipfel in Heiligendamm haben wir in Bonn erneut eine gemeinsame Sprache gefunden: Am 28.8.2007 diskutierten u.a. Vertreter von attac, Bonner Friedensbündnis, BBU mit der Bonner Antiatomgruppe die aktuelle Lage und geplante Aktionen mit dem Ziel, der Forderung nach sofortiger Einstellung des Verfahrens und Rückgabe des sichergestellten Laptops Nachdruck zu verleihen.


Staatliche Repression bei Ausübung von demokratischen Grundrechten?

Bereits unsere Verfa/ssungsväter haben erkannt, dass außerparlamentarische politische Arbeit einen wesentlichen Eckpfeiler einer lebendigen Demokratie darstellt. Sie wussten, dass, wenn politische Arbeit zu Kriminalisierung und zu unkalkulierbaren schwerwiegenden Eingriffen in die Privatsphäre führt, Engagement unterdrückt und ein erheblicher gesellschaftlicher Schaden angerichtet wird. Dies waren die Gründe für die gesetzliche Absicherung der Meinungs- und Pressefreiheit und des Demonstrationsrechts.

Darf es da sein, dass konstruierte unhaltbare Vorwürfe seitens der Staatsanwaltschaft dazu führen, dass private Wohnräume durchsucht und Computer und Daten für eine Dauer von 6-12 Monaten (typische Auswertezeit der Ermittler) beschlagnahmt werden? Der Begriff „Computer und Daten“ klingt im heutigen Technologiezeitalter leider immer wieder viel zu harmlos. Korrekter müßte es heißen: „Beschlagnahmt wurden alle persönlichen Korrespondenzen der vergangenen 20 Jahre, alle Fotoalben und Erinnerungsfotos, die Stereoanlage incl. aller Musikalben, das Radio, der Fernseher, der Videorecorder incl. aller privaten Urlaubsfilme. Außerdem die Unterlagen der letzten Steuererklärungen, sämtliche Unterlagen der privaten Finanzbuchhaltung, Zeitschriften. Ganz zu schweigen von Adressbüchern, Geburtstagskalendern und -einladungen.“

Dies alles zu beschlagnahmen wird in der heutigen Rechtssprechung als „Bagatelle“ behandelt, für die es (anders als z.B. bei einem Haftbefehl) kurzfristig praktisch kein Rechtsmittel und kein rechtliches Gehör gibt. Es mag ja sein, dass ein Staatsanwalt mal über die Stränge schlägt, aber es darf nicht so lange dauern, bis dass rein prozessmässig eine Korrektur möglich ist.

Wieviel politisches Engagement dürfen wir noch erwarten, wenn Handeln innerhalb der gesetzlichen Regeln mit derartig tiefen Eingriffen in die Privatsphäre geahndet wird? Es liegt in unser aller Verantwortung, dass hier auf politischer Ebene ein deutliches Zeichen gesetzt wird mit dem Ziel, politisch aktive Bürger und Gruppen vor derartigen Repressionen und Einschüchterungsversuchen zu schützen.@

- zurück




      anti-atom-aktuell.de